S. 77 / Nr. 16 Strafgesetzbuch (d)

BGE 77 IV 77

16. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 25. Mai 1951 i. S. Wehrli
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau


Seite: 77
Regeste:
Art. 42 Ziff. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 42 - 1 Das Gericht schiebt den Vollzug einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von höchstens zwei Jahren in der Regel auf, wenn eine unbedingte Strafe nicht notwendig erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten.33
1    Das Gericht schiebt den Vollzug einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von höchstens zwei Jahren in der Regel auf, wenn eine unbedingte Strafe nicht notwendig erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten.33
2    Wurde der Täter innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Tat zu einer bedingten oder unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten verurteilt, so ist der Aufschub nur zulässig, wenn besonders günstige Umstände vorliegen.34
3    Die Gewährung des bedingten Strafvollzuges kann auch verweigert werden, wenn der Täter eine zumutbare Schadenbehebung unterlassen hat.
4    Eine bedingte Strafe kann mit einer Busse nach Artikel 106 verbunden werden.35
StGB. Der Hang zu Verbrechen oder Vergehen, der Hang zur
Liederlichkeit und der Hang zur Arbeitsscheu sind alternative Voraussetzungen
der Verwahrung.
Art. 42 ch. 1 CP. Penchant au crime ou au délit, ii l'inconduite ou à la
fainéantise: la condition est alternative.
Art. 42 cifra 1 CP. Tendenza al reato, alla dissolutezza o all'ozio la
condizione è alternativa.

A. - Der im Jahre 1916 geborene Ernst Wehrli wurde in den Jahren 1935 bis 1948
dreizehnmal zu Freiheitsstrafen verurteilt, meistens wegen ausgezeichneten
Diebstahls. Die Dauer dieser Strafen übersteigt zwölf Jahre. Nachdem Wehrli im
Dezember 1949 die letzte Strafe, zwei Jahre Zuchthaus, verbüsst hatte, hielt
er sich bis im Januar 1951, ohne rückfällig zu werden. Dann beging er einen
neuen Einbruchsdiebstahl. Das Bezirksgericht Kulm verurteilte ihn deswegen am
31. Januar 1951 zu sechs Monaten Gefängnis. Beim Versuch, aus der Zelle
auszubrechen, machte sich Wehrli der Sachbeschädigung schuldig. Hierfür
verurteilte ihn das gleiche Gericht am 6. Februar 1951 zu einer Woche
Gefängnis. In beiden Urteilen liess es an Stelle der Strafe Verwahrung auf
unbestimmte Zeit (Art. 42 Ziff. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 42 - 1 Das Gericht schiebt den Vollzug einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von höchstens zwei Jahren in der Regel auf, wenn eine unbedingte Strafe nicht notwendig erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten.33
1    Das Gericht schiebt den Vollzug einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von höchstens zwei Jahren in der Regel auf, wenn eine unbedingte Strafe nicht notwendig erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten.33
2    Wurde der Täter innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Tat zu einer bedingten oder unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten verurteilt, so ist der Aufschub nur zulässig, wenn besonders günstige Umstände vorliegen.34
3    Die Gewährung des bedingten Strafvollzuges kann auch verweigert werden, wenn der Täter eine zumutbare Schadenbehebung unterlassen hat.
4    Eine bedingte Strafe kann mit einer Busse nach Artikel 106 verbunden werden.35
StGB) treten.
B. - Mit Beschwerde an das Obergericht des Kantons Aargau beantragte Wehrli,
diese Massnahme sei aufzuheben. Das Obergericht wies die Beschwerde am 4. Mai
1951 ab mit der Begründung, der Beschwerdeführer, der wegen Verbrechen und
Vergehen schon zahlreiche Freiheitsstrafen verbüsst und wieder solche
strafbare Handlungen begangen habe, weise in hohem Masse einen Hang zum
Begehen von Verbrechen oder Vergehen auf. Das genüge. Entgegen der Auffassung
von HAFTER, Lehrbuch, allgem. Teil. 393, und einem Urteil des aargauischen
Obergerichts vom 7. Mai 1948 i. S. Leber (JZ 44 246) setze die Verwahrung
nicht ausserdem voraus, dass der Verurteilte arbeitsscheu oder

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liederlich sei. Das Gesetz sei, wie auch das bernische Obergericht annehme
(ZBJV 87 91), dahin auszulegen, dass es diese Merkmale nur alternativ statt
des Hanges zum Verbrechen der Vergehen verlange.
C. - Wehrli führt Nichtigkeitsbeschwerde nach Art. 268 ff
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 42 - 1 Das Gericht schiebt den Vollzug einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von höchstens zwei Jahren in der Regel auf, wenn eine unbedingte Strafe nicht notwendig erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten.33
1    Das Gericht schiebt den Vollzug einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von höchstens zwei Jahren in der Regel auf, wenn eine unbedingte Strafe nicht notwendig erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten.33
2    Wurde der Täter innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Tat zu einer bedingten oder unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten verurteilt, so ist der Aufschub nur zulässig, wenn besonders günstige Umstände vorliegen.34
3    Die Gewährung des bedingten Strafvollzuges kann auch verweigert werden, wenn der Täter eine zumutbare Schadenbehebung unterlassen hat.
4    Eine bedingte Strafe kann mit einer Busse nach Artikel 106 verbunden werden.35
. BStP mit dem
Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur
Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Er macht geltend, das
Obergericht lege Art. 42 Ziff. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 42 - 1 Das Gericht schiebt den Vollzug einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von höchstens zwei Jahren in der Regel auf, wenn eine unbedingte Strafe nicht notwendig erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten.33
1    Das Gericht schiebt den Vollzug einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von höchstens zwei Jahren in der Regel auf, wenn eine unbedingte Strafe nicht notwendig erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten.33
2    Wurde der Täter innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Tat zu einer bedingten oder unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten verurteilt, so ist der Aufschub nur zulässig, wenn besonders günstige Umstände vorliegen.34
3    Die Gewährung des bedingten Strafvollzuges kann auch verweigert werden, wenn der Täter eine zumutbare Schadenbehebung unterlassen hat.
4    Eine bedingte Strafe kann mit einer Busse nach Artikel 106 verbunden werden.35
Satz 1 StGB unrichtig aus. Verwahrt werden
dürfe nur, wer ausser dem Hang zum Verbrechen oder Vergehen auch einen solchen
zur Liederlichkeit oder zur Arbeitsscheu habe. Der Beschwerdeführer habe, wie
aus seinen Vorstrafen zu schliessen sei, wohl einen gewissen Hang zum
Delinquieren, sei aber weder arbeitsscheu noch liederlich.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
Nach dem italienischen Text des Art. 42 Ziff. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 42 - 1 Das Gericht schiebt den Vollzug einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von höchstens zwei Jahren in der Regel auf, wenn eine unbedingte Strafe nicht notwendig erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten.33
1    Das Gericht schiebt den Vollzug einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von höchstens zwei Jahren in der Regel auf, wenn eine unbedingte Strafe nicht notwendig erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten.33
2    Wurde der Täter innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Tat zu einer bedingten oder unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten verurteilt, so ist der Aufschub nur zulässig, wenn besonders günstige Umstände vorliegen.34
3    Die Gewährung des bedingten Strafvollzuges kann auch verweigert werden, wenn der Täter eine zumutbare Schadenbehebung unterlassen hat.
4    Eine bedingte Strafe kann mit einer Busse nach Artikel 106 verbunden werden.35
Satz 1 StGB muss der
Verurteilte, um verwahrt werden zu können, «una tendenza al reato, alla
dissolutezza ed all'ozio» bekunden. Die Verwahrung würde demnach nicht nur den
Hang zum Verbrechen oder Vergehen, sondern ausserdem einen Hang zu
Liederlichkeit und zu Arbeitsscheu voraussetzen. Der französische Text dagegen
sieht in diesen drei Merkmalen alternative Voraussetzungen der Verwahrung der
Verurteilte muss «un penchant au crime ou au délit, à l'inconduite ou à la
fainéantise» haben. Mehrdeutig ist der deutsche Text, da in der Wendung «wer .
. . einen Hang zu Verbrechen oder Vergehen, zur Liederlichkeit oder
Arbeitsscheu bekundet» vor dem Worte «Arbeitsscheu» das «zu» oder «zur» nicht
wiederholt ist.
Wenn die drei Gesetzestexte nicht den gleichen Sinn ergeben, ist nach der
Rechtsprechung des Kassationshofes weder der dem Verurteilten günstigste, noch
der seiner Muttersprache entsprechende, sondern stets der «richtige» Text
massgebend (BGE 69 IV 179 f. 70 IV 31). Richtig aber kann im vorliegenden
Falle nur die Auslegung sein,

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die im Hang zu Verbrechen und Vergehen, im Hang zur Liederlichkeit und im Hang
zur Arbeitsscheu alternative Voraussetzungen der Verwahrung sieht. Der Zweck
des Art. 42, die Gesellschaft vor dem unverbesserlichen Gewohnheitsverbrecher
zu sichern, könnte vielfach nicht erreicht werden, wenn die Verwahrung ausser
dem Hang zu Verbrechen oder Vergehen auch einen Hang zu Arbeitsscheu oder zu
Liederlichkeit voraussetzte, denn es gibt Personen, die wegen
Sittlichkeitsverbrechen, Brandstiftung und dergleichen, ja sogar wegen
Vermögensdelikten, immer wieder vor dem Strafrichter erscheinen, obwohl sie
weder arbeitsscheu noch liederlich sind. Mit den Arbeitsscheuen im besonderen
befasst sich Art. 43
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 43 - 1 Das Gericht kann den Vollzug einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr und höchstens drei Jahren teilweise aufschieben, wenn dies notwendig ist, um dem Verschulden des Täters genügend Rechnung zu tragen.37
1    Das Gericht kann den Vollzug einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr und höchstens drei Jahren teilweise aufschieben, wenn dies notwendig ist, um dem Verschulden des Täters genügend Rechnung zu tragen.37
2    Der unbedingt vollziehbare Teil darf die Hälfte der Strafe nicht übersteigen.
3    Sowohl der aufgeschobene wie auch der zu vollziehende Teil müssen mindestens sechs Monate betragen.38 Die Bestimmungen über die Gewährung der bedingten Entlassung (Art. 86) sind auf den unbedingt zu vollziehenden Teil nicht anwendbar.
StGB. Art. 42 richtet sich nicht ausschliesslich und
nicht einmal in erster Linie gegen sie, sondern überhaupt gegen mehrfach
Vorbestrafte, von denen anzunehmen ist, dass sie durch Strafe nicht dauernd
gebessert werden können. Der Arbeitsscheue wird hier nur nebenbei erwähnt,
weil er auch dann, wenn er keinen Hang zu Verbrechen oder Vergehen hat, der
Gefahr des Rückfalles in besonderem Masse ausgesetzt ist, gleich wie der
Liederliche, der auch nicht notwendigerweise zu Verbrechen oder Vergehen
neigt, aber wegen seiner Unzuverlässigkeit das Vertrauen auf dauernde
Besserung nicht verdient. Der Kassationshof hat denn auch von jeher
angenommen, dass Art. 42 nicht ausser dem Hang zu Verbrechen oder Vergehen
noch einen solchen zur Liederlichkeit oder zur Arbeitsscheu voraussetze
(Urteile vom 9. Juni 1944 i. S Kaufmann und vom 29. November 1949 i. S.
Flückiger). Die gegenteilige Auffassung, die HAFTER (Lehrbuch, allgemeiner
Teil S. 393) vertritt, leuchtet mangels einer Begründung nicht ein.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 77 IV 77
Datum : 01. Januar 1951
Publiziert : 25. Mai 1951
Quelle : Bundesgericht
Status : 77 IV 77
Sachgebiet : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Gegenstand : Art. 42 Ziff. 1 StGB. Der Hang zu Verbrechen oder Vergehen, der Hang zur Liederlichkeit und der...


Gesetzesregister
BStP: 268
StGB: 42 
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 42 - 1 Das Gericht schiebt den Vollzug einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von höchstens zwei Jahren in der Regel auf, wenn eine unbedingte Strafe nicht notwendig erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten.33
1    Das Gericht schiebt den Vollzug einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von höchstens zwei Jahren in der Regel auf, wenn eine unbedingte Strafe nicht notwendig erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten.33
2    Wurde der Täter innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Tat zu einer bedingten oder unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten verurteilt, so ist der Aufschub nur zulässig, wenn besonders günstige Umstände vorliegen.34
3    Die Gewährung des bedingten Strafvollzuges kann auch verweigert werden, wenn der Täter eine zumutbare Schadenbehebung unterlassen hat.
4    Eine bedingte Strafe kann mit einer Busse nach Artikel 106 verbunden werden.35
43
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 43 - 1 Das Gericht kann den Vollzug einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr und höchstens drei Jahren teilweise aufschieben, wenn dies notwendig ist, um dem Verschulden des Täters genügend Rechnung zu tragen.37
1    Das Gericht kann den Vollzug einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr und höchstens drei Jahren teilweise aufschieben, wenn dies notwendig ist, um dem Verschulden des Täters genügend Rechnung zu tragen.37
2    Der unbedingt vollziehbare Teil darf die Hälfte der Strafe nicht übersteigen.
3    Sowohl der aufgeschobene wie auch der zu vollziehende Teil müssen mindestens sechs Monate betragen.38 Die Bestimmungen über die Gewährung der bedingten Entlassung (Art. 86) sind auf den unbedingt zu vollziehenden Teil nicht anwendbar.
BGE Register
69-IV-178 • 70-IV-28 • 77-IV-77
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
arbeitsscheu • verurteilter • kassationshof • aargau • richtigkeit • mass • freiheitsstrafe • dauer • strafgesetzbuch • rückfall • begründung des entscheids • strafanstalt • stelle • vorinstanz • diebstahl • kaufmann • strafbare handlung • gewohnheitsverbrecher • muttersprache • brandstiftung
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