S. 355 / Nr. 59 Obligationenrecht (d)

BGE 64 II 355

59. Urteil der I. Zivilabteilung vom 4. Oktober 1938 i. S. Widmer gegen
Zürcher Kantonalbank.


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Regeste:
Legitimationsprüfung bei Sparheft.
Hinterlegungsvertrag (offenes Bankdepot),Art. 472 ff
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 472 - 1 Durch den Hinterlegungsvertrag verpflichtet sich der Aufbewahrer dem Hinterleger, eine bewegliche Sache, die dieser ihm anvertraut, zu übernehmen und sie an einem sicheren Orte aufzubewahren.
1    Durch den Hinterlegungsvertrag verpflichtet sich der Aufbewahrer dem Hinterleger, eine bewegliche Sache, die dieser ihm anvertraut, zu übernehmen und sie an einem sicheren Orte aufzubewahren.
2    Eine Vergütung kann er nur dann fordern, wenn sie ausdrücklich bedungen worden ist oder nach den Umständen zu erwarten war.
. OR.
Inwieweit sind vorgedruckte Reglementsbestimmungen Vertragsinhalt?
Legitimationsprüfung bei Vollmacht zum vorübergehenden Rückzug des Depots.

A. - Am 24. April 1934 legte der Kläger bei der Beklagten das Sparheft Nr.
952432 mit einer Einlage von Fr. 7000.- an. Am 27. April des gleichen Jahres
gab er ihr das Sparheft in offenes Depot.
In der Zeit vom 29. Dezember 1934 zum 28. Februar 1936 hob die langjährige
Haushälterin des Klägers, Marie Z., unter 5 Malen insgesamt Fr. 4100.- vom
Sparheft des Klägers ab. Sie wies dabei jeweils Vollmachten des Klägers vor,
von denen anzunehmen ist, dass sie von ihr gefälscht worden waren.
B. - In der Folge belangte der Kläger die Beklagte auf Ersetzung der Fr.
4100.- (nebst Zins zu 5% seit 28. Februar 1936), die nach seinem Dafürhalten
von der Bank ohne Berechtigung ausbezahlt worden sind. Das Bezirksgericht
Bülach und das Obergericht Zürich haben die Klage indessen abgewiesen.
Gegen den oberinstanzlichen Entscheid vom 3. Juni 1938 hat der Kläger die
Berufung erklärt mit dem Antrag, es sei in deren Gutheissung das angefochtene
Urteil aufzuheben und die Klage im vollen Umfange gutzuheissen, eventuell sei
die Klage wenigstens im Betrage von Fr. 800.- nebst Zins zu 5% zu schützen.
Die Beklagte hat Abweisung der Berufung und Bestätigung des obergerichtlichen
Urteils beantragt.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Dadurch, dass der Kläger der beklagten Bank das Sparheft zum Depot
anvertraute, schloss er mit ihr

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einen Hinterlegungsvertrag ab (Art. 472 ff
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 472 - 1 Durch den Hinterlegungsvertrag verpflichtet sich der Aufbewahrer dem Hinterleger, eine bewegliche Sache, die dieser ihm anvertraut, zu übernehmen und sie an einem sicheren Orte aufzubewahren.
1    Durch den Hinterlegungsvertrag verpflichtet sich der Aufbewahrer dem Hinterleger, eine bewegliche Sache, die dieser ihm anvertraut, zu übernehmen und sie an einem sicheren Orte aufzubewahren.
2    Eine Vergütung kann er nur dann fordern, wenn sie ausdrücklich bedungen worden ist oder nach den Umständen zu erwarten war.
. OR). Demzufolge übernahm die Bank
gegenüber dem Hinterleger die Verpflichtung zur sichern Aufbewahrung.
Hinsichtlich der Rückgabe bestimmt Art. 475 Abs. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 475 - 1 Der Hinterleger kann die hinterlegte Sache nebst allfälligem Zuwachs jederzeit zurückfordern, selbst wenn für die Aufbewahrung eine bestimmte Dauer vereinbart wurde.
1    Der Hinterleger kann die hinterlegte Sache nebst allfälligem Zuwachs jederzeit zurückfordern, selbst wenn für die Aufbewahrung eine bestimmte Dauer vereinbart wurde.
2    Jedoch hat er dem Aufbewahrer den Aufwand zu ersetzen, den dieser mit Rücksicht auf die vereinbarte Zeit gemacht hat.
OR, der Hinterleger könne
die hinterlegte Sache jederzeit zurückfordern. In welcher Weise sich der
Hinterleger oder ein als sein Vollmachtträger Auftretender dabei auszuweisen
habe, wird im Gesetz nicht gesagt. Es gelten daher nach dieser Richtung hin
die allgemeinen obligationenrechtlichen Grundsätze, wobei es, unter Vorbehalt
zwingender gesetzlicher Bestimmungen, in erster Linie Sache der Parteien ist,
darüber Vereinbarungen zu treffen.
Nun wird in der vom Kläger unterzeichneten Depotanmeldung ausdrücklich gesagt,
für das Vertragsverhältnis sei das Reglement (scil. der Beklagten) über die
Aufbewahrung von Wertsachen massgebend. In gleicher Weise wird auch in dem dem
Kläger ausgehändigten Depotschein ausdrücklich gesagt, die Verwahrung erfolge
auf Grund der Bestimmungen des Reglementes über die Aufbewahrung von
Wertsachen. Dessen § 6, der ausserdem auch noch auf der Rückseite des
Depotscheins wiedergegeben ist, bestimmt, die Auslieferung eines Depositums
habe gegen die Rückgabe des quittierten Depotscheins zu geschehen; dann wird
in Fettdruck beigefügt: «Die Bank prüft bestmöglich, jedoch ohne ihre
Verantwortlichkeit, die Echtheit der Quittung durch Vergleichung der
Unterschrift mit derjenigen des Anmeldescheins. Eine weitere Verpflichtung,
die Legitimation des Vorweisers des Depotscheins zu prüfen, übernimmt die Bank
nicht.»
2. Der Kläger bestreitet in erster Linie, dass die auf der Rückseite des
Depotscheins wiedergegebenen Reglementsbestimmungen überhaupt zum Inhalt des
von ihm mit der Beklagten abgeschlossenen Hinterlegungsvertrages erhoben
worden seien. Zur Begründung macht er insbesondere geltend, die Beamten der
Beklagten hätten es unterlassen, ihn speziell auf diese Reglementsbestimmung
und ihre Tragweite aufmerksam zu machen. Diese Argumentation geht indessen
fehl.

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Dadurch, dass der Kläger die Depotanmeldung mit ihrem Hinweis auf das
Reglement der Beklagten über die Aufbewahrung von Wertsachen unterzeichnete
und ferner den Depotschein, der einen ähnlichen Hinweis und überdies auf
seiner Rückseite auch noch einen Reglementsauszug enthielt, widerspruchslos
entgegennahm, anerkannte er jedenfalls die in jenem Auszug wiedergegebenen
Bestimmungen des Reglements als Vertragsinhalt. Denn wer ein Schriftstück
unterschreibt und damit einem andern eine Erklärung abgeben will, ohne sich um
dessen Inhalt zu kümmern, muss dieses gegen sich gelten lassen, sofern nicht
dem Empfänger bekannt war oder nach der Erfahrung des Lebens vernünftigerweise
bekannt sein musste, dass der Erklärungsinhalt nicht gewollt sei (vgl. BGE 32
II 286
; 41 II 455; 45 I 46 und 54 I 74 f.). Dies muss jedenfalls dann gelten,
wenn die entscheidenden Bestimmungen vollumfänglich im unterzeichneten
Schriftstück enthalten sind, wie dies hier der Fall ist. Zum mindestens hätte
der Kläger dann beim Erhalt des Depotscheins, der auf der Rückseite einen
Reglementsauszug enthält, Widerspruch erheben müssen, wenn er dessen Inhalt
hätte ablehnen wollen. Auf Nichtbeachtung des Auszuges könnte er sich auch
hier nicht berufen, weil er durch sein Verhalten in der Gegenpartei das
Vertrauen erweckt hatte, dass er sich im Sinne des Reglements zu binden bereit
sei. Eine Berufung auf Irrtum kann deshalb nicht gehört werden. Im übrigen war
es auch nicht etwa Aufgabe der Beamten der Bank, den Kläger von seiner
Pflicht, die ihm unterbreiteten und von ihm hingenommenen Vertragsgrundlagen
einer nähern Prüfung zu unterziehen, durch Erteilung mündlicher Auskunft zu
entbinden.
Der Einwand des Klägers, der Inhalt des Bankreglements sei nicht zum
Vertragsinhalt erhoben worden, geht daher fehl.
3. Nach § 6 Abs. 1 des Bankreglements hat die Bank bestmöglich, jedoch ohne
ihre Verantwortlichkeit, die Echtheit der Quittung auf dem Depositenschein
durch

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Vergleichung der Unterschrift mit derjenigen des Anmeldescheins zu prüfen. Es
ist ohne weiteres zuzugeben, dass hier jedenfalls expressis verbis nur vom
Fall die Rede ist, in dem der Hinterleger das von ihm gemachte Depot aufheben
will. Allein es liegt auf der Hand, dass damit implicite auch der Fall
getroffen werden wollte, in dem der Hinterleger einen Dritten beauftragt,
vorübergehend, also ohne Quittierung und Rückgabe des Depotscheins, vom
hinterlegten Gegenstand in der Bank selbst einen Gebrauch zu machen. Dafür,
dass die Parteien etwa einen solchen Fall überhaupt als unzulässig hätten
erachten wollen, liegt nicht das geringste vor. Ein solches Verbot würde denn
auch den Gepflogenheiten des Bankverkehrs widersprechen und offene Depots von
Sparheften weitgehend zur Bedeutungslosigkeit verurteilen. Für diesen Fall
vorübergehenden Gebrauchs eines im offenen Depot hinterlegten Sparheftes nicht
durch den Hinterleger selbst, sondern durch einen von ihm Beauftragten, muss
daher mutatis mutandis die Regel gelten, die in Bezug auf die endgültige
Aufhebung des offenen Depots durch die Parteien vereinbart worden ist, d. h.
an die Stelle der Prüfung der Unterschrift auf dem quittierten Depotschein
tritt eben, nach den gleichen Regeln, die Prüfung der Unterschrift auf der
Vollmacht, sofern nur der Vollmachtträger auch den Depotschein vorzuweisen
vermag. Jede andere Auslegung würde gegen Treu und Glauben verstossen.
Die Bank durfte mithin das Depot der mit einer Vollmacht und dem Depotschein
auftretenden Z. aushändigen, sofern ihr dabei nur nicht etwa in Bezug auf die
Kontrolle der Echtheit der Unterschrift in der Vollmacht grobe Fahrlässigkeit
zur Last fiel (Art. 100 Abs. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 100 - 1 Eine zum voraus getroffene Verabredung, wonach die Haftung für rechtswidrige Absicht oder grobe Fahrlässigkeit ausgeschlossen sein würde, ist nichtig.
1    Eine zum voraus getroffene Verabredung, wonach die Haftung für rechtswidrige Absicht oder grobe Fahrlässigkeit ausgeschlossen sein würde, ist nichtig.
2    Auch ein zum voraus erklärter Verzicht auf Haftung für leichtes Verschulden kann nach Ermessen des Richters als nichtig betrachtet werden, wenn der Verzichtende zur Zeit seiner Erklärung im Dienst des anderen Teiles stand, oder wenn die Verantwortlichkeit aus dem Betriebe eines obrigkeitlich konzessionierten Gewerbes folgt.
3    Vorbehalten bleiben die besonderen Vorschriften über den Versicherungsvertrag.
OR). Von grober Fahrlässigkeit der Bank kann
indessen keine Rede sein. Nach den das Bundesgericht bindenden Feststellungen
der Vorinstanz bestehen, von einem einzigen Fall abgesehen, zwischen den
gefälschten und der echten Unterschrift grosse Ähnlichkeiten. Lediglich die
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Unterschrift (Vollmacht vom 15. November 1935) weicht von den übrigen ab und
wurde denn auch von den Organen der Bank zunächst angezweifelt. Wenn diese
indessen den Aussagen der Z., ihr angeblicher Mann (der Kläger) liege krank im
Bett und sie habe ihm die Hand führen müssen, Glauben schenkte, so kann dabei
von einer groben Fahrlässigkeit der Bank nicht die Rede sein, zumal ja die
gleiche Person schon Monate zuvor zu wiederholten Malen auf Grund einer
analogen Vollmacht eine vorübergehende Herausgabe des Sparheftes erlangt
hatte...
4. War die Z. aber einmal im Besitz des deponierten Sparheftes, so durfte die
Bank ihr dann auf Grund der §§ 12 und 13 des auf der innern Umschlagseite
abgedruckten Sparkassereglements ohne weiteres gegen Vorlegung des Heftes
Auszahlungen machen; denn nach diesen Reglementsbestimmungen war die Bank
berechtigt, aber nicht verpflichtet, den rechtmässigen Besitz und die Befugnis
des Vorweisers zur Empfangnahme der Zahlung zu prüfen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichtes des Kantons
Zürich vom 3. Juni 1938 wird bestätigt.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 64 II 355
Datum : 01. Januar 1937
Publiziert : 04. Oktober 1938
Quelle : Bundesgericht
Status : 64 II 355
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Legitimationsprüfung bei Sparheft.Hinterlegungsvertrag (offenes Bankdepot),Art. 472 ff...


Gesetzesregister
OR: 100 
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 100 - 1 Eine zum voraus getroffene Verabredung, wonach die Haftung für rechtswidrige Absicht oder grobe Fahrlässigkeit ausgeschlossen sein würde, ist nichtig.
1    Eine zum voraus getroffene Verabredung, wonach die Haftung für rechtswidrige Absicht oder grobe Fahrlässigkeit ausgeschlossen sein würde, ist nichtig.
2    Auch ein zum voraus erklärter Verzicht auf Haftung für leichtes Verschulden kann nach Ermessen des Richters als nichtig betrachtet werden, wenn der Verzichtende zur Zeit seiner Erklärung im Dienst des anderen Teiles stand, oder wenn die Verantwortlichkeit aus dem Betriebe eines obrigkeitlich konzessionierten Gewerbes folgt.
3    Vorbehalten bleiben die besonderen Vorschriften über den Versicherungsvertrag.
472 
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 472 - 1 Durch den Hinterlegungsvertrag verpflichtet sich der Aufbewahrer dem Hinterleger, eine bewegliche Sache, die dieser ihm anvertraut, zu übernehmen und sie an einem sicheren Orte aufzubewahren.
1    Durch den Hinterlegungsvertrag verpflichtet sich der Aufbewahrer dem Hinterleger, eine bewegliche Sache, die dieser ihm anvertraut, zu übernehmen und sie an einem sicheren Orte aufzubewahren.
2    Eine Vergütung kann er nur dann fordern, wenn sie ausdrücklich bedungen worden ist oder nach den Umständen zu erwarten war.
475
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 475 - 1 Der Hinterleger kann die hinterlegte Sache nebst allfälligem Zuwachs jederzeit zurückfordern, selbst wenn für die Aufbewahrung eine bestimmte Dauer vereinbart wurde.
1    Der Hinterleger kann die hinterlegte Sache nebst allfälligem Zuwachs jederzeit zurückfordern, selbst wenn für die Aufbewahrung eine bestimmte Dauer vereinbart wurde.
2    Jedoch hat er dem Aufbewahrer den Aufwand zu ersetzen, den dieser mit Rücksicht auf die vereinbarte Zeit gemacht hat.
BGE Register
32-II-281 • 41-II-446 • 45-I-43 • 54-I-71 • 64-II-355
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
begründung des entscheids • beklagter • berechtigter • bundesgericht • echtheit • entscheid • ersetzung • grobe fahrlässigkeit • hinterlegungsvertrag • irrtum • kantonalbank • legitimation • maler • mann • monat • rückerstattung • sachlicher geltungsbereich • sicherstellung • sparheft • stelle • treffen • treu und glauben • umfang • unterschrift • verhalten • vertrag • vertragsinhalt • verurteilung • vorinstanz • vorlegung • weiler • wertsache • wiese • wille • zins