S. 18 / Nr. 5 Familienrecht (d)
BGE 77 II 18
5. Urteil der II. Zivilabteilung vom 1. März 1951 i. S. Gartenmann gegen
Gartenmann.
Regeste:
Ehescheidung.
1. Die Regelung der Nebenfolgen darf (allenfalls mit Ausnahme der
güterrechtlichen Auseinandersetzung) nicht in ein besonderes Verfahren
verwiesen werden.
2. Ausschluss der Kinder vom Zeugnis? (Art. 158 Ziff. 4 ZGB).
Divorce.
1. Le règlement des effets accessoires du divorce (excepté, le cas échéant la
liquidation dit régime matrimonial) ne petit pas être renvoyé pour faire
l'objet d'une procédure spéciale.
2. Peut-on exclure le témoignage des enfants des époux?
Divorzio.
1. Il regolamento delle conseguenze accessorie del divorzio (eccettuata
eventualmente la liquidazione del regime matrimoniale) non può essere rinviato
ad una procedura speciale.
2. Si può escludere la testimonianza dei figli dei coniugi?
Mit Urteil vom 10. November 1950 schied das thurgauische Obergericht die
Parteien gemäss Antrag der Klägerin in Anwendung von Art. 142 ZGB, ordnete
ihre Rechte und Pflichten gegenüber den minderjährigen Kindern und verwies die
güterrechtliche Auseinandersetzung sowie den Streit über die Entschädigungs-
und Genugtuungsansprüche der Klägerin in ein besonderes Verfahren. Bei
Beurteilung der Scheidungsfrage erklärte es die Aussagen der volljährigen
Söhne der Parteien, die vor erster Instanz als Zeugen verhört worden waren,
für unbeachtlich.
Mit seiner Berufung an das Bundesgericht beantragt der Beklagte wie im
kantonalen Verfahren Abweisung der
Seite: 19
Scheidungsklage. Das Bundesgericht hebt das angefochtene Urteil auf und weist
die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück.
Begründung:
1.- Das Bundesgesetz betreffend Feststellung und Beurkundung des Zivilstandes
und die Ehe vom 24. Dezember 1874 bestimmte in Art. 49 hinsichtlich der
Ordnung der «Vermögensverhältnisse, der Erziehung und des Unterrichtes der
Kinder und der dem schuldigen Teil aufzuerlegenden Entschädigungen», das
Gericht entscheide über diese Fragen von Amtes wegen oder auf Begehren der
Parteien «zu gleicher Zeit wie über die Scheidungsklage». Darnach war es
unzulässig, die erwähnten Streitpunkte von der Scheidungsfrage abzutrennen und
in ein besonderes Verfahren zu verweisen.
Das ZGB enthält keine allgemeine Bestimmung dieses Inhalts, lässt aber in
anderer Weise erkennen, dass die Nebenfolgen der Scheidung, soweit sie sich
nicht unmittelbar aus dem Gesetz ergeben, in der Regel im Scheidungsverfahren
geordnet werden müssen, also nicht der Beurteilung in einem besondern
Verfahren vorbehalten werden dürfen, und dass von dieser Regel höchstens in
einem Punkt eine Ausnahme gemacht werden kann.
a) Die Vorschriften über die Nebenfolgen der Scheidung bzw. Trennung (Art.
149-157) stehen mit den Art. 146-148, die die Fragen der «Scheidung oder
Trennung», der «Dauer der Trennung» und des «Urteils nach Ablauf der Trennung»
regeln, unter dem Marginale «e. Urteil». Schon hieraus ergibt sich, dass der
Scheidungs- bzw. Trennungsspruch und die Ordnung der Nebenfolgen nach der
Auffassung des Gesetzgebers zusammengehören.
b) Nach Art. 149 Abs. 2 kann der Ehefrau, die vor Abschluss der geschiedenen
Ehe Witwe war, «im Urteil» gestattet werden, ihren angestammten Familiennamen
wieder anzunehmen, und nach Art. 150 Abs. 1 ist dem schuldigen Gatten «im
Urteil» eine Wartefrist aufzuerlegen.
Seite: 20
Unter dem «Urteil» ist hier unzweifelhaft das Scheidungsurteil zu verstehen.
c) Art. 156 sagt hinsichtlich der Elternrechte, «der Richter» treffe «bei
Scheidung oder Trennung die nötigen Verfügungen». Das bedeutet, dass die
Kinderzuteilung und die damit zusammenhängenden Fragen im Scheidungs- bzw.
Trennungsurteil geordnet werden müssen, und zwar von Amtes wegen. Scheidung
und Kinderzuteilung sind der Natur der Sache nach miteinander so eng
verknüpft, dass die Scheidung nicht ausgesprochen werden darf, ohne dass
gleichzeitig über die Gestaltung der Elternrechte der geschiedenen Ehegatten
eine Verfügung getroffen wird (Urteil vom 11. Dezember 1919 i. S. Eheleute
Simmen). Die Gestaltung der Eltern rechte kann daher in keinem Falle (auch
nicht mit Zustimmung der Parteien) in ein besonderes Verfahren verwiesen
werden.
d) Art. 153 Abs. 1 spricht vom Falle, dass als Entschädigung, Genugtuung «der
Unterhaltsbeitrag» durch das Urteil oder durch Vereinbarung» eine Rente
festgesetzt wird. Unter «dem Urteil» kann hier wie in Art. 149 und 150 nur das
Scheidungsurteil verstanden werden, und mit dem Worte «Vereinbarung» ist
offensichtlich eine gemäss Art. 158 Ziff. 5 vom Scheidungsrichter genehmigte
Vereinbarung gemeint. Dem Art. 153 liegt also die Auffassung zugrunde, dass
die Fragen der Entschädigung, der Genugtuung und des Unterhalts im Sinne von
Art. 151-152 (sofern eine Partei solche Leistungen beanspruchen will) im
Scheidungsurteil zu ordnen sind. Für die Frage der Genugtuung ergibt sich dies
auch schon aus Art. 151 Abs. 2; der Richter, der nach dieser Bestimmung eine
Genugtuungssumme zusprechen kann, ist nach dem Zusammenhang der
Scheidungsrichter.
Die Voraussetzungen der Ansprüche auf Entschädigung, Genugtuung und Unterhalt
sind zudem so geregelt, dass solche Ansprüche selbst dann zusammen mit der
Scheidungsfrage beurteilt werden müssten, wenn das Gesetz dies nicht
ausdrücklich vorgeschrieben hätte. Eine Entschädigung
Seite: 21
kann nämlich nach Art. 151 Abs. 1 nur der «schuldlose» Ehegatte vom
«schuldigen» beanspruchen; eine Genugtuungssumme kann nach Art. 151 Abs. 2 dem
«schuldlosen» Gatten zugesprochen werden, wenn «in den Um -ständen, die zur
Scheidung geführt haben», für ihn eine schwere Verletzung der persönlichen
Verhältnisse liegt auf Unterhalt im Sinne von Art. 152 kann nur der
«schuldlose» Gatte Anspruch erheben. Die Frage der Schuld bzw. Schuldlosigkeit
der Gatten ist eng mit der Frage verknüpft, ob und allenfalls aus welchen
Gründen und auf wessen Begehren die Scheidung auszusprechen sei. Das gleiche
gilt für die Frage, ob der schuldlose Gatte durch die Umstände, die zur
Scheidung geführt haben, in seinen persönlichen Verhältnissen schwer verletzt
worden sei. Es ist daher ein Gebot der Prozessökonomie, ja sogar Voraussetzung
für die richtige Beurteilung der Ansprüche aus Art. 151 und 152, dass der
Scheidungsrichter über diese Ansprüche befindet. Im Falle der Verweisung
dieser Ansprüche in ein besonderes Verfahren entstünde die Gefahr einander
widersprechender Urteile. Die Beurteilung der Schuldfrage durch den
Scheidungsrichter wäre für den mit dem neuen Prozess befassten Richter nicht
verbindlich, da sie nach schweizerischem Recht nur in den Erwägungen, nicht
auch im Dispositiv des Scheidungsurteils zum Ausdruck kommt. Es könnte daher
sehr wohl geschehen, dass dem Urteil über die Ansprüche auf Entschädigung,
Genugtuung und Unterhalt eine andere Beurteilung der Schuldfrage zugrunde
gelegt würde als dem Scheidungsurteil. Diese Gefahr bestünde keineswegs nur
theoretisch denn für den neuen Prozess wäre nicht ohne weiteres der gleiche
Richter zuständig wie für den Scheidungsprozess, und hievon abgesehen könnten
die Parteien nicht daran gehindert werden, im neuen Prozess neue Tatsachen und
Beweismittel geltend zu machen, die anzurufen sie im Scheidungsprozess
versäumt hatten. Auch aus diesen Gründen ist es unzulässig, die Fragen der
Entschädigung, der Genugtuung und des Unterhalts vom Scheidungsstreit
Seite: 22
abzutrennen. (Vgl. BGE 47 11 371 ff., wo auf Grund ähnlicher Erwägungen
erklärt wurde, eine während des Scheidungsprozesses abgeschlossene, dem
Scheidungsrichter aber nicht vorgelegte Vereinbarung könne nach
rechtskräftiger Scheidung nicht mehr richterlich genehmigt werden.)
e) In Art. 154, der von der güterrechtlichen Auseinandersetzung handelt, ist
nicht angedeutet, welcher Richter darüber zu entscheiden hat. Auch ist die
sachliche Verbindung mit der Scheidungsfrage bei der Güterrechtsfrage viel
loser als bei den bis der besprochenen Fragen. Das Bundesgericht hat es daher
als zulässig erklärt, die güterrechtliche Auseinandersetzung in ein besonderes
Verfahren zu verweisen (BGE 38 II 55, 44 II 453 ff., 62 II 167). Es hat aber
(vgl. oben a) immerhin als Wille des ZGB zu gelten, dass diese
Auseinandersetzung wenn möglich im Scheidungsprozess selber vorgenommen werde
(BGE 69 II 214). Zeigt sieh im einzelnen Falle, dass das Ergebnis der
güterrechtlichen Auseinandersetzung für die Beurteilung der Ansprüche auf
Entschädigung oder Unterhalt präjudiziell ist, so darf nicht etwa die
Beurteilung dieser Ansprüche zusammen mit der Güterrechtsfrage in ein
besonderes Verfahren verwiesen werden. Vielmehr ist es in einem solchen Falle
bundesrechtlich geboten, auch die güterrechtliche Auseinandersetzung im
Scheidungsprozesse vorzunehmen.
Indem die Vorinstanz neben der güterrechtlichen Auseinandersetzung auch die
Beurteilung der Entschädigungs- und Genugtuungsansprüche der Klägerin in ein
besonderes Verfahren verwies, hat sie also Bundesrecht verletzt.
Die Berufung des Beklagten richtet sich nun freilich nicht gegen die
Abtrennung der Entschädigungs- und Genugtuungsfrage, sondern gegen die
Scheidung. Dem Verbot solcher Abtrennung ist jedoch von Amtes wegen
Nachachtung zu verschaffen. Das angefochtene Urteil ist daher im vollen
Umfange aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie
nicht bloss über das Scheidungsbegehren und die Elternrechte, sondern im Falle
der Gutheissung
Seite: 23
des Scheidungsbegehrens zugleich über sämtliche Nebenfolgen der Scheidung
(allenfalls mit Ausnahme der güterrechtlichen Auseinandersetzung) entscheide.
2.- Die Rückweisung ist übrigens noch aus einem weitem Grunde geboten. Die
Vorinstanz hat nämlich auf die Zeugenaussagen der beiden Söhne der Parteien
nicht abgestellt mit der Begründung, sie habe es «je und je abgelehnt,
derartigen Erklärungen Beweiskraft zuzumessen, da Kinder erfahrungsgemäss über
das Verhältnis ihrer Eltern nicht objektiv aussagen können». Die Vorinstanz
schliesst also im Scheidungsprozess die Kinder der Parteien grundsätzlich vom
Zeugnis aus. Die Anwendung eines solchen Beweisgrundsatzes verträgt sich nicht
mit Art. 158 Ziff. 4 ZGB, wonach dem Richter im Scheidungsverfahren die freie
Beweiswürdigung zusteht. Von freier Beweiswürdigung kann nur die Rede sein,
wenn die Beweiskraft der angerufenen Beweismittel in jedem einzelnen Falle
anhand der konkreten Umstände geprüft wird. Diese Prüfung hat die Vorinstanz
mit Bezug auf das Zeugnis der Söhne der Parteien nachzuholen.