S. 1 / Nr. 1 Doppelbesteuerung (d)

BGE 72 I 1

1. Urteil vom 18. März 1946 i. S. Meyer gegen Zürich und Aargau.


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Regeste:
Doppelbesteuerung:
Bei Kollektiv- und Kommanditgesellschaften ist der Anteil eines in einem
andern Kanton wohnenden Teilhabers am Geschäftsgewinn, soweit er als Entgelt
für seine Arbeit anzusehen ist, nicht wie der übrige Reinertrag der
Gesellschaft an deren Sitz sondern am persönlichen Wohnsitz des Teilhabers als
Einkommen zu versteuern.
Dies gilt grundsätzlich auch für Kommanditgesellschaften mit nur einem
unbeschränkt haftenden Teilhaber und einem einzigen, mit einer unbedeutenden
Kommandite beteiligten Kommanditär.
Double imposition:
S'agissant de sociétés en nom collectif ou en commandite, la part du bénéfice
qui revient à un ayant droit domicile dans un autre canton, pour autant
qu'elle apparaît comme une rétribution du travail fourni, est imposable au
domicile personnel de cet ayant droit et non au siège de la société, comme le
reste du bénéfice net.
Cette règle s'applique aussi en principe aux sociétés en commandite qui n'ont
qu'un associé indéfiniment responsable et un seul commanditaire, dont la
commandite est insignifiante.

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Doppia imposta:
Trattandosi di società in nome collettivo o in accomandita, la parte
dell'utile che spetta ad un avente diritto che abbia il suo domicilio in un
altro Cantone è imponibile, in quanto sia una retribuzione del lavoro fornito,
al luogo ov'egli è personalmente domiciliato e non alla sede della Società,
come il rimanente dell'utile netto.
Questa regola si applica in massima anche alle Società in accomandita che
hanno un socio illimitatamente responsabile e un solo accomodante, la cui
accomandita è insignificante.

A. ­ Im Jahre 1922 gründeten Simon Meyer und sein Sohn René Meyer, der heutige
Beschwerdeführer, die Kommanditgesellschaft Meyer & Co., Herren- und
Berufskleiderfabrik in Bremgarten, in welcher der Vater unbeschränkt haftender
Teilhaber, der Sohn Kommanditär war. Im Jahre 1935, nach dem Tode des Vaters,
gingen Aktiven und Passiven der Firma auf eine aus René Meyer als Komplementär
und Robert Frey als Kommanditär gebildete neue Kommanditgesellschaft Meyer &
Co. über. Der Kommanditär Frey, dessen Kommandite Fr. 1000.­ beträgt, nicht
einbezahlt ist und auch in den Büchern nicht erscheint, ist Angestellter der
Firma mit einem festen Gehalt ohne Beteiligung am Geschäftsergebnis.
Der Beschwerdeführer, der seit 1911 in Zürich niedergelassen ist, versteuerte
bis 1944 vom Ertrag der Firma Meyer & Co. Fr. 8400.­ als Arbeitseinkommen in
Zürich und den Rest als Geschäftsgewinn in Bremgarten. Im Jahre 1945 stellten
sich die aargauischen Steuerbehörden auf den Standpunkt, dass die
Kommanditgesellschaft Meyer & Co. wirtschaftlich eine Einzelfirma sei und der
Beschwerdeführer daher den gesamten Geschäftsertrag in Bremgarten zu
versteuern habe. Die Gemeindesteuerkommission Bremgarten setzte infolgedessen
am 27. April 1945 das steuerbare Einkommen des Beschwerdeführers für 1945 um
den bisher Zürich zur Besteuerung überlassenen Betrag von Fr. 8400.­ herauf.
Die Steuerkommission Zürich dagegen erhöhte sein in Zürich steuerbares
Arbeitseinkommen für 1945 auf Fr. 36000. - .
B. ­ Mit rechtzeitiger staatsrechtlicher Beschwerde hat René Meyer das
Bundesgericht um Beseitigung der

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Doppelbesteuerung und Abgrenzung der Steuerhoheit der Kantoner Aargau und
Zürich ersucht.
C. ­ Der Regierungsrat des Kantons Aargau beantragt, der Anspruch des Kantons
Zürich auf Besteuerung eines Salärs des Beschwerdeführers sei gänzlich
abzuweisen, eventuell sei dieser Salär von Fr. 36000.­ auf Fr. 8400.­ oder
höchstens Fr. 10000.­ herabzusetzen. Streitig sei, ob die Firma Meyer & Co.
steuerrechtlich als Einzelfirma oder als Kommanditgesellschaft zu behandeln
sei. Die aargauischen Steuerbehörden hätten entsprechend der
bundesgerichtlichen Praxis in Doppelbesteuerungssachen nicht auf die
zivilrechtliche Form, sondern auf die tatsächlichen Verhältnisse abgestellt.
Wirtschaftlich betrachtet handle es sich aber um eine Einzelfirma. Das ergebe
sich auch aus der Stellung des Kommanditärs im Geschäft. Der Beschwerdeführer
habe 1935 bei Übernahme des bisher mit seinem Vater geführten Unternehmens die
Form der Kommanditgesellschaft nur deshalb gewählt, um das Geschäft unter der
Firma «Meyer & Co.» weiterführen zu können.
D. ­ Der zürcherische Regierungsrat beantragt die Abweisung der Beschwerde,
soweit sie sich gegen den Kanton Zürich richte. Zur Begründung wird auf das
Urteil des Bundesgerichts vom 10. Dezember 1945 i. S. Zentner verwiesen. Die
zivilrechtliche Form der Kommanditgesellschaft sei im vorliegenden Falle
zweckentsprechend verwendet worden; auch sei sie nicht simuliert. Für ihre
Wahl hätten firmenrechtliche und allgemeine geschäftliche Überlegungen
(Werbung, Kredit) gesprochen, nicht Gründe der Steuerumgehung oder
Steuerersparnis.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. ­ Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung in interkantonalen
Doppelbesteuerungssachen ist der Geschäftsertrag einer Kollektiv- oder
Kommanditgesellschaft an deren Sitz (und allfälligen weiteren Betriebsstätten)
zu versteuern mit Ausnahme derjenigen Bezüge der

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Gesellschafter, die als Entgelt für ihre Arbeitsleistungen im Geschäft zu
betrachten sind Diese Bezüge können bei der Ermittlung des steuerpflichtigen
Geschäftsgewinns gleich wie Unkosten in Abzug gebracht werden und sind vom
Gesellschafter an seinem Wohnort zu versteuern (BGE 34 I 672, 48 I 173). Das
Bundesgericht hat diese Zerlegung des Geschäftsertrags in Salär und Gewinn,
die nicht unangefochten blieb, freilich wiederholt als «diskutierbar»
bezeichnet und es abgelehnt, sie auf einfache Gesellschaften oder
Einzelgeschäftsinhaber auszudehnen (BGE 45 I 291, 50 I 288). Bei Kollektiv-
und Kommanditgesellschaften hat es aber daran immer festgehalten (vgl. nicht
veröffentlichtes Urteil vom 10. Dezember 1945 i. S. Zentner und dort
angeführte weitere Entscheide). Auf diese bald vierzigjährige Praxis
zurückzukommen, besteht heute umso weniger Anlass, als keine Partei
Einwendungen gegen sie erhebt. Der Kanton Aargau will sie im vorliegenden
Falle nur deshalb nicht angewendet wissen, weil die Firma Meyer & Co., wenn
man auf die wirtschaftlichen statt auf die zivilrechtlichen Verhältnisse
abstelle, als Einzelfirma zu gelten habe. Mit einem solchen Falle hatte sich
das Bundesgericht erst kürzlich zu belassen (vgl. das bereits zitierte Urteil
i. S. Zentner). Auch dort war nur ein unbeschränkt haftender Gesellschafter
vorhanden und betrug die Kommanditsumme bloss Fr. 1000.­; der Tatbestand
unterschied sich vom vorliegenden lediglich dadurch, dass die Kommanditsumme
einbezahlt und dass als Kommanditär nicht ein Angestellter, sondern die
Ehefrau des Komplementärs beteiligt war. Das Bundesgericht hat damals die
heute vom Kanton Aargau vertretene Auffassung mit eingehender Begründung
abgelehnt. Es sei zwar zuzugeben, dass sich eine solche Kommanditgesellschaft
nur wenig von einem Einzelkaufmann unterscheide und es sich daher um einen
Grenzfall handle. Da jedoch die Praxis des Bundesgerichts, die das
Arbeitsentgelt der unbeschränkt haftenden Teilhaber der Kollektiv- und
Kommanditgesellschaften dem Kanton ihres Wohnsitzes

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zuweise, nicht an wirtschaftliche Merkmale, sondern an einen privatrechtlichen
Tatbestand anknüpfe, sei auf diesen abzustellen, es wäre denn, dass
ausschliesslich zum Zweck der Steuerumgehung oder -ersparnis eine
aussergewöhnliche zivilrechtliche Form gewählt worden sei. Dass diese
Voraussetzung zutreffe, hat das Bundesgericht damals verneint. Ähnlich verhält
es sich auch im heute streitigen Falle. Wie in den Vernehmlassungen der
Kantone Aargau und Zürich übereinstimmend ausgeführt wird, hat sich der
Beschwerdeführer im Jahre 1935 deshalb zur Gründung einer
Kommanditgesellschaft entschlossen, weil er das väterliche Unternehmen unter
der bisherigen, auf ein Gesellschaftsverhältnis hindeutenden Firma
weiterzuführen wünschte. Entscheidend waren somit kaufmännische Erwägungen,
die Absicht, das von der früheren Firma erworbene Vertrauen und deren Kredit
sich zu erhalten; dass steuerliche Gründe den Ausschlag gaben oder auch nur
mit eine Rolle spielten, wird nicht behauptet, geschweige denn dargetan.
Die Gemeindesteuerkommission Bremgarten hat somit die bundesrechtlichen
Grundsätze über die interkantonale Abgrenzung der Steuerhoheit verletzt, indem
sie den Geschäftsertrag der Kommanditgesellschaft Meyer & Co. auch insoweit
besteuerte, als er das Entgelt für die Arbeitsleistungen des Beschwerdeführers
bildet. Dieser Teil des Geschäftsertrages steht ausschliesslich unter der
Steuerhoheit des Kantons Zürich.
2. ­ (Bestimmung des als Arbeitsentgelt zu behandelnden Teils des
Geschäftsertrages.)
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gegenüber den Kantonen Aargau und Zürich in dem Sinne
gutgeheissen, dass der Kanton Zürich für das Steuerjahr 1945 für berechtigt
erklärt wird, vom Einkommen des Beschwerdeführers aus der
Kommanditgesellschaft Meyer & Co. in Bremgarten den Betrag von Fr. 20000.­ zu
besteuern.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 72 I 1
Datum : 01. Januar 1946
Publiziert : 18. März 1946
Quelle : Bundesgericht
Status : 72 I 1
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Doppelbesteuerung:Bei Kollektiv- und Kommanditgesellschaften ist der Anteil eines in einem andern...


BGE Register
34-I-668 • 45-I-288 • 48-I-171 • 50-I-284 • 72-I-1
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
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