S. 17 / Nr. 4 Familienrecht (d)

BGE 69 II 17

4. Urteil der II. Zivilabteilung vom 4. März 1943 i. S.
Vormundschaftskommission Bern gegen Luise Bock.


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Regeste:
Art. 370
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 370 - 1 Eine urteilsfähige Person kann in einer Patientenverfügung festlegen, welchen medizinischen Massnahmen sie im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht zustimmt.
1    Eine urteilsfähige Person kann in einer Patientenverfügung festlegen, welchen medizinischen Massnahmen sie im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht zustimmt.
2    Sie kann auch eine natürliche Person bezeichnen, die im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit mit der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt die medizinischen Massnahmen besprechen und in ihrem Namen entscheiden soll. Sie kann dieser Person Weisungen erteilen.
3    Sie kann für den Fall, dass die bezeichnete Person für die Aufgaben nicht geeignet ist, den Auftrag nicht annimmt oder ihn kündigt, Ersatzverfügungen treffen.
ZGB.
Begriff des lasterhaften Lebenswandels, Erw. 1.
Sittliche Gefährdung von Kindern kann selbst dann eine Gefährdung der
Sicherheit anderer sein, wenn sich die Kinder aus eigenem Antrieb in die
Gefahr begeben. Erw. 2.
Art. 370 CC.
Notion de l'inconduite, consid. 1.
La mise en danger de la moralité des enfants peut constituer une «menace pour
la sécurité d'autrui», même lorsque les enfants s'y exposent de leur propre
mouvement, consid. 2.
Art. 370 CC.
Nozione della scostumatezza (consid. 1).
Il fatto di mettere in pericolo la moralità dei bambini può costituire una
minaccia dell'altrui sicurezza anche se essi si espongono di moto proprio al
pericolo (consid. 2).

Aus dem Tatbestande:
Frau Luise Bock, der wegen schlechten Leumundes das Trödlerpatent entzogen
worden war, verteilte seit längerer Zeit Schundliteratur an Schulkinder und
tauschte dafür Sachen ein, von denen sie wissen musste, dass sie von den
Kindern daheim oder anderwärts gestohlen worden waren. Trotz Mahnungen der
Polizei und Lehrerschaft setzte sie ihr Geschäftsgebaren fort.
Daher stellte die Vormundschaftskommission Bern den Antrag, Frau Bock sei zu
entmündigen. Das psychiatrische Gutachten stellte bei der Interdizendin
moralische Gleichgültigkeit und Verantwortungslosigkeit, sowie Zeichen einer
beginnenden arteriosklerotischen Erkrankung fest, was sich aber nicht in dem
Masse äussere, dass eine Bevormundung wegen Geisteskrankheit gerechtfertigt
sei.
Das Amtsgericht Bern bevormundete Frau Bock gemäss Art. 370
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 370 - 1 Eine urteilsfähige Person kann in einer Patientenverfügung festlegen, welchen medizinischen Massnahmen sie im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht zustimmt.
1    Eine urteilsfähige Person kann in einer Patientenverfügung festlegen, welchen medizinischen Massnahmen sie im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht zustimmt.
2    Sie kann auch eine natürliche Person bezeichnen, die im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit mit der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt die medizinischen Massnahmen besprechen und in ihrem Namen entscheiden soll. Sie kann dieser Person Weisungen erteilen.
3    Sie kann für den Fall, dass die bezeichnete Person für die Aufgaben nicht geeignet ist, den Auftrag nicht annimmt oder ihn kündigt, Ersatzverfügungen treffen.
ZGB wegen
Gefährdung des sittlichen Wohles der Jugend.
Der Appellationshof des Kts. Bern hob die Entmündigung auf mit der Begründung,
Frau Bock leide zwar an einem Charakterfehler, dessen Auswirkungen als
lasterhafter

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Lebenswandel zu bezeichnen seien; dadurch gefährde sie aber nicht die
Sicherheit anderer, weil die Jugend aus eigenem Antrieb den Laden von Frau
Bock aufsuche.
Gegen dieses Urteil reichte die Vormundschaftskommission Bern die vorliegende
zivilrechtliche Beschwerde ein.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. ­ Mit den beiden Vorinstanzen ist anzunehmen, dass das Verhalten der
Beschwerdebeklagten einen lasterhaften Lebenswandel im Sinne von Art. 370
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 370 - 1 Eine urteilsfähige Person kann in einer Patientenverfügung festlegen, welchen medizinischen Massnahmen sie im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht zustimmt.
1    Eine urteilsfähige Person kann in einer Patientenverfügung festlegen, welchen medizinischen Massnahmen sie im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht zustimmt.
2    Sie kann auch eine natürliche Person bezeichnen, die im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit mit der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt die medizinischen Massnahmen besprechen und in ihrem Namen entscheiden soll. Sie kann dieser Person Weisungen erteilen.
3    Sie kann für den Fall, dass die bezeichnete Person für die Aufgaben nicht geeignet ist, den Auftrag nicht annimmt oder ihn kündigt, Ersatzverfügungen treffen.
ZGB
darstellt. Lasterhaft ist ein Lebenswandel, der in erheblichem Masse gegen die
Rechtsordnung und die guten Sitten verstösst. Eine einzelne Verfehlung genügt
freilich nicht; es muss ein fortgesetztes Verhalten sein, von dem nach den
Umständen anzunehmen ist, dass es auch in Zukunft andauern wird, wenn keine
Massnahmen ergriffen werden.
Frau Bock kaufte und tauschte von der Schuljugend Waren ein, von denen sie
wissen musste, dass sie gestohlen waren. Dies geschah nicht vereinzelt,
sondern, wie die Vorstellungen der Lehrerschaft und der Behörden und die von
der ersten Instanz zugezogenen Akten des Jugendstrafgerichtes beweisen, in
ausgedehntem Umfange. Sodann verabfolgte die Beschwerdebeklagte den Kindern
auch Schundliteratur, die nach der in der Beschwerdeantwort ans Bundesgericht
unbestritten gebliebenen Feststellung der Lehrerschaft und Behörden auf die
Schuljugend einen moralisch ungünstigen Einfluss ausüben konnte. Diese
Verstösse gegen die Rechts- und Sittenordnung sind besonders deshalb genügend
schwer, um einen lasterhaften Lebenswandel im Sinne des Gesetzes zu begründen,
weil dadurch schulpflichtige Jugendliche auf Abwege gebracht würden.
2. ­ Diese Gefährdung der Schuljugend verstösst gegen die Sicherheit anderer.
Nicht nur die Gefährdung von Leib, Leben und Vermögen, sondern auch die
sittliche

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Gefährdung kann einen Angriff auf die Sicherheit einer Person im Sinne von
Art. 370
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 370 - 1 Eine urteilsfähige Person kann in einer Patientenverfügung festlegen, welchen medizinischen Massnahmen sie im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht zustimmt.
1    Eine urteilsfähige Person kann in einer Patientenverfügung festlegen, welchen medizinischen Massnahmen sie im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht zustimmt.
2    Sie kann auch eine natürliche Person bezeichnen, die im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit mit der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt die medizinischen Massnahmen besprechen und in ihrem Namen entscheiden soll. Sie kann dieser Person Weisungen erteilen.
3    Sie kann für den Fall, dass die bezeichnete Person für die Aufgaben nicht geeignet ist, den Auftrag nicht annimmt oder ihn kündigt, Ersatzverfügungen treffen.
ZGB darstellen. Von einer Gefährdung anderer kann allerdings
gewöhnlich nur dann gesprochen werden, wenn ein Angriff vorliegt, welchem die
betroffene Person unfreiwillig ausgesetzt ist (BGE 46 II 208 ff.). Hiervon ist
aber eine Ausnahme zu machen bei Kindern, welche wegen mangelhafter Einsicht
und Charakterfestigkeit vorhandenen Gefahren und Gelegenheiten nicht genügend
widerstehen können. Wer durch seinen lasterhaften Lebenswandel Kinder
gefährdet, setzt den Bevormundungsgrund des Art. 370
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 370 - 1 Eine urteilsfähige Person kann in einer Patientenverfügung festlegen, welchen medizinischen Massnahmen sie im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht zustimmt.
1    Eine urteilsfähige Person kann in einer Patientenverfügung festlegen, welchen medizinischen Massnahmen sie im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht zustimmt.
2    Sie kann auch eine natürliche Person bezeichnen, die im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit mit der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt die medizinischen Massnahmen besprechen und in ihrem Namen entscheiden soll. Sie kann dieser Person Weisungen erteilen.
3    Sie kann für den Fall, dass die bezeichnete Person für die Aufgaben nicht geeignet ist, den Auftrag nicht annimmt oder ihn kündigt, Ersatzverfügungen treffen.
ZGB ohne Rücksicht auf
die Rolle, welche die Gefährdeten dabei spielen.
3. ­ Die Entmündigung hat nur dann Berechtigung, wenn nicht leichtere
Massnahmen zum Ziele führen und wenn die Entmündigung Abhilfe schaffen kann.
Die Vorstellungen der Lehrerschaft und der Behörden blieben ohne Erfolg, was
offenbar auf die im psychiatrischen Gutachten festgestellte moralische
Gleichgültigkeit und Verantwortungslosigkeit der Beschwerdebeklagten
zurückzuführen ist. Auch die gewerbepolizeilichen Massnahmen (Entzug des
Trödlerpatentes) hindern Frau Bock nicht, ihr Geschäftsgebaren fortzusetzen.
Die Vormundschaft erlaubt hingegen eine weitgehende Aufsicht über das
Geschäftsgebaren, über die Ein- und Verkäufe. Hält sich Frau Bock nicht an die
Weisungen der vormundschaftlichen Organe, so kann ihr die Bewilligung zur
Geschäftsführung entzogen werden (Art. 403
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 403 - 1 Ist der Beistand oder die Beiständin am Handeln verhindert oder widersprechen die Interessen des Beistands oder der Beiständin in einer Angelegenheit denjenigen der betroffenen Person, so ernennt die Erwachsenenschutzbehörde einen Ersatzbeistand oder eine Ersatzbeiständin oder regelt diese Angelegenheit selber.
1    Ist der Beistand oder die Beiständin am Handeln verhindert oder widersprechen die Interessen des Beistands oder der Beiständin in einer Angelegenheit denjenigen der betroffenen Person, so ernennt die Erwachsenenschutzbehörde einen Ersatzbeistand oder eine Ersatzbeiständin oder regelt diese Angelegenheit selber.
2    Bei Interessenkollision entfallen von Gesetzes wegen die Befugnisse des Beistands oder der Beiständin in der entsprechenden Angelegenheit.
und 421 Ziff. 7
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 421 - Das Amt des Beistands oder der Beiständin endet von Gesetzes wegen:
1  mit Ablauf einer von der Erwachsenenschutzbehörde festgelegten Amtsdauer, sofern keine Bestätigung im Amt erfolgt;
2  mit dem Ende der Beistandschaft;
3  mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses als Berufsbeistand oder Berufsbeiständin;
4  im Zeitpunkt, in dem der Beistand oder die Beiständin verbeiständet oder urteilsunfähig wird oder stirbt.
ZGB).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen, der angefochtene Entscheid aufgehoben und
die Beschwerdebeklagte gemäss Art. 370
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 370 - 1 Eine urteilsfähige Person kann in einer Patientenverfügung festlegen, welchen medizinischen Massnahmen sie im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht zustimmt.
1    Eine urteilsfähige Person kann in einer Patientenverfügung festlegen, welchen medizinischen Massnahmen sie im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht zustimmt.
2    Sie kann auch eine natürliche Person bezeichnen, die im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit mit der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt die medizinischen Massnahmen besprechen und in ihrem Namen entscheiden soll. Sie kann dieser Person Weisungen erteilen.
3    Sie kann für den Fall, dass die bezeichnete Person für die Aufgaben nicht geeignet ist, den Auftrag nicht annimmt oder ihn kündigt, Ersatzverfügungen treffen.
ZGB entmündigt.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 69 II 17
Datum : 01. Januar 1942
Publiziert : 04. März 1943
Quelle : Bundesgericht
Status : 69 II 17
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Art. 370 ZGB.Begriff des lasterhaften Lebenswandels, Erw. 1.Sittliche Gefährdung von Kindern kann...


Gesetzesregister
ZGB: 370 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 370 - 1 Eine urteilsfähige Person kann in einer Patientenverfügung festlegen, welchen medizinischen Massnahmen sie im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht zustimmt.
1    Eine urteilsfähige Person kann in einer Patientenverfügung festlegen, welchen medizinischen Massnahmen sie im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht zustimmt.
2    Sie kann auch eine natürliche Person bezeichnen, die im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit mit der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt die medizinischen Massnahmen besprechen und in ihrem Namen entscheiden soll. Sie kann dieser Person Weisungen erteilen.
3    Sie kann für den Fall, dass die bezeichnete Person für die Aufgaben nicht geeignet ist, den Auftrag nicht annimmt oder ihn kündigt, Ersatzverfügungen treffen.
403 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 403 - 1 Ist der Beistand oder die Beiständin am Handeln verhindert oder widersprechen die Interessen des Beistands oder der Beiständin in einer Angelegenheit denjenigen der betroffenen Person, so ernennt die Erwachsenenschutzbehörde einen Ersatzbeistand oder eine Ersatzbeiständin oder regelt diese Angelegenheit selber.
1    Ist der Beistand oder die Beiständin am Handeln verhindert oder widersprechen die Interessen des Beistands oder der Beiständin in einer Angelegenheit denjenigen der betroffenen Person, so ernennt die Erwachsenenschutzbehörde einen Ersatzbeistand oder eine Ersatzbeiständin oder regelt diese Angelegenheit selber.
2    Bei Interessenkollision entfallen von Gesetzes wegen die Befugnisse des Beistands oder der Beiständin in der entsprechenden Angelegenheit.
421
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 421 - Das Amt des Beistands oder der Beiständin endet von Gesetzes wegen:
1  mit Ablauf einer von der Erwachsenenschutzbehörde festgelegten Amtsdauer, sofern keine Bestätigung im Amt erfolgt;
2  mit dem Ende der Beistandschaft;
3  mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses als Berufsbeistand oder Berufsbeiständin;
4  im Zeitpunkt, in dem der Beistand oder die Beiständin verbeiständet oder urteilsunfähig wird oder stirbt.
BGE Register
46-II-208 • 69-II-17
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
bundesgericht • wissen • psychiatrisches gutachten • weiler • mass • verhalten • sitte • entscheid • dauer • begründung des entscheids • erste instanz • leben • weisung • beschwerdeantwort • gewerbepolizei • betroffene person • beginn • vorinstanz