BGE 68 I 160
26. Urteil vom 23. November 1942 i. S. Stevens gegen Frankenhauser.
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Regeste:
Art. 59 BV, Art. 2 Ziff. 3 des Vollstreckungsabkommens mit Deutschland vom 2.
November 1929:
Begriff der vorbehaltlosen Einlassung auf den Rechtsstreit. Einer nach
deutschem Recht als Prozesshandlung unwirksamen Eingabe an ein deutsches
Gericht kann nicht die Bedeutung einer vorbehaltlosen Einlassung zukommen.
Art. 59 CF; 2 ch. 3 Convention germano-suisse du 2 novembre 1929 (ROLF 1930 p.
506) sur la reconnaissance et l'exécution de décisions judiciaires:
Celui qui fait auprès d'un tribunal allemand une production que le droit
allemand ne qualifie pas d'acte de procédure ne procède point sans réserves
sur le fond du litige.
Art. 59 CF; art. 2 cifra 3 della Convenzione 2 novembre 1929 tra la Svizzera e
la Germania in materia di riconoscimento ed esecuzione delle decisioni
giudiziarie.
Chi presenta ad un tribunale germanico una memoria, che il diritto germanico
non considera come valido atto di procedura, non è entrato senza riserva nel
merito del litigio.
A. Am 27. Januar 1941 reichte Andreas Frankenhauser beim Landgericht Krefeld
Klage ein gegen Friedrich Stevens in Beinwil (Aargau). Verlangt wurde die
Zahlung von RM 2028.10 nebst 4 % Zins seit 1. September 1924 für eine im Jahre
1924 erfolgte Lieferung von Tabakwaren an die Firma Gebrüder Stevens in Goch.
Stevens erhielt am 21. Februar 1941 durch Vermittlung des Gerichtspräsidiums
Kulm eine beglaubigte Abschrift der Klage. Diese enthielt neben der Ladung auf
den 21. März 1941 die Aufforderung, einen beim Landgericht Krefeld
zugelassenen Rechtsanwalt zu bestellen und durch diesen allfällige
Einwendungen und Beweismittel dem Gericht und dem Gegenanwalt mitzuteilen.
Stevens schrieb hierauf am 26. Februar 1941 an das Landgericht Krefeld, er sei
bereits im Jahre 1922 aus der Firma Gebrüder Stevens ausgetreten; wenn diese
im Jahre 1924 Waren bezogen habe von Frankenhauser, so berühre ihn dies nicht
mehr.
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Durch Versäumnisurteil vom 21. März 1941 hiess das Landgericht Krefeld die
Klage gut und auferlegte Stevens Kosten im Betrage von RM 187.44.
In der hierauf eingeleiteten Betreibung erteilte der Bezirksgerichtspräsident
von Kulm dem Frankenhauser am 3. August 1942 definitive Rechtsöffnung für Fr.
3508.60 nebst 4 % Zins seit 18. Juni 1936 und Fr. 324.25 nebst 5 % Zins seit
21. März 1941. Stevens erhob gegen diesen Entscheid Beschwerde, wurde aber vom
Obergericht des Kantons Aargau durch Urteil vom 19. September 1942 abgewiesen
mit im wesentlichen folgender Begründung: Stevens habe sich im Sinne von Art.
2 Ziff. 3 des Vollstreckungsabkommens mit Deutschland vom 2. November 1929
vorbehaltlos auf den Rechtsstreit eingelassen. Er habe im Schreiben vom 26.
Februar 1941, mit dem er auf die am 21. Februar zugestellte Klage geantwortet
habe, die Zuständigkeit des deutschen Gerichtes mit keinem Worte bestritten;
vielmehr habe er materiell zur Klage Stellung genommen, indem er die Schuld
bestritten habe. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung bedeute die
Einreichung einer Antwort ohne Bestreitung der Zuständigkeit eine Einlassung
(BGE 46 I 247, 52 I 133, 57 I 23, 67 I 108).
B. Stevens hat rechtzeitig staatsrechtliche Beschwerde erhoben wegen
Verletzung des Vollstreckungsabkommens mit Deutschland. Er beantragt Aufhebung
des Entscheids des Obergerichtes vom 19. September 1942 sowie des dadurch
bestätigten Rechtsöffnungsentscheids des Bezirksgerichtspräsidenten von Kulm
vom 3. August 1942 und Abweisung des Rechtsöffnungsbegehrens. Zur Begründung
wird angebracht, dass von einer vorbehaltlosen Einlassung nur die Rede sein
könnte, wenn der Rekurrent nach den Vorschriften des deutschen Prozessrechts
rechtswirksam zur Hauptsache verhandelt hätte. Das sei nicht geschehen, da
nach § 78 DZPO vor den Landgerichten Anwaltszwang bestehe und
Prozesshandlungen der Partei selbst deshalb unwirksam seien. Ferner wird
geltend gemacht, es fehle auch an den in Art. 7 des Vollstreckungsabkommens
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aufgestellten formellen Erfordernissen (wird näher ausgeführt).
C. Das Obergericht des Kantons Aargau und der Rekursbeklagte beantragen
Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Es ist unbestritten, dass der Rekurrent in der Schweiz wohnt und dass das
gegen ihn ergangene rechtskräftige Forderungsurteil des Landgerichts Krefeld
vom 21. März 1941 in der Schweiz nur zu vollstrecken ist, wenn er sich im
Sinne von Art. 2 Ziff. 3 des Vollstreckungsabkommens mit Deutschland
«vorbehaltlos auf den Rechtsstreit eingelassen» hat.
Zur Auslegung von Art. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 2 Zweck - 1 Die Schweizerische Eidgenossenschaft schützt die Freiheit und die Rechte des Volkes und wahrt die Unabhängigkeit und die Sicherheit des Landes. |
|
1 | Die Schweizerische Eidgenossenschaft schützt die Freiheit und die Rechte des Volkes und wahrt die Unabhängigkeit und die Sicherheit des Landes. |
2 | Sie fördert die gemeinsame Wohlfahrt, die nachhaltige Entwicklung, den inneren Zusammenhalt und die kulturelle Vielfalt des Landes. |
3 | Sie sorgt für eine möglichst grosse Chancengleichheit unter den Bürgerinnen und Bürgern. |
4 | Sie setzt sich ein für die dauerhafte Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und für eine friedliche und gerechte internationale Ordnung. |
mit Rücksicht auf Art. 59
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 59 Militär- und Ersatzdienst - 1 Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor. |
|
1 | Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor. |
2 | Für Schweizerinnen ist der Militärdienst freiwillig. |
3 | Schweizer, die weder Militär- noch Ersatzdienst leisten, schulden eine Abgabe. Diese wird vom Bund erhoben und von den Kantonen veranlagt und eingezogen. |
4 | Der Bund erlässt Vorschriften über den angemessenen Ersatz des Erwerbsausfalls. |
5 | Personen, die Militär- oder Ersatzdienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren, haben für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes. |
zu dieser Verfassungsbestimmung entwickelte Rechtsprechung beigezogen werden
(BGE 57 I 23). Danach hat sich ein Beklagter dann vorbehaltlos auf den
Rechtsstreit eingelassen, wenn er dem Gericht gegenüber den Willen bekundet
hat, vorbehaltlos zur Hauptsache zu verhandeln (BGE 46 I 248, 52 I 134, 57 I
23, 67 I 108). In den angeführten Entscheiden ist daneben auch von einer
entsprechenden Willenskundgebung gegenüber der Gegenpartei die Rede, doch ist
eine solche nicht denkbar, da von Einlassung nur dem Gericht gegenüber
gesprochen werden kann, und es ist denn auch kein Fall zu finden, wo eine
Erklärung an die Gegenpartei oder ein Verhalten ihr gegenüber als Einlassung
behandelt worden wäre. Der Gegenpartei gegenüber kann nur durch
Gerichtsstandsvereinbarung (Prorogation) wirksam auf den gesetzlichen oder
verfassungsmässigen Gerichtsstand verzichtet werden.
2. Die Einwendung, dass die Eingabe des Rekurrenten an das Landgericht
Krefeld des vor diesem Gericht geltenden Anwaltszwanges wegen unbeachtlich
gewesen sei und nicht als Einlassung gelten könne, ist im kantonalen Verfahren
nicht geltend gemacht werden. Doch kann deshalb der Rekurrent damit nicht
ausgeschlossen werden;
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denn die Beschwerden wegen Verletzung von Staatsverträgen, insbesondere auch
des Vollstreckungsabkommens mit Deutschland, setzen die vorgehende Erschöpfung
des kantonalen Instanzenzuges nicht voraus (BGE 58 I 98; nicht veröffentlichte
Erwägung 1 des Urteils vom 5. März 1936 i.S. Böhme & Cie).
Das Bundesgericht hat den Begriff der vorbehaltlosen Einlassung jeweils
unabhängig vom kantonalen oder ausländischen Prozessrecht bestimmt. Daraus
schliesst das Obergericht in der Vernehmlassung zu Unrecht, es komme im
vorliegenden Falle nicht darauf an, ob die Eingabe des Rekurrenten nach
deutschem Prozessrecht unwirksam gewesen sei. Wenn ein kantonales oder
ausländisches Gericht ausdrücklich entscheidet oder doch nach dem massgebenden
Prozessrecht anzunehmen ist, der Beklagte habe sich auf den Prozess
eingelassen und das Recht verwirkt, die Einrede der Unzuständigkeit zu
erheben, so ist das Bundesgericht allerdings nicht daran gebunden, sondern
prüft frei, ob im Verhalten des Beklagten ein Verzicht auf den
Wohnsitzgerichtsstand liegt (BGE 33 I 91, 34 I 267, 46 I 247, 52 I 133 Erw. 3,
67 I 108). Im vorliegenden Falle hat jedoch weder das Landgericht Krefeld die
Eingabe des Rekurrenten als Einlassung behandelt und daraus seine
Zuständigkeit abgeleitet (diese ergab sich aus § 29 DZPO) noch kommt eine
Vorschrift des deutschen Prozessrechtes in Frage, wonach der Rekurrent durch
sein Verhalten das Recht zur Erhebung der Unzuständigkeitseinrede verwirkt
hätte. Vielmehr steht fest, dass seine Eingabe nach deutschem Prozessrecht
unwirksam und für das deutsche Gericht unbeachtlich war, weil vor den
deutschen Landgerichten Anwaltszwang besteht (§ 78 DZPO), dieser sich auf alle
Prozesshandlungen, insbesondere sämtliche Schriftsätze erstreckt und
Handlungen, die von der Partei selbst vorgenommen werden, unwirksam sind
(ROSENBERG, Lehrbuch des Zivilprozessrechts S. 147, STEIN-JONAS, N. I und III
zu § 78 DZPO). Es fragt sich somit, ob der Eingabe des Rekurrenten trotz
dieses Mangels die Bedeutung einer
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vorbehaltlosen Einlassung beizumessen ist. Diese Frage (die sich im Fall W.
gegen B., BGE 33 I 88 nicht stellte, da dort ein Urteil des Amtsgerichts
vorlag und vor diesem kein Anwaltszwang besteht) ist zu verneinen. Ist eine
als Klagbeantwortung gedachte Eingabe des Beklagten als solche für das
Gericht, an das sie gerichtet ist, unbeachtlich, so geht es nicht an, ihr nach
einer andern Richtung Wirksamkeit zuzusprechen und darin die Bekundung des
Willens zu erblicken, vorbehaltlos zur Hauptsache zu verhandeln. Einer
ungültigen Prozesshandlung kann nicht die Bedeutung eines so wichtigen
Schrittes zukommen, wie es der Verzicht auf den wohnörtlichen Gerichtsstand
ist.
3. Unter diesen Umständen braucht auf die weitere Rüge des Rekurrenten, die
Voraussetzungen von Art. 7 des Vollstreckungsabkommens seien nicht erfüllt,
nicht eingetreten zu werden. Bemerkt sei immerhin, dass das Bundesgericht
bereits im Urteil vom 6. März 1936 i. S. André Dewald & Sohn entschieden hat,
dass die Ausfertigung eines deutschen Versäumnisurteils, die bloss die
Bezeichnung der Parteien und des Gerichts und die Urteilsformel enthalte und
nicht auch eine Darstellung des Tatbestandes und die Entscheidungsgründe, als
«vollständig» zu anerkennen sei.
4. Die Gutheissung der Beschwerde hat zur Folge, dass das
Rechtsöffnungsbegehren des Rekursbeklagten abzuweisen und ihm die Kosten des
kantonalen Verfahrens aufzuerlegen sind.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen, der Entscheid des Gerichtspräsidenten von
Kulm vom 3. August 1942 sowie der Entscheid des Obergerichts des Kantons
Aargau vom 19. September 1942 werden aufgehoben und das Rechtsöffnungsbegehren
des Rekursbeklagten wird abgewiesen.