85 I 73
12. Urteil vom 13. Mai 1959 i.S. W. gegen Vormundschaftsbehörde Z. und Regierungsrat des Kantons Solothurn.
Regeste (de):
- Anspruch auf rechtliches Gehör.
- Der Entscheid, durch den eine vormundschaftliche Behörde die von einem Ehegatten nachgesuchte Zustimmung zu einem während der Ehe abgeschlossenen Ehevertrag erteilt hat, darf von der vormundschaftlichen Aufsichtsbehörde nicht ohne Anhörung dieses Ehegatten aufgehoben werden.
Regeste (fr):
- Droit d'être entendu.
- La décision par laquelle une autorité de tutelle, statuant à la requête d'un époux, donne son consentement à un contrat de mariage conclu pendant le mariage, ne peut pas être annulée par l'autorité de surveillance sans que cet époux ait été entendu.
Regesto (it):
- Diritto di essere sentito.
- La decisione mediante la quale un'autorità tutoria, statuendo a richiesta di un coniuge, dà il suo consenso a una convenzione matrimoniale stipulata durante il matrimonio, non può essere annullata dall'autorità di vigilanza senza che detto coniuge sia stato sentito.
Sachverhalt ab Seite 73
BGE 85 I 73 S. 73
A.- Die Ehegatten W. waren seit 1935 verheiratet und hatten vier Kinder, wovon drei noch unmündig sind. Am 25. Juni 1958 wurde der Ehemann in das Bürgerspital Solothurn eingeliefert. Am 5. oder 6. Juli teilten die Ärzte der Ehefrau mit, dass der Mann unheilbar krank sei, und empfahlen gleichzeitig beiden Ehegatten, ihre Angelegenheiten
BGE 85 I 73 S. 74
zu ordnen. Darauf schlossen diese am 10. Juli einen Ehevertrag, in welchem sie vereinbarten, dass beim Tod des einen Ehegatten der ganze Vorschlag gemäss Art. 214 Abs. 3

SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 214 - 1 Massgebend für den Wert der bei der Auflösung des Güterstandes vorhandenen Errungenschaft ist der Zeitpunkt der Auseinandersetzung. |
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1 | Massgebend für den Wert der bei der Auflösung des Güterstandes vorhandenen Errungenschaft ist der Zeitpunkt der Auseinandersetzung. |
2 | Für Vermögenswerte, die zur Errungenschaft hinzugerechnet werden, ist der Zeitpunkt massgebend, in dem sie veräussert worden sind. |

SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 181 - Die Ehegatten unterstehen den Vorschriften über die Errungenschaftsbeteiligung, sofern sie nicht durch Ehevertrag etwas anderes vereinbaren oder der ausserordentliche Güterstand eingetreten ist. |
B.- Mit der staatsrechtlichen Beschwerde stellt Witwe W. den Antrag, der Entscheid des Regierungsrates vom 24. Februar 1959 sei wegen Verletzung von Art. 4

SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
C.- Der Regierungsrat des Kantons Solothurn beantragt die Abweisung der Beschwerde und bemerkt zum Vorwurfe der Gehörsverweigerung: Das Beschwerdeverfahren, für welches die Offizialmaxime gelte, wickle sich zwischen der beschwerdeführenden und der beschwerdebeklagten Partei ab; Mitteilungen an Dritte, die zwar direkt beteiligt seien, aber nicht Parteistellung hätten,
BGE 85 I 73 S. 75
erfolgten erst, wenn sich deren Notwendigkeit zur ergänzenden tatbeständlichen Abklärung zeige, was hier nicht der Fall gewesen sei.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtes ist der aus Art. 4

SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
BGE 85 I 73 S. 76
keine Parteirechte zugestanden seien. Die Durchführung eines Verfahrens nach der Offizialmaxime schliesst den Anspruch auf rechtliches Gehör keineswegs aus, besteht dieser Anspruch doch, wie das Bundesgericht von jeher angenommen hat, insbesondere auch im Strafprozess, für den in der Regel die Offizialmaxime gilt (statt vielerBGE 53 I 22,BGE 65 I 3,BGE 71 I 2, BGE 82 I 70). Ebenso ist bedeutungslos, dass es sich um ein Verfahren vor Verwaltungsbehörden handelt. Einmal hat nach der neuern Rechtsprechung der Betroffene auch in einem solchen Verfahren stets dann Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn der Entscheid nicht sofort getroffen werden muss und er überdies einer neuen Prüfung nicht mehr zugänglich ist (BGE 74 I 245ff.), und diese Voraussetzungen dürften hier gegeben sein. Zudem. hat das Bundesgericht wiederholt entschieden, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör für das Verfahren vor Verwaltungsbehörden im gleichen Umfang wie für den Zivil- und Strafprozess bestehe, wenn die Verwaltungsbehörden eine Zivilrechtsstreitigkeit zu beurteilen haben oder auf Grund einer ihnen zum Schutze öffentlicher Interessen eingeräumten Befugnis in die Gestaltung eines Privatrechtsverhältnisses eingreifen, in dem sich die Parteien auf dem Fusse der Gleichberechtigung gegenüberstehen (BGE 70 I 70mit Zitaten;BGE 74 I 10, 12). Aus dem gleichen Grunde muss der Betroffene Anspruch auf rechtliches Gehör haben, wenn Gegenstand des Verfahrens vor den Verwaltungsbehörden eine behördliche Zustimmung ist, von der die Gültigkeit eines zivilrechtlichen Vertrages abhängt. Unerheblich ist schliesslich auch, ob die Beschwerdefuhrerin nach dem kantonalen Recht im Verfahren vor dem Regierungsrate Parteistellung hatte. Nachdem die Vormundschaftsbehörde die nachgesuchte Zustimmung verweigert, der Oberamtmann die hiegegen erhobene Beschwerde aber gutgeheissen hatte, durfte der Regierungsrat von Bundesrechts wegen diesen von der Beschwerdeführerin erwirkten Beschwerdeentscheid nicht aufheben oder zum Nachteil der Beschwerdeführerin abändern,
BGE 85 I 73 S. 77
ohne ihr Gelegenheit zu geben, sich zu den dagegen geltend gemachten Gründen zu äussern. Der angefochtene Entscheid ist daher wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs aufzuheben.