S. 9 / Nr. 3 Rechtsgleichheit (Rechtsverweigerung) (d)
BGE 74 I 9
3. Auszug aus dem Urteil vom 13. Mai 1948 i. S. Vogel gegen Egli und
Regierungsrat des Kantons Luzern.
Regeste:
Wohnungsnot, BRB vom 15. Oktober 1911 / 8. Februar 1946 (BMW). Formelle
Rechtsverweigerung, Art. 10 BMW, Unzulässigkeit der Bestätigung eines
erstinstanzlichen Entscheides durch die Rekursinstanz aus Gründen
tatsächlicher Art, zu denen der Betroffene im kantonalen Verfahren keine
Stellung nehmen konnte.
Pénurie des logements. ACF du 16 octobre 1911 / 8 février 1916 (APL).
Déni de justice formel, art. 10; la juridiction de recours ne peut confirmer
la décision de l'autorité inférieure pour des raisons déduites de faits sur
lesquels l'intéressé n'a pas été en mesure de se déterminer dans la procédure
cantonale.
Penuria degli alloggi. DCF 15 ottobre 1941 / 8 febbraio 1946.
Diniego di giustizia quanto alla forma, art. 10: la giurisdizione di ricorso
non può confermare la decisione dell'autorità inferiore per ragioni dedotte da
fatti sui quali l'interessato non è stato in grado di pronunciarsi nella
procedura cantonale.
Der Amtsgehilfe von Willisau hat die gegenüber dem Beschwerdeführer
ausgesprochene Wohnungskündigung gestützt auf Art. 5 lit. a BMW geschützt,
weil der Mieter den Vermieter angeblich unberechtigterweise vor den
Friedensrichter geladen und ihn des Diebstahls bezichtigt habe. Im
Beschwerdeverfahren vor dem Regierungsrat hat der Vermieter weitere Vorwürfe
gegen den Mieter erhoben, über die der Regierungsrat in Abwesenheit der
Parteien Beweis erheben liess. Der Beschwerdeführer erhielt weder Gelegenheit,
von der Eingabe des Vermieters Kenntnis zu nehmen, noch, sich zum Ergebnis des
Beweisverfahrens zu äussern. Der Regierungsrat hat die vom Amtsgehilfen als
die Kündigung rechtfertigend bezeichneten Gründe als nicht ausreichend erklärt
und die Kündigung aus den vom Vermieter erst im Beschwerdeverfahren
vorgebrachten Gründen geschützt. Das Bundesgericht hat
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die staatsrechtliche Beschwerde hiegegen wegen Verweigerung des rechtlichen
Gehörs gutgeheissen.
Aus den Gründen:
Nach Art. 10 BMW haben die Kantone das Verfahren bei Einsprachen gegen eine
Kündigung zu ordnen. Da es sich um ein Verfahren vor den Verwaltungsbehörden
handelt, besteht für sie keine Pflicht, das Verfahren, insbesondere das
Beweisverfahren, nach zivilprozessualen Grundsätzen auszugestalten. Es steht
von Bundesrechtswegen nichts entgegen, dass die zuständige Behörde auch
Beweismittel berücksichtigt, die von den Parteien nicht angerufen worden sind,
die Erhebungen ohne Beizug der Parteien durchführt, von einer eigentlichen
Protokollierung der Parteivorbringen und der Aussagen von Zeugen Umgang nimmt
usw. (Urteile vom 4. April 1946 i. S. Goglio und vom 12. September 1946 i. S.
Keller). Da sie aber in die Gestaltung eines Privatrechtsverhältnisses
zwischen den Parteien eingreift, muss von ihr der Anspruch der Beteiligten auf
rechtliches Gehör gewahrt werden (BGE 70 I 69). Dazu gehört, dass die durch
einen Entscheid bestimmte Rechtsstellung einer Partei nicht zu ihren Ungunsten
abgeändert wird, ohne dass ihr Gelegenheit geboten war, sich zu den Gründen zu
äussern, die gegen den Entscheid geltend gemacht werden (BGE 64 I 148 Erw. 2).
Eine derartige nachteilige Änderung der Rechtsstellung liegt nicht nur vor,
wenn die Rekursinstanz den erstinstanzlichen Entscheid, mit dem der Anspruch
einer Partei geschützt worden ist, aufhebt und zu deren Ungunsten abändert,
ohne ihr vorher Gelegenheit zur Vernehmlassung gegeben zu haben. Sie muss auch
für den Fall angenommen werden, dass die angefochtene Verfügung mit der ihr
gegebenen Begründung sich als unhaltbar herausstellt, die Beschwerdeinstanz
sie aber aus Gründen tatsächlicher Art bestätigt, zu denen Stellung zu nehmen
der betroffenen Partei keine Möglichkeit eingeräumt worden ist. Anders wäre es
nur dann, wenn diese
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als massgebend erachteten Tatsachen bereits im erstinstanzlichen Verfahren
namhaft gemacht worden wären, der Betroffene es aber unterlassen hätte, sich
dazu zu äussern, und die Beschwerdeinstanz ohne Beizug neuer Akten oder
weitere Erhebungen entscheiden kann (Urteil vom 20. Februar 1947 i. S.
Schmid).