S. 21 / Nr. 5 Familienrecht (d)

BGE 61 II 21

5. Urteil der II. Zivilabteilung vom 8. Februar 1935 i. S. Ermel gegen Ermel.

Regeste:
Anfechtung der Ehelichkeit eines Kindes bei Zeugung vor der Ehe, Art. 255 Abs.
2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 255 - 1 Ist ein Kind während der Ehe geboren, so gilt der Ehemann als Vater.
1    Ist ein Kind während der Ehe geboren, so gilt der Ehemann als Vater.
2    Stirbt der Ehemann, so gilt er als Vater, wenn das Kind innert 300 Tagen nach seinem Tod geboren wird oder bei späterer Geburt nachgewiesenermassen vor dem Tod des Ehemannes gezeugt worden ist.
3    Wird der Ehemann für verschollen erklärt, so gilt er als Vater, wenn das Kind vor Ablauf von 300 Tagen seit dem Zeitpunkt der Todesgefahr oder der letzten Nachricht geboren worden ist.
ZGB:
1. Der Nachprüfung durch das Bundesgericht ist regelmässig entzogen, ob
Beiwohnung des Ehemannes um die Zeit der Empfängnis «glaubhaft gemacht» werde.
2. «Um die Zeit der Empfängnis» = in der Zeit vom 300. bis zum 180. Tage vor
der Geburt.
3. Auch diese Vermutung der Ehelichkeit kann nur durch den Nachweis der
Unmöglichkeit der Vaterschaft entkräftet werden.

A. - Mit der vorliegenden Klage ficht der Kläger die Ehelichkeit des von der
Erstbeklagten, mit der er am 23. Juli 1932 die Ehe eingegangen ist, am 11.
Oktober 1932 geborenen Kindes, der Zweitbeklagten, an. Der Kläger gesteht zu,
schon am 27. Februar 1932 mit der Erstbeklagten geschlechtlich verkehrt zu
haben.
B. - Das Obergericht des Kantons Aargau hat am 5. Oktober 1934 die Klage
abgewiesen, indem es als glaubhaft erachtete, dass der Kläger schon am 17.
Januar 1932 mit der Erstbeklagten geschlechtlich verkehrt habe.

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C. - Gegen dieses Urteil hat der Kläger die Berufung an das Bundesgericht
erklärt mit dem Antrag auf Gutheissung der Klage.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Von während der Ehe geborenen Kindern wird die Ehelichkeit vermutet (Art. 252
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 252 - 1 Das Kindesverhältnis entsteht zwischen dem Kind und der Mutter mit der Geburt.
1    Das Kindesverhältnis entsteht zwischen dem Kind und der Mutter mit der Geburt.
2    Zwischen dem Kind und dem anderen Elternteil wird es kraft der Ehe der Mutter begründet oder, soweit gesetzlich vorgesehen, durch Anerkennung oder durch das Gericht festgestellt.250
3    Ausserdem entsteht das Kindesverhältnis durch Adoption.

ZGB). Diese Vermutung der Ehelichkeit fällt bei Geburt wenigstens 180 Tage
nach Abschluss der Ehe nur durch den Nachweis der Unmöglichkeit der
Vaterschaft weg (Art. 254), bei Geburt vor dem 180. Tage jedoch schon infolge
der blossen Erhebung der Klage auf Anfechtung der Ehelichkeit (Art. 255 Abs.
1), ausser wenn glaubhaft gemacht wird, dass der Ehemann um die Zeit der
Empfängnis der Mutter beigewohnt habe (Art. 255 Abs. 2). Im letzteren Falle
kann die Vermutung der Ehelichkeit ebenfalls nur durch den Nachweis der
Unmöglichkeit der Vaterschaft entkräftet werden, nicht schon durch den
Nachweis irgendeiner Tatsache, die erhebliche Zweifel über die Vaterschaft des
Ehemannes rechtfertigt, oder durch unzüchtigen Lebenswandel der Mutter um die
Zeit der Empfängnis (Art. 314 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 314 - 1 Die Bestimmungen über das Verfahren vor der Erwachsenenschutzbehörde sind sinngemäss anwendbar.
1    Die Bestimmungen über das Verfahren vor der Erwachsenenschutzbehörde sind sinngemäss anwendbar.
2    Die Kindesschutzbehörde kann in geeigneten Fällen die Eltern zu einem Mediationsversuch auffordern.
3    Errichtet die Kindesschutzbehörde eine Beistandschaft, so hält sie im Entscheiddispositiv die Aufgaben des Beistandes und allfällige Beschränkungen der elterlichen Sorge fest.
und 315
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 315 - 1 Die Kindesschutzmassnahmen werden von der Kindesschutzbehörde am Wohnsitz des Kindes angeordnet.438
1    Die Kindesschutzmassnahmen werden von der Kindesschutzbehörde am Wohnsitz des Kindes angeordnet.438
2    Lebt das Kind bei Pflegeeltern oder sonst ausserhalb der häuslichen Gemeinschaft der Eltern oder liegt Gefahr im Verzug, so sind auch die Behörden am Ort zuständig, wo sich das Kind aufhält.
3    Trifft die Behörde am Aufenthaltsort eine Kindesschutzmassnahme, so benachrichtigt sie die Wohnsitzbehörde.
ZGB). Und die von Art. 255 Abs. 2
gebrauchte Wendung «um die Zeit der Empfängnis» will nichts anderes sagen als:
in der Zeit vom 300. bis zum 180. Tage vor der Geburt. Denn der Regelung des
Art. 254, dass bei Geburt des Kindes wenigstens (also gegebenenfalls nur) 180
Tage nach Abschluss der Ehe der Ehemann seine Klage nur durch den Nachweis zu
begründen vermag, dass er unmöglich der Vater des Kindes sein könnte, würde es
nicht entsprechen, wenn die Anfechtung der Ehelichkeit eines zwar während der
Ehe, aber früher als 180 Tage nach deren Abschluss geborenen Kindes
erleichtert würde, obschon anzunehmen ist, dass der Ehemann ebensolange vor
Abschluss der Ehe der Mutter beigewohnt hat. Insbesondere liegt kein
zureichender Grund dafür vor, die Stellung des Kindes dadurch zu erschweren,
dass Glaubhaftmachung einer Beiwohnung

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im Zeitpunkte gefordert wird, der nach dem Grad der Reife des Kindes bei der
Geburt der mutmasslichen Empfängniszeit ungefähr entspricht. Nicht nur ist
jeder derartige Beweis erfahrungsgemäss wenig zuverlässig, sondern es wird
auch für die Mutter meist gar keine Veranlassung vorliegen, in dem für sie
kritischen Zeitpunkt der Geburt irgendetwas zur Sicherung eines derartigen
Beweises vorzukehren. Würde ihr ein solcher Beweis nicht gelingen, so könnten
unter Umständen doch noch die Voraussetzungen für eine Vaterschaftsklage
gegeben sein, weil jener Beweis misslingen kann, ohne dass geradezu Tatsachen
vorliegen, die erhebliche Zweifel über die Vaterschaft des nunmehrigen
Ehemannes rechtfertigen. Allein es kann nicht als Meinung des Gesetzes
angesehen werden, dass sich bezüglich eines während der Ehe geborenen Kindes
zwischen den Ehegatten die Frage einer Vaterschaftsklage erheben könne; somit
darf die Vermutung der Ehelichkeit eines solchen Kindes nicht an schwerere
Voraussetzungen geknüpft werden als diejenigen, unter welchen die Vaterschaft
des nunmehrigen Ehemannes vermutet worden wäre, wenn es nicht zum Abschluss
der Ehe gekommen wäre, also an und für sich an jede Beiwohnung in der Zeit vom
300. bis zum 180. Tage vor der Geburt des Kindes. Art. 255 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 255 - 1 Ist ein Kind während der Ehe geboren, so gilt der Ehemann als Vater.
1    Ist ein Kind während der Ehe geboren, so gilt der Ehemann als Vater.
2    Stirbt der Ehemann, so gilt er als Vater, wenn das Kind innert 300 Tagen nach seinem Tod geboren wird oder bei späterer Geburt nachgewiesenermassen vor dem Tod des Ehemannes gezeugt worden ist.
3    Wird der Ehemann für verschollen erklärt, so gilt er als Vater, wenn das Kind vor Ablauf von 300 Tagen seit dem Zeitpunkt der Todesgefahr oder der letzten Nachricht geboren worden ist.
ZGB weicht
somit in seinen Voraussetzungen von Art. 314 Abs. 1 nur insofern zugunsten des
während der Ehe geborenen Kindes ab, als bloss glaubhaft gemacht zu werden
braucht, dass der nunmehrige Ehemann in der Zeit vom 300. bis zum 180. Tage
vor der Geburt des Kindes der Mutter beigewohnt hat, um die Vermutung der
Ehelichkeit des Kindes zu begründen.
Indessen genügt die vom Kläger zugestandene Beiwohnung vom 27. Februar 1932
zur Begründung der Ehelichkeitsvermutung doch deswegen nicht, weil die
Erstbeklagte schon am 8. März von einem Arzt als «erinnerungsgemäss im 3.
Monat» schwanger befunden wurde, woraus sich ergibt, dass jene Beiwohnung
unmöglich hat

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zur Schwängerung führen können (gleichwie entsprechend im Vaterschaftsprozess
gemäss BGE 45 II 487). Dagegen erachtet die Vorinstanz als «glaubhaft
gemacht», dass der Kläger der Erstbeklagten erstmals schon am 17. Januar
beigewohnt habe. Dass die Umstände des Falles schlechterdings nicht auf den
von Art. 255 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 255 - 1 Ist ein Kind während der Ehe geboren, so gilt der Ehemann als Vater.
1    Ist ein Kind während der Ehe geboren, so gilt der Ehemann als Vater.
2    Stirbt der Ehemann, so gilt er als Vater, wenn das Kind innert 300 Tagen nach seinem Tod geboren wird oder bei späterer Geburt nachgewiesenermassen vor dem Tod des Ehemannes gezeugt worden ist.
3    Wird der Ehemann für verschollen erklärt, so gilt er als Vater, wenn das Kind vor Ablauf von 300 Tagen seit dem Zeitpunkt der Todesgefahr oder der letzten Nachricht geboren worden ist.
ZGB geforderten geringen Grad der Wahrscheinlichkeit einer
solchen früheren Beiwohnung schliessen lassen, kann nicht gesagt werden; diese
Annahme lässt sich also nicht etwa als bundesrechtswidrig beanstanden. Daran
scheitert aber der Nachweis des Klägers, dass er unmöglich der Vater des
Kindes sein könne. Insbesondere hat der Kläger mit Recht nicht geltend
gemacht, dieser Nachweis folge von Bundesrechts wegen schon aus der Weigerung
der Erstbeklagten, sich der Blutprobe zu unterziehen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichtes des Kantons vom
5. Oktober 1934 bestätigt.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 61 II 21
Datum : 01. Januar 1935
Publiziert : 08. Februar 1935
Quelle : Bundesgericht
Status : 61 II 21
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Anfechtung der Ehelichkeit eines Kindes bei Zeugung vor der Ehe, Art. 255 Abs. 2 ZGB:1. Der...


Gesetzesregister
ZGB: 252 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 252 - 1 Das Kindesverhältnis entsteht zwischen dem Kind und der Mutter mit der Geburt.
1    Das Kindesverhältnis entsteht zwischen dem Kind und der Mutter mit der Geburt.
2    Zwischen dem Kind und dem anderen Elternteil wird es kraft der Ehe der Mutter begründet oder, soweit gesetzlich vorgesehen, durch Anerkennung oder durch das Gericht festgestellt.250
3    Ausserdem entsteht das Kindesverhältnis durch Adoption.
255 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 255 - 1 Ist ein Kind während der Ehe geboren, so gilt der Ehemann als Vater.
1    Ist ein Kind während der Ehe geboren, so gilt der Ehemann als Vater.
2    Stirbt der Ehemann, so gilt er als Vater, wenn das Kind innert 300 Tagen nach seinem Tod geboren wird oder bei späterer Geburt nachgewiesenermassen vor dem Tod des Ehemannes gezeugt worden ist.
3    Wird der Ehemann für verschollen erklärt, so gilt er als Vater, wenn das Kind vor Ablauf von 300 Tagen seit dem Zeitpunkt der Todesgefahr oder der letzten Nachricht geboren worden ist.
314 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 314 - 1 Die Bestimmungen über das Verfahren vor der Erwachsenenschutzbehörde sind sinngemäss anwendbar.
1    Die Bestimmungen über das Verfahren vor der Erwachsenenschutzbehörde sind sinngemäss anwendbar.
2    Die Kindesschutzbehörde kann in geeigneten Fällen die Eltern zu einem Mediationsversuch auffordern.
3    Errichtet die Kindesschutzbehörde eine Beistandschaft, so hält sie im Entscheiddispositiv die Aufgaben des Beistandes und allfällige Beschränkungen der elterlichen Sorge fest.
315
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 315 - 1 Die Kindesschutzmassnahmen werden von der Kindesschutzbehörde am Wohnsitz des Kindes angeordnet.438
1    Die Kindesschutzmassnahmen werden von der Kindesschutzbehörde am Wohnsitz des Kindes angeordnet.438
2    Lebt das Kind bei Pflegeeltern oder sonst ausserhalb der häuslichen Gemeinschaft der Eltern oder liegt Gefahr im Verzug, so sind auch die Behörden am Ort zuständig, wo sich das Kind aufhält.
3    Trifft die Behörde am Aufenthaltsort eine Kindesschutzmassnahme, so benachrichtigt sie die Wohnsitzbehörde.
BGE Register
45-II-487 • 61-II-21
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
ehe • tag • vermutung • mutter • bundesgericht • vater • zweifel • vaterschaftsklage • geschlecht • weiler • ehegatte • erleichterter beweis • begründung des entscheids • zeugung • frage • blutprobe • arzt • wille • monat • aargau
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