BGE 61 II 78
18. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 12 März 1935 i. S. Henzen
gegen Gemeinde Ausserberg.
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Regeste:
Werkhaftung.
Eine «Bisse» (kanalartige Wasserleitung) als Werk im Sinne von Art. 68
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 68 - Der Schuldner ist nur dann verpflichtet, persönlich zu erfüllen, wenn es bei der Leistung auf seine Persönlichkeit ankommt. |
Pflicht des Eigentümers zu schärferer Überwachung bei Verwendung von Holz-
statt Betonschleusen; Haftung für mangelhaften Unterhalt.
A. - Die Gemeinde Ausserberg bei Visp bezieht ihr Wasser in drei kanalartigen
Leitungen, sogenannten «Bisses», aus dem mehrere Stunden entfernten
Baltschiedertal. Aus den Hauptkanälen wird das Wasser durch Nebenkanäle in die
verschiedenen Gemeindegebiete abgeleitet. Die Abzweigstellen sind mit
Schleusen aus Holz, sogenannten «Abschalten», versehen.
Für die Beaufsichtigung der Leitungen sind von der Gemeinde zwei Wasserhüter
eingesetzt, deren Stellen auf dem Wege der Absteigerung an diejenigen Bewerber
vergeben werden, welche die geringste Entlöhnung verlangen.
B. - In der Nacht vom 5. auf den 6. Juni 1932 brach bei der Abzweigung eines
Nebenkanals in der Gegend des «Lüegji» aus der obersten Leitung Wasser aus. Es
ergoss sich auf den darunter liegenden Berghang, der dadurch ins Rutschen
geriet und das Heimwesen des August Henzen mit Wohnhaus und Stall
verschüttete.
C. - Mit der vorliegenden Klage hat Henzen von der Gemeinde Ausserberg als
Eigentümerin der «Bisse» Schadenersatz aus Werkhaftung (Art. 58
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 58 - 1 Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursachen. |
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1 | Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursachen. |
2 | Vorbehalten bleibt ihm der Rückgriff auf andere, die ihm hierfür verantwortlich sind. |
D. - Das Bundesgericht hat mit dem Kantonsgericht des Kantons Wallis (Urteil
vom 13. November 1934) die Haftung der Beklagten grundsätzlich bejaht, aus
folgenden
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Erwägungen:
1.- Die Vorinstanz geht mit dem technischen Gutachten davon aus, dass sich das
Wasser zwischen der Leitungssohle und der «Abschalte» hindurch eine Öffnung in
den Nebenkanal verschafft hat. Wo und aus welchen Gründen es dann aus diesem
ausgetreten ist, wird im Urteil nicht gesagt. Das kann aber dahingestellt
bleiben, denn auf jeden Fall hätte sich nach der Annahme der Vorinstanz der
Spalt unter der «Abschalte» nicht bilden können und wäre das Unglück
infolgedessen nicht eingetreten, wenn die «Abschalte» aus armiertem Beton
statt aus Holz bestanden hätte. Damit ist der ursächliche Zusammenhang
zwischen der Beschaffenheit der Schleuse und der eingetretenen Katastrophe für
das Bundesgericht verbindlich festgestellt (Art. 81
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 58 - 1 Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursachen. |
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1 | Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursachen. |
2 | Vorbehalten bleibt ihm der Rückgriff auf andere, die ihm hierfür verantwortlich sind. |
2.- Rechtlich stellt die Wasserleitung mit der fraglichen Abschaltevorrichtung
ein Werk im Sinne von Art. 58
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 58 - 1 Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursachen. |
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1 | Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursachen. |
2 | Vorbehalten bleibt ihm der Rückgriff auf andere, die ihm hierfür verantwortlich sind. |
Beklagte ist daher für den dem Kläger entstandenen Schaden ersatzpflichtig,
sofern die Katastrophe auf fehlerhafte Anlage oder mangelhafte Unterhaltung
der Leitung zurückzuführen ist.
Fehlerhaft ist eine Anlage u. a. dann, wenn ungeeignetes Material verwendet
wurde. Davon, dass Holz für die Konstruktion einer Abschaltevorrichtung
schlechtweg ungeeignet sei, kann aber kaum die Rede sein. Kleinere Schleusen
werden heute noch, besonders auf dem Lande, sehr häufig aus Holz erstellt und
erfüllen ihre Zweckbestimmung durchwegs. Dass aber im vorliegenden Falle die
Holzkonstruktion infolge besonderer Umstände den Anforderungen zum vornherein
nicht gewachsen gewesen wäre, ist durch nichts dargetan. Wenn die
Holzkonstruktion nach der Feststellung der Vorinstanz trotzdem zur Ursache des
Wasserdurchbruches geworden ist, so kann das deshalb nur darauf zurückzuführen
sein, dass sie nicht richtig unterhalten war. In der Tat erfordert eine
Holzschleuse wegen ihrer geringern Widerstandsfähigkeit und
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der grössern Abnutzung einen sorgfältigern Unterhalt als eine Betonschleuse.
Wollte die Beklagte nicht, wie andere Walliser Gemeinden es getan haben, zum
moderneren System der Betonschleusen übergehen, sondern bei den Holzfallen
verbleiben, so war sie daher wenigstens verpflichtet, diese jederzeit gut
instandzuhalten, was seinerseits eine entsprechend schärfere Überwachung
voraussetzte, als sie bei Betonkonstruktionen notwendig wäre. Daran muss es
hier gefehlt haben, wie denn auch die Vorinstanz ausdrücklich feststellt, dass
Wasserleitung und Schleusen mindestens einen ganzen Tag lang vor der
Katastrophe ohne Aufsicht geblieben seien. Das ist übrigens nicht sehr
befremdlich, erscheint doch schon das System der Absteigerung, durch welches
die Stellen der Wasserhüter vergeben werden, sehr wenig geeignet, eine
gewissenhafte Beaufsichtigung zu gewährleisten, selbst wenn auf die
Vertrauenswürdigkeit der Bewerber noch etwelche Rücksicht genommen wird.
Die Haftung der Beklagten für den Schaden ist daher nach Art. 58
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 58 - 1 Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursachen. |
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1 | Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursachen. |
2 | Vorbehalten bleibt ihm der Rückgriff auf andere, die ihm hierfür verantwortlich sind. |
grundsätzlich gegeben.