S. 347 / Nr. 84 Obligationenrecht (d)

BGE 62 II 347

84. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 22. Dezember 1936 i. S.
Sutter gegen Politische Gemeinde Gossau.


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Regeste:
Verhältnis von Art. 129 KUVG (Haftung des Arbeitgebers für absichtlich oder
grobfahrlässig herbeigeführten Schaden) zu Art. 55 . 101 und 339 OR.

3. ­ Der Kläger hat neben Art. 129 KUVG auch die Art. 55 , 101 und 339 OR
angerufen. Hiezu hat die Vorinstanz erklärt, diese Bestimmungen seien gemäss
Art. 128 KUVG als aufgehoben zu betrachten, wenn sie auch nicht ausdrücklich
erwähnt seien; denn andernfalls würde der vom KUVG angestrebte Zweck der
teilweisen Entlastung des Arbeitgebers von seiner Verantwortlichkeit
vereitelt.
Dieser Argumentation der Vorinstanz kann nicht beigepflichtet werden. Art. 128
KUVG hebt die mit den Bestimmungen dieses Gesetzes in Widerspruch stehenden
Bestimmungen anderer Spezialgesetze aus dem Gebiete des Haftpflichtrechts auf
und setzt in Art. 129 Abs. 1 an deren Stelle ausdrücklich die Bestimmungen des
OR. Von einem Ausschluss der Art. 55 , 101 und 339 OR durch Art. 128 KUVG kann
daher schlechterdings nicht die Rede sein. Aber diese allgemeinrechtlichen
Bestimmungen kommen nun eben nicht uneingeschränkt zur Anwendung, sondern nur
mit der in Art. 129 Abs. 2 KUVG genannten Einschränkung, dass der Arbeitgeber
bei Erfüllung der ihm obliegenden Prämienverpflichtungen von der Haftung für
leichtes Verschulden befreit wird, wofür er nach den in Art. 129 Abs. 1 als
anwendbar erklärten allgemeinen Rechtsgrundsätzen ebenfalls einzustehen hätte.
Art. 128 befreit daher den Arbeitgeber nicht etwa von der in Art. 339 OR dem
Dienstherr auferlegten Pflicht, in der Organisation seines Betriebes die zum
Schutz von Leben und Gesundheit seiner Arbeiter erforderlichen Massnahmen in
dem ihm zumutbaren Umfang zu treffen; gegenteils überbindet Art. 65 KUVG ihm
diese Pflicht noch ausdrücklich.

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Verletzt er sie, so liegt darin eine Verletzung vertraglich übernommener
Pflichten im Sinne von Art. 101 und möglicherweise auch eine unerlaubte
Handlung im Sinne von Art. 41 ff . OR. Aber seine Haftbarkeit für diese
Pflichtverletzungen greift auf «rund der in Art. 129 Abs. 2 KUVG enthaltenen
Einschränkung nur Platz, wenn ihn ein grobes Verschulden trifft.
Daher kann, wenn auch aus einem andern als dem von der Vorinstanz angeführten
Grunde, der Kläger aus den von ihm angerufenen obligationenrechtlichen
Bestimmungen keine über Art. 129 Abs. 2 KUVG hinausgehende Haftung der
Beklagten ableiten.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 62 II 347
Datum : 01. Januar 1936
Publiziert : 22. Dezember 1936
Quelle : Bundesgericht
Status : 62 II 347
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Verhältnis von Art. 129 KUVG (Haftung des Arbeitgebers für absichtlich oder grobfahrlässig...


Gesetzesregister
KUVG: 65  128  129
OR: 41  55  101  128  129  339
BGE Register
62-II-347
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
arbeitgeber • vorinstanz • privatrechtliche haftung • staatshaftung • politische gemeinde • obliegenheit • beklagter • leichtes verschulden • leben • unerlaubte handlung • treffen • schaden • stelle