S. 124 / Nr. 20 Motorfahrzeug- und Fahrradverkehr (d)

BGE 66 I 124

20. Urteil des Kassationshofs vom 6. Mai 1940 i. S. Bürcher gegen Wallis,
Staatsrat.


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Regeste:
Kantonale Verkehrsverbote und -Beschränkungen (Art. 3 Abs. 1 und 2 MFG): Deren
Gültigkeit kann nur mit staatsrechtlicher, nicht mit Nichtigkeitsbeschwerde an
den Kassationshof angefochten werden, auch nicht bloss bezüglich der
Bestrafung im Einzelfalle. ­ Wegen Übertretung einer nicht inhaltlich und
formell korrekt signalisierten (besonderen oder lokalen) Verkehrsvorschrift
kann nicht bestraft werden.
Dispositions cantonales interdisant ou restreignant la circulation (art. 3 al.
1 et 2 LA): La validité de ces dispositions ne peut être attaquée que par la
voie du recours de droit public et non par celle du recours en nullité à la
Cour de cassation, même lorsque le recours ne vise que la condamnation
prononcée dans un cas concret. ­ N'est pas punissable la contravention à une
règle particulière ou locale qui n'a pas été signalée correctement (signal
incorrect par sa forme ou son contenu).
Disposizioni cantonali che vietano o limitano la circolazione (art. 3 cp. 1 e
2 LCAV): La validità di queste disposizioni può essere impugnata soltanto
mediante ricorso di diritto pubblico e non mediante ricorso alla Corte di
cassazione, anche se il ricorso non concerne che la condamna pronunciata in un
caso concreto. Non è punibile la contravvenzione a una regola particolare o
locale che non è stata segnalata correttamente (segnale non corretto nella
forma e nel contenuto).

A. ­ Im März 1932 schloss der Staatsrat des Kantons Wallis mit der
Visp-Zermattbahn einen Vertrag über die Verbesserung der Verkehrsverhältnisse
im St. Niklaustal. Die Bahn verpflichtete sich, die nötigen Massnahmen zu
treffen, um das ganze Jahr hindurch den täglichen Zugsverkehr nach Zermatt
sicherzustellen. Der Staatsrat dagegen verpflichtete sich, auf der mit
Bundessubvention zu bauenden Strasse Stalden-St. Niklaus den Verkehr mit
Motorwagen in bestimmtem Umfange zu beschränken.
Gestützt auf diesen vom eidg. Volkswirtschaftsdepartement genehmigten Vertrag
erliess der Staatsrat am 31. Dezember 1935 einen Beschluss, dessen Art. 1
lautet:
«Tout trafic par véhicule automobile pour le compte de tiers ainsi que toute
circulation de voitures automobiles de plus de 7 places et de camions de plus
de trois tonnes et demie, tare comprise, est interdite sur la route allant de
Stalden (Illas) à St-Nicolas».

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An der Strassenabzweigung in Stalden nach St. Niklaus wurde als Signal die
rotweisse Scheibe mit den Inschriften: «3,5 t / 1,8 m» und eine Tafel mit dem
Text angebracht:
«Seulement autorisé aux véhicules privés. ­ Nur für Privatmotorfahrzeuge.»
Am 9. November 1939 wurde R. Bürcher, Limonaden- und Mineralwasservertrieb in
Brig, vom Polizeidepartement in Anwendung von Art. 58 MFG mit Fr. 15.­
gebüsst, weil er mit seinem Lastwagen auf der Strasse Stalden-St. Niklaus «auf
Rechnung von Drittpersonen Waren lieferte». In seinem Rekurs an den Staatstat
machte Bürcher geltend, er habe auf seinem eigenen, das zulässige Gewichts-
und Breitenmaximum nicht erreichenden Lastwagen seine eigenen Produkte an
Dritte, aber nicht auf Rechnung Dritter, sondern auf eigene Rechnung,
befördert. Übrigens habe er das Verbot des Transports «auf Rechnung Dritter»
nicht gekannt.
B. ­ Mit Entscheid vom 6. Februar 1940 hat der Staatsrat den Rekurs
abgewiesen. In der Begründung wird ausgeführt, die transportierte Ware sei
nicht für den persönlichen Bedarf des Rekurrenten bestimmt gewesen, sondern
den Geschäften und Firmen der Gegend von St. Niklaus geliefert worden. Als
privat könnte der Transport nur betrachtet werden, wenn Bürcher im St.
Niklaustal wohnen würde und die Ware für seinen persönlichen Bedarf bestimmt
gewesen wäre. Unter Transport auf Rechnung Dritter seien alle Lieferungen von
Engrosfirmen, Brennereien, Kolonialwarengeschäften, Mühlen usw. begriffen.
C. ­ Gegen diesen Entscheid richtet sich die vorliegende
Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Freisprechung unter Kosten- und
Entschädigungsfolge zulasten des Staates Wallis.
...

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Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. ­ Soweit mit der Nichtigkeitsbeschwerde ­ als Vorfrage der Gesetzwidrigkeit
der Strafe ­ die Ungültigkeit des streitigen Verkehrsverbotes geltend gemacht
wird, kann auf sie nicht eingetreten werden. Die Gültigkeit eines solchen
bezw. einer Verkehrsbeschränkung kann nur mittelst staatsrechtlicher, nicht
mittelst Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof angefochten werden, und
zwar auch dann, wenn sich die Anfechtung nicht gegen das Verbot selbst,
sondern gegen die Strafe im Einzelfall richtet. Es kann daher die weitere
Frage dahingestellt bleiben, ob eine Verkehrsbeschränkung, gegen welche die
Beschwerde gemäss Art. 3 Abs. 2 MFG an den Bundesrat nicht erhoben worden ist,
überhaupt noch bei der Anwendung durch Ausfällung einer Busse angefochten
werden kann.
2. ­ Es ist mithin nur zu prüfen, ob die Bestrafung eine Verletzung des
Grundsatzes der Signalisierung darstellt. Gemäss Art. 3 Abs. 1 und 2 MFG
können die Kantone Verkehrsverbote und -Beschränkungen erlassen. Dabei müssen
sie sich jedoch an die allgemeinen Regeln des MFG halten. Eine dieser Regeln
ist in Art. 4 Abs. 1 enthalten, wonach die Strassen mit den vom Bundesrat zu
bestimmenden einheitlichen Signalen zu versehen sind. Soweit es sich bei den
(eidgenössischen oder kantonalen) den Verkehr verbietenden oder
einschränkenden Vorschriften nicht um allgemeine Verkehrsregeln (wie
Rechtsfahren, Linksausweichen, Vortrittsrecht usw.), sondern um besondere oder
lokale Vorschriften handelt (wie Fahrverbot, Einwegverkehr, Parkverbot usw.),
geht der Wille des Gesetzgebers dahin, dass ihre Signalisierung an Ort und
Stelle gemäss der eidg. Signalverordnung die conditio sine qua non ihrer
Gültigkeit bilde. Wegen Übertretung eines nicht korrekt signalisierten Verbots
kann der Fahrzeugführer nicht bestraft werden (BGE 62 I 189 ff., 64 I 125).

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Auf der fraglichen Strasse gelten gemäss Staatsratsbeschluss drei verschiedene
Verkehrsbeschränkungen:
a) Verbot für Lastwagen von über 3 1/2 Tonnen;
b) Verbot für Personenwagen mit mehr als 7 Plätzen;
c) Verbot jedes Verkehrs «auf Rechnung Dritter».
Das aufgestellte Signal hat dieser Rechtslage nicht entsprochen.
Ordnungsgemäss signalisiert war nur die Gewichtsbeschränkung für Lastwagen.
Die auf der Verbotsscheibe noch genannte Maximalbreite von 1,8 m ist im
Staatsratsbeschluss nicht enthalten. Anderseits ist die maximale Sitzzahl für
Personenwagen überhaupt nicht signalisiert. Endlich ist der an sich schon
unklare Ausschluss von Fahrten «auf Rechnung Dritter» ohne Verbotsscheibe auf
einer blossen rechteckigen Tafel ganz verändert wiedergegeben mit den Worten
«Nur für Privatmotorfahrzeuge». Diese beiden Umschreibungen decken sich
keineswegs. Mit einem Privatmotorfahrzeug könne auch Fahrten auf Rechnung
Dritter, und umgekehrt mit einem dem öffentlichen Verkehr dienenden Fahrzeug
solche auf eigene Rechnung des Halters ausgeführt werden. Das im
Staatsratsbeschluss allein enthaltene Verbot der Fahrten «auf Rechnung
Dritter» ist mithin nicht signalisiert, weshalb der Beschwerdeführer wegen
dessen Übertretung nicht bestraft werden kann.
Abgesehen davon, dass das im Staatsratsbeschluss aufgestellte Verbot
inhaltlich nicht übereinstimmend signalisiert ist, entspricht die verwendete
Signalisierung mittelst blosser Tafel mit Aufschrift formell keinem in der
eidg. Signalverordnung vorgesehenen Signale. Ein eidgenössisches Signal für
das fragliche Verbot gibt es jedoch überhaupt nicht, während das
Maximalgewicht von 3,5 t sowie die Maximalsitzzahl von 7 mittelst der
Verbotsscheibe mit dem Motorwagenzeichen (Nr. 15) verordnungsgemäss
signalisiert werden können. Die Lösung könnte etwa darin gefunden werden, dass
ausser der Scheibe mit dem Gewichts- und dem Sitzzahlmaximum noch eine Scheibe
mit dem allgemeinen Verbot für Motorwagen (Nr. 10) begleitet

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von einer besonderen Weisung auf rechteckiger Aufklärungstafel (gemäss Art. 5
und Anhang B I Ziff. 2 Abs. 2 der Signalverordnung) angebracht würde, auf
welcher die Ausnahme vom Verbot (Privatfahrzeuge bezw. Fahrten auf eigene
Rechnung bezw. unentgeltliche Fahrten) angegeben wäre. Hierüber verbindliche
Weisungen zu erlassen ist Sache der zuständigen eidg. Administrativbehörde.
Der Kassationshof kann lediglich feststellen, dass das Verbot, wegen dessen
Übertretung der Beschwerdeführer bestraft werden ist, nicht ordnungsgemäss
signalisiert war, woraus die Freisprechung folgt.
Wenn übrigens eine staatsrechtliche Beschwerde erhoben worden wäre, so hätte
es sich fragen können, ob der Beschwerdeführer nicht auch wegen unrichtiger
Anwendung des Verbotes hätte freigesprochen werden müssen. Einmal hat er (in
seiner Einsprache gegen das Strafverbal) geltend gemacht, dass nicht er,
sondern sein Chauffeur die fragliche Fahrt ausgeführt habe, während die
angefochtene Verurteilung sich gegen ihn als Halter des Wagens richtet,
trotzdem der als kantonales Recht angewendete Art. 58 MFG nur die Verurteilung
des Führers erlaubt.
Sodann hat der Beschwerdeführer die Limonade, die er seinen Kunden im Tal
zuführte, keineswegs auf Rechnung Dritter, sondern auf eigene Rechnung
transportiert, und zwar selbst dann, wenn er die Transportspesen auf den im
St. Niklaustale verlangten Flaschenpreisen im Sinne einer Erhöhung gegenüber
den Preisen ab Fabrik einkalkuliert hätte. Auf Rechnung Dritter transportiert
nur, wer die Transportkosten als solche unmittelbar vom Dritten sich bezahlen
lässt, also in der Regel nur der gewerbsmässige Camionneur.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, der angefochtene Entscheid
aufgehoben und der Beschwerdeführer freigesprochen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 66 I 124
Datum : 01. Januar 1940
Publiziert : 05. Mai 1940
Quelle : Bundesgericht
Status : 66 I 124
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Kantonale Verkehrsverbote und -Beschränkungen (Art. 3 Abs. 1 und 2 MFG): Deren Gültigkeit kann nur...


BGE Register
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