S. 281 / Nr. 65 Versicherungsvertrag (d)

BGE 61 II 281

65. Urteil der II. Zivilabteilung vom 10. Oktober 1935 i. S. Glaser (Eheleute)
gegen Waadtländische Versicherung auf Gegenseitigkeit.

Regeste:
Versicherungsrecht.
Pflicht zur Anzeige von Gefahrstatsachen beim Abschluss des
Versicherungsvertrages: Die Voraussetzungen hiezu werden abschliessend durch
die Art. 4 ff . VVG geordnet; die allgemeinen Regeln des Obligationenrechts
sind insofern nicht anwendbar (Erw. 1).
Der Haftungsausschluss nach Art. 14 Abs. 1 VVG greift auch dann Platz, wenn:
- die absichtliche Herbeiführung des befürchteten Ereignisses durch den aus
Erbrecht Anspruchsberechtigten diesen erbunwürdig macht und andere Personen
als Erben an dessen Stelle treten (Erw. 2);

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- die Anspruchsberechtigung des Täters sich auf einen mit dem
Versicherungsnehmer abgeschlossenen, für diesen allenfalls wegen
Willensmangels unverbindlichen (Ehe-) Vertrag stützte, die allfällige
Unverbindlichkeit aber zur Zeit der Tat nicht geltend gemacht war; Art. 23 ff .
OR (Erw. 3).
Der bei tödlichem Unfall erwachsende Anspruch aus Unfallversicherung einer
Ehefrau gehört bei Gütergemeinschaft zum ehelichen Gesamtgut; Art. 215 225/26
ZGB (Erw. 3).

A. - Die kinderlosen Ehegatten Julius und Fanny Hauswirth-Glaser in Aesch
schlossen am 16. Februar 1931 einen von der Vormundschaftsbehörde genehmigten
Ehevertrag ab, durch den sie sich der allgemeinen Gütergemeinschaft
unterstellten mit der Vereinbarung, dass bei Auflösung der Ehe durch Tod eines
Ehegatten der andere das Gesamtgut zu alleinigem und unbeschwertem Eigentum
erhalten solle. Sodann schloss Frau Hauswirth auf Veranlassung des Ehemannes,
der die Verhandlungen führte, bei der Beklagten eine Unfallversicherung ab,
mit Festsetzung der Versicherungssumme für den Todesfall auf 15000 Fr. und mit
der besonderen Bestimmung, dass Unfälle beim Fischen, Schlitteln und
Bootfahren mitgedeckt seien. Der Ehemann bezahlte die erste Prämie am Tage der
Antragstellung, dem 13. März 1931, und er erhielt dann die mit Wirkung ab 15.
März morgens ausgestellte Police am 24. März ausgehändigt.
Tags darauf, am 25. März 1931, fand Frau Hauswirth den Tod. Ihre Leiche wurde
bei Angenstein, Gemeinde Duggingen, aus der Birs geländet, wohin die Frau den
Mann zum Fischen begleitet hatte. Auf Grund verschiedener Verdachtsmomente
wurde gegen Hauswirth eine Strafuntersuchung eingeleitet, und er wurde vom
Geschworenengericht des bernischen Jurabezirkes mit Urteil vom 27. Mai 1932
des Mordes schuldig erklärt und zu zwanzig Jahren Zuchthaus verurteilt; dieses
Urteil ist nach Rückzug einer dagegen eingereichten Nichtigkeitsklage in
Rechtskraft erwachsen.
B. - Die Eltern der verstorbenen Frau Hauswirth

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haben am 21. Dezember 1933 mit dem durch seinen Vormund vertretenen Hauswirth
einen Vergleich abgeschlossen, wonach dieser anerkennt, dass der Ehevertrag
vom 16. Februar 1931 aufgehoben ist, er als Erbe der Ehefrau gemäss Art. 540
Ziff. 1 ZGB wegfällt und die Eltern deren einzige Erben sind.
Mit der vorliegenden Klage belangen sie nun die unmittelbar nach dem Tode der
Frau Hauswirth benachrichtigte Versicherungsgesellschaft auf Bezahlung der (am
15. März 1933 in Betreibung gesetzten) Versicherungssumme von 15000 Fr. mit
Zins zu 5% seit dem 26. März 1931, eventuell auf Bezahlung von 11250 Fr. mit
Zins (3/4 entsprechend dem Erbanspruch bei Berücksichtigung des gesetzlichen
Erbanspruches des Ehemannes). Die Beklagte beantragt gänzliche Abweisung der
Klage, eventuell gänzliche Abweisung für den 11250 Fr. übersteigenden Teil und
im übrigen Abweisung zur Zeit mit Rücksicht auf die Beschränkung des
Erbanspruches der Eltern durch die Nutzniessung des Ehegatten, subeventuell
Gutheissung nur für den nach Abzug des kapitalisierten Wertes dieser
Nutzniessung sich ergebenden Restbetrag.
Sowohl das Bezirksgericht Arlesheim wie auch das Obergericht des Kantons
Basel-Landschaft, dieses mit Urteil vom 12. Februar 1935, den Parteien
zugestellt am 6./7. Juni, haben die Klage gänzlich abgewiesen. Mit der
vorliegenden Berufung an das Bundesgericht halten die Kläger an ihren Begehren
fest, wogegen die Beklagte auf Bestätigung des obergerichtlichen Urteils
anträgt.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Das Obergericht hält den Versicherungsvertrag wegen Täuschung und
Grundlagenirrtums (Art. 28 und 23 Ziff. 4 OR) für die Beklagte unverbindlich,
was diese im Jahre 1934 fristgerecht geltend gemacht habe, nachdem das
Strafverfahren erst im November 1933 durch Rückzug der Nichtigkeitsklage des
Verurteilten beendigt worden sei. Es kann dahingestellt bleiben, ob die
Jahresfrist zur

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Geltendmachung eines Willensmangels nicht spätestens mit der Kenntnis vom
verurteilenden Straferkenntnis zu laufen begonnen habe. Da Frau Hauswirth den
Versicherungsvertrag selber abgeschlossen hat - woran die vom Ehemanne durch
Mitunterzeichnen des Antrages bekundete Zustimmung nichts ändert -, kann sie
für die dem Ehemanne vorgeworfene Täuschung nach Art. 28 Abs. 2 OR ohnehin
nicht verantwortlich gemacht werden. Ausserdem bezieht sich die geltend
gemachte Täuschung auf die nach Feststellung der Vorinstanz beim Abschluss des
Versicherungsvertrages wie übrigens schon beim Abschluss des Ehevertrages
vorhandene böse Absicht des Ehemannes, also auf einen Sachverhalt, der einzig
unter dem Gesichtspunkt einer Gefahrstatsache in Betracht fallen könnte. Nun
wird aber die Pflicht zur Anzeige von Gefahrstatsachen beim Abschluss eines
Versicherungsvertrages in ihren Voraussetzungen abschliessend durch die Art. 4
ff. des Versicherungsvertragsgesetzes geordnet, so dass insofern eine
Anwendung allgemeiner Regeln des Obligationenrechtes ausgeschlossen ist (vgl.
ROELLI, zu Art. 4 VVG, Anm. 2, S. 59). Von einer Verletzung dieser
Anzeigepflicht lässt sich hier nicht sprechen; denn es fehlt die Voraussetzung
einer bezüglichen der Versicherungsnehmerin zur Beantwortung vorgelegten
Frage. Und ob die Verschweigung einer offensichtlich erheblichen, wenn auch
nicht zum Gegenstand einer Frage gemachten Gefahrstatsache die Einwendung des
Rechtsmissbrauches im weitern Sinne (exceptio doli generalis) zu begründen
vermöchte, braucht hier deswegen nicht geprüft zu werden, weil die als
Gegenkontrahentin der beklagten Versicherungsgesellschaft einzig in Betracht
kommende Versicherungsnehmerin ebensowenig wie diese selbst von der Absicht
ihres Ehemannes unterrichtet war, ihr also keinerlei unredliches Verhalten
beim Vertragsabschluss vorgeworfen werden kann.
2.- Es frägt sich daher nur, ob die Tat Hauswirths

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einen Versicherungsfall darstelle und ob den Klägern ein Anspruch auf die
Versicherungssumme zustehe. Gewiss können auch Eingriffe von Menschenhand als
Unfälle im Sinne von Art. 2 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen der
Beklagten in Betracht fallen, sofern die übrigen Merkmale vorliegen. Allein
die Beklagte stützt sich auf Art. 14 Abs. 1 VVG, wonach der Versicherer nicht
haftet, wenn der Versicherungsnehmer oder der Anspruchsberechtigte das
befürchtete Ereignis absichtlich herbeigeführt hat.
Dass Hauswirth selber keinen Anspruch auf die Versicherungssumme erheben
könnte, liegt auf der Hand. Darüber sind auch die Parteien einig: die Beklagte
eben mit Rücksicht auf Art. 14 VVG, die Kläger in der Meinung, Hauswirth könne
wegen der sich aus der Mordtat ergebenden Erbunwürdigkeit gar nicht als
Anspruchsberechtigter gelten, woraus sie nun weiter folgern, der Unfall sei
nicht von einer anspruchsberechtigten Person herbeigeführt worden, vielmehr
seien sie selbst als die einzigen gesetzlichen Erben und damit auch als die
einzigen Anspruchsberechtigten zu betrachten, auf Grund der Bestimmung der
Police, dass die für den Todesfall festgesetzte Versicherungssumme an die
gesetzlichen Erben zahlbar sei.
Dieser Argumentation der Klägerschaft sind die kantonalen Instanzen mit Recht
nicht gefolgt. War Hauswirth damals, als er das «befürchtete» Ereignis, das
den Gegenstand der Versicherung bildete, absichtlich herbeiführte,
Anspruchsberechtigter, so liegt der Tatbestand des Art. 14 Abs. 1 VVG vor und
greift daher auch die dort vorgesehene Sanktion Platz, gleichgültig ob die Tat
abgesehen vom Versicherungsanspruch auch noch auf andere Rechtsbeziehungen des
Täters eingewirkt hat und gleichgültig in welcher Weise diese Beziehungen
gestaltet worden sind. Daher kann gegen die Beklagte nichts daraus hergeleitet
werden, dass die Kläger als Erben an die Stelle des erbunwürdigen

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Täters getreten sind. Hat dieser die Tat als Anspruchsberechtigter begangen,
so haftet die Beklagte aus dem Versicherungsvertrage nicht; ein
Versicherungsanspruch ist also gar nicht entstanden, er kann daher von
Ersatzerben ebensowenig wie vom Täter selbst erhoben werden. Die durch die
erwähnte Bestimmung getroffene Ordnung weicht ab von derjenigen des deutschen
Reichsgesetzes über den Versicherungsvertrag vom Jahre 1908, das in den §§ 170
Abs. 2 und 181 Abs. 2 nur die Tat eines als solchen bezeichneten
Anspruchsberechtigten berücksichtigt und daran nur die Folge knüpft, dass die
Bezeichnung als nicht erfolgt zu gelten hat.
3.- Die Klage ist also jedenfalls insoweit unbegründet, als die Kläger als
hinter dem Täter Anspruchsberechtigte auftreten. Sie berufen sich nun ferner
auf ihre eigene unmittelbare Anspruchsberechtigung als Miterben gemäss Art.
458 und 462 Abs. 2 ZGB. Damit wird die Frage aufgeworfen, ob die Tat eines von
mehreren Anspruchsberechtigten auch den Ansprüchen der andern entgegengehalten
werden könne. Das braucht jedoch hier nicht entschieden zu werden, denn in
Wirklichkeit war der Täter kraft des Ehevertrages vom 16. Februar 1931, durch
den das gesetzliche Erbrecht der Eltern hinsichtlich des Gesamtgutes
ausgeschaltet wurde, der einzige Anspruchsberechtigte. Es mag dahingestellt
bleiben, ob nicht ein Anspruch aus Unfallversicherung im allgemeinen zum
Sondergut des Versicherungsnehmers, das von ehevertraglichen Abmachungen über
das Gesamtgut unberührt bliebe, gehöre; denn das gilt keinesfalls für den im
Falle des Todes zu erhebenden Anspruch, der ja nicht vom Versicherungsnehmer
selbst geltend gemacht werden kann; ein solcher Anspruch ist gleich einem
Anspruch aus Lebensversicherung dem Gesamtgute zuzuzählen. Die Kläger möchten
freilich dem Ehevertrage jede Wirkung versagen mit Rücksicht auf die
verbrecherische Absicht des Ehemannes. Allein der Vertragsinhalt als solcher
war zulässig,

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und es lag auch kein Verstoss gegen die guten Sitten vor; nicht der
Vertragsabschluss ist zu beanstanden, sondern die dabei vom einen Kontrahenten
gehegte Absicht, sich die im Vertrag für den überlebenden Teil vorgesehenen
Ansprüche durch ein Verbrechen zu verschaffen. Ist somit der Ehevertrag nicht
(gemäss Art. 20 OR) nichtig, BO könnte sich nur noch fragen, ob die Ehefrau
daran wegen Täuschung nicht gebunden war. Das ist jedoch für die Beurteilung
dieses Rechtsstreites ohne Belang. Einseitige Unverbindlichkeit macht einen
Vertrag nicht ohne weiteres hinfällig. Der an den Vertrag nicht gebundenen
Partei steht es frei, ihn trotzdem zu halten, und wenn sie die
Unverbindlichkeit nicht binnen gesetzlicher Frist (Art. 31 OR) geltend macht,
ist die Berufung auf den Willensmangel überhaupt nicht mehr zulässig, ganz
abgesehen davon, dass auch eine fristgerechte Geltendmachung gegebenenfalls
noch gerichtlich durchgesetzt werden muss. Eier nun bestand der Ehevertrag
damals, als der Ehemann die Tat beging, unangefochten, und er wäre wohl auch
niemals angefochten worden, wenn Hauswirth sein Vorhaben nicht ausgeführt
hätte. Bei der Sachlage, wie sie bei der Herbeiführung des Unfallereignisses
gegeben war - und dieser Zeitpunkt ist für die Anwendung von Art. 14 VVG
massgebend -, kam somit die Rolle des Anspruchsberechtigten nur dem Täter zu,
gleichgültig ob die Vereinbarung, auf die sich diese ausschliessliche
Berechtigung stützte, von der Gegenkontrahentin wegen einseitiger
Unverbindlichkeit hätte beseitigt werden können.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichtes des Kantons
Basel-Landschaft vom 12. Februar 1935 wird bestätigt.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 61 II 281
Datum : 01. Januar 1935
Publiziert : 10. Oktober 1935
Quelle : Bundesgericht
Status : 61 II 281
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Versicherungsrecht.Pflicht zur Anzeige von Gefahrstatsachen beim Abschluss des...


Gesetzesregister
OR: 20  23  28  31
VVG: 4  14
ZGB: 215  458  462  540
BGE Register
61-II-281
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
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