S. 118 / Nr. 21 Obligationenrecht (d)

BGE 69 II 118

21. Urteil der I. Zivilabteilung vom 18. Februar 1943 i. S. Grauwiler gegen
Grauwiler.

Regeste:
Kollektivgesellschaft, Ausschliessung aus wichtigen Gründen, Art. 577 OR. Der
Entscheid über die Ausschliessung kann einem Schiedsgericht übertragen werden.
Société en nom collectif. Exclusion d'un associé pour de justes motifs, art.
577 CO. La compétence pour prendre cette décision peut être attribuée à un
tribunal arbitral.
Società in nome collettivo. Esclusione d'un socio per gravi motivi (art. 577
CO). La competenza per pronunciare una siffatta decisione può essere
attribuita ad un tribunale arbitrale.

2. ...... a) Die in Art. 577 OR gebrauchte Wendung, dass beim Vorliegen
wichtiger Gründe «der Richter» die Ausschliessung eines Gesellschafters
anordnen könne, bildet kein entscheidendes Argument für die von den
Beschwerdeführern vertretene Auffassung, dass das

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Gesetz die ausschliessliche Zuständigkeit des staatlichen Richters
vorschreibe. Wie die Vorinstanzen zutreffend bemerken, finden sich in der
Bundesgesetzgebung eine ganze Anzahl von Bestimmungen, in denen «dem Richter»
eine Entscheidungsbefugnis zugewiesen ist, die nach allgemein anerkannter
Auffassung von den Parteien einem Schiedsrichter oder einer Mehrzahl von
solchen übertragen werden kann. Ausser den von den Vorinstanzen erwähnten
Fällen von Art. 43 OR, Art. 538 ZGB und Art. 83 Abs. 2 SchKG sei lediglich
noch hingewiesen auf die Art. 672 , Abs. 2 und 3, 706 Abs. 2 , 717 Abs. 2 ZGB;
noch zahlreicher sind die Beispiele auf dem Gebiete des OR, auf dem der
Privatautonomie der Parteien der grösste Spielraum gelassen ist: Art. 2 Abs.
2, 44, 46 Abs. 2; 47, 49 Abs. 2, 50 Abs. 2, 52 Abs. 2 usw. usw.
b) Kann somit dem Wortlaut des Gesetzes nichts Entscheidendes entnommen
werden, so ist zu prüfen, ob mit Rücksicht auf die Rechtsnatur und die
Wirkungen der in Art. 577 OR vorgesehenen Ausschliessung angenommen werden
müsse, diese könne nur durch den staatlichen Richter ausgesprochen werden.
Das Ausscheiden eines Gesellschafters hat nach schweizerischem Recht an sich
die Auflösung der Kollektivgesellschaft zur Folge (Art. 574 Abs. 1 in
Verbindung mit Art. 545 OR). Diese Regel erfährt jedoch eine Ausnahme, wenn
vor der Auflösung vereinbart worden ist, dass trotz dem Ausscheiden eines oder
mehrerer Gesellschafter die Gesellschaft unter den verbleibenden Mitgliedern
fortgesetzt werden soll (Art. 576 OR). Diese Vereinbarung braucht nicht
notwendigerweise schon im Gesellschaftsvertrag enthalten zu sein; sie kann
auch später getroffen werden, ja sogar erst erfolgen im Zeitpunkt, in welchem
ein Gesellschafter seine Absicht, auszutreten, den übrigen zur Kenntnis
bringt, oder gar erst nach der Eintragung der Auflösung im Handelsregister
(SIEGWART, Art. 576 N. 2). Es genügt, dass der ausscheidende Gesellschafter
mit der Fortsetzung der Gesellschaft durch die

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verbleibenden Mitglieder einverstanden ist; einer Mitwirkung des Richters
bedarf es nicht.
Eine weitere Ausnahme vom erwähnten Grundsatz stellt sodann der hier in Frage
stehende Art. 577 OR dar; danach kann selbst beim Fehlen einer diesbezüglichen
Vertragsbestimmung und sogar gegen den Willen des Ausscheidenden die Auflösung
der Gesellschaft vermieden werden, wenn mit Rücksicht auf die Person des
Ausscheidenden die Auflösung aus wichtigen Gründen verlangt werden könnte und
die übrigen Gesellschafter seine Ausschliessung verlangen. Der
Gesellschaftsvertrag kann die Ausschliessung sogar noch weiter erleichtern,
indem er der Mehrheit der Gesellschafter oder selbst einem Einzelnen das Recht
auf Stellung des Ausschliessungsbegehrens einräumt oder indem er bestimmt,
dass beim Vorliegen wichtiger Gründe die Ausschliessung eines Gesellschafters
nicht nur verlangt, sondern ausgesprochen werden könne durch einstimmigen oder
Mehrheitsbeschluss der übrigen Gesellschafter (SIEGWART, Art. 577 N. 1 und 5).
Gewiss kann im letzteren Falle der Ausgeschlossene den Beschluss anfechten mit
der Behauptung, dass keine wichtigen Gründe vorliegen. Sofern er aber eine
Anfechtung unterlässt, entfaltet die Ausschliessung ihre rechtlichen Wirkungen
ohne jedes Eingreifen des Richters.
Endlich kann nach Art. 578 OR ein Gesellschafter auch ausgeschlossen werden
durch die Mitgesellschafter, wenn er in Konkurs fällt oder wenn einer seiner
Gläubiger seinen Liquidationsanteil gepfändet hat und die Auflösung der
Gesellschaft verlangt.
Der Umstand, dass ein Gesellschafter aus der Gesellschaft ausscheiden kann mit
der Vereinbarung, dass die Gesellschaft unter den verbleibenden Mitgliedern
weiterbestehen soll, oder dass sein Ausschluss, sofern der
Gesellschaftsvertrag dies vorsieht, durch die übrigen Gesellschafter
ausgesprochen werden und er sich diesem Beschluss unterziehen kann, tut
schlüssig dar, dass es sich dabei um interne Beziehungen zwischen den
Gesellschaftern handelt,

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in deren Gestaltung sie freie Hand haben (BGE 53 II 495). Dann müssen aber die
Beteiligten auch befugt sein, Streitigkeiten darüber dem staatlichen Richter
zu entziehen und sie dem Entscheid eines oder mehrerer Schiedsrichter zu
unterstellen. Denn wer auf ein Recht verzichten oder darüber aussergerichtlich
einen Vergleich abschliessen kann, ist auch befugt, den Entscheid über das
Bestehen dieses Rechtes im Falle der Bestreitung Dritten anheimzustellen, die
ihm als vertrauenswürdig erscheinen.
Das öffentliche Interesse, bezw. das Interesse Dritter, die durch das
Ausscheiden eines Gesellschafters berührt werden können, ist durch die
Vorschrift des Art. 581 OR gewahrt, der die Eintragung des Ausscheidens im
Handelsregister vorschreibt; erst von der Veröffentlichung dieses Eintrags an
läuft nämlich die fünfjährige Verjährungsfrist für die Ansprüche der
Gesellschaftsgläubiger gegen den ausscheidenden Gesellschafter (Art. 591 Abs.
1 OR). Die Eintragung des Ausschlusses im Handelsregister kann aber sowohl auf
Grund des Urteils eines staatlichen Gerichtes wie eines Schiedsgerichtes
erfolgen. Sache des kantonalen Zivilprozessrechtes ist es dann, die
Voraussetzungen zu bestimmen, unter denen der Staat als alleiniger Träger der
Gerichtshoheit die Vollstreckung eines Schiedsgerichtsurteils zulassen will.
Die von den Beschwerdeführern diesbezüglich aus dem kantonalen Prozessrecht
hergeleiteten Einwendungen gegen den Entscheid der Vorinstanz können vom
Bundesgericht daher nicht überprüft werden.
c) Nach der Ansicht der Beschwerdeführer kann die Frage der Ausschliessung
eines Gesellschafters deshalb nicht von einem Schiedsgericht entschieden
werden, weil das auf Ausschliessung lautende Urteil nicht nur deklaratorische,
sondern konstitutive Wirkung hat. Letzteres ist nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichts ­ zu Art. 576 aOR ­ richtig (BGE 30 II 465). Die Ausschliessung
wird nicht durch eine Willenserklärung der übrigen

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Gesellschafter, durch den Ausschliessungsbeschluss vollzogen, sondern erst
durch den Spruch des Richters, durch das Gestaltungsurteil; dieses erst hebt
den bisherigen Rechtszustand auf und schafft mit Wirkung ex nunc (BGE 49 II
492
) einen neuen Rechtszustand. Dagegen ist nicht einzusehen, weshalb ein
solches Gestaltungsurteil nur durch ein staatliches Gericht, nicht aber auch
durch ein Schiedsgericht soll gefällt werden können. Zwar gibt es
Gestaltungsurteile, zu deren Erlass nur ein staatliches Gericht befugt ist,
wie z. B. das Scheidungsurteil. Aber das liegt nicht im Wesen des
Gestaltungsurteils, sondern hat seinen Grund darin, dass es sich dabei um ein
Rechtsverhältnis handelt, das der freien Verfügung der Parteien entzogen ist.
Hinsichtlich der Zugehörigkeit zu einer Gesellschaft dagegen besteht dieses
freie Verfügungsrecht, wie oben dargelegt worden ist.
Informazioni decisione   •   DEFRITEN
Documento : 69 II 118
Data : 01. gennaio 1942
Pubblicato : 18. febbraio 1943
Sorgente : Tribunale federale
Stato : 69 II 118
Ramo giuridico : DTF - Diritto civile
Oggetto : Kollektivgesellschaft, Ausschliessung aus wichtigen Gründen, Art. 577 OR. Der Entscheid über die...


Registro di legislazione
CC: 538  672  706  717
CO: 43  545  574  576  577  578  581  591
LEF: 83
Registro DTF
30-II-453 • 49-II-475 • 53-II-491 • 69-II-118
Parole chiave
Elenca secondo la frequenza o in ordine alfabetico
autorità inferiore • decisione • scioglimento della società • società in nome collettivo • volontà • quesito • tribunale federale • conoscenza • ex nunc • autorità giudiziaria • società • direttiva • direttiva • competenza esclusiva • obiezione • autonomia privata • natura giuridica • quota di liquidazione • potere decisionale • casale • diritto svizzero • sentenza di divorzio • esattezza • effetto costitutivo • unanimità
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