90 IV 200
41. Urteil des Kassationshofes vom 30. Oktober 1964 i.S. Meier gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich.
Regeste (de):
- Art. 191 Ziff. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 191 - Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft.
- Unzüchtiges Reden fällt nicht unter den Begriff der unzüchtigen Handlung (Erw. 1).
- Es kann aber unter Umständen als Versuch zu einer solchen Handlung oder als unzüchtige Belästigung im Sinne von Art. 205
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 191 - Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft.
Regeste (fr):
- Art. 191 ch. 2 CP.
- Les paroles impudiques ne sont pas assimilables à des actes contraires à la pudeur (consid. 1).
- Elles peuvent toutefois, selon les circonstances, être punissables comme tentative de tels actes ou comme sollicitations déshonhonnêtes au sens de l'art. 205 CP (consid. 2).
Regesto (it):
- Art. 191 num. 2 CP.
- I discorsi osceni non sono parificabili ad atti di libidine (consid. 1).
- Secondo le circostanze, possono tuttavia essere punibili come tentativi di tali atti o come sollecitazioni disoneste nel senso dell'art. 205 CP (consid. 2).
Sachverhalt ab Seite 201
BGE 90 IV 200 S. 201
A.- Meier sprach am 5. Februar 1963 in Zürich drei Sekundarschülerinnen im Alter von 15 Jahren an und lud sie ein, mit ihm in ein Kaffeehaus zu kommen. Dort äusserte er sich ihnen gegenüber in grob unzüchtiger Weise über geschlechtliche Dinge und Vorgänge, die er teils mit den Händen erläuterte. Er redete davon auch noch, als sie sich wieder auf der Strasse befanden.
B.- Meier wurde der Unzucht vor Kindern im Sinne von Art. 191 Ziff. 2 Abs. 3
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 191 - Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
C.- Der Verurteilte führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Sache zur Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Meier bestreitet den unzüchtigen Charakter seiner Äusserungen nicht, macht jedoch geltend, blosses Reden könne nicht als Handlung im Sinne von Art. 191 Ziff. 2
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D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. Der Kassationshof hat sich mit der Frage, ob unzüchtiges Reden mit einem Kinde als unzüchtige Handlung gelten könne, bereits in BGE 89 IV 12 Erw. 2 befasst, allerdings ohne dazu abschliessend Stellung zu nehmen. Wie dort ausgeführt worden ist, will Art. 191
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 191 - Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
BGE 90 IV 200 S. 202
Entwicklung gefährdet oder geschädigt werden kann ein Kind aber nicht nur durch geschlechtliche Handlungen, die mit ihm oder vor seinen Augen vorgenommen werden; schamlose Redensarten können ihm ebenso schaden, unter Umständen sogar mehr als gewisse Berührungen, die nach der Rechtsprechung als unzüchtig zu gelten haben. Wer die geschlechtliche Neugierde von Schülerinnen zu wecken versucht, indem er ihnen unflätige Geschichten erzählt, wie der Beschwerdeführer, erscheint grundsätzlich nicht minder strafwürdig als derjenige, der aus Sinnenlust einem fünfzehnjährigen Mädchen über den Strümpfen die Beine streichelt oder ihm über den Kleidern an die Brüste greift (s. nicht veröffentlichte Urteile des Kassationshofes vom 5. April 1944 i.S. Gnädiger und vom 2. Februar 1951 i.S. Furrer; fernerBGE 70 IV 211,BGE 78 IV 164). Es entspräche daher zweifellos nicht nur dem Zweck des Gesetzes, sondern angesichts der steten Zunahme von Sittlichkeitsdelikten auch einem kriminalpolitischen Bedürfnis, wenn zumindest grob unzüchtige Äusserungen gegenüber einem Kinde, wie sie hier vorliegen, geahndet werden könnten. Der Wortlaut des Art. 191 Ziff. 2 Abs. 3
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BGE 90 IV 200 S. 203
Tatbestände, in denen das Opfer durch Drohung oder andere Mittel zur Vornahme oder Duldung unzüchtiger Handlungen veranlasst wird (Art. 188, 194 Abs. 1 und 2), nur dahin ausgelegt werden, dass der Täter es auf körperliche Betätigungen, d.h. auf eigentliche Unzuchtshandlungen wie Berührungen, Entblössungen und dergleichen, abgesehen haben muss. Das gleiche gilt von den Bestimmungen, welche unzüchtige Handlungen mit dem Opfer unter Strafe stellen (Art. 189 Abs. 2, 190 Abs. 2, 191 Ziff. 2 Abs. 1, 192 Ziff. 2 Abs. 1, 193 Abs. 2). Die romanischen Gesetzestexte, die hiefür durchwegs die Wendung "sur une personne", bzw. "sopra una persona" gebrauchen, lassen keine Zweifel darüber offen, dass diese Normen körperlichen Kontakt voraussetzen. Bei den Tatbeständen der Verleitung zu unzüchtigen Handlungen (Art. 191 Ziff. 2 Abs. 2, 192 Ziff. 2 Abs. 2) können ebenfalls nur Handlungen gemeint sein, die am eigenen oder an einem fremden Körper vorgenommen werden (BGE 89 IV 12). Lässt das Gesetz aber in all den angeführten Bestimmungen insofern einen einheitlichen Begriff der (unzüchtigen) Handlung erkennen, als es darunter bloss Taten, nicht aber Worte versteht, so hat sich die Auslegung auch bei Art. 191 Ziff. 2 Abs. 3 daran zu halten, mündliche Äusserungen folglich auszunehmen. Diese Folgerung deckt sich sowohl mit dem allgemeinen Sprachgebrauch wie mit der im Schrifttum vorherrschenden Auffassung (HAFTER, Bes. Teil I 131 f.; Komm. LOGOZ, Art. 191 N. 3 lit. b; s. ferner Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen, Bd. 12 S. 42 f. und dort angeführtes deutsches Schrifttum). Soweit man sich bei den Beratungen des Gesetzes mit der Frage überhaupt befasst hat, steht sie zudem im Einklang mit dessen Entstehungsgeschichte (Prot. 2. Exp. Kom. Bd. 3 S. 259, 262 Abs. 1, Voten von Zürcher, Gautier und Hafter; vgl. ferner ZÜRCHER, Erläuterungen zum VE von 1908 S. 248). b) Die gegenteilige Auffassung hätte gemäss Art. 191 Ziff. 2
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BGE 90 IV 200 S. 204
gegenüber einem Kinde stets mit Gefängnis (Abs. 4), bei Vorliegen eines besondern Verhältnisses zwischen Täter und Opfer sogar mit Gefängnis nicht unter drei Monaten (Abs. 5) bestraft werden müssten. Das wäre aber schwer mit Art. 204 Ziff. 2
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Schon diese Folgen zeigen, dass es den dem Gesetz zugrunde liegenden Wertungen widerspricht, unzüchtiges Reden mit einem Kinde nach Art. 191 Ziff. 2
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 191 - Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
BGE 90 IV 200 S. 205
Ziff. 2 StGB ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Norm nur auf eigentliche Unzuchtshandlungen Anwendung findet, und dass unzüchtige Äusserungen als solche, mögen sie noch so derb sein, von ihr nicht erfasst werden. Dies befriedigt freilich nicht. Eine befriedigende Lösung ist jedoch nur durch eine Sonderbestimmung zu erreichen, die nicht auf dem Wege freier richterlicher Rechtsfindung, sondern allein vom Gesetzgeber eingeführt werden kann.
2. Das heisst nicht, dass der Beschwerdeführer straflos bleiben müsse. Unzüchtige Redensarten, die in Verfolgung einer Unzuchtshandlung geführt werden, können als Versuch hiezu erfassbar sein. Das Obergericht schliesst diese Möglichkeit nicht aus. Es stellt vielmehr fest, dass der Angeklagte mit seinen Erzählungen und insbesondere mit seinen Einladungen zur Besichtigung des "Ateliers" und des "Negerzimmers" offensichtlich darauf ausgegangen sei, die Mädchen für weitere Unterhaltungen gleicher Art zu gewinnen oder sie gar zu körperlichen Unzuchtshandlungen vorzubereiten. Unzüchtiges Reden kann zudem als unzüchtige Belästigung im Sinne von Art. 205
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 191 - Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
BGE 90 IV 200 S. 206
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird dahin gutgeheissen, dass das Urteil des Obergerichtes des Obergerichtes des Kantons Zürich vom 21. Januar 1964 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen wird.