S. 308 / Nr. 58 Bundesrechtliche Abgaben (d)

BGE 74 I 308

58. Auszug aus dem Urteil vom 13. Juli 1948 i. S. Gesellschaft für
Arbeiterwohnungs-Fürsorge in St.Gallen und Umgebung gegen
Steuer-Rekurskommission des Kantons St. Gallen.

Regeste:
Wehropfer: Eine Gesellschaft für gemeinnützigen Wohnungsbau, deren
Gesellschaftskapital bis zu 4½ % verzinst und aus den Erträgnissen des
Betriebes zurückbezahlt wird, erfüllt die Voraussetzungen für eine Befreiung
wegen Gemeinnützigkeit nicht.
Sacrifice de défense nationale: Une société d'utilité publique ayant pour but
la construction de logements, mais dont le capital social est renté par le
service d'un intérêt annuel de 4½ % prélevé sur le produit de l'exploitation,
ne remplit pas les conditions prévues pour l'exonération accordée aux
corporations et établissements ayant un but de pure utilité publique.
Sacrificio per la difesa nazionale: Una società di pubblica utilità che ha per
iscopo la costruzione di alloggi, ma il cui capitale frutta l'interesse annuo
del 4½ % prelevato sul prodotto dell'esercizio, non soddisfa alle condizioni
previste per l'esenzione di corporazioni e istituti d'utilità pubblica.

A. ­ Die Gesellschaft für Arbeiterwohnungs-Fürsorge ist im Jahre 1903 auf
Initiative der Gemeinnützigen Gesellschaft der Stadt St. Gallen als
Genossenschaft errichtet worden, um dem damals zufolge Hochkonjunktur in der
Industrie eingetretenen Mangel an Arbeiterwohnungen zu begegnen und allgemein
zur Sanierung der Wohnverhältnisse minderbemittelter Bevölkerungskreise in St.
Gallen und Umgebung beizutragen. Nach den in dem

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hier massgebenden Zeitpunkt geltenden Statuten vom 1. Dezember 1924 (§ 2)
setzt sie sich zum Zweck, «durch Erstellung oder Erwerbung von Häusern und
Abgabe billiger und gesunder Wohnungen die Wohnungssorgen der unbemittelten
Bevölkerung nach Möglichkeit zu mildern, Solange die Gesellschaft besteht,
sind die zu diesem Zwecke gebauten oder erworbenen Häuser unverkäuflich und
dürfen ihrer Bestimmung niemals entfremdet werden». Mitglieder sind die
Eigentümer von Anteilscheinen (§ 31), Diese sind unkündbar und werden nur im
Falle der Liquidation oder im Wege der in den Statuten näher geordneten
Kapitalherabsetzung zurückbezahlt, höchstens zum Nominalwert (§§ 5 und 19);
sie werden, soweit die Jahresergebnisse dies zulassen, bis zu 4½% verzinst (§
15). (In den ursprünglichen Statuten war der zulässige Höchstzins auf 3½%
festgesetzt.) Im Falle der Liquidation der Gesellschaft fällt das nach
Rückzahlung des Anteilscheinkapitals verbleibende Vermögen an die Politische
Gemeinde St. Gallen, wobei seine ursprüngliche Bestimmung zu wahren ist (§ 19,
Abs. 1).
Das Grundkapital war ursprünglich zu rund 2/3 von der Politischen Gemeinde,
von der Ortsbürgergemeinde und vom Kaufmännischen Direktorium St. Gallen, zu
rund 1/3 von den an den Bauten beteiligten Bauunternehmern und von den
Lieferanten von Baumaterialien aufgebracht worden. Durch Auslosung und
Rückkauf von Anteil: scheinen ist es bis Ende 1941 erheblich herabgesetzt
worden. Es befindet sich nunmehr im wesentlichen in den Händen der drei
erwähnten Korporationen; die Beteiligung privater Hand ist auf einen praktisch
verschwindenden Betrag zurückgegangen. Die Gesellschaft hatte im Hagenbuch
(St.Fiden) 20 Wohnhäuser mit 124 Wohnungen erstellt. Im Jahre 1945 hat sie mit
Unterstützung der Politischen Gemeinde St. Gallen und unter Inanspruchnahme
der Subventionen für Arbeitsbeschaffung weitere drei Wohnblöcke mit 36
Wohnungen errichtet (Kolonie Buchwald).

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Das Anteilscheinkapital ist in den Jahren 1907-1926 im Rahmen des in den
ursprünglichen Statuten vorgesehenen Zinssatzes verzinst worden, 1907-1913 und
1921-1926 mit 3½%, 1914 und 1915 mit 2½, 1916 mit 2, 1919 und 1920 mit 3%; in
den Jahren 1917 und 1918 blieb es zinslos. Nach der Statutenrevision von 1924
wurden 1927-1929 4% und 1930 bis 1946 4½% ausgerichtet.
B. ­ Die Gesellschaft für Arbeiterwohnungen ist für ihr Vermögen zum neuen
eidgenössischen Wehropfer eingeschätzt worden. Ein Begehren um Steuerbefreiung
wegen Gemeinnützigkeit wurde abgewiesen, zuletzt durch Entscheid der
kantonalen Steuerrekurskommission vom 14. Februar 1948.
C. ­ Hiegegen richtet sich die Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag,
die Gesellschaft für Arbeiterwohnungen von der Pflicht zur Entrichtung des
Wehropfers zu befreien. Zur Begründung wird im wesentlichen ausgeführt, der
Beschwerdeführerin sei von Anfang an von Kanton, Gemeinde und Bund
Steuerfreiheit zuerkannt worden. In der Folge habe die Gesellschaft dann
allerdings der mit Steuern schwer belasteten Gemeinde Tablat gegenüber
freiwillig und trotz Anerkennung der Gemeinnützigkeit Fr. 30,000.­, später Fr.
100,000.­ Vermögen versteuert. Die Genossenschaft habe ausschliesslich
gemeinnützigen Charakter. Dass das Anteilscheinkapital in den letzten 10-15
Jahren zu einem bescheidenen Satze verzinst wurde, spreche nicht dagegen. Es
komme darauf an, zu welchem Zwecke die Genossenschaft gegründet worden sei, zu
welchem Zwecke die Mittel verwendet werden und wohin das Vermögen fliesse,
wenn die Genossenschaft aufgelöst werde. Das sei die Stadt St. Gallen, die
verpflichtet sei, das Vermögen einem gleichartigen gemeinnützigen Zwecke
zuzuführen. Das Requisit der ausschliesslichen Gemeinnützigkeit ergebe sich
auch daraus, dass die Genossenschaft neuerdings die Wohnkolonie Buchwald mit
36 Wohnungen zu Mietzinsen von 900-1100 Fr. für 3- und 4-Zimmerwohnungen unter
Einsetzung ihres ganzen

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Vermögens errichtet habe. Sie sei daher der Auffassung, dass nach der
Entstehung, der Geschichte und der mehr als 40-jährigen Tätigkeit der
Genossenschaft und nach ihrer Zusammensetzung der ausschliesslich
gemeinnützige Charakter gegeben sei.
Das Bundesgericht hat die Beschwerde abgewiesen
in Erwägung:
1. ­ Nach feststehender Praxis, von der abzugehen kein Anlass besteht, darf
bei den direkten Steuern des Bundes «ausschliessliche Gemeinnützigkeit» nicht
in dem weitesten Sinne verstanden werden, der jede Betätigung im Dienst der
Allgemeinheit umfasst und der auch alle Bestrebungen einschliessen würde, die
irgendwie auf wirtschaftliche oder soziale Förderung einzelner
Bevölkerungskreise gerichtet sind. Vielmehr wurde der Befreiungsklausel von
jeher jene engere Bedeutung beigemessen, die im BRB über die neue a/o
Kriegssteuer, Art. 17, Abs. 2, (auf Grund der parlamentarischen Beratung über
den Verfassungsartikel) ausdrücklich festgelegt worden war und wonach
wirtschaftliche oder soziale Förderung einzelner Landesgegenden oder
bestimmter Berufsstände nicht als Beweis für die Verwendung eines Vermögens zu
ausschliesslich gemeinnützigen Zwecken dienen soll (BGE 66 I 180 ff und
Zitate, 71 I S. 124 f). Es wurde als wesentlich angesehen und verlangt, dass
es sich seitens der Korporation, die Anspruch auf Befreiung erhebt, und ihrer
Mitglieder um eine gemeinnützige Wirksamkeit handle, bei der für den
Fürsorgezweck Opfer gebracht werden. So ist von jeher wirtschaftlichen
Selbsthilfeorganisationen die Steuerbefreiung verweigert worden, auch wenn sie
Bedürfnissen minderbemittelter Bevölkerungskreise zu dienen bestimmt waren;
Genossenschaften für gemeinnützigen Wohnungsbau im Besondern wurde die
Steuerbefreiung nicht gewährt (VSA III, S. 312 f, VI. S. 214 f, vergl. dazu
VSA VII S. 148 f (Nr. 35), S. 152 f, Erw. 2, betr. Stempelabgaben). Aus den
gleichen Gesichtspunkten wird auch

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wirtschaftlichen Institutionen, die von gemeinnützigen Gesellschaften unter
dem Gesichtspunkte der Förderung des allgemeinen Wohls angeregt oder
eingesetzt sind, die Steuerfreiheit nur dann zugestanden, wenn jenes besondere
Merkmal ausschliesslicher Gemeinnützigkeit erfüllt ist. Gemeinnützige
Sparkassen z. B. sind nicht steuerfrei (BGE 69 I S. 49; 64 I S. 327).
Massgebend ist dabei, dass solchen Institutionen Gemeinnützigkeit in dem
umschriebenen, engeren Sinne fehlt.
2. ­ Es ist nicht zu bestreiten, dass die Tätigkeit der Beschwerdeführerin in
einem weiten Sinne als gemeinnützig angesprochen werden kann. Sie gehört
zweifellos zum «gemeinnützigen Wohnungsbau», d. h. zu demjenigen Wohnungsbau,
der nicht einen Gewinn oder eine Kapitalanlage oder die Befriedigung eines
eigenen Wohnungsbedürfnisses zum Gegenstande hat, sondern ausschliesslich der
Befriedigung des Wohnungsbedürfnisses Dritter, meistens von wirtschaftlich
Schwachen dient.
Allein als «ausschliesslich gemeinnützig» im Sinne von Gesetz und Praxis kann
die Tätigkeit der Beschwerdeführerin bestimmt nicht bezeichnet werden. Das ist
schon ausgeschlossen durch die Tatsache, dass die Beschwerdeführerin mit
Ausnahme von zwei Jahren seit der Gründung auf ihrem Genossenschaftskapital
immer eine Dividende ausgerichtet hat und zwar seit 1930 ununterbrochen von 4
1/2 %, dem statutarisch höchstzulässigen Betrag. Wer sein Kapital zu 4 1/2 %
Zins zur Verfügung stellt, kann das zu einem gemeinnützigen Zwecke tun, aber
ausschliesslich gemeinnützig handelt er dabei nicht. Dazu kommt, dass vom
ursprünglichen Genossenschaftskapital bis heute Fr. 143,000.­ zurückbezahlt
worden sind. Das war nur dadurch möglich, dass die Mieten entsprechend hoch
angesetzt wurden. Wer sich sein Kapital von den «Nutzniessern» der
«gemeinnützigen Institution» zurückzahlen lässt, um schliesslich ohne
Kapitalbeteiligung Eigentümer der Gesellschaftsaktiven zu werden, handelt
sicher nicht ausschliesslich gemeinnützig.

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Bei dieser Sachlage sind alle Einwendungen, die gegen die Besteuerung erhoben
werden (beinahe ausschliessliche Beteiligung öffentlich-rechtlicher
Körperschaften am Genossenschaftskapital, unentgeltliche Geschäftsführung
durch die Organe, Betreuung mit neuen Aufgaben des Wohnungsbaues, Billigkeit
der Wohnungen, bisherige teilweise Befreiung von Gemeinde und Kantonssteuern),
unbehelflich. Sie vermögen wohl eine Gemeinnützigkeit im weitern Sinn, nicht
aber im allein massgebenden engern Sinn zu begründen.
3. ­ Aber auch eine teilweise Steuerbefreiung, nämlich für das nach Abzug des
Genossenschaftskapitals verbleibende Vermögen, kann nicht in Frage kommen. Für
die Verzinsung des Kapitalkontos wird der Ertrag des gesamten Vermögens der
Genossenschaft verwendet, und es gelten ungeachtet allfälliger buchmässiger
Ausscheidungen für das gesamte Genossenschaftsvermögen dieselben
statutarischen Vorschriften.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 74 I 308
Datum : 01. Januar 1948
Publiziert : 12. Juli 1948
Quelle : Bundesgericht
Status : 74 I 308
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Wehropfer: Eine Gesellschaft für gemeinnützigen Wohnungsbau, deren Gesellschaftskapital bis zu 4½ %...


BGE Register
66-I-176 • 69-I-48 • 74-I-308
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
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