S. 131 / Nr. 22 Handelsreisendengesetz (d)

BGE 66 I 131

22. Urteil des Kassationshofes vom 5. Februar 1940 i. S. Schlittler gegen
Graubünden.


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Regeste:
Geschäftsleute (Art. 3 HRG, Art. 5 VVo).
Landwirte oder Weinbergbesitzer, die die Erzeugnisse des eigenen Bodens
verkaufen, sind, solange sie damit nicht den Absatz fremder Produkte
verbinden, keine Geschäftsleute, selbst wenn der Verkauf sich in
kaufmännischen Formen abwickelt und den Zweck des Betriebes bildet.
Commerçants, industriels et artisans (Loi sur les voyageurs de commerce, art.
3; ordonnance d'exécution de cette loi, art. 5).
Les agriculteurs ou propriétaires de vignes qui vendent les produits de leur
propre sol ne rentrent pas dans cette catégorie tant qu'ils ne vendent pas
également des produits d'autres entrepreneurs. Il en est ainsi alors même que
la vente est le but de leur activité et a lieu dans les formes commerciales.
Commercianti, industriali e artigiani (logge sui viaggiatori di commercio,
art. 3; regolamento di esecuzione, art. 5).
Gli agricoltori o proprietari di vigneti, che vendono i prodotti del loro
proprio suolo, non appartengono, in quanto non vendano pure altri prodotti,
alla categoria dei commercianti, degl'industriali e artigiani, anche se la
vendita ha luogo in forme commerciali e costituisce lo scopo dell'azienda.

A. ­ Der Beschwerdeführer Emil Schlittler in Mollis ist Inhaber der Korkfabrik
Näfels, für die er sich zugleich als Reisender betätigt, ohne im Besitz einer
Kleinreisendenkarte zu sein. Als ihn die Polizei verzeigte, weil er im Kanton
Graubünden bei Privaten Bestellungen aufgenommen habe, bestritt Schlittler,
sich einer Übertretung des Handelsreisendengesetzes schuldig gemacht zu haben;
er besuche nur solche Weinproduzenten, von denen mit ihren eigenen
Erzeugnissen Handel getrieben werde und die Landwirten nicht gleichzustellen
seien. Gestützt auf eine Meinungsäusserung der eidgenössischen
Handelsabteilung stellte indes der Kleine Rat von Graubünden fest, dass
Weinbauern und Weinbergbesitzer wie

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Landwirte im Sinne von Art. 5 der Vollziehungsverordnung (VVo) zum
Handelsreisendengesetz zu behandeln seien und verfällte den Beanzeigten mit
Entscheid vom 20. Oktober 1939 in Anwendung von Art. 1, 3, 13 ff. und Art. 5
VVo in eine Busse von Fr. 5.­. Zugleich verpflichtete er ihn zur Nachzahlung
der Gebühr für die Kleinreisendenkarte.
B. ­ Mit rechtzeitig erhobener Nichtigkeitsbeschwerde beantragt Schlittler die
Aufhebung dieses Entscheides. Er habe Bestellungen nur bei Weinproduzenten,
die sich mit dem Verkauf eigener und allfällig fremder Weine befassten, nicht
auch bei Privaten aufgenommen. Diese kämen für ihn schon deswegen nicht in
Frage, weil er den Verkauf von Korkzapfen nur in Mengen von 4000-30000 Stück
tätige. Seine Kundschaft verwende die Ware in ihrem Betrieb, was nach Art. 3
HRG ausschliesse, dass er die rote Reisendenkarte hätte lösen müssen.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
Nach dem Wortlaut von Art. 3 Abs. 1 HRG war der Beschwerdeführer dann nicht
pflichtig, die Ausweiskarte für Kleinreisende zu lösen, wenn er
ausschliesslich mit Geschäftsleuten in Verkehr trat, welche die von ihm
angebotene Ware auf irgendeine Weise in ihrem Betrieb verwenden. Die übrigen
dort erwähnten Kategorien von Abnehmern scheiden hier von vornherein aus.
Das Gesetz umschreibt den Begriff der «Geschäftsleute» nicht. Nach dem
gewöhnlichen Sprachgebrauch fällt darunter, wer Waren fabrikationsmässig
erzeugt oder wer solche gewerbsmässig eintauscht oder einkauft, um sie mit
Gewinn weiterzuverkaufen. Befindet sich in einem derartigen Fabrikations- oder
Handelsgeschäft als Teil des umfassenderen Ganzen ein landwirtschaftliches
Gut, dessen Erzeugnisse abgesetzt oder für das Warenbestellungen aufgenommen
werden, die darin Verwendung finden, so vermag dies am Charakter des Inhabers
als eines Geschäftsmannes zweifellos nichts zu ändern. Dagegen mag als

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fraglicher erscheinen, ob unter bestimmten Voraussetzungen auch der
selbständige Landwirt als Geschäftsmann im Sinne von Art. 3 anzusehen ist.
Unter der Herrschaft des Patenttaxengesetzes hat das Bundesgericht (bei
Prüfung der Frage, ob der Landwirt einer Taxkarte bedürfe, der gelegentlich
ihm durch Bekannte vermittelte Kunden aufsucht, um einen Teil des eigenen
Weinertrages zu verkaufen) auch von dieser Tätigkeit erklärt, sie könne als
Handel aufgefasst werden, sie dagegen als bloss gelegentlichen und nicht
gewerbsmässigen Absatz von Urprodukten als nicht taxpflichtig betrachtet (BGE
32 I 348). Hieran ist auch für die Auslegung von Art. 3 HRG festzuhalten: der
Landwirt, der die Erzeugnisse seines Bodens verkauft, soweit er ihrer nicht
für den eigenen Gebrauch bedarf, wird dadurch noch nicht zum Geschäftsmann und
kann im Hinblick auf diesen Verkauf auch nicht durch den Grossreisenden
besucht werden. In gleicher Weise wie die Erzeugnisse des landwirtschaftlichen
Betriebes in einem engern Sinne (Früchte, Gemüse, Heu, Stroh usw.) sind jene
des Weinbaues und damit für die Anwendung des Gesetzes der Weinbergbesitzer
wie der Landwirt selbst zu behandeln. Dabei ist unerheblich, ob
ausschliesslich landwirtschaftliche, oder ausschliesslich Weinbau-Betriebe
oder endlich gemischte Unternehmen in Frage stehen, wie sie nach der
Vernehmlassung des Kleinen Rates im Kanton Graubünden anzutreffen sind.
Es kann aber auch keinen Unterschied ausmachen, ob der Verkauf der eigenen
Bodenerzeugnisse nur gelegentlich erfolgt, oder den mehr oder weniger
überwiegenden Betriebszweck bildet, selbst wenn er unter Zuhilfenahme
kaufmännischer Formen des Verkaufes (Verkaufsstelle, Verkaufs- und
Reisepersonal, Verkaufspropaganda usw.) erreicht werden soll, solange damit
nicht der Verkauf fremder Produkte verbunden ist. Dafür spricht schon der
Umstand, dass der Landwirt nach Art. 2 Abs. 2 lit. a selbst nicht dem Gesetze
unterstellt ist, wenn er

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Bestellungen auf selbsterzeugte Waren aufnimmt, spricht vor allem der
wirtschaftliche Zweck, dem in gleicher Weise, wie dies beim Patenttaxengesetz
zutraf, das Handelsreisendengesetz zu dienen hat. Er besteht einerseits im
Schutz einheimischer Bodenerzeugnisse und des der Besteuerung in seinem
Absatzgebiet unterliegenden einheimischen Handels gegen die Konkurrenz der
dieser Besteuerung sich entziehenden auswärtigen Firmen (BGE 33 I 809),
anderseits im Schutz eines bestimmten Publikums vor ungehöriger Belästigung
durch Handelsreisende. Geschützt werden soll, wem die allgemeine geschäftliche
Gewandtheit abgeht, wobei unerheblich ist, ob sie im Einzelfall vorliege oder
fehle. Denn die gesetzliche Regelung ist auf den Durchschnitt der in Frage
stehenden Abnehmerkategorie zugeschnitten (nicht veröffentlichter Entscheid
des Bundesgerichtes vom 19. Februar 1938 i. S. Junker). Dass aber auch die
landwirtschaftliche Bevölkerung des Schutzes teilhaftig sein sollte, erhellt
eindeutig aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes. Vor dessen Inkrafttreten
wurde das Aufsuchen von Bestellungen durch Grossreisende bei Landwirten als
zulässig erachtet, soweit die angebotene Ware zur Verwendung im Betriebe
bestimmt war. Der bundesrätliche Entwurf vom 11. Januar 1929 sah denn auch
ausdrücklich insoweit die Gleichstellung des Landwirts mit dem Geschäftsmann
vor und der schweizerische Bauernverband empfahl diese Fassung des Art. 3.
Doch wurden dagegen bei der Beratung der Vorlage durch die Bundesversammlung
Bedenken laut. Der ständerätliche Berichterstatter führte hierüber u.a. aus:
«Il paraît préférable par conséquent de ne pas multiplier le nombre des
voyageurs de commerce qui sollicitent l'agriculteur à acheter telle ou telle
marchandise dont la valeur lui est totalement inconnue. Voilà pourquoi la
commission vous propose d'éliminer les voyageurs en gros de cette activité»
(Sten. Bulletin des StR 1929 S. 198). Die Bestimmung wurde deswegen fallen
gelassen, woraus sich mit aller Deutlichkeit ergibt,

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dass Grossreisende vom Besuche der ländlichen Bevölkerung ausgeschlossen
werden sollten.
Schliesslich ermöglicht auch nur diese Lösung mit dem Abstellen auf den
Personenkreis des Bestellers ohne Rücksicht auf die Grösse des Betriebes eine
klare und reinliche Scheidung und die einheitliche Gesetzesanwendung durch die
dazu bestimmte Verwaltung. Sie wäre aber nicht gesichert, wenn als bestimmende
Merkmale Grösse und Organisation des Betriebes im Einzelfall berücksichtigt
werden müssten.
Art. 5 VVo, der schlechthin in jedem Einzelfall und ohne Rücksicht auf die
Bestimmung der angebotenen Ware für das Aufsuchen von Bestellungen bei
Landwirten und in landwirtschaftlichen Betrieben eine Taxkarte vorschreibt,
sobald jene nicht Bestandteil eines Fabrikations- oder Handelsunternehmens
sind, überschreitet daher nicht den Rahmen einer blossen
Ausführungsvorschrift, sondern hält sich innerhalb des gesetzlichen Rahmens.
Die ausgesprochene Busse ist daher begründet. Der Beschwerdeführer hat nie
behauptet, er habe sich auf den Besuch von Weinhändlern oder in Art. 5 VVo von
der Taxpflicht ausgenommenen Betrieben beschränkt, sondern ausdrücklich
anerkannt, auch bei solchen Weinbergbesitzern Bestellungen aufgesucht zu
haben, die sich auf den Verkauf eigener Weine beschränken. In der
Vernehmlassung an die Polizei sprach er sogar ausschliesslich von den
letztern. Dafür bedurfte er einer Kleinreisendenkarte.
Dass es an einem Verschulden als Voraussetzung der Strafe fehle, hat er
ebenfalls nicht geltend gemacht. Es genügte dafür übrigens eine blosse
Fahrlässigkeit. Sie wird aber dadurch nicht ausgeschlossen, dass weder der
Beschwerdeführer selbst, noch die andern Reisenden der Korkfabrik bisher keine
rote Karte besassen. Angesichts der Bestimmungen von Gesetz und Verordnung
wäre jenem zuzumuten gewesen, sich bei den zuständigen

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Behörden darüber zu erkundigen, ob seine Auffassung richtig und der derzeit
geltende Rechtszustand mit dem früheren identisch sei. Er hätte dann erfahren,
dass dies nicht zutrifft.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 66 I 131
Datum : 01. Januar 1940
Publiziert : 05. Februar 1940
Quelle : Bundesgericht
Status : 66 I 131
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Geschäftsleute (Art. 3 HRG, Art. 5 VVo).Landwirte oder Weinbergbesitzer, die die Erzeugnisse des...


Gesetzesregister
HRG: 3
BGE Register
32-I-348 • 33-I-806 • 66-I-131
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
landwirt • besteller • frage • kassationshof • busse • weiler • wein • bundesgericht • unternehmung • kundschaft • ware • handelsreisender • zuschauer • entscheid • landwirtschaftsbetrieb • produktion • benutzung • richtigkeit • kategorie • berichterstattung
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