S. 70 / Nr. 22 Familienrecht (d)

BGE 62 II 70

22. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 14. Mai 1936 i. S. Hefti
gegen Hefti und Waisenamt Diesbach.

Regeste:
Wenn eine Tatsache, die an sich einen Bevormundungsgrund nach Art. 370
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 370 - 1 Eine urteilsfähige Person kann in einer Patientenverfügung festlegen, welchen medizinischen Massnahmen sie im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht zustimmt.
1    Eine urteilsfähige Person kann in einer Patientenverfügung festlegen, welchen medizinischen Massnahmen sie im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht zustimmt.
2    Sie kann auch eine natürliche Person bezeichnen, die im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit mit der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt die medizinischen Massnahmen besprechen und in ihrem Namen entscheiden soll. Sie kann dieser Person Weisungen erteilen.
3    Sie kann für den Fall, dass die bezeichnete Person für die Aufgaben nicht geeignet ist, den Auftrag nicht annimmt oder ihn kündigt, Ersatzverfügungen treffen.
ZGB
bilden würde, ihrerseits auf eine geistige Erkrankung zurückgeht, so ist die
Entmündigung auf Grund von Art. 369
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 369 - 1 Wird die auftraggebende Person wieder urteilsfähig, so verliert der Vorsorgeauftrag seine Wirksamkeit von Gesetzes wegen.
1    Wird die auftraggebende Person wieder urteilsfähig, so verliert der Vorsorgeauftrag seine Wirksamkeit von Gesetzes wegen.
2    Werden dadurch die Interessen der auftraggebenden Person gefährdet, so ist die beauftragte Person verpflichtet, so lange für die Fortführung der ihr übertragenen Aufgaben zu sorgen, bis die auftraggebende Person ihre Interessen selber wahren kann.
3    Aus Geschäften, welche die beauftragte Person vornimmt, bevor sie vom Erlöschen ihres Auftrags erfährt, wird die auftraggebende Person verpflichtet, wie wenn der Auftrag noch bestehen würde.
auszusprechen.

A. ­ Das Waisenamt Diesbach (Glarus) stellte den M. A. Hefti in Anwendung von
Art. 369
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 369 - 1 Wird die auftraggebende Person wieder urteilsfähig, so verliert der Vorsorgeauftrag seine Wirksamkeit von Gesetzes wegen.
1    Wird die auftraggebende Person wieder urteilsfähig, so verliert der Vorsorgeauftrag seine Wirksamkeit von Gesetzes wegen.
2    Werden dadurch die Interessen der auftraggebenden Person gefährdet, so ist die beauftragte Person verpflichtet, so lange für die Fortführung der ihr übertragenen Aufgaben zu sorgen, bis die auftraggebende Person ihre Interessen selber wahren kann.
3    Aus Geschäften, welche die beauftragte Person vornimmt, bevor sie vom Erlöschen ihres Auftrags erfährt, wird die auftraggebende Person verpflichtet, wie wenn der Auftrag noch bestehen würde.
und 370
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 370 - 1 Eine urteilsfähige Person kann in einer Patientenverfügung festlegen, welchen medizinischen Massnahmen sie im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht zustimmt.
1    Eine urteilsfähige Person kann in einer Patientenverfügung festlegen, welchen medizinischen Massnahmen sie im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht zustimmt.
2    Sie kann auch eine natürliche Person bezeichnen, die im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit mit der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt die medizinischen Massnahmen besprechen und in ihrem Namen entscheiden soll. Sie kann dieser Person Weisungen erteilen.
3    Sie kann für den Fall, dass die bezeichnete Person für die Aufgaben nicht geeignet ist, den Auftrag nicht annimmt oder ihn kündigt, Ersatzverfügungen treffen.
ZGB unter Vormundschaft. Der Regierungsrat des Kantons Glarus
bestätigte die Verfügung im Ergebnis, aber ausschliesslich in Anwendung von
Art. 370. Er führt aus, H. sei geistig nicht normal; seine Willensschwäche,
die ihn zur richtigen Besorgung seiner Angelegenheiten unfähig mache, würde
den Bevormundungsgrund des Art. 369 darstellen. Trotzdem könne er nicht
gestützt auf diese Bestimmung entmündigt werden, da die vorgeschriebene
Begutachtung (Art. 374 Abs. 2) nicht stattgefunden habe. Die Folgen seiner
geistigen Abnormität, eben diese Unfähigkeit, die Misswirtschaft und das
unreife Verhalten seien jedoch

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derart, dass auch die Voraussetzungen des Art. 370 gegeben seien, sodass die
Einholung eines psychiatrischen Gutachtens unterbleiben und die Entmündigung
auf Grund von Art. 370 ausgesprochen werden könne.
B. ­ Mit der vorliegenden Beschwerde beantragt H. Aufhebung des
regierungsrätlichen Entscheids und Aufhebung der Bevormundung, eventuell
Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Einholung eines Gutachtens im
Sinne des Art. 374 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 374 - 1 Wer als Ehegatte, eingetragene Partnerin oder eingetragener Partner mit einer Person, die urteilsunfähig wird, einen gemeinsamen Haushalt führt oder ihr regelmässig und persönlich Beistand leistet, hat von Gesetzes wegen ein Vertretungsrecht, wenn weder ein Vorsorgeauftrag noch eine entsprechende Beistandschaft besteht.
1    Wer als Ehegatte, eingetragene Partnerin oder eingetragener Partner mit einer Person, die urteilsunfähig wird, einen gemeinsamen Haushalt führt oder ihr regelmässig und persönlich Beistand leistet, hat von Gesetzes wegen ein Vertretungsrecht, wenn weder ein Vorsorgeauftrag noch eine entsprechende Beistandschaft besteht.
2    Das Vertretungsrecht umfasst:
1  alle Rechtshandlungen, die zur Deckung des Unterhaltsbedarfs üblicherweise erforderlich sind;
2  die ordentliche Verwaltung des Einkommens und der übrigen Vermögenswerte; und
3  nötigenfalls die Befugnis, die Post zu öffnen und zu erledigen.
3    Für Rechtshandlungen im Rahmen der ausserordentlichen Vermögensverwaltung muss der Ehegatte, die eingetragene Partnerin oder der eingetragene Partner die Zustimmung der Erwachsenenschutzbehörde einholen.
ZGB.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Im Gegensatz zur Vormundschaftsbehörde hat die Vorinstanz die Entmündigung
ausschliesslich auf Art. 370
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 370 - 1 Eine urteilsfähige Person kann in einer Patientenverfügung festlegen, welchen medizinischen Massnahmen sie im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht zustimmt.
1    Eine urteilsfähige Person kann in einer Patientenverfügung festlegen, welchen medizinischen Massnahmen sie im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht zustimmt.
2    Sie kann auch eine natürliche Person bezeichnen, die im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit mit der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt die medizinischen Massnahmen besprechen und in ihrem Namen entscheiden soll. Sie kann dieser Person Weisungen erteilen.
3    Sie kann für den Fall, dass die bezeichnete Person für die Aufgaben nicht geeignet ist, den Auftrag nicht annimmt oder ihn kündigt, Ersatzverfügungen treffen.
ZGB gestützt. Grundsätzlich sind in der Tat die
verschiedenen Bevormundungsgründe einander koordiniert. Wenn eine
geisteskranke Person einen lasterhaften Lebenswandel führt, der mit der
Geisteskrankheit nichts zu tun hat, so kann die Vormundschaft auch bloss auf
Grund von Art. 370
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 370 - 1 Eine urteilsfähige Person kann in einer Patientenverfügung festlegen, welchen medizinischen Massnahmen sie im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht zustimmt.
1    Eine urteilsfähige Person kann in einer Patientenverfügung festlegen, welchen medizinischen Massnahmen sie im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht zustimmt.
2    Sie kann auch eine natürliche Person bezeichnen, die im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit mit der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt die medizinischen Massnahmen besprechen und in ihrem Namen entscheiden soll. Sie kann dieser Person Weisungen erteilen.
3    Sie kann für den Fall, dass die bezeichnete Person für die Aufgaben nicht geeignet ist, den Auftrag nicht annimmt oder ihn kündigt, Ersatzverfügungen treffen.
ZGB angeordnet werden, ohne dass notwendig wäre, zugleich
auch die Frage der Geisteskrankheit nach dem hiefür vorgeschriebenen Verfahren
zu untersuchen, um dann die Entmündigung auf Grund beider Gesetzesbestimmungen
(Art. 369 und 370) auszusprechen. Anders verhält es sich dagegen, wenn sich
die Annahme aufdrängt, dass die Tatsache, die an und für sich einen
Bevormundungsgrund nach Art. 370 abgeben würde, ihrerseits auf die geistige
Erkrankung zurückgeht. In diesem Falle ist jene Tatsache nicht ein
selbständiger Bevormundungsgrund, sondern nur eine Äusserung und Folge des
Bevormundungsgrundes der Geisteskrankheit. Eine pflichtgemässe Fürsorge
verlangt dann die Anordnung dessen, was die Geisteskrankheit notwendig macht,
weshalb diese zu konstatieren und die Entmündigung auf Grund von Art. 369
auszusprechen ist. Hieran ist sowohl die Allgemeinheit als auch der
Interdizend selbst interessiert (Art der Fürsorgemassnahmen; verschiedene
Voraussetzungen für Aufhebung der Vormundschaft; andere Stellung des Mündels

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zum Vormund und zur Geschäftsführung, vgl. z. B. Art. 409
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 409 - Der Beistand oder die Beiständin stellt der betroffenen Person aus deren Vermögen angemessene Beträge zur freien Verfügung.
ZGB).
Im vorliegenden Falle geht die Vorinstanz ausdrücklich davon aus, dass die
Misswirtschaft des Beschwerdeführers ausschliesslich die Folge seiner
geistigen Abnormität sei. Einzig um die Einholung eines Gutachtens zu umgehen,
wurde die Frage der Geisteskrankheit offen gelassen und der Weg des Art. 370
gewählt. Dies ist, da sich die Auffassung der Vorinstanz über das kausale
Verhältnis zwischen Geisteskrankheit und Misswirtschaft in der Tat aufdrängt,
nach dem Gesagten nicht zulässig. Die Vorinstanz hat daher dasjenige Verfahren
einzuschlagen, das für die Anwendung des Art. 369 gesetzlich vorgeschrieben
ist. Der Beschwerdeführer erklärt sich ausdrücklich bereit, sich einer
Begutachtung zu unterziehen. Sollte er sich weigern, sich hiezu in der Schweiz
zu stellen, so wäre die Vorinstanz befugt, die Begutachtung auf Grund des
vorhandenen Aktenmaterials durchführen zu lassen. Falls dies nach Ansicht des
Experten sich als unmöglich erweisen oder letzterer die Frage der
Geisteskrankheit nicht zu bejahen in der Lage sein sollte, stände allerdings
dann einer Entmündigung nach Art. 370 formell nichts mehr im Wege.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird dahin gutgeheissen, dass der angefochtene Entscheid
aufgehoben und die Sache zu neuer Beurteilung im Sinne der Motive an die
Vorinstanz zurückgewiesen wird.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 62 II 70
Datum : 01. Januar 1936
Publiziert : 14. Mai 1936
Quelle : Bundesgericht
Status : 62 II 70
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Wenn eine Tatsache, die an sich einen Bevormundungsgrund nach Art. 370 ZGB bilden würde, ihrerseits...


Gesetzesregister
ZGB: 369 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 369 - 1 Wird die auftraggebende Person wieder urteilsfähig, so verliert der Vorsorgeauftrag seine Wirksamkeit von Gesetzes wegen.
1    Wird die auftraggebende Person wieder urteilsfähig, so verliert der Vorsorgeauftrag seine Wirksamkeit von Gesetzes wegen.
2    Werden dadurch die Interessen der auftraggebenden Person gefährdet, so ist die beauftragte Person verpflichtet, so lange für die Fortführung der ihr übertragenen Aufgaben zu sorgen, bis die auftraggebende Person ihre Interessen selber wahren kann.
3    Aus Geschäften, welche die beauftragte Person vornimmt, bevor sie vom Erlöschen ihres Auftrags erfährt, wird die auftraggebende Person verpflichtet, wie wenn der Auftrag noch bestehen würde.
370 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 370 - 1 Eine urteilsfähige Person kann in einer Patientenverfügung festlegen, welchen medizinischen Massnahmen sie im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht zustimmt.
1    Eine urteilsfähige Person kann in einer Patientenverfügung festlegen, welchen medizinischen Massnahmen sie im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht zustimmt.
2    Sie kann auch eine natürliche Person bezeichnen, die im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit mit der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt die medizinischen Massnahmen besprechen und in ihrem Namen entscheiden soll. Sie kann dieser Person Weisungen erteilen.
3    Sie kann für den Fall, dass die bezeichnete Person für die Aufgaben nicht geeignet ist, den Auftrag nicht annimmt oder ihn kündigt, Ersatzverfügungen treffen.
374 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 374 - 1 Wer als Ehegatte, eingetragene Partnerin oder eingetragener Partner mit einer Person, die urteilsunfähig wird, einen gemeinsamen Haushalt führt oder ihr regelmässig und persönlich Beistand leistet, hat von Gesetzes wegen ein Vertretungsrecht, wenn weder ein Vorsorgeauftrag noch eine entsprechende Beistandschaft besteht.
1    Wer als Ehegatte, eingetragene Partnerin oder eingetragener Partner mit einer Person, die urteilsunfähig wird, einen gemeinsamen Haushalt führt oder ihr regelmässig und persönlich Beistand leistet, hat von Gesetzes wegen ein Vertretungsrecht, wenn weder ein Vorsorgeauftrag noch eine entsprechende Beistandschaft besteht.
2    Das Vertretungsrecht umfasst:
1  alle Rechtshandlungen, die zur Deckung des Unterhaltsbedarfs üblicherweise erforderlich sind;
2  die ordentliche Verwaltung des Einkommens und der übrigen Vermögenswerte; und
3  nötigenfalls die Befugnis, die Post zu öffnen und zu erledigen.
3    Für Rechtshandlungen im Rahmen der ausserordentlichen Vermögensverwaltung muss der Ehegatte, die eingetragene Partnerin oder der eingetragene Partner die Zustimmung der Erwachsenenschutzbehörde einholen.
409
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 409 - Der Beistand oder die Beiständin stellt der betroffenen Person aus deren Vermögen angemessene Beträge zur freien Verfügung.
BGE Register
62-II-70
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
vorinstanz • frage • misswirtschaft • bundesgericht • entscheid • sachverständiger • geisteskrankheit • verhalten • verhältnis zwischen • psychiatrisches gutachten • richtigkeit • stelle • vormund • regierungsrat