S. 69 / Nr. 17 Doppelbesteuerung (d)

BGE 63 I 69

17. Urteil vom 30. April 1937 i. S. Ruf gegen Zürich und Solothurn.

Regeste:
Verlegung der Passivzinsen bei der interkantonalen Steuerausscheidung
(Änderung der Praxis gegenüber BGE 59 I S. 69 ff.)

Jakob Ruf wohnt in Solothurn, wo er den städtischen Gas- und
Elektrizitätswerken als Direktor vorsteht. In Zürich gehört ihm ein Miethaus.
Bei der Einschätzung für 1936 betrachtete die solothurnische Steuerkommission
seine Jahresbesoldung von Fr. 12000.- im ganzen Umfang als in Solothurn
steuerpflichtig. Die zürcherische Taxationsbehörde stellte für das gleiche
Jahr fest, dass die dortige

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Liegenschaft einen Steuerwert von Fr. 110000.- aufweise und einen
Bruttomietertrag von Fr. 8500.- abwerfe. Sie rechnete für die Vermögenssteuer
von den Fr. 110000.- die auf der Liegenschaft haftende Hypothekarschuld von
Fr. 92000.- ab, was ein in Zürich steuerpflichtiges Reinvermögen von Fr.
18000.- ergab. Für die Einkommenstaxation kürzte sie die Fr. 8500.- Mietertrag
zunächst um Fr. 2200.- Gebäudeunterhalt, so dass ein herabgesetzter Rohertrag
von Fr. 6300.- blieb. Dagegen weigerte sie sich, die Fr. 3889.-, die der
Pflichtige für die Hypothekarschuld an Zinsen zu zahlen hatte, unbeschränkt zu
berücksichtigen. Sie verlegte diesen Betrag auf die beiden Kantone im
Verhältnis des reduzierten Bruttomietertrages von Fr. 6300.- zum
solothurnischen Erwerbseinkommen von Fr. 12000.- und gewährte demgemäss den
Abzug nur für Fr. 1338.-. Die zürcherische Einkommensschätzung belief sich so
auf Fr. 4962.-. Auf Anfrage des Pflichtigen lehnte es die solothurnische
Steuerkommission ab, die verbleibenden Fr. 2551.- Passivzinsen in ihrer
Taxation zu berücksichtigen .
Mit der vorliegenden staatsrechtlichen Beschwerde rügt der Pflichtige, dass
ihm durch das Vorgehen der kantonalen Behörden der volle Abzug seiner in
Zürich bezahlten Hypothekarzinsen vom steuerpflichtigen Einkommen unmöglich
gemacht werde; das bedeute eine Verletzung von Art. 46 Abs. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 46 Umsetzung des Bundesrechts - 1 Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
1    Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
2    Bund und Kantone können miteinander vereinbaren, dass die Kantone bei der Umsetzung von Bundesrecht bestimmte Ziele erreichen und zu diesem Zweck Programme ausführen, die der Bund finanziell unterstützt.10
3    Der Bund belässt den Kantonen möglichst grosse Gestaltungsfreiheit und trägt den kantonalen Besonderheiten Rechnung.11
BV. Er
beantragt, die Zinsen seien unbeschränkt dem Kanton Zürich zu belasten.
Der Kanton Solothurn unterstützt den Beschwerdeantrag. Der Kanton Zürich
beruft sich zur Rechtfertigung seines Vorgehens auf den BGE i. S. Rohn, Bd. 59
I S. 69 ff., gibt jedoch grundsätzliche Bedenken gegen diese Lösung zu
erkennen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Beim System der allgemeinen Reineinkommenssteuer, wie es sowohl in Solothurn
als in Zürich gilt, wird das Einkommen des Pflichtigen als Einheit, als
Ergebnis aus der

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Gegenüberstellung der Gesamteinnahmen und der Gesamtausgaben besteuert, ohne
dass auf die «Quelle» der verschiedenen Einkommensbestandteile grundsätzlich
etwas ankäme. Dieser Gedanke lässt sich aber bei der interkantonalen (wie auch
bei der interkommunalen) Abgrenzung der Steuerhoheiten nicht streng
durchführen. Hier muss selbst im Geltungsbereich der allgemeinen
Reineinkommenssteuer der besonderen Verbundenheit gewisser Einnahmen und
Ausgaben Rechnung getragen werden, soll sich die Ausscheidung nicht allzusehr
von der natürlichen Betrachtungsweise entfernen. So ist die interkantonale
Doppelbesteuerungspraxis stets unangefochten davon ausgegangen, dass der
Kanton, in dem der Pflichtige ein Spezialsteuerdomizil der geschäftlichen
Niederlassung besitzt, von den Geschäftseinnahmen die Geschäftsunkosten
abzuziehen hat, und dass sich der Kanton mit Liegenschaftenbesitz des
Pflichtigen den Abzug des Liegenschaftenunterhalts gefallen lassen muss.
Demnach ist für die Frage, wie bei der Begrenzung der Steuerhoheit eines
Kantons mit allgemeiner Reineinkommenssteuer die Passivzinsen des Pflichtigen
zu behandeln sind, entscheidend darauf abzustellen, ob diese ähnlich wie die
Geschäftsunkosten und der Liegenschaftenunterhalt in einer engern Beziehung zu
bestimmten Einnahmen stehen. Die frühere Praxis des Bundesgerichts hielt diese
Voraussetzung insofern als gegeben, als sie die Passivzinsen nicht auf die
gesamten Einnahmen, sondern nach Massgabe der unter den Kantonen vorgenommenen
Schuldenverlegung verteilte (BGE 39 I S. 350, sowie besonders die nicht
veröffentlichten Entscheide vom 8. Juni 1923 i. S. Moschard c. Solothurn und
vom 12. Februar 1932 i. S. Haller c. Zürich). Im Gegensatz hiezu wurde im BGE
vom 19. Mai 1933 i. S. Rohn c. Genf und Zürich (Bd. 59 I S. 69 ff.) erkannt,
die Passivzinsen seien bei der interkantonalen Ausscheidung nach dem
Verhältnis sämtlicher Einkommensbestandteile, einschliesslich des
Erwerbseinkommens, auf die beteiligten Kantone zu verlegen. Der Entscheid
stützte sich

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hauptsächlich auf die Überlegung, dass bei den heutigen Kreditverhältnissen
die Schulden nicht mehr in einem notwendigen innern Zusammenhang mit dem
Vermögen stünden, da sie häufig nicht nur auf Grund der Aktiven, sondern auch
mit Rücksicht auf den Erwerb und die gesamten Einkommensverhältnisse des
Schuldners gemacht würden. Eine erneute Prüfung der Frage lässt es aber als
angezeigt erscheinen, trotz der Bedeutung, die das ganze Einkommen eines
Pflichtigen für seinen Kredit unzweifelhaft haben kann, bei der
Steuerausscheidung das Hauptgewicht auf den Fall zu legen, wo die Schulden im
Hinblick auf ein entsprechendes Vermögen aufgenommen und durch dessen Aktiven
sichergestellt werden und wo die Vermögenserträgnisse die sachliche Grundlage
für die Zahlung der Passivzinsen darstellen. Dieser Fall dürfte auch heute
noch -im Hypothekarwesen wie bei andern Darlehensgeschäften-die Regel bilden,
so dass dessen Berücksichtigung die grösste Gewähr für eine angemessene
Steuerausscheidung bietet. Das führt dazu, die Schuldenzinsen grundsätzlich
als besondere Belastung des Vermögensertrages zu behandeln. Erst wenn die
Passivzinsen im ganzen die Vermögenserträgnisse übersteigen, ist der
Überschuss auf das andere Einkommen zu verlegen. Diese Lösung befriedigt auch
da, wo ein Pflichtiger Schulden weniger gestützt auf sein Vermögen als auf
seinen Erwerb aufgenommen hat. Die Belastung des Erwerbseinkommens mit
Passivzinsen wird sich hier, gleich wie diejenige allfälliger sonstiger
Einnahmen, von selber ergeben, sobald der Ausgleich im Kapitaleinkommen
erfolgt ist. Sie wird auch dem Wohnkanton durchaus zugemutet werden können,
während die allgemeine Verlegung der Schuldzinsen auf sämtliche Einnahmen von
ihm oft als ungerechtfertigte Verkürzung seines Anspruchs auf Besteuerung des
Erwerbseinkommens empfunden wurde (vgl. hiezu die «Kritischen Betrachtungen»
im Zentralblatt für Staats- und Gemeindeverwaltung Bd. 35 S. 133 ff.). Die
Verteilung der Passivzinsen nach dem

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Entscheid Rohn war übrigens ohnehin nicht durchführbar bei der Ausscheidung
zwischen einem Kanton mit allgemeiner Reineinkommenssteuer und einem solchen
mit blosser Erwerbssteuer (vgl. den nicht veröffentlichten BGE vom 22. März
1934 i. S. Häusermann c. Thurgau und Zürich). Offen bleibt die Frage, wie die
Passivzinsen innerhalb des Kapitaleinkommens zu verlegen sind, wenn der
Pflichtige dafür der Steuerhoheit mehr als eines Kantons untersteht. Für
diesen Fall soll aus praktischen Gründen neben der Verteilung nach den
verschiedenen Vermögenserträgnissen die Möglichkeit einer Verlegung im
Verhältnis der Aktiven und der proportional ausgeschiedenen Passiven im Sinne
der frühern Rechtsprechung vorbehalten bleiben.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gegenüber Zürich gutgeheissen und der Beschluss der
stadtzürcherischen Steuerkommission über die Einkommenstaxation des
Rekurrenten für 1936 aufgehoben; die betreffende Veranlagung ist im Sinne der
Erwägungen abzuändern. Gegenüber Solothurn wird die Beschwerde abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 63 I 69
Datum : 01. Januar 1936
Publiziert : 30. April 1937
Quelle : Bundesgericht
Status : 63 I 69
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Verlegung der Passivzinsen bei der interkantonalen Steuerausscheidung (Änderung der Praxis...


Gesetzesregister
BV: 46
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 46 Umsetzung des Bundesrechts - 1 Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
1    Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
2    Bund und Kantone können miteinander vereinbaren, dass die Kantone bei der Umsetzung von Bundesrecht bestimmte Ziele erreichen und zu diesem Zweck Programme ausführen, die der Bund finanziell unterstützt.10
3    Der Bund belässt den Kantonen möglichst grosse Gestaltungsfreiheit und trägt den kantonalen Besonderheiten Rechnung.11
BGE Register
39-I-343 • 59-I-69 • 63-I-69
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
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