S. 65 / Nr. 17 Schuldbetreibungs-und Konkursrecht (d)

BGE 75 III 65

17. Entscheid vom 5. Oktober 1949 i. S. Schreiber.

Regeste:
Der Widerruf des Konkurse (Art. 195 SchKG) lässt die bei der Konkurseröffnung
hängig gewesenen, durch sie aufgehobenen Betreibungen (Art. 206 SchKG) nicht
wieder aufleben (Änderung der Rechtsprechung).
La révocation de la faillite (art. 195 LP) ne fait pas revivre les poursuites
qui étaient pendantes au moment où elle a été prononcée et qu'elle a fait
tomber (art. 206 LP). (Modification de la jurisprudence.)
La revoca del fallimento (art. 195 LEF) non fa rivivere le esecuzioni che
erano pendenti allorchè esso fu pronunciato e che fece cessare (art. 206 LEF).
(Cambiamento della giurisprudenza.)

A. - Über Hermann Schreiber, Fabrikant in Grenchen, wurde am 6. Juli 1948 der
Konkurs eröffnet. Der Schuldner verständigte sich dann mit den Gläubigern über
eine Abfindungsquote. Die Gläubiger zogen hierauf ihre Konkurseingaben zurück.
Das führte zum Widerruf des Konkurses am 21. Dezember 1948.
B. - Der Gläubiger Max Überschlag, der den Schuldner im Januar 1948 betrieben
hatte, liess sich, bevor er die Konkurseingabe zurückzog, vom Schuldner eine
Erklärung ausstellen, wonach er die bis dahin hängig gebliebene
Aberkennungsklage fallen liess. Auf Grund dieser Erklärung erlangte Überschlag
die Abschreibung des

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Aberkennungsprozesses. Hierauf stellte er beim Betreibungsamte das
Fortsetzungsbegehren. Das Amt entsprach diesem Begehren durch
Pfändungsankündigung.
C. - Darüber beschwerte sich der Schuldner mit Hinweis auf das
Konkursverfahren und den auf «aussergerichtlichem Nachlassvertrag» beruhenden
Konkurswiderruf.
D. - Die kantonale Aufsichtsbehörde hat die Beschwerde am 30. August 1949
abgewiesen, weil kein eigentlicher Nachlassvertrag vorliege und der
Konkurswiderruf als solcher die zur Zeit der Konkurseröffnung hängig gewesenen
Betreibungen wieder aufleben lasse.
E. - Diesen Entscheid zieht der Schuldner im Sinne der Beschwerde an das
Bundesgericht weiter.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.- Auf Art. 312 in Verbindung mit Art. 317 SchKG kann sich der Rekurrent
nicht berufen. Diese Vorschriften gelten nur für den eigentlichen, behördlich
bestätigten Nachlassvertrag. Der sog. aussergerichtliche Nachlassvertrag ist
nichts anderes als eine Reihe privater Abmachungen. Diese können für sich
allein nicht zum Widerruf des Konkurses Anlass geben. Vielmehr hat der
Schuldner, falls kein Nachlassvertrag im Sinne von Art. 317 SchKG zustande
gekommen ist, die Erklärung sämtlicher Gläubiger beizubringen, dass sie ihre
Konkurseingaben (vorbehaltlos) zurückziehen. Auf solche Erklärungen der
Gläubiger (worunter des Max Uberschlag) stützt sich denn auch der im
vorliegenden Fall ausgesprochene Konkurswiderruf. Die Vorinstanz hat deshalb
mit Recht geprüft, welche Wirkungen dem Widerruf des Konkurses im allgemeinen,
beim Fehlen eines Nachlassvertrages, zukommen.
2.- Die Auffassungen darüber sind geteilt. Nach der einen Ansicht bleibt es
auch nach dem Widerruf des Konkurses bei der nach Art. 206 SchKG durch die
Konkurseröffnung bewirkten Aufhebung der damals hängig

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gewesenen Betreibungen (so BLUMENSTEIN, Handbuch, 614 Mitte). Die Gegenmeinung
findet sich (von JAEGER, zu Art. 195 SchKG, N. 2) dahin ausgedrückt, die in
Art. 206 SchKG vorgesehene Wirkung der Konkurseröffnung trete erst dann
endgültig ein, wenn der Konkurs zur eigentlichen Durchführung gelange. Diesen
Satz hat sich zwar die Rechtsprechung nicht in solcher Allgemeinheit zu eigen
gemacht. Sie lässt bei Einstellung und Schliessung des Konkurses nach Art. 230
SchKG, wobei es gleichfalls nicht zu dessen Durchführung kommt, die bei
Konkurseröffnung hängig gewesenen Betreibungen nicht wieder aufleben,
ausgenommen wenige bestimmt gekennzeichnete Sonderfälle. Dagegen ist mehrmals
die Ansicht ausgesprochen worden, bei Widerruf des Konkurses sei Fortsetzung
der durch dessen Eröffnung aufgehobenen Betreibungen neuerdings statthaft (BGE
22 S. 691, 40 III 344, 42 III 119). Es ist angezeigt, diese Frage nochmals zu
überprüfen, zumal von den erwähnten Entscheidungen nur die erste einen Fall
von Konkurswiderruf zum eigentlichen Gegenstand hatte und damals der besondere
Fall einer Pfandverwertungsbetreibung in Frage stand, deren Fortsetzung zu
gestatten auch aus materiellrechtlichen Gründen als richtig befunden wurde.
An der bisherigen Betrachtungsweise, auf die sich die Vorinstanz stützt, kann
nicht festgehalten werden. Art. 206 SchKG sieht nicht vor, dass die mit der
Konkurseröffnung ausser Kraft getretenen Betreibungen im Fall eines
Konkurswiderrufs dann wieder aufleben. Auch Art. 195 SchKG bietet für eine
solche Wiederherstellung der alten Betreibungen keine Handhabe. Es ist darin
gegenteils bestimmt, dass der Schuldner wieder in die Verfügung über sein
Vermögen eingesetzt werde. Frühere Pfändungen sind nicht vorbehalten. Bei
dieser Sachlage kann eine an den Ausdruck «Widerruf» anknüpfende
Wortinterpretation nicht massgebend sein («Widerruf [révocation] bedeutet
offenbar mehr als Aufhebung oder Einstellung und will sagen, dass das ganze
Verfahren rückgängig gemacht werde,

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ähnlich wie der Widerruf des Konkurserkenntnisses wegen Inkompetenz des
Gerichtes oder wegen Mängeln des Verfahrens zweifellos ein Wiederaufleben der
früheren Rechtsverhältnisse bewirkt, soweit dies faktisch noch möglich ist»,
wie es in BGE 22 S. 691 heisst). Beim Konkurswiderruf wird die Gültigkeit des
Konkurserkenntnisses keineswegs nachträglich in Frage gestellt; sie steht gar
nicht zur Diskussion. Der Konkurswiderruf gründet sich auf neue, erst im
Verlaufe des Konkurses, unter Umständen erst in einem vorgerückten Stadium
desselben, eingetretene Vorkommnisse.
Es bestehen auch keine innern Gründe dafür, die frühern Betreibungen nach dem
(infolge Nachlassvertrages oder) infolge Rückzuges sämtlicher Konkurseingaben
ausgesprochenen Widerruf des Konkurses wieder in Kraft treten zu lassen. Mit
der Konkurseröffnung greift eine Generalliquidation Platz, an der alle
Gläubiger derselben Klasse (Art. 219 SchKG) mit gleichen Rechten beteiligt
sind, ganz gleichgültig, ob sie den Schuldner zuvor betrieben hatten. Die
Vorrechte, die einzelnen Gläubigern aus Gruppenvorrang gemäss Art. 110 , 111
SchKG erwachsen sein mögen, wie auch Vorteile anderer Art, z. B. wegen
Unterbleibens eines Rechtsvorschlages, fallen mit der Konkurseröffnung dahin.
An dieser Sachlage will der Widerruf des Konkurses nichts ändern, da er, wie
dargetan, die Gültigkeit der Konkurseröffnung nicht in Frage stellt, vielmehr
nichts anderes als einen Beendigungsakt besonderer Art eines gültigen
Konkursverfahrens bildet. Nach seinem Grund und Zweck beendigt der
Konkurswiderruf den Konkurs und damit die (eben nur noch als
Generalliquidation zu Recht bestehende) Zwangsvollstreckung überhaupt,
hinsichtlich aller vom Konkurse betroffenen, auch der zuvor in Betreibung
gesetzten Forderungen. Den Gläubigern, die den Schuldner vor dem Konkurse
betrieben hatten (ohne dass es bereits zur Verwertung gekommen wäre, Art. 199
Abs. 2 SchKG), steht somit nicht zu, nach dem Konkurswiderruf auf die frühere
Betreibung zurückzugehen. Vielmehr war das

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seinerzeit gestellte Betreibungsbegehren mit der Konkurseröffnung wirkungslos
geworden bzw. dann in der Konkurseingabe aufgegangen, so dass es mit deren
Rückzug und dem hierauf erfolgten Konkurswiderruf sein Bewenden haben muss.
Dass praktische Gründe eine andere Lösung nahe legen oder gar nötig machen,
kann nicht zugegeben werden. In aller Regel erfolgt der Rückzug der
Konkurseingaben in der Meinung, dass die für die betreffenden Forderungen
hängige Zwangsvollstreckung aufhören soll. Der dem System des Gesetzes zu
entnehmenden Lösung entspricht also auch der mutmassliche Wille der
Beteiligten (worüber im Einzelfall Erhebungen anzustellen den
Betreibungsbehörden im übrigen nicht zusteht). Vor trölerischem Verhalten des
Schuldners können sich die Gläubiger schützen, indem sie die Konkurseingaben
erst zurückziehen, nachdem sie vereinbarungsgemäss abgefunden oder für die
ihnen zukommende Abfindung sichergestellt sind oder wenigstens (für
unbestrittene Forderungen) schriftliche Schuldanerkennungen bekommen haben,
die ihnen nötigenfalls in einer neuen Betreibung rasch zu provisorischer
Rechtsöffnung verhelfen werden.
Bei Einstellung des Konkurses nach Art. 230 SchKG hat die Praxis gewisse
bestimmt umschriebene Ausnahmefälle anerkannt, in denen die frühern
Betreibungen sollen fortgesetzt werden können. Von diesen Talbeständen (vgl.
BGE 27 I 373, 32 I 369, 35 I 215 = Sep.-Ausg. 4 S. 137, 9 S. 139, 12 S. 15;
BGE 51 III 217) liegt hier keiner vor, weshalb ihre Erheblichkeit bei
Konkurswiderruf nicht zu prüfen ist.
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird gutgeheissen und die in der Betreibung Nr. 201-1948 ergangene
Pfändungsankündigung aufgehoben.
Information de décision   •   DEFRITEN
Document : 75 III 65
Date : 01 janvier 1948
Publié : 05 octobre 1949
Source : Tribunal fédéral
Statut : 75 III 65
Domaine : ATF - Droit des poursuites et de la faillite
Objet : Der Widerruf des Konkurse (Art. 195 SchKG) lässt die bei der Konkurseröffnung hängig gewesenen...
Classification : Changement de Jurisprudence


Répertoire des lois
LP: 110  111  195  199  206  219  230  312  317
Répertoire ATF
27-I-371 • 32-I-364 • 35-I-215 • 40-III-344 • 42-III-119 • 51-III-217 • 75-III-65
Répertoire de mots-clés
Trié par fréquence ou alphabet
débiteur • révocation de la faillite • question • exécution forcée • volonté • autorité inférieure • procédure de faillite • concordat extrajudiciaire • décision • réquisition de continuer la poursuite • réquisition de poursuite • suppression • créance • pratique judiciaire et administrative • réserve • moyen de droit cantonal • suspension de la faillite faute d'actifs • opposition • avantage • mainlevée provisoire • hameau • reconnaissance de dette • droit des poursuites et faillites • adulte • action en libération de dette • privilège • comportement • exactitude • office des poursuites • tribunal fédéral
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