S. 43 / Nr. 12 Schuldbetreibungs-und Konkursrecht (d)

BGE 70 III 43

12. Entscheid vom 1. Juni 1944 i.S. Delessert und Konsorten.


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Regeste:
1. Beschwerde wegen Unzulässigkeit eines Pfändungsanschlusses mangels der
hiefür geltenden Voraussetzungen nach Art. 110 -111 und allenfalls 145 SchKG.
Die Beschwerdefrist (Art. 17 SchKG) läuft jedenfalls bei ungenügender Pfändung
(Art. 115 Abs. 2 SchKG) von der Zustellung der Pfändungsurkunde an, worin die
betreffende Betreibung als angeschlossen verzeichnet ist. Wird diese Frist
versäumt, so steht bei Auflegung des Kollokations- und Verteilungsplanes (Art.
146 -148 SchKG) keine neue Frist für eine solche Beschwerde offen.
2. Eine Nachpfändung von Amtes wegen (Art. 145 SchKG) ist nur dann
vorzunehmen, wenn die Pfändung nach der amtlichen Schätzung (Art. 97 SchKG)
genügend Deckung zu bieten schien und sich diese Erwartung dann bei der
Verwertung nicht erfüllte.
3. Tragweite des Beschwerdeentscheides. Art. 17 ff . SchKG. Die Wegweisung
einer Betreibung aus der Pfändungsgruppe bezw. dem dafür aufgestellten
Kollokations- und Verteilungsplan durch Entscheid der Aufsichtsbehörde wirkt
zugunsten aller an der Gruppe beteiligten Gläubiger, nicht nur des
Beschwerdeführers.
1. Plainte tendant à faire déclarer inadmissible la participation d'un
créancier d une saisie, faute des conditions prévues aux art. 110 et 111 et
subsidiairement 145 LP. Le délai de plainte (art. 17 LP) court ­ tout au moins
en cas d'insuffisance des objets à saisir ­ de la notification du procès -
verbal de saisie où il est mentionné que la poursuite en question participe à
la saisie. Si ce délai est expiré et que l'état de collocation ait été déposé
(art. 146-148 LP), aucune plainte n'est plus possible.
2. On ne doit procéder d'office à une saisie complémentaire (art. 145 LP)
qu'après la réalisation et s'il se révèle alors qu'une saisie qui avait paru
offrir une garantie suffisante d'après l'estimation ne permet pas en fait de
satisfaire tous les créanciers.
3. Portée de la décision rendue sur la plainte. Art. 17 et suiv. LP. La
décision de l'autorité de surveillance en vertu de laquelle une poursuite est
exclue d'un groupe de créanciers ou de l'état de collocation, profite non
seulement au plaignant mais à tous les créanciers intéressés.
1. Reclamo per far dichiarare inammissibile la partecipazione d'un creditore
ad un pignoramento, non essendo soddisfatte le condizioni previste dagli art.
110 e 111 ed eventualmente 145 LEF. Il termine di reclamo (art. 17 LEF)
decorre ­ almeno nel caso d'insufficienza degli oggetti da pignorare ­ dalla
notifica del verbale di pignoramento ov'è menzionato che l'esecuzione in
parola partecipa al pignoramento. Se questo termine è spirato e la graduatoria
è stata depositata (art. 146-148 LEF), non è più ammissibile alcun ricorso.
2. Si deve procedere d'ufficio ad un pignoramento complementare (art. 145 LEF)
soltanto dopo la realizzazione e se risulta che un pignoramento, ritenuto
offrire una sufficiente garanzia

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secondo la stima (art. 97 LEF), non ha in realtà permesso di soddisfare tutti
i creditori.
3. Portata della decisione del reclamo (art. 17 e seg. LEF). La decisione
dell'autorità di vigilanza, in virtù della quale un'esecuzione è esclusa dal
gruppo di creditori o dalla graduatoria va a vantaggio non 9010 del
reclamante, ma di tutti i creditori interessati.

A.­Gegen den Bundesbeamten Delessert waren eine Anzahl Betreibungen mit
ungenügender Pfändung hängig und auch definitive Verlustscheine ausgestellt,
als er auf Ende März 1942 aus dem Bundesdienst entlassen wurde und eine
Abgangsentschädigung von Fr. 11,107.45, entsprechend der Summe seiner Einlagen
in die Versicherungskasse des Personals, in Aussicht stand. Diesen Anspruch
pfändete das Betreibungsamt Bern am 16. Januar 1942 auf Begehren mehrerer
Gläubiger, denen weitere Pfändungsbegehren binnen 30 Tagen folgten; ausserdem
schloss das Betreibungsamt einige Betreibungen von Amtes wegen an. Die
Pfändungsurkunde verzeichnet als an dieser Gruppe Nr. 2331 teilnehmend 28
Betreibungen. Davon waren indessen in der am 18. März 1942 an die Gläubiger
versandten Abschrift die zwei letzten noch nicht erwähnt, und aus Versehen
wurde den Empfängern jener Abschrift dann auch kein Nachtrag zugesandt.
Dagegen führte die am 16. April 1942 dem Schuldner zugestellte Abschrift der
Pfändungsurkunde alle 28 Betreibungen an.
B.­Der für die Gruppe Nr. 2331 aufgestellte Kollokationsplan wurde dem
Schuldner und den beteiligten Gläubigern am 18. Februar 1944 angezeigt. Nun
führten einerseits der Schuldner, anderseits die Erben einer Gläubigerin
Beschwerde mit dem Antrag auf Wegweisung derjenigen Betreibungen aus dem
Kollokations- und Verteilungsplan, die das Betreibungsamt seinerzeit von Amtes
wegen angeschlossen hatte. Dies sei nicht gerechtfertigt gewesen...
C.­Die kantonale Aufsichtsbehörde wies am 14. April 1944 beide Beschwerden ab:
Der Pfändungsanschluss könne nicht mehr angefochten werden, nachdem die

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Pfändungsurkunde seinerzeit unangefochten geblieben sei. Nur der Anschluss der
Betreibungen Nr. 34 725 und 44 087 könne noch überprüft werden, weil er der
Rechtsvorgängerin der beschwerdeführenden Gläubiger aus Versehen nicht in
einem Nachtrag zur Pfändungsurkunde mitgeteilt worden sei. Doch erweise sich
dieser Anschluss nach Art. 145 SchKG als gerechtfertigt. Zwar sei es nicht zur
Verwertung gekommen. Der Gegenstand der Pfändung, Lohnguthaben des Schuldners,
sei aber beim Ablauf des Dienstverhältnisses zweifellos ungenügend gewesen,
was einem ungenügenden Verwertungsergebnis gleichzuachten sei...
D. ­ Mit dem vorliegenden Rekurs halten die Beschwerdeführer an ihren Begehren
fest...
Die Schuldbetreibungs-und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.­Der Vorinstanz ist darin beizustimmen, dass das Recht zur Anfechtung des
Pfändungsanschlusses verwirkt ist, soweit der einzelne Beschwerdeführer diesen
Anschluss seinerzeit der ihm zugestellten Abschrift der Pfändungsurkunde hatte
entnehmen können. Die Anführung einer Betreibung in der Pfändungsurkunde
bedeutet Anerkennung der betreibungsrechtlichen Voraussetzungen des
Anschlusses an die betreffende Pfändungsgruppe. Von der Zustellung der
entsprechenden Abschrift der Pfändungsurkunde läuft die Beschwerdefrist. Der
Schuldner hat daher im vorliegenden Falle das Beschwerderecht in diesem Punkte
verwirkt, während die Gläubiger mit ihrer Beschwerde wegen des ihnen
seinerzeit nicht mitgeteilten Anschlusses der Betreibungen Nr. 34 725 und 44
087 noch zu hören sind. Darüber hinaus könnte ein unverwirktes
Anfechtungsrecht höchstens dann in Betracht kommen, wenn die Pfändung als
genügend bescheinigt worden wäre. Solchenfalls wäre kein Gläubiger durch den
Anschluss der andern beschwert erschienen. So verhielt es sich jedoch nicht.
Die Pfändung war als ungenügend

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und die Pfändungsurkunde demgemäss als provisorischer Verlustschein
bezeichnet.
2.­Der Anschluss der Betreibungen Nr. 34 725 und 44 087 hält entgegen der
Ansicht der Vorinstanz der Beschwerde nicht stand. Es mag sein, dass das
ungenügende Ergebnis der Lohnpfändungen einer durchgeführten Verwertung mit
Ausfall gleichzuachten wäre. Wie dem auch sei, fehlt es jedoch an einer andern
Voraussetzung zu einer Nachpfändung von Amtes wegen gemäss Art. 145 SchKG.
Diese Vorschrift hat Ausnahmecharakter. Sie sieht eine Abweichung vom
Grundsatze vor, dass eine Pfändung nur auf Antrag des Gläubigers vorzunehmen
ist. Diese Abweichung versteht sich nur für den Fall, dass die Pfändung nach
der amtlichen Schätzung als genügend erschien, sich nun aber erst angesichts
des Ergebnisses der Verwertung als ungenügend erweist. «Art. 145 zieht die
Möglichkeit in Betracht, dass bei der Verwertung die Schätzungssumme der
Pfändungsobjekte nicht erreicht wird, und stellt nun behufs rascher Korrektur
des bisherigen Verfahrens, das infolge der unrichtigen amtlichen Schätzung und
der dadurch bedingten Bildung einer ungenügenden Pfändungsmasse dem bezw. den
betreibenden Gläubigern nicht zu dem gebührenden Resultate verholfen hat, ein
ausserordentliches an keine Fristen gebundenes Nachverfahren auf. Unter diesem
Gesichtspunkte der Verbesserung einer dem frühern Verfahren anhaftenden
Unrichtigkeit zu Gunsten der sonst geschädigten Gläubiger ist es durchaus
verständlich, dass der Gesetzgeber hier dazu gekommen ist, eine Abweichung vom
Antragssystem zu statuieren und die sofortige Wahrung der gläubigerischen
Interessen von Amtes wegen vorzuschreiben», ist bereits in BGE 30 I 825 =
Sep.-Aug. 7 Seite 395 Erw. 3 am Ende ausgeführt. Daran ist festzuhalten.
War die Pfändung nach der amtlichen Schätzung von vornherein ungenügend, so
dient die Pfändungsurkunde dem Gläubiger als provisorischer Verlustschein
(Art. 115

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daraus ergebenden Rechte auszuüben. Dazu gehört, neben den in Art. Abs. 2
SchKG). Ihm ist solchenfalls anheimgestellt, die sich 115 Abs. 2 erwähnten
Rechten, die Befugnis, Nachpfändung zu verlangen. Und diese Befugnis ist an
die von der Zustellung des Zahlungsbefehls laufende Jahresfrist gemäss Art. 88
SchKG gebunden (BGE 63 III 144). Damit wäre schwerlich eine ohne Rücksicht auf
diese Frist und ohne Rücksicht darauf, ob und wie weit der Verwertungsausfall
noch grösser ist als bereits erwartet, sogar von Amtes wegen vorzunehmende
Nachpfändung im Verfahren des Art. 145 zu vereinbaren. War dagegen die
Pfändung durch die amtliche Schätzung als genügend ausgewiesen, so dass dem
Gläubiger die erwähnten Rechte aus provisorischem Verlustschein vorenthalten
waren, und ergibt erst die Verwertung einen Ausfall, so liegt es nahe, von
Amtes wegen nachzuholen, was seinerzeit beim Pfändungsvollzug zufolge der zu
hoch gegriffenen Schätzung unterblieben war: die allenfalls vorhandenen
weitern Vermögensgegenstände, soweit nötig, dazu zu pfänden. Nur in diesen
Fällen, da die Pfändung genügend schien, kann denn auch regelmässig mit dem
Vorhandensein weiterer pfändbarer Vermögensstücke gerechnet werden. In diesem
Sinne pflegen die Betreibungsämter die Anwendung von Art. 145 SchKG
einzuschränken. Das entspricht dem dargelegten gesetzgeberischen Grund der
Vorschrift.Auch wenn das Betreibungsamt zufällig von Vermögen des Schuldners
erfährt, das nachgepfändet werden könnte, steht ihm nur anheim, Gläubiger mit
provisorischem Verlustschein darauf aufmerksam zu machen, so dass sie -
während der Frist des Art. 88 SchKG - Nachpfändung verlangen können. Eine
Pflicht zu solcher Benachrichtigung besteht aber nicht, und vollends darf für
solche Gläubiger nach Durchführung der Verwertung so wenig wie vorher von
Amtes wegen nachgepfändet werden, sei es auch einfach durch Anschluss ihrer
Betreibungen an eine eben in Bildung begriffene neue Pfändungsgruppe mit neuen
oder neu entdeckten Vermögensgegenständen.

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Dadurch würde die Vorzugsstellung, welche den Gläubigern einer früher
gebildeten Pfändungsgruppe ohnehin gegenüber solchen mit spätern, erst nach
Ablauf der Teilnahmefrist gestellten Pfändungsbegehren zukommt, ungebührlich
erweitert.
Dies möchte zwar in einem Falle wie hier, wo zunächst vornehmlich Lohn
gepfändet werden konnte und dann erst nachträglich dem Schuldner ein
beträchtlicher Anspruch auf Abgangsentschädigung erwuchs, zu keinem stossenden
Ergebnis führen. Allein die der Nachpfändung von Amtes wegen nach dem wahren
Inhalt von Art. 145 gezogenen Schranken dürfen nicht um solcher Umstände
willen durchbrochen werden.
Die beiden in Frage stehenden Betreibungen sind also aus dem Kollokations- und
Verteilungsplane wegzuweisen, und zwar zugunsten aller andern an der Gruppe
beteiligten Gläubiger, nicht etwa nur der beschwerdeführenden (BGE 29 I 113 =
Sep.-Ausg. 6, 47; auf dem gleichen Grundsatze, dass betreibungsrechtliche
Mängel nicht nur zugunsten des gerade beschwerdeführenden Gläubigers zu
beheben sind, beruht BGE 64 III 136).
3.- ... (Eventualantrag des Schuldners).
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
1.- Der Rekurs der Gläubiger René und Ferdinand Delessert wird teilweise
gutgeheissen, in dem Sinne, dass die Betreibungen Nr. 34725 und Nr. 44087 aus
dem Verteilungsplan der Gruppe Nr. 2331 weggewiesen werden. Im übrigen wird
dieser Rekurs abgewiesen.
2.- Soweit hiedurch der Rekurs des Schuldners Charles Delessert nicht
gegenstandslos geworden ist, wird er abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 70 III 43
Datum : 01. Januar 1943
Publiziert : 31. Mai 1944
Quelle : Bundesgericht
Status : 70 III 43
Sachgebiet : BGE - Schuldbetreibungs- und Konkursrecht
Gegenstand : 1. Beschwerde wegen Unzulässigkeit eines Pfändungsanschlusses mangels der hiefür geltenden...


Gesetzesregister
SchKG: 17  88  97  110  111  115  145  146  148
BGE Register
29-I-113 • 30-I-820 • 63-III-144 • 64-III-133 • 70-III-43
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
ausnahme • ausserordentlichkeit • beendigung • beschwerdefrist • betreibungsamt • deckung • erbe • frage • frist • kollokationsplan • kommunikation • lohn • mais • schuldbetreibungs- und konkursrecht • schuldner • schätzungsverfahren • tag • termin • umfang • verlustschein • von amtes wegen • vorinstanz • weiler • wiese • wille • zahlungsbefehl