S. 141 / Nr. 41 Strafgesetzbuch (d)

BGE 72 IV 141

41. Urteil des Kassationshofes vom 13. September 1946 i.S. Guldimann gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Zug.

Regeste:
1. Art. 1 Abs. 1, 10 und 18 BG über die Handelsreisenden. Wenn der
Handelsreisende einen wesentlichen Teil der zur Herstellung der Ware nötigen
Arbeit anlässlieh der Bestellungsaufnahme an Ort und Stelle leistet,
untersteht er für diesen Teil seiner Tätigkeit der kantonalen Gesetzgebung
über das Wandergewerbe.
2. Wenn das kantonale Übertretungsstrafrecht die allgemeinen Bestimmungen des
Strafgesetzbuches anwendbar erklärt, gelten sie als kantonales Recht.
1. Art. 1 al. 1, 10 et 18 LF sur les voyageurs de commerce. Lorsque le
voyageur accomplit sur place, lors de la prise de commandes une partie
importante du travail nécessaire à la fabrication de la marchandise, il est
soumis, pour cette part de son activité à la législation cantonale sur le
colportage.
2. Lorsque la logislation cantonale en matière de contraventions déclare
applicables les dispositions générales du Code pénal suisse, celles-ci
s'appliquent à titre de droit cantonal.
1. Art. 1, cp. 1, 10 e 18 LF sui viaggiatori di commercio. Il viaggiatore, che
eseguisce sul posto ove prende le ordinazioni una parte importante del lavoro
necessario alla fabbricazione della merce, è sottoposto, per questa parte
della sua attività, alla legislazione cantonale sul commercio ambulante.
2. Se la legislazione cantonale in materia di contravvenzioni dichiara
applicabili i disposti generali del Codice penale svizzero, essi si applicano
come diritto cantonale.

A. ­ Guldimann photographierte am 2. November 1945 in Menzingen im Dienste der
Gebrüder Huber, die in Luzern ein Photographengeschäft führen, die Kinder
verschiedener Schulklassen. Die Gebrüder Huber entwickelten und kopierten die
Aufnahmen in Luzern und liessen durch Sekundarlehrer Betschart in Menzingen
auf Grund

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von Probebildern die Bestellungen notieren und die gelieferten Abzüge
absetzen.
B. ­ Guldimann besass eine Ausweiskarte für Kleinreisende im Sinne des
Bundesgesetzes über die Handelsreisenden (HRG). Nach Auffassung des
Strafgerichts des Kantons Zug hätte er indessen zur Aufnahme der Photographien
einer Bewilligung nach § 11 des kantonalen Markt- und Hausiergesetzes bedurft.
Das Strafgericht betrachtete die erwähnte Tätigkeit als Betrieb eines
Handwerkes im Umherziehen im Sinne von § 9 lit. f dieses Gesetzes und büsste
Guldimann am 26. April 1946 gestützt auf § 30 des zugerischen
Polizeistrafgesetzes mit zehn Franken.
C. ­ Gegen dieses Urteil führt der Gebüsste Nichtigkeitsbeschwerde beim
Kassationshof des Bundesgerichts mit dem Antrag auf Freisprechung. Er macht
geltend, er habe ohne kantonale Bewilligung photographieren dürfen, denn die
Ausweiskarte eines Kleinreisenden sei zugleich für diese Tätigkeit ausgestellt
worden, da das Aufsuchen von Bestellungen ohne die Aufnahme der Lichtbilder
nicht möglich gewesen wäre. Das angefochtene Urteil beruhe auf einer falschen
Auslegung des Begriffs des Wandergewerbes im Sinne des Art. 18 HRG; würde man
der Auffassung des Strafgerichts folgen, so bedürfte im Kanton Zug jedes
Photographieren zum Zwecke der gewerblichen Wiedergabe einer kantonalen
Bewilligung. Jedenfalls habe der Beschwerdeführer nicht fahrlässig gehandelt.
D. ­ Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zug beantragt, die Beschwerde sei
abzuweisen.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. ­ Die Tätigkeit, zu deren Ausübung der Inhaber, Angestellte oder Vertreter
eines Fabrikations- oder Handelsgeschäftes einer Ausweiskarte im Sinne des
Bundesgesetzes über die Handelsreisenden bedarf, besteht darin, dass er
«Bestellungen auf Waren aufsucht» (Art. 1 Abs.

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1 HRG). Ob die Ware schon vorhanden ist oder auf Bestellung hin erst
angefertigt werden soll, ist grundsätzlich unerheblich (vgl. Art. 2 Abs. 1
lit. a HRG). Der Handelsreisende darf sie jedoch nicht an Ort und Stelle
anfertigen, wie er als Kleinreisender (für Grossreisende vgl. Art. 8 Abs. 2
HRG und BGE 64 I 364) auch nicht die fertigen Waren mit sich führen oder sie
von einem nichtständigen Lager aus unmittelbar auf die Bestellungsaufnahme hin
an den Besteller abgeben darf (Art. 8 Abs. 1 HRG), ansonst er zum Hausierer
wird und als solcher der kantonalen Gesetzgebung untersteht (Art. 18 HRG). In
der Ermächtigung zum Aufsuchen von Bestellungen, wie sie in der Erteilung der
Handelsreisendenkarte liegt, ist freilich die Ermächtigung zur sofortigen
Vornahme untergeordneter Handlungen, welche üblicherweise bei der
Bestellungsaufnahme erfolgen und die Ausführung der Bestellung ermöglichen
sollen, wie etwa die Abnahme der Masse anlässlich der Bestellung eines
Kleides, als inbegriffen zu betrachten. Die Kantone sind nicht befugt, das
Recht zur Vornahme solcher untergeordneter Handlungen von der Erteilung einer
kantonalen Bewilligung oder von der Entrichtung einer kantonalen oder
kommunalen Taxe abhängig zu machen (Art. 10 Abs. 1 HRG). Anders ist es
hingegen, wenn das, was der Handelsreisende vor oder nach der
Bestellungsaufnahme an Ort und Stelle leistet, bereits einen wesentlichen Teil
der Arbeit bildet, die zur Herstellung der Ware nötig ist.
Ein solcher Fall liegt hier vor, denn schon in der geschickten Aufnahme der
Lichtbilder der Schulklassen lag ein entscheidender Teil der Arbeit des
Photographen, nicht erst in der nachfolgenden Herstellung und Lieferung der
Abzüge. Die Ausweiskarte eines Kleinreisenden verlieh dem Beschwerdeführer
nicht das Recht, die Klassen an Ort und Stelle zu photographieren. Für diese
Tätigkeit unterstand er vielmehr dem kantonalen Recht, wie Art. 18 HRG es als
«Gesetzgebung über das Wandergewerbe (Hausierhandel, Wanderlager und dgl.)»
vorbehält.

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2. ­ Ob der Beschwerdeführer die subjektiven Voraussetzungen der kantonalen
Übertretung erfüllt hat, ist eine Frage des kantonalen Rechts, auch soweit das
Strafgericht sie kraft der in § 1 des zugerischen Polizeistrafgesetzes
enthaltenen Verweisung nach den allgemeinen Bestimmungen des Strafgesetzbuches
beurteilt hat (BGE 69 IV 211, 71 IV 61). Der Kassationshof ist daher nicht
befugt, diese Frage zu prüfen (Art. 269 Abs. 1 BStP).
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 72 IV 141
Datum : 01. Januar 1946
Publiziert : 12. September 1946
Quelle : Bundesgericht
Status : 72 IV 141
Sachgebiet : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Gegenstand : 1. Art. 1 Abs. 1, 10 und 18 BG über die Handelsreisenden. Wenn der Handelsreisende einen...


Gesetzesregister
BStP: 269
HRG: 1  2  8  10  18
BGE Register
64-I-362 • 69-IV-211 • 71-IV-60 • 72-IV-141
Stichwortregister
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