S. 362 / Nr. 65 Handelsreisendengesetz (d)

BGE 64 I 362

65. Urteil des Kassationshofs vom 14. November 1938 i. S. Hänni gegen Bern,
Generalprokurator.


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Regeste:
Art. 8 und 14 lit. b des Bundesgesetzes über die Handelsreisenden vom 4.
Oktober 1930: Verbot des Mitführens von Waren durch Grossreisende.

Max Hänni ist Inhaber einer taxfreien Ausweiskarte für Grossreisende im Sinn
von Art. 3 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Handelsreisenden vom 4. Oktober
1930 (HRG). Am 15. März 1938 sprach er im Gasthof zum Kreuz in Spiezmoos vor,
um eine Bestellung auf das von ihm fabrizierte und vertriebene alkoholfreie
Getränk «Coca-Cola» aufzunehmen. Der Wirt bestellte zwei Harasse zu je 24
Flaschen. Hänni holte sie aus seinem Personenautomobil, in welchem er solche
Ware mit sich führte, und lieferte sie sogleich gegen Bezahlung.
Wegen dieses Tatbestandes wurde Hänni am 19. August 1938 von der zweiten
Strafkammer des bernischen Obergerichts der Widerhandlung gegen Art. 8 HRG
schuldig gesprochen und gemäss Art. 14 lit. b HRG mit Fr. 20.- Busse bestraft.
Art. 8 HRG lautet: «(Abs. 1:) Die Handelsreisenden dürfen Muster, nicht aber
Waren mit sich führen.... (Abs. 2:) Ausnahmsweise kann der Bundesrat das
Mitführen von Waren durch Grossreisende gestatten, wenn die sofortige Übergabe
der Ware an den Käufer für den Geschäftsbetrieb des Verkäufers notwendig ist.»
In Art. 14 lit. b wird dem, der als Grossreisender ohne die in Art. 8
vorgesehene Ermächtigung Waren mit sich führt, Busse bis zu Fr. 1000.-
angedroht. Das Obergericht stellt in seinem Urteil fest, dass Hänni keine
bundesrätliche Bewilligung besessen habe, auf der Reise Coca-Cola Flaschen
mitzuführen. und dass eine solche

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offenbar auch nicht hätte erteilt werden können. Infolgedessen habe er sich
durch das Mitnehmen der Ware einer Übertretung von Art. 8 HRG schuldig gemacht
und sei nach Art. 14 lit. b dieses Gesetzes zu bestrafen. Freilich enthalte
die bundesrätliche Vollziehungsverordnung vom 5. Juni 1931 zum HRG in Art. 16
die Vorschrift: «Wer Ware mit sich führt, deren sofortige Übergabe an den
Käufer gemäss Art. 8 Abs. 2 HRG überhaupt nicht gestattet werden kann,
untersteht für diese Tätigkeit nicht dem HRG, sondern der kantonalen
Gesetzgebung.» Diese Vorschrift würde hier den Hänni befreien, denn sein
Verhalten bedeute keinen Verstoss gegen das bernische Hausiergesetz. Doch
stehe Art. 16 VV insoweit, als er den Grossreisenden das Mitführen von Waren
über den Rahmen des Art. 8 Abs. 2 hinaus ermöglichen wolle, mit dem HRG in
Widerspruch und sei daher nicht anzuwenden.
Mit der vorliegenden Nichtigkeitsbeschwerde beantragt Hänni, das
obergerichtliche Urteil sei aufzuheben. Er macht geltend, dass er beim
Aufsuchen des Wirtes zum Kreuz in Spiezmoos nicht als Handelsreisender
aufgetreten sei; Handelsreisender sei nur, wer Bestellungen auf Waren zu
erhalten suche, nicht aber, wer Ware im Herumziehen anbiete und sofort zu
verkaufen trachte. Das HRG sei deshalb auf den vorliegenden Fall überhaupt
nicht anwendbar. Art. 8 HRG habe nur die Meinung, dass die Ausweiskarte der
Handelsreisenden an sich nicht zum Mitführen von Waren berechtige; dem
Reisenden solle aber nicht die Möglichkeit genommen werden, sich ausserdem
noch als Hausierer zu betätigen, soweit diese Tätigkeit auf Grund des
kantonalen Hausiergesetzes als statthaft erscheine. Der Art. 16 W zum HRG, der
diese Auslegung noch besonders habe festhalten wollen, sei keineswegs
gesetzwidrig. Auf Grund des kantonalen Gesetzes sei aber, wie das Obergericht
mit Recht angenommen habe, das Verhalten des Beschwerdeführers nicht zu
beanstanden gewesen.....

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in Erwägung:
Dem Art. 8 HRG lässt sich allerdings nicht entnehmen, ob damit lediglich
gesagt sein soll, die Ausweiskarte für Handelsreisende gebe an sich noch kein
Recht auf das Mitführen von Waren, oder ob dieses Mitführen unter dem einzigen
Vorbehalt der in Abs. 2 vorgesehenen bundesrätlichen Bewilligung dem Inhaber
der Handelsreisendenkarte positiv verboten werden soll. Im ersten Fall hat der
Handelsreisende immer noch die Möglichkeit, sich auf der Reise auch als
Hausierer zu betätigen, soweit das die kantonale Hausiergesetzgebung zulässt.
Im zweiten Fall ist dem Reisenden diese Möglichkeit verschlossen. Die
Entscheidung ergibt sich für die Grossreisenden im Sinne von Art. 3 Abs. 1 HRG
aus Art. 14 lit. b dieses Gesetzes. Wenn danach derjenige, der als
Grossreisender ohne die in Art. 8 vorgesehene Ermächtigung Ware mit sich
führt, mit Busse bis zu Fr. 1000.- bestraft wird, so kann der Ausschluss des
Mitführens von Waren in Art. 8 für solche Reisende nur die Meinung eines
positiven Verbotes haben. Es ist auch nicht anzunehmen, dass Art. 14 lit. b
HRG bloss gelte, wo ein Grossreisender Ware, für die die bundesrätliche
Genehmigung hätte erteilt werden können, ohne diese mit sich führt, nicht aber
da, wo es sich um Waren handelt, für die die bundesrätliche Bewilligung
ausgeschlossen ist. Abgesehen davon, dass es kaum Sache des Strafrichters sein
könnte, bei Anwendung von Art. 14 lit. b darüber zu befinden, ob die
bundesrätliche Ermächtigung möglich gewesen wäre oder nicht, ist kein
sachlicher Grund ersichtlich, die Tragweite von Art. 14 lit. b in der
fraglichen Weise einzuschränken. Wenn beim Fehlen einer bundesrätlichen
Bewilligung in den Fällen, in denen sie hätte gewährt werden können, dem
Reisenden die Berufung auf die kantonalrechtliche Zulässigkeit seines
Verhaltens verwehrt ist, so ist es nur folgerichtig, wenn auch derjenige die
kantonale Regelung nicht mehr zu seinen Gunsten

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anrufen kann, für dessen Ware eine bundesrätliche Bewilligung nicht in
Betracht kam. Der Art. 14 lit. b HRG beruht offenbar auf dem Gedanken, dass
der Grossreisende nicht gleichzeitig Hausiertätigkeit soll ausüben dürfen.
Welche Gründe den Gesetzgeber zu dieser Einschränkung veranlassten, hat der
Kassationshof nicht zu prüfen.
Danach hat Hänni, der als Grossreisender ohne bundesrätliche
Spezialermächtigung Ware mit sich führte, den Art. 8 bezw. 14 lit. b HRG
übertreten. Ob der Bundesrat die betreffende Ermächtigung hätte erteilen
können, spielt Dach dem Gesagten keine Rolle. Sollte Art. 16 VV in dieser
Hinsicht etwas abweichendes anordnen wollen, so ist er insoweit wegen
Widerspruchs zum Gesetz nicht zu beachten.
.....
erkannt:
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 64 I 362
Datum : 01. Januar 1937
Publiziert : 14. November 1938
Quelle : Bundesgericht
Status : 64 I 362
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Art. 8 und 14 lit. b des Bundesgesetzes über die Handelsreisenden vom 4. Oktober 1930: Verbot des...


Gesetzesregister
HRG: 3  8  14  16
BGE Register
64-I-362
Stichwortregister
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