S. 64 / Nr. 19 Familienrecht (d)

BGE 67 II 64

19. Urteil der II. Zivilabteilung vom 20. März 1941 i.S. Schertenleib gegen
Vormundschaftsbehörde Zürich und Weibel.

Regeste:
Änderung des Scheidungsurteils mit Bezug auf die Elternrechte gemäss Art. 157
ZGB.
· Der auf Änderung der Kindeszuteilung klagende geschiedene Ehegatte hat die
Klage einzig gegen den andern Elternteil und nicht gegen die
Vormundschaftsbehörde zu richten, selbst dann nicht, wenn das Kind unter
Vormundschaft steht.
· Stellung der Vormundschaftsbehörde im Abänderungssprozess.

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Modification d'un jugement en divorce touchant l'attribution des enfants.
· L'époux qui demande cette modification doit actionner son ex-conjoint et non
pas l'autorité tutélaire, même lorsque l'enfant est sous tutelle.
· Situation de l'autorité tutélaire dans le procès.
Modifica di una sentenza di divorzio per quanto concerne l'attribuzione dei
figli ai sensi dell'art. 157 CC.
· Il coniuge che chiede questa modifica deve convenire il suo ex coniuge e non
l'autorità tutelare, anche se il figlio è ancora sotto tutela.
· Posizione dell'autorità tutelare nel processo.

A. ­ Dem Oskar E. Schertenleib und seiner geschiedenen Ehefrau Hedy geb.
Weibel war die elterliche Gewalt über den aus der Ehe hervorgegangenen Knaben
Manfred Oskar durch das Scheidungsurteil und eine Abänderung desselben
entzogen und der Knabe der Obsorge der Vormundschaftsbehörde der Stadt Zürich
unterstellt worden. Im Juni 1939 verlangte O. Schertenleib mit der
vorliegenden, gegen die Vormundschaftsbehörde gerichteten Klage, dass das
Scheidungsurteil nochmals geändert und seine elterliche Gewalt über den Knaben
wieder hergestellt werde. Die Vormundschaftsbehörde widersetzte sich diesem
Begehren und stellte Antrag, die Mutter des Kindes als Prozesspartei
zuzulassen. Da das Bezirksgericht dies ablehnte, schloss sich die Mutter, Frau
Weibel gesch. Schertenleib, dem Verfahren als Nebenintervenientin an und
beantragte, die Klage des Vaters auf Wiedererteilung der elterlichen Gewalt
sei abzuweisen, weil sie nicht gegen die Vormundschaftsbehörde allein, sondern
nur gegen diese und die Mutter des Kindes zusammen (als notwendige
Streitgenossenschaft), eventuell nur gegen die Mutter allein angehoben werden
könne.
Das Bezirksgericht Zürich schützte die Klage gestützt auf Art. 157 ZGB, sprach
das Kind dem Kläger zu und auferlegte der Vormundschaftsbehörde die Kosten des
Verfahrens.
B. ­ Das Obergericht des Kantons Zürich, an das Frau Weibel und die
Vormundschaftsbehörde (diese nur wegen

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der Kostenauflage) rekurrierten, wies das Begehren des Klägers mit Beschluss
vom 23. Oktober 1940 angebrachtermassen von der Hand. Auf die
Nichtigkeitsbeschwerde, mit der der Kläger rügte, dass das Obergericht die
alleinige Passivlegitimation der Vormundschaftsbehörde zu Unrecht verneint
habe, trat das Kassationsgericht des Kantons Zürich nicht ein, weil es den
Entscheid des Obergerichtes als Haupturteil und demgemäss zur Beurteilung der
erwähnten Streitfrage eidgenössischen Rechtes das Bundesgericht als zuständig
erachtete.
C. ­ Mit seiner Berufung an das Bundesgericht hält der Kläger an der
Auffassung fest, dass er nur gegen die Vormundschaftsbehörde habe klagen
müssen und dass diese Klage begründet sei.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. ­ Indem die Vorinstanz entschied, dass der Kläger sein Begehren um
Zuteilung des Kindes gestützt auf Art. 157 ZGB nicht mit einer nur gegen die
Vormundschaftsbehörde gerichteten Klage geltend machen könne, sondern die
Behörde und den andern Elternteil gemeinsam ins Recht zu fassen habe, sprach
sie dem Kläger den Anspruch, so wie er eingeklagt war, endgültig ab. Der
Entscheid stellt daher ein Haupturteil dar (BGE 64 II 232). Somit ist auf die
Berufung einzutreten.
2. ­ Wenn das Bundesgericht in seiner bisherigen Rechtsprechung ausgeführt
hat, dass das gerichtliche Verfahren zur Neuordnung der Elternrechte gemäss
Art. 157 ZGB nicht einfach eine Fortsetzung des Ehescheidungsprozesses sei,
sondern ein prozessual neues Verfahren darstelle (vgl. BGE 42 I 334; 51 II 97;
61 II 26 E. 2), so darf daraus nicht abgeleitet werden, dass dieses neue
Verfahren vom vorausgegangenen Scheidungsprozess völlig unabhängig sei.
Richtig ist nur, dass für das Verfahren auf Änderung der durch das
Scheidungsurteil getroffenen Regelung der Elternrechte gemäss Art. 157 ZGB
besondere sachliche Voraussetzungen und auch prozessuale

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Besonderheiten bestehen, durch die es sich von einer blossen Wiederaufnahme
des Scheidungsprozesses hinsichtlich der Nebenfolgen unterscheidet. Es kann
nicht zu einer Berichtigung des Scheidungsurteils, sondern nur zur Beurteilung
neuer tatsächlicher Verhältnisse führen. Es braucht nicht vor dem gleichen
Richter ausgetragen zu werden, der das Scheidungsurteil gefällt hat, kennt als
Parteien nicht nur die beiden geschiedenen Ehegatten, sondern greift auch noch
nach dem Tode des einen von ihnen Platz und kann ausserdem nicht nur vom
ehemaligen Ehegatten, sondern auch von der Vormundschaftsbehörde eingeleitet
werden.
Die neuen richterlichen Anordnungen gemäss Art. 157 ZGB berühren aber
unmittelbar die Rechtsbeziehungen, die zwischen den Ehegatten trotz der
Scheidung ihrer Ehe, insbesondere im Verhältnis zu den gemeinsamen Kindern,
als natürliches und auch rechtliches Gemeinschaftsverhältnis weiter bestehen
und für die in erster Linie das Scheidungsurteil massgeblich ist. Dieses
Dispositiv des Scheidungsurteils kann nur in einem Verfahren umgestaltet
werden, an dem mindestens auch die noch lebenden Parteien des
Scheidungsprozesses wieder beteiligt sind. Insoweit ist das gerichtliche
Verfahren gemäss Art. 157 ZGB doch eine Fortsetzung des Scheidungsprozesses
(vgl. auch BGE 51 II 97).
Dies gilt auch für die Neuregelung der Elternrechte über ein Kind, das durch
das Scheidungsurteil beiden Eltern entzogen und unter Vormundschaft gestellt
worden ist. Der Entzug der elterlichen Gewalt ändert nichts am natürlichen
Verhältnis zwischen Eltern und Kind und lässt auch rechtliche Beziehungen
weiter bestehen. Vor allem behält jeder Elternteil den Anspruch darauf, bei
Veränderung der Verhältnisse gestützt auf Art. 157 ZGB die Wiederherstellung
der Elterngewalt verlangen zu dürfen. Daraus folgt, dass der eine Elternteil
in die elterliche Gewalt nur in einem Verfahren wieder eingesetzt werden darf,
in welchem auch dem andern Teil Gelegenheit gegeben wird, seinen Anspruch zu
erheben oder, falls er

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davon absehen will, wenigstens seine sonstigen, durch die Neuordnung berührten
Interessen, z. B. hinsichtlich des Besuchsrechtes und der
Unterstützungsleistungen, verfechten. Dies kann er im vollen Umfange nur tun,
wenn er von Anfang an als selbständige Partei am Prozesse beteiligt ist. Die
Einräumung eines blossen prozessualen Interventionsrechtes würde nicht
genügen. Die Vorinstanz hat es daher mit Recht abgelehnt, auf die Klage
einzutreten, die nicht gegen den andern Elternteil gerichtet war.
3. ­ Die Auffassung der Vorinstanz, dass sich die Klage aber nicht nur gegen
den andern ehemaligen Ehegatten, sondern auch gegen die Vormundschaftsbehörde
richten müsse, die mit dem passiv legitimierten Ehegatten zusammen eine
notwendige Streitgenossenschaft bilde, ist hingegen unzutreffend und gibt
Anlass zu neuer Abklärung der Frage, welche Stellung der Vormundschaftsbehörde
im Verfahren gemäss Art. 157 ZGB zukommt. In BGE 61 II 24 bejahte das
Bundesgericht zwar grundsätzlich, dass eine Klage auf Grund von Art. 157 ZGB
auch gegen die Vormundschaftsbehörde angehoben werden könne. In jenem Falle
war durch den Tod des Elternteiles, dem die elterliche Gewalt übertragen war,
das Kind unter Vormundschaft gekommen, und es wurde der Vormundschaftsbehörde
die Passivlegitimation für die Klage des andern Elternteiles auf
Wiederherstellung seiner Elterngewalt zuerkannt. Dies wurde daraus abgeleitet,
dass das Begehren nach Art. 157 ZGB gegen den Inhaber der abzuändernden Gewalt
über die Kinder zu richten sei, wobei als Trägerin dieser Gewalt in dem Falle,
in welchem sie keinem der Eltern zusteht, die Vormundschaftsbehörde betrachtet
wurde.
Dieses Präjudiz bedarf der Einschränkung. Wie schon dargetan, ist der Streit
um die Neugestaltung der im Scheidungsurteil geregelten Elternrechte
grundsätzlich eine Angelegenheit der Parteien des Scheidungsverfahrens. Eine
Notwendigkeit, auch die Vormundschaftsbehörde in das Verfahren einzubeziehen.
kann nicht damit

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begründet werden, dass sie Trägerin der den Eltern entzogenen Gewalt sei.
Elterliche Gewalt können nur die Eltern selber ausüben. Geht sie diesen
verlustig, so wird sie nicht von der Behörde übernommen, sondern durch die
Vormundschaft ersetzt. Diese hat aber nur Bestand, weil und solange das
minderjährige Kind der elterlichen Gewalt entbehrt. Ihres Grundes wegen
entfällt sie ohne weiteres nicht nur mit der Mündigkeit des Kindes, sondern
auch mit der Wiedereinsetzung eines der Eltern in die Elterngewalt (ZGB Art.
368, 431). Die Vormundschaftsbehörde übt somit keine der Wiederherstellung der
Elterngewalt entgegenstehende Rechte aus. Es besteht daher kein Anlass, die
Klage, mit der diese Wiederherstellung begehrt wird, gegen sie zu richten.
Dies wäre auch unvereinbar mit der Stellung, die Art. 156 und 157 ZGB der
Vormundschaftsbehörde im Scheidungsverfahren einräumen. Es ist ihre Aufgabe,
im Scheidungs- und Abänderungsprozess aus Gründen des öffentlichen Wohles die
Interessen der Kinder wahrzunehmen. Ob sie unter diesem Gesichtspunkt
bestimmte Anträge als nötig erachten will, muss aber ihrem alleinigen Ermessen
überlassen sein. Das Gesetz bringt dies deutlich zum Ausdruck, indem es nur
von der Möglichkeit, nicht aber von einer Pflicht der Behörde zur Teilnahme am
Verfahren spricht. Es räumt ihr den Anspruch darauf ein, im
Scheidungsverfahren in den Fällen, in denen es nötig ist, vom Richter angehört
und im Abänderungsverfahren darüber hinaus noch mit eigenen Begehren,
nötigenfalls somit als klagende Partei zugelassen zu werden. Dies setzt
voraus, dass sie vom Richter über das Abänderungsbegehren rechtzeitig
unterrichtet wird. Es folgt daraus aber nicht, dass sie sich von den über die
Neugestaltung der Elternrechte streitenden ehemaligen Ehegatten auch als
beklagte Partei gegen ihren Willen in den Prozess hineinziehen lassen müsse.
Hiezu kann sie nur verpflichtet sein, wenn ohne ihre Teilnahme als Partei das
Abänderungsverfahren überhaupt nicht durchführbar wäre, wie dies insbesondere
nach dem

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Tode des einen Elternteils dann zutreffen kann, wenn die zuständige
Prozessordnung eine Neuzuteilung des Kindes durch den Richter auf einseitiges
Begehren des überlebenden Elternteils nicht kennt, sondern auch für diesen
Fall auf den Zweiparteien-Prozess verweist.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichtes des Kantons
Zürich vom 23. Oktober 1940 bestätigt.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 67 II 64
Date : 31. Dezember 1941
Published : 19. März 1941
Source : Bundesgericht
Status : 67 II 64
Subject area : BGE - Zivilrecht
Subject : Änderung des Scheidungsurteils mit Bezug auf die Elternrechte gemäss Art. 157 ZGB.· Der auf...


Legislation register
ZGB: 156  157
BGE-register
42-I-330 • 51-II-96 • 61-II-24 • 64-II-231 • 67-II-64
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