S. 49 / Nr. 8 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht (d)

BGE 78 III 49

8. Entscheid vom 13. März 1952 i. S. Bonert.


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Regeste:
Eine nichtige Verfügung kann durch das Betreibungsamt, das sie getroffen hat,
oder durch eine ihm übergeordnete Aufsichtsbehörde jederzeit aufgehoben
werden. Das Betreibungsamt ist jedoch hiefür nicht mehr zuständig bei
Hängigkeit einer wegen der Nichtigkeit geführten Beschwerde, sobald diese
vollen Devolutiveffekt erlangt hat.
Art. 17 ff
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 17 - 1 Mit Ausnahme der Fälle, in denen dieses Gesetz den Weg der gerichtlichen Klage vorschreibt, kann gegen jede Verfügung eines Betreibungs- oder eines Konkursamtes bei der Aufsichtsbehörde wegen Gesetzesverletzung oder Unangemessenheit Beschwerde geführt werden.25
1    Mit Ausnahme der Fälle, in denen dieses Gesetz den Weg der gerichtlichen Klage vorschreibt, kann gegen jede Verfügung eines Betreibungs- oder eines Konkursamtes bei der Aufsichtsbehörde wegen Gesetzesverletzung oder Unangemessenheit Beschwerde geführt werden.25
2    Die Beschwerde muss binnen zehn Tagen seit dem Tage, an welchem der Beschwerdeführer von der Verfügung Kenntnis erhalten hat, angebracht werden.
3    Wegen Rechtsverweigerung oder Rechtsverzögerung kann jederzeit Beschwerde geführt werden.
4    Das Amt kann bis zu seiner Vernehmlassung die angefochtene Verfügung in Wiedererwägung ziehen. Trifft es eine neue Verfügung, so eröffnet es sie unverzüglich den Parteien und setzt die Aufsichtsbehörde in Kenntnis.26
. SchKG.
Une décision entachée de nullité peut être annulée en tout temps par l'office
des poursuites qui l'a rendue ou par l'autorité de surveillance à laquelle il
est subordonné. L'office des poursuites n'a cependant plus qualité pour
l'annuler lorsqu'elle a donné lieu à une plainte pour cause de nullité et que
la plainte a acquis un plein effet dévolutif.
Art. 17 et suiv. LP.
Una decisione in firmata da nullità può essere annullata in ogni tempo
dall'ufficio di esecuzione che l'ha resa o dall'autorità di vigilanza
preposta. Tuttavia, l'ufficio non ha più veste per annullare la decisione dopo
ch'essa sia stata impugnata per nullità e che il reclamo abbia conseguito
pieno effetto d'evolutivo.
Art. 17 sgg. LEF.

A. - Der Rekurrent hob am 6. November 1948 gegen die Erbschaft des Antonio dal
Pont Betreibung an. Der Zahlungsbefehl wurde der im Betreibungsbegehren als
Erbenvertreterin bezeichneten Witwe Maria dal Pont zugestellt. Es erfolgte
kein Rechtsvorschlag.
B. - Erst im Verwertungsstadium führte die betriebene Erbschaft am 29./31.
März 1951 Beschwerde mit dem

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Antrag, die Betreibung sei wegen Urteilsunfähigkeit der Witwe dal Pont nichtig
zu erklären. Auf Grund einer spätern Erklärung des Erbenvertreters Wilhelm dal
Pont wollten die Zürcher Aufsichtsbehörden die Beschwerde als durch Rückzug
erledigt abschreiben. Auf Rekurs der Schuldnerin hob aber die
Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts mit Entscheid vom 9.
August 1951 den Abschreibungsbeschluss auf, weil jene Erklärung des
Erbenvertreters zweideutig gewesen war und nicht ohne Rückfrage (wobei sich
die gegenteilige Willensmeinung ergeben hätte) kurzerhand als Rückzug der
Beschwerde hatte betrachtet werden dürfen.
C. - inzwischen, also während die Frage nach der fortdauernden Hängigkeit der
Beschwerde noch unerledigt war, hatte das Betreibungsamt dem Gläubiger am 20.
Juli 1951 mitgeteilt, es werde die Betreibung nach Erledigung der Beschwerde
der Schuldnerin aufheben. Hierauf reichte der Gläubiger seinerseits
vorsorglich Beschwerde ein. Vor deren Erledigung, am 10. August 1951, hob
sodann das Betreibungsamt (nach Einholung eines ergänzenden Arztberichtes über
die Urteilsfähigkeit der Witwe dal Pont) die Betreibung von sich aus in aller
Form auf, wogegen der Gläubiger nicht (nochmals) Beschwerde führte. Am 11.
September 1951 trat die untere Aufsichtsbehörde auf dessen versorgliche
Beschwerde, weil sie gegen eine blosse Mitteilung gerichtet sei, nicht ein.
Auch dabei liess der Gläubiger es bewenden.
D. - Nun nahm die untere Aufsichtsbehörde die Beschwerde der Schulduerin
zufolge des bundesgerichtlichen Rekursentscheides vom 9. August 1951 (oben B)
nochmals an die Hand, schrieb sie dann aber mit Beschluss vom 11. Dezember
1951 als gegenstandslos geworden ab, weil die am 10. August 1951 vom
Betreibungsamt verfügte Aufhebung der Betreibung nicht angefochten worden sei.
E. - Die obere Aufsichtsbehörde des Kantons Zürich, an die der Gläubiger
rekurrierte., bestätigte diesen Abschreibungsbeschluss

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am 7. Februar 1952, wogegen der Gläubiger mit vorliegendem Rekurs daran
festhält, dass die Betreibung nicht gültig aufgehoben und die Abschreibung der
Beschwerde der Schuldnerin nicht gerechtfertigt sei.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.- Der vorinstanzlichen Entscheidung ist zwar darin beizustimmen, dass eine
betreibungsamtliche Verfügung unter Umständen von dem Amte, das sie getroffen
hat, widerrufen werden kann. Solcher Widerruf ist allgemein zulässig, solange
die Verfügung noch nicht rechtskräftig geworden, d. h. die Beschwerdefrist des
Art. 17
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 17 - 1 Mit Ausnahme der Fälle, in denen dieses Gesetz den Weg der gerichtlichen Klage vorschreibt, kann gegen jede Verfügung eines Betreibungs- oder eines Konkursamtes bei der Aufsichtsbehörde wegen Gesetzesverletzung oder Unangemessenheit Beschwerde geführt werden.25
1    Mit Ausnahme der Fälle, in denen dieses Gesetz den Weg der gerichtlichen Klage vorschreibt, kann gegen jede Verfügung eines Betreibungs- oder eines Konkursamtes bei der Aufsichtsbehörde wegen Gesetzesverletzung oder Unangemessenheit Beschwerde geführt werden.25
2    Die Beschwerde muss binnen zehn Tagen seit dem Tage, an welchem der Beschwerdeführer von der Verfügung Kenntnis erhalten hat, angebracht werden.
3    Wegen Rechtsverweigerung oder Rechtsverzögerung kann jederzeit Beschwerde geführt werden.
4    Das Amt kann bis zu seiner Vernehmlassung die angefochtene Verfügung in Wiedererwägung ziehen. Trifft es eine neue Verfügung, so eröffnet es sie unverzüglich den Parteien und setzt die Aufsichtsbehörde in Kenntnis.26
SchKG noch nicht abgelaufen ist (und zwar, nach der neuem
Rechtsprechung, selbst wenn bereits Beschwerde angehoben ist; BGE 67 III 161,
76 III 87). Erweist sich eine Verfügung als nichtig, so dass sie gar nicht
rechtskräftig werden kann, so steht dem Amte, das sie getroffen hat, jederzeit
zu, sie wiederum aufzuheben. Dazu tritt die Befugnis der diesem Amte
übergeordneten Aufsichtsbehörden zur Aufhebung nichtiger Verfügungen von Amtes
wegen (Art. 13
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 13 - 1 Zur Überwachung der Betreibungs- und der Konkursämter hat jeder Kanton eine Aufsichtsbehörde zu bezeichnen.
1    Zur Überwachung der Betreibungs- und der Konkursämter hat jeder Kanton eine Aufsichtsbehörde zu bezeichnen.
2    Die Kantone können überdies für einen oder mehrere Kreise untere Aufsichtsbehörden bestellen.
SchKG BGE 51 III 66, 52 III 11 und 82, 68 III 34).
Dementsprechend haben andere Behörden, denen solche Aufhebungsbefugnis mangels
sachlicher oder örtlicher Zuständigkeit nicht zuzuerkennen ist, eine als
nichtig erkannte betreibungsamtliche Verfügung einfach unbeachtet zu lassen.
Sie mögen nur etwa Veranlassung finden, dem betreffenden Betreibungsamt oder
einer ihm übergeordneten Aufsichtsbehörde den Sachverhalt und ihre
Betrachtungsweise mitzuteilen und allenfalls deren Entscheidung abzuwarten, um
ihre eigene endgültige Entscheidung danach zu richten.
Art und für sich besteht die Befugnis des Betreibungsamtes, eine von ihm
getroffene Verfügung als nichtig aufzuheben, selbständig neben der Befugnis
der ihm übergeordneten Aufsichtsbehörden, von Amtes wegen zum

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rechten zu sehen. Doch muss die höhere Stellung der Aufsichtsbehörden gewahrt
bleiben. Sie kommt zur Geltung, sobald die Aufsichtsbehörde tatsächlich
einschreitet oder über die Nichtigkeit der Verfügung zufolge einer Beschwerde
zu entscheiden hat.
Die vom Betreibungsamt Zürich 11 am 10. August 1951 verfügte Aufhebung der
Betreibung verstiess nun zwar nicht gegen eine Sachentscheidung der
Aufsichtsbehörde. Sie griff aber in unzulässiger Weise in das damals bereits
seit mehreren Monaten hängige Beschwerdeverfahren ein. Da dieses gerade die
Frage der Nichtigkeit der Betreibung wegen Urteilsunfähigkeit der Witwe dal
Pont betraf, stand dem Betreibungsamte nicht mehr zu, selber diese Nichtigkeit
auszusprechen, sobald die Beschwerde einmal ihren vollen Devolutiveffekt
entfaltet hatte. Und dies war spätestens nach Erstattung der
betreibungsamtlichen Vernehmlassung vom 4. April 1951 zur Beschwerde der
Schuldnern der Fall. Es kann dahingestellt bleiben, ob das Betreibungsamt
statt solcher Vernehmlassung gleich von sich aus die Folgen einer aus der
Beschwerde ersehenen (offenkundigen) Nichtigkeit aussprechen darf (was
immerhin sogleich der Aufsichtsbehörde mitzuteilen wäre, und zwar vorerst nur
ihr, damit deren allfälligen Weisungen nicht vorgegriffen sei). Wie es sich
damit aber auch verhalten möge, entfällt auf alle Fälle jegliche Zuständigkeit
des Betreibungsamtes, über die mit der Beschwerde geltend gemachte Nichtigkeit
zu befinden, sobald die Beschwerde samt der Vernehmlassung des Amtes an die
Aufsichtsbehörde zurückgelangt ist. Nunmehr stellt sich ein eigenmächtiges
Einschreiten des Amtes als unzulässiger Eingriff in den ordnungsmässigen
Verfahrensgang dar. Ein solches Vorgehen ist übrigens dazu angetan, die
Beteiligten zu verwirren. Namentlich wer etwa bereits im Beschwerdeverfahren
die Nichtigkeit der angefochtenen Verfügung verneint und seinen
Gegenstandpunkt dargelegt hat, wird geneigt sein, trotz Nichtigerklärung durch
das Betreibungsamt noch einen Sachentscheid der Aufsichtsbehörde

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zu erwarten, und es deshalb versäumen, nun seinerseits ein neues
Beschwerdeverfahren mit umgekehrten Rollen anzuheben. im vorliegenden Falle
war es für den Gläubiger besonders verwirrlich, dass das Betreibungsamt einige
Wochen, bevor es die Betreibung von sich aus aufhob, dies gewissermassen
angekündigt hatte, und dass die von ihm vorsorglich geführte Beschwerde am 10.
August 1951 (und weiterhin bis zum 11. September) noch hängig war. Aber auch
ganz abgesehen von diesen Verhältnissen erweist sich die vom Betreibungsamt am
10. August 1951 verfügte Aufhebung der Betreibung, wie dargetan, mangels einer
ihm dazu noch zustehenden Befugnis als schlechthin ungültig, also nichtig. Die
kantonalen Aufsichtsbehörden hätten diese Massnahme nicht gelten lassen,
sondern auf ihrer eigenen ausschliesslichen Entscheidungsbefugnis beharren
sollen. Der Gläubiger hat somit gegen die Abschreibung der Beschwerde der
Schuldnerin mit Recht rekurriert.
2.- Diese Beschwerde bleibt also nach wie vor materiell zu beurteilen. in
dieser Hinsicht wurden dem abschreibungsbeschluss vom 11. Dezember 1951
bereits eventuelle Erwägungen beigefügt. Es steht im Ermessen der
vorinstanzlichen Behörde, mit Rücksicht hierauf gleich selber in der Sache zu
entscheiden, sofern sie eine förmliche erstinstanzliche Sachentscheidung unter
diesen Umständen für entbehrlich hält.
Demnach erkennt die Schuldbetr. - u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird gutgeheissen und der angefochtene Entscheid sowie der
Abschreibungsbeschluss der untern Aufsichtsbehörde vom 11. Dezember 1951
aufgehoben.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 78 III 49
Datum : 01. Januar 1952
Publiziert : 13. März 1952
Quelle : Bundesgericht
Status : 78 III 49
Sachgebiet : BGE - Schuldbetreibungs- und Konkursrecht
Gegenstand : Eine nichtige Verfügung kann durch das Betreibungsamt, das sie getroffen hat, oder durch eine ihm...


Gesetzesregister
SchKG: 13 
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 13 - 1 Zur Überwachung der Betreibungs- und der Konkursämter hat jeder Kanton eine Aufsichtsbehörde zu bezeichnen.
1    Zur Überwachung der Betreibungs- und der Konkursämter hat jeder Kanton eine Aufsichtsbehörde zu bezeichnen.
2    Die Kantone können überdies für einen oder mehrere Kreise untere Aufsichtsbehörden bestellen.
17
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 17 - 1 Mit Ausnahme der Fälle, in denen dieses Gesetz den Weg der gerichtlichen Klage vorschreibt, kann gegen jede Verfügung eines Betreibungs- oder eines Konkursamtes bei der Aufsichtsbehörde wegen Gesetzesverletzung oder Unangemessenheit Beschwerde geführt werden.25
1    Mit Ausnahme der Fälle, in denen dieses Gesetz den Weg der gerichtlichen Klage vorschreibt, kann gegen jede Verfügung eines Betreibungs- oder eines Konkursamtes bei der Aufsichtsbehörde wegen Gesetzesverletzung oder Unangemessenheit Beschwerde geführt werden.25
2    Die Beschwerde muss binnen zehn Tagen seit dem Tage, an welchem der Beschwerdeführer von der Verfügung Kenntnis erhalten hat, angebracht werden.
3    Wegen Rechtsverweigerung oder Rechtsverzögerung kann jederzeit Beschwerde geführt werden.
4    Das Amt kann bis zu seiner Vernehmlassung die angefochtene Verfügung in Wiedererwägung ziehen. Trifft es eine neue Verfügung, so eröffnet es sie unverzüglich den Parteien und setzt die Aufsichtsbehörde in Kenntnis.26
BGE Register
51-III-64 • 52-III-11 • 67-III-161 • 68-III-33 • 76-III-87 • 78-III-49
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
betreibungsamt • nichtigkeit • witwe • weiler • untere aufsichtsbehörde • vorinstanz • frage • von amtes wegen • erbenvertreter • bundesgericht • devolutiveffekt • entscheid • urteilsfähigkeit • schutzmassnahme • abschreibung • zahlungsbefehl • obere aufsichtsbehörde • rechtsvorschlag • weisung • beschwerdefrist
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