87 I 430
70. Auszug aus dem Urteil vom 13. Oktober 1961 i.S. Römer gegen Eidg. Getreidekommission.
Regeste (de):
- Beschränkung des Einzugsgebietes einer Kundenmühle.
- 1. Voraussetzungen der Verwaltungsgerichtsbeschwerde: Zuständigkeit des Bundesgerichts; formelle Legitimation des Müllers; Streitwert (Erw. 1-3).
- 2. Gesetzmässigkeit der Verordnungsbestimmung, welche die Produzenten grundsätzlich verpflichtet, das zur Selbstversorgung bestimmte Getreide durch eine "benachbarte" Kundenmühle verarbeiten zu lassen (Erw. 4).
- 3. Sachlegitimation des Beschwerde führenden Müllers; Zuständigkeit der eidg. Getreidekommission (Erw. 5).
- 4. Die "Nachbarschaft" kann nicht einheitlich festgelegt werden. Die Verwaltung darf einschreiten, wenn eine Kundenmühle in einem aussergewöhnlichen Ausmass in eine Zone hinübergreift, die nach dem ordentlichen Lauf der Dinge nicht zu ihrem Einzugsgebiet gehört (Erw. 6-8).
Regeste (fr):
- Limitation du territoire sur lequel un moulin à façon peut étendre son activité.
- 1. Conditions du recours de droit administratif: compétence du Tribunal fédéral; le meunier a qualité - quant à la forme - pour recourir; valeur litigieuse (consid. 1 à 3).
- 2. Légalité de la disposition d'exécution qui oblige en principe les producteurs à faire moudre le blé qu'ils gardent pour leurs besoins dans un moulin à façon "des environs" (consid. 4).
- 3. Qualité quant au fond du meunier recourant; compétence de la Commission fédérale des blés (consid. 5).
- 4. On ne saurait fixer d'une manière uniforme jusqu'où s'étendent "les environs" d'un moulin à façon. L'administration peut intervenir lorsqu'un tel moulin étend outre mesure son activité dans une zone qui, d'après le cours ordinaire des choses, n'est pas la sienne (consid. 6 à 8).
Regesto (it):
- Limitazione del territorio sul quale un mulino rurale può estendere la sua attività.
- 1. Presupposti del ricorso di diritto amministrativo: competenza del Tribunale federale; il mugnaio ha qualità - quanto alla forma - per ricorrere; valore litigioso (consid. 1 a 3).
- 2. Legalità della disposizione dell'ordinanza di esecuzione facente obbligo, di massima, ai produttori di far macinare in un mulino rurale "dei dintorni" i cereali che trattengono per il proprio fabbisogno (consid. 4).
- 3. Qualità - quanto al merito - del mugnaio ricorrente; competenza della Commissione federale dei cereali (consid. 5).
- 4. Non si può stabilire in modo uniforme fin dove si estendono "i dintorni" di un mulino rurale. L'amministrazione può intervenire quando un siffatto mulino estende oltre misura la sua attività in una zona che, stando al corso normale delle cose, non è sua (consid. 6 a 8).
Sachverhalt ab Seite 431
BGE 87 I 430 S. 431
A.- Der Beschwerdeführer Otto Römer betrieb vom 1. April 1954 bis zum 12. Februar 1959 als Pächter die Kundenmühle des Otto Mollet in Gossliwil. Am 20. Februar 1959 nahm er eine Kundenmühle in Rüdtligen in Betrieb, die er im August 1958 von Hermann Stettler gekauft hatte. Gossliwil und Rüdtligen sind in der Luftlinie rund 12 km voneinander entfernt. Der Beschwerdeführer verarbeitete in Rüdtligen weiterhin Getreide für die Selbstversorgung von Bauern in Gossliwil und Umgebung, die schon seine Kunden gewesen waren, als er die Mühle Mollets betrieben
BGE 87 I 430 S. 432
hatte; er behielt ihre Mahlkarten, die ihm übergeben worden waren.
B.- Auf Einspruch Otto Mollets und des Kundenmüllerverbands Büren-Bucheggberg und Umgebung hin wies die eidg. Getreideverwaltung mit Verfügungen vom 16. und 17. Mai 1960 die Leiter der Ortsgetreidestellen von Bibern, Biezwil, Hessigkofen (bloss für die Gemeinde Gossliwil), Leuzigen, Lüsslingen, Nennigkofen, Oberwil b. Büren, Schnottwil, Solothurn und Zuchwil an, den Produzenten ihrer Gemeinden mitzuteilen, sie dürften vom 1. Juli 1960 an ihr Getreide nicht mehr in der Kundenmühle des Beschwerdeführers mahlen lassen; wer dies dennoch tue, habe den Verlust der Mahlprämie zu gewärtigen. Die Verwaltung stellte fest, dass die von ihrer Anordnung betroffenen Bauernbetriebe in der Luftlinie mehr als 10 km von Rüdtligen entfernt sind, und fand, dass die dort vom Beschwerdeführer betriebene Mühle im Verhältnis zu diesen Betrieben nicht "benachbart" im Sinne des Art. 17 Abs. 2 der Vollziehungsverordnung I vom 10. November 1959 (VV I) zum eidg. Getreidegesetz vom 20. März 1959 (GG) sei. Einige in Oberwil und Schnottwil wohnende Produzenten und Otto Römer, dem die Verwaltung Kenntnis von dieser Massnahme gab, erhoben dagegen Beschwerde bei der eidg. Getreidekommission. Sie wurden durch getrennte Entscheide vom 29. März 1961 abgewiesen.
C.- Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt Otto Römer die Aufhebung des ihm gegenüber ergangenen Entscheides der Getreidekommission. Es wird geltend gemacht, dieser Entscheid verletze Art. 17 Abs. 2 VV I. Die Behörde habe das ihr zustehende Ermessen nicht zutreffend gehandhabt. Die Beschränkung der Tätigkeit des Beschwerdeführers auf einen Rayon von 10 km sei sachlich nicht begründet. Diese Grenze werde in zahlreichen anderen Fällen nicht eingehalten. Die Getreidekommission nehme zu Unrecht an, dass die Verwaltung Art. 17 Abs. 2 VV I nur auf Klage hin anzuwenden
BGE 87 I 430 S. 433
habe. Der angefochtene Entscheid verstosse gegen den Grundsatz der Rechtsgleichheit. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1. Da die vorliegende Beschwerde sich gegen einen Entscheid der eidg. Getreidekommission richtet, ist das Bundesgericht nach Art. 61 Abs. 1 lit. c
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2. Nach Art. 103 Abs. 1
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3. Gemäss Art. 61 Abs. 1 lit. c
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BGE 87 I 430 S. 434
Art. 46
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4. Art. 9
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BGE 87 I 430 S. 435
(zur Selbstversorgung des Produzenten bestimmte) Getreide - unter Vorbehalt von Ausnahmen, welche die Verwaltung gestatten kann - unmittelbar einer benachbarten Kundenmühle zur Verarbeitung zu übergeben. Wie das Bundesgericht an das Getreidegesetz gebunden ist (Art. 114 bis Abs. 3
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BGE 87 I 430 S. 436
Abs. 2 VV I aufgestellte Grundsatz, dass der Produzent, wenn er die Mahlprämie erhalten will, das zur Selbstversorgung bestimmte Getreide einer benachbarten Kundenmühle zur Verarbeitung zu übergeben hat. Daraus ergibt sich, dass Art. 17 Abs. 2 VV I sich im Rahmen der Ermächtigung hält, die das Gesetz dem Bundesrat erteilt.
5. Art. 17 Abs. 2 VV I betrifft den Anspruch der sich selbst versorgenden Produzenten auf die Mahlprämie. Der Entscheid, durch den die Getreideverwaltung gestützt auf diese Vorschrift den Selbstversorgern eines bestimmten Gebietes unter Androhung des Verlustes der Mahlprämie untersagt, ihr Getreide in einer bestimmten Kundenmühle verarbeiten zu lassen, greift daher nicht nur in die Interessen, sondern auch in die Rechtsstellung dieser Produzenten ein. Sie sind durch den Entscheid - vorausgesetzt, dass er objektiv rechtswidrig ist - in ihren Rechten verletzt und deshalb gemäss Art. 4 VV IV vom 10. November 1959 zum GG sachlich legitimiert, ihn durch Beschwerde bei der Getreidekommission anzufechten. Die Getreidekommission ist nach Art. 59 Abs. 1
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gewährt jene Verordnungsbestimmung, die eine angemessene Verteilung der Kundenmüllerei auf das ganze Land sicherstellen soll, dem einzelnen Kundenmüller Schutz gegen Beschränkungen des räumlichen Bereiches seiner Tätigkeit, die mit diesem Zweck nicht vereinbar sind. Der Kundenmüller, dessen Kundenkreis durch einen Entscheid der Getreideverwaltung geschmälert wird, ist daher in seiner Rechtsstellung beeinträchtigt, wenn dieser Entscheid objektiv rechtswidrig ist. Er ist somit ebenfalls sachlich legitimiert, gegen den Entscheid Beschwerde einzulegen. Die Getreidekommission ist zur Beurteilung seiner Beschwerde auch zuständig. Zwar ist fraglich, ob dieser Beschwerdefall in Art. 59 Abs. 1
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Verwaltungsrecht, 3. Aufl., S. 151; FORSTHOFF, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 8. Aufl., S. 153 f.). Es ist daher richtig, dass die Getreidekommission auf die Beschwerde Otto Römers eingetreten ist. Sie war zur Beurteilung zuständig, und Römer war sachlich legitimiert, bei ihr - wie auch anschliessend beim Bundesgericht - Beschwerde zu führen.
6. Art. 17 Abs. 2 VV I bezweckt nicht, den freien Wettbewerb zwischen den Kundenmühlen einer Gegend auszuschliessen, und daher auch nicht, die Existenz jeder Kundenmühle zu sichern, sondern nur, eine angemessene Verteilung der Kundenmüllerei über das ganze Land zu gewährleisten. Zu diesem Zwecke beschränkt die Vorschrift grundsätzlich (Satz 1) die für einen Kundenmüller bestehende Möglichkeit, Produzenten ausserhalb eines Gebietes, das mit dem Ausdruck "benachbart" bezeichnet wird, zu bedienen, unter dem Vorbehalt, dass die Verwaltung Ausnahmen gestatten "kann" (Satz 2). Art. 17 Abs. 2 VV I ist im Sinne seiner Zweckbestimmung auszulegen. Indessen ist "benachbart" ein unbestimmter Rechtsbegriff, und die Verordnung bestimmt auch nicht näher, unter welchen Voraussetzungen Ausnahmen gestattet werden können. Die Anwendung dieser Ordnung hängt von der Würdigung der tatsächlichen Umstände ab, die von Fall zu Fall wesentlich verschieden sein können. In dieser Beziehung haben die Getreideverwaltung und auf Beschwerde hin die Getreidekommission einen gewissen Spielraum. Sie kennen die tatsächlichen Verhältnisse des einzelnen Falles in der Regel besser als das Bundesgericht. Daher ist bei der Überprüfung der von der Getreidekommission vorgenommenen Würdigung des Sachverhaltes eine gewisse Zurückhaltung geboten. Sie ist umsomehr angezeigt, als es sich jedenfalls zum Teil um Ermessensfragen handelt. Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen einen Entscheid der Getreidekommission kann nur Verletzung von Bundesrecht geltend gemacht werden (Art. 104
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ob die Getreidekommission von dem ihr zustehenden Ermessen einen richtigen Gebrauch gemacht habe. Es kann nur bei Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens eingreifen, da sie als Rechtsverletzung gelten.
7. Der Beschwerdeführer macht geltend, es gehe nicht an, dass die Verwaltung in seinem Fall den Kundenkreis begrenze, in anderen Fällen dagegen nicht; sie müsse jeder Kundenmühle, und zwar in einheitlicher Weise, eine Grenze vorschreiben. Diese Auffassung ist jedoch unbegründet. Mit Recht nehmen die Verwaltung und die Vorinstanz an, dass der Bereich der "Nachbarschaft" nicht für alle Landesgegenden einheitlich festgelegt werden kann, weil die Verhältnisse verschieden sind. Zuzustimmen ist auch ihrer Erwägung, dass es nicht notwendig ist, diesen Bereich für jede Kundenmühle durch einen Entscheid abzugrenzen. In der Tat stellt sich in den meisten Fällen eine den Entfernungen entsprechende Aufteilung der Kundschaft von selbst ein. Wenn eine Kundenmühle auch etwa einen oder einige wenige Produzenten ausserhalb des ihr nach dem ordentlichen Lauf der Dinge zukommenden Kreises bedient, so hat dies keinen Einfluss auf die Verteilung der Kundenmüllerei über das ganze Land. Es ist daher richtig, dass die Verwaltung nur einschreitet, wenn eine Kundenmühle in einem aussergewöhnlichen Ausmass in eine Zone hinübergreift, die normalerweise nicht die ihrige ist. Indessen hat die Behörde den Entscheid, den sie in einem solchen Falle trifft, nur solange aufrechtzuerhalten, als die besonderen Voraussetzungen, welche ihn rechtfertigen, weiterbestehen.
8. Der Beschwerdeführer hat sich bemüht, die Bauern von Gossliwil und Umgebung, deren Getreide er früher in der von ihm gepachteten Mühle in Gossliwil verarbeitet hatte, als Kunden der von ihm gekauften Mühle in Rüdtligen, die von jenem Betrieb in der Luftlinie rund 12 km entfernt ist, zu behalten. Tatsächlich ist ihm dies in einem sehr grossen Umfange gelungen. Unter den Produzenten, die er in Rüdtligen bedient hat, befinden sich sehr viele
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ihm treu gebliebene alte Kunden. Dieser besondere Zustand ist mit Art. 17 Abs. 2 VV I nicht vereinbar. Die Getreideverwaltung ist mit Recht dagegen eingeschritten. Daher hatten die Getreideverwaltung in erster und die Getreidekommission in zweiter Instanz in dem zwischen Gossliwil und Rüdtligen liegenden Gebiete, in welchem der Beschwerdeführer weiterhin alte Kunden bedient hat, im Sinne des Art. 17 Abs. 2 VV I die Nachbarschaft der Mühle Rüdtligen abzugrenzen. Nur in diesem Gebiete war die Abgrenzung vorzunehmen und ist sie auch vorgenommen worden. In den anderen Richtungen ist die Tätigkeit des Beschwerdeführers - mit Recht - nicht beschränkt worden. Der vorgenommenen Abgrenzung liegt die Annahme zugrunde, dass die vom Beschwerdeführer in Rüdtligen betriebene Mühle für die Kunden, die weiter als 10 km in der Luftlinie von ihr entfernt wohnen, unter den gegebenen Umständen nicht mehr als "benachbart" gelten kann. Es besteht kein Grund, diese Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse zu beanstanden. Sie verstösst nicht gegen das Bundesrecht.