S. 406 / Nr. 71 Erbrecht (d)

BGE 64 II 406

71. Urteil der II. Zivilabteilung vom 20. Dezember 1938 i. S. Liebermann gegen
Liebermann und Locher.

Regeste:
Vormundschaftsrecht. Vertretungsbefugnis des Vormundes. Die
zustimmungsbedürftigen Rechtsgeschäfte sind in Art. 421
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 421 - Das Amt des Beistands oder der Beiständin endet von Gesetzes wegen:
1  mit Ablauf einer von der Erwachsenenschutzbehörde festgelegten Amtsdauer, sofern keine Bestätigung im Amt erfolgt;
2  mit dem Ende der Beistandschaft;
3  mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses als Berufsbeistand oder Berufsbeiständin;
4  im Zeitpunkt, in dem der Beistand oder die Beiständin verbeiständet oder urteilsunfähig wird oder stirbt.
und 422
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 422 - 1 Der Beistand oder die Beiständin hat frühestens nach vier Jahren Amtsdauer Anspruch auf Entlassung.
1    Der Beistand oder die Beiständin hat frühestens nach vier Jahren Amtsdauer Anspruch auf Entlassung.
2    Vorher kann der Beistand oder die Beiständin die Entlassung aus wichtigen Gründen verlangen.
ZGB
abschliessend aufgezählt. Zu diesen gehört die Anerkennung eines die Erbrechte
des Mündels beeinflussenden Testamentes durch den Vormund nur unter bestimmten
Voraussetzungen.
Erbrecht. ZGB Art. 505. Die Unrichtigkeit einer Angabe in der Datierung der
eigenhändigen letztwilligen Verfügung hat (abgesehen von den übrigen
Voraussetzungen) die

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Ungültigkeit der Verfügung nur zur Folge, wenn sie den gesetzlich notwendigen
Inhalt der Datierung berührt;
- für die Angabe des Ortes der Testamentsniederschrift genügt die Bezeichnung
der politischen Gemeinde;
- die unrichtige Quartierangabe schadet der Gültigkeit des Testamentes selbst
dann nicht, wenn sie die einzige Ortsangabe darstellt, in sich aber den
Hinweis auf den richtigen Ort im Sinne der politischen Gemeinde enthält.

A. - Frau Witwe Martha Liebermann-Jucker, die sich im Krankenhaus Neumünster
in Zollikerberg, einem Quartier der Gemeinde Zollikon, aufhielt, verbrachte am
3. Dezember 1936 einige Stunden bei ihrer im Dorf Zollikon wohnenden Schwester
Frau Ottilie Locher und errichtete dort eine eigenhändige letztwillige
Verfügung. In dieser beschränkte sie ihren unter Vormundschaft stehenden Sohn
Emil Otto Liebermann zugunsten seines Bruders Ernst Liebermann auf den
Pflichtteil und ordnete an, dass er bestimmte Vorbezüge auszugleichen habe,
setzte ihrer Schwester Frau Locher ein Vermächtnis aus und ernannte einen
Willensvollstrecker. Dieses Testament datierte sie mit: Zollikerberg, den 3.
Dezember 1936. Am 18. Januar 1937 starb sie.
Am 6. November 1937 fand im Beisein eines Mitgliedes der Zürcher
Vormundschaftsbehörde eine Besprechung zwischen dem Willensvollstrecker, dem
Erben Ernst Liebermann und dem Vormund des Erben Emil Liebermann statt, wobei
über verschiedene Punkte eine Einigung erzielt wurde. U. a. erklärte der
Vormund des Emil Liebermann, er anerkenne die Gültigkeit des Testamentes und
verzichte auf Anfechtung desselben. Bezüglich der auszugleichenden Vorbezüge
dieses Erben wurde festgestellt, es käme höchstens ein Betrag von Fr. 20700.-
in Frage, wovon Fr. 16000.- durch Belege ausgewiesen werden könnten; um einen
Prozess zu vermeiden, werde aber nur ein Vorbezug von Fr. 12000.- in Rechnung
gesetzt.
B. - Nachträglich klagte der Vormund des Emil Liebermann im Namen seines
Mündels und mit Vollmacht

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der Vormundschaftsbehörde auf Nichtigerklärung des Testamentes. Er hält sich
nicht an den Verzicht auf Anfechtung desselben gebunden, weil hiefür die
Zustimmung der Vormundschaftsbehörde fehle. Die Nichtigkeit des Testamentes
leitet er daraus ab, dass als Ort der Errichtung das Dorfquartier Zollikerberg
angegeben, die Urkunde in Wirklichkeit aber in einem andern Dorfteil von
Zollikon niedergeschrieben worden sei.
Das Bezirksgericht Zürich hat die Klage gutgeheissen, das Obergericht des
Kantons Zürich sie hingegen mit Urteil vom 7. Oktober 1938 abgewiesen. Es
betrachtet die Verzichtserklärung des Vormundes nicht als
zustimmungsbedürftige Rechtshandlung und lehnt zudem den Einwand der
Nichtigkeit des Testamentes als sachlich unbegründet ab. Gegen dieses Urteil
hat der Anfechtungskläger die Berufung an das Bundesgericht ergriffen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Art. 421
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 421 - Das Amt des Beistands oder der Beiständin endet von Gesetzes wegen:
1  mit Ablauf einer von der Erwachsenenschutzbehörde festgelegten Amtsdauer, sofern keine Bestätigung im Amt erfolgt;
2  mit dem Ende der Beistandschaft;
3  mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses als Berufsbeistand oder Berufsbeiständin;
4  im Zeitpunkt, in dem der Beistand oder die Beiständin verbeiständet oder urteilsunfähig wird oder stirbt.
und 422
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 422 - 1 Der Beistand oder die Beiständin hat frühestens nach vier Jahren Amtsdauer Anspruch auf Entlassung.
1    Der Beistand oder die Beiständin hat frühestens nach vier Jahren Amtsdauer Anspruch auf Entlassung.
2    Vorher kann der Beistand oder die Beiständin die Entlassung aus wichtigen Gründen verlangen.
ZGB enthalten eine abschliessende Aufzählung der
Rechtsgeschäfte des Mündels, die zu ihrer Gültigkeit der Zustimmung der
vormundschaftlichen Behörden bedürfen. Die für den Geschäftsverkehr
unerlässliche Rechtssicherheit schliesst es aus, diese, die allgemeine
Vertretungsbefugnis des Vormundes einschränkenden Vorschriften auf dem Wege
der Analogie auf Fälle auszudehnen, die von gleicher wirtschaftlicher
Tragweite wie die in der Aufzählung enthaltenen oder ihnen sonstwie ähnlich
sind. Daher kann die Anerkennung eines die Erbrechte des Mündels
beeinträchtigenden Testamentes durch den Vormund entgegen der Auffassung des
Klägers der Zustimmungspflicht nicht allein deshalb schon unterstellt werden,
weil sie für das Mündel ebenso einschneidende Wirkungen haben könnte wie der
Verkauf, Kauf oder die Verpfändung von Vermögenswerten im Sinne von Ziff. 2
von Art. 421, der Erbteilungsvertrag gemäss Ziff. 9 und die Annahme oder
Ausschlagung einer Erbschaft gemäss Art. 422 Ziff. 5. Notwendig ist vielmehr,
dass der Verzicht

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auf die Anfechtung des Testamentes in Anbetracht der Umstände, unter denen er
erklärt wird, eindeutig die Merkmale eines der in den Art. 421 und 422
aufgezählten Rechtsgeschäfte erfülle. Im vorliegenden Falle könnte er ein
Zugeständnis im Rahmen eines Vergleichsabschlusses darstellen. Doch abgesehen
davon, dass Ziff. 8 von Art. 421 sich nur auf den gerichtlichen Vergleich
beziehen will, fehlen nach den Feststellungen der kantonalen Richter auch
genügende Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Parteien beim Abschluss der
Vereinbarung vom 6. November 1937 ernstlich mit der Anfechtbarkeit des
Testamentes gerechnet und einen Verzicht des Klägers auf die Anfechtungsklage
als geeignetes Mittel zum Eintausch von Zugeständnissen der andern Erben
betrachtet haben. Ebensogut kann die Anerkennung des Testamentes unter den
gegebenen Umständen, wie die Vorinstanz richtig ausführt, bedingungslos und
lediglich zur formellen Festlegung der Grundlage für die Erbteilung erklärt
worden sein. Daher kann die Abmachung an sich auch nicht als
Erbteilungsvertrag im Sinne des Art. 421 Ziff. 9 in Betracht kommen. Die
Erklärung des Vormundes ist somit verbindlich; sie ist aber auch sachlich
gerechtfertigt.
2.- Eine der Formvorschrift des Art. 505
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 505 - 1 Die eigenhändige letztwillige Verfügung ist vom Erblasser von Anfang bis zu Ende mit Einschluss der Angabe von Jahr, Monat und Tag der Errichtung von Hand niederzuschreiben sowie mit seiner Unterschrift zu versehen.512
1    Die eigenhändige letztwillige Verfügung ist vom Erblasser von Anfang bis zu Ende mit Einschluss der Angabe von Jahr, Monat und Tag der Errichtung von Hand niederzuschreiben sowie mit seiner Unterschrift zu versehen.512
2    Die Kantone haben dafür zu sorgen, dass solche Verfügungen offen oder verschlossen einer Amtsstelle zur Aufbewahrung übergeben werden können.
ZGB äusserlich genügende, aber
unrichtige Datierung des Testamentes hat, abgesehen von dem Falle, in welchem
sich der Mangel durch den Inhalt der Urkunde beheben lässt, gemäss der
Rechtsprechung des Bundesgerichtes die Ungültigkeit der Verfügung zur Folge
(BGE 50 II 7; 54 II 358; 57 II 153). Dies gilt jedoch nur, wenn die
Unstimmigkeit in einer der vom Gesetz verlangten Mindestangaben über den Ort
und die Zeit der Niederschrift des Testamentes liegt. Diese
Mindestanforderungen stellt das Gesetz nur hinsichtlich des Zeitpunktes der
Testamentserrichtung ausdrücklich fest, indem es die Nennung des Jahres,
Monates und Tages verlangt, während es die Frage offen lässt, mit welcher
Genauigkeit der Ort der Niederschrift der Urkunde zu bezeichnen sei. Die

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Anforderungen hiefür richten sich nach dem Zweck der Ortsangabe. Das Gesetz
verlangt diese, weil sie die Zeitangabe, der im Hinblick auf ZGB Art. 467
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 467 - Wer urteilsfähig ist und das 18. Altersjahr zurückgelegt hat, ist befugt, unter Beobachtung der gesetzlichen Schranken und Formen über sein Vermögen letztwillig zu verfügen.
und
511 die überwiegende Bedeutung zukommt, vervollständigt, Anhaltspunkte für die
Ermittlung der Echtheit der Urkunde zu bieten vermag und für die örtliche
Rechtsanwendung von Bedeutung sein kann. Die Frage, welches die am weitesten
gefasste Ortsbezeichnung ist, die diesen Anforderungen noch genügt, ob z. B.
die Angabe einer Landesgegend oder einer Reisestrecke hinreichend wäre, ist
hier nicht zu entscheiden, sondern jene, welchen engsten geographischen Raum
das Gesetz unter dem Begriff des Ortes höchstens verstanden haben will. Nach
dem Zweckgedanken ist dies der Ort im Sinne der politischen Gemeinde. Nähere
Ortsbezeichnungen innerhalb der Gemeinde, wie z. B. des Quartiers, der
Strasse, Hausnummer usw., sind vom Standpunkt des Gesetzes aus überflüssig.
Sind sie unrichtig, so kann dies die Formgültigkeit des Testamentes sowenig
beeinflussen, wie es der Fall wäre bei einer über die gesetzlichen
Anforderungen hinausgehenden Angabe der Tageszeit der Testamentserrichtung.
Die Ortsangabe «Zollikerberg» auf dem streitigen Testament ist unrichtig. Sie
enthält in sich aber den Hinweis auf die Gemeinde Zollikon, zu der das
Quartier des Zollikerberges gehört, und da diese Ortsbezeichnung richtig ist,
genügt die Datierung des Testamentes den gesetzlichen Anforderungen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichtes des Kantons
Zürich vom 7. Oktober 1938 bestätigt.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 64 II 406
Datum : 01. Januar 1937
Publiziert : 20. Dezember 1938
Quelle : Bundesgericht
Status : 64 II 406
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Vormundschaftsrecht. Vertretungsbefugnis des Vormundes. Die zustimmungsbedürftigen Rechtsgeschäfte...


Gesetzesregister
ZGB: 421 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 421 - Das Amt des Beistands oder der Beiständin endet von Gesetzes wegen:
1  mit Ablauf einer von der Erwachsenenschutzbehörde festgelegten Amtsdauer, sofern keine Bestätigung im Amt erfolgt;
2  mit dem Ende der Beistandschaft;
3  mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses als Berufsbeistand oder Berufsbeiständin;
4  im Zeitpunkt, in dem der Beistand oder die Beiständin verbeiständet oder urteilsunfähig wird oder stirbt.
422 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 422 - 1 Der Beistand oder die Beiständin hat frühestens nach vier Jahren Amtsdauer Anspruch auf Entlassung.
1    Der Beistand oder die Beiständin hat frühestens nach vier Jahren Amtsdauer Anspruch auf Entlassung.
2    Vorher kann der Beistand oder die Beiständin die Entlassung aus wichtigen Gründen verlangen.
467 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 467 - Wer urteilsfähig ist und das 18. Altersjahr zurückgelegt hat, ist befugt, unter Beobachtung der gesetzlichen Schranken und Formen über sein Vermögen letztwillig zu verfügen.
505
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 505 - 1 Die eigenhändige letztwillige Verfügung ist vom Erblasser von Anfang bis zu Ende mit Einschluss der Angabe von Jahr, Monat und Tag der Errichtung von Hand niederzuschreiben sowie mit seiner Unterschrift zu versehen.512
1    Die eigenhändige letztwillige Verfügung ist vom Erblasser von Anfang bis zu Ende mit Einschluss der Angabe von Jahr, Monat und Tag der Errichtung von Hand niederzuschreiben sowie mit seiner Unterschrift zu versehen.512
2    Die Kantone haben dafür zu sorgen, dass solche Verfügungen offen oder verschlossen einer Amtsstelle zur Aufbewahrung übergeben werden können.
BGE Register
50-II-6 • 54-II-357 • 57-II-150 • 64-II-406
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
testament • vormund • bundesgericht • erbrecht • erbe • nichtigkeit • richtigkeit • weiler • politische gemeinde • gemeinde • frage • wille • entscheid • berechnung • geschwister • wirkung • anfechtungsklage • bewilligung oder genehmigung • form und inhalt • voraussetzung
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