BGE 60 II 150
26. Urteil der II. Zivilabteilung vom 3. Mai 1934 i. S. Karton- und
Papierfabrik Deisswil A.-G. gegen Schmid.
Regeste:
Elektrizitätshaftpflicht:
Ermässigung wegen Selbstverschuldens des Verletzten (Erw. 1).
Bedeutung des mitwirkenden Verschuldens eines Dritten in Vergleichung zur
Eisenbahnhaftpflicht und zur Deliktsobligation (Erw. 2).
Erwerbseinbusse des verletzten Bauhandlangers, der nur noch zum Hausierer
tauglich ist (Erw. 3).
Keine Genugtuung bei (auch nur leichtem) Selbstverschulden (Erw. 5).
Gesetzlicher Übergang der Rechte des Versicherten an die Schweiz.
Unfallversicherungsanstalt: Beschränkung entsprechend der Äquivalenz von
Schadensfaktor, Versicherungsleistung und Ersatzforderung (Erw. 4).
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A. - Auf dem Fabrikareal der Beklagten befinden sich Anschlussgeleise an die
elektrische Bern-Bolligen-Worb-Bahn mit regelmässig unter Spannung stehendem
Fahrleitungsdraht. Einem solchen Geleise entlang liess die Beklagte in den
Jahren 1929 ff. durch die Bauunternehmung O. und E. Kästli, deren seit langem
ständig hier beschäftigter Bauhandlanger der Kläger war, einen Neubau
erstellen. Als Ende Mai 1931 ein eben fertiggestelltes Betondach des Neubaues
durch wiederholtes Bespritzen mit Wasser vor dem raschen Austrocknen geschützt
werden musste, jedoch am 28. Mai die hiefür verwendbare Wasserpumpeinrichtung
versagte, requirierte der Polier der Bauunternehmung, Amstutz, einen der
Beklagten gehörenden mit Stahldraht umwickelten Gummischlauch, um die
Verbindung des Daches über das Fabrikgeleise mit einem auf der andern Seite
desselben befindlichen Wasserhahn herstellen zu können, wobei der Schlauch
gerade knapp ausreichte, um zur Vermeidung der Berührung mit dem
Fahrleitungsdraht durch eine zwischen dem Geleise und dem Wasserhahn
angebrachte «Brosche», d. h. unter einem auf zwei eingerammte Pfähle
genagelten Brett hindurchgeführt werden zu können. Am 29. Mai rief der auf dem
Dache befindliche Arbeiter Schlapbach dem zu einer andern Arbeitsverrichtung
vorbeigehenden Kläger zu, den vom Dach herabhängenden Schlauch an den
Wasserhahn anzuschrauben. Als der Kläger das untere Ende des Schlauches beim
Überschreiten des Geleises einfach hinter sich nachzog, geriet der
umgewickelte Stahldraht mit dem Fahrleitungsdraht in Berührung, was schwere
Verbrennungen der Hände des Klägers durch den elektrischen Strom zur Folge
hatte.
Von der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suval) erhielt der Kläger
ausser den Heilungskosten folgende von seinem bisherigen Erwerb von jährlich
2912 Fr., monatlich 242 Fr. 65 Cts. berechnete Leistungen:
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Für 5½ Monate Krankengeld von 80% = Fr. 1067.55;
für 3½ Monate 70% Rente für 100%ige Invalidität
= Fr. 594.50;
für 33 Monate 70% Rente für 75%ige Invalidität
= Fr. 4204.20;
denn voraussichtlich wird er vom 1. Dezember 1934 an
entsprechend der eingetretenen weiteren Besserung nur
mehr 70% Dauerrente für 65%ige Invalidität erhalten,
kapitalisiert
= Fr. 23184.--;
B. - Mit der vorliegenden sowohl gegen die Karton- und Papierfabrik Deisswil
A.-G. als Betriebsinhaberin der elektrischen Fahrdrahtanlage als auch die
Bauunternehmung Kästli gerichteten Klage verlangte der Kläger Verurteilung der
beiden Beklagten unter solidarischer Haftbarkeit, eventuell ohne solche, zur
Zahlung angemessenen Schadenersatzes und Genugtuung.
Die im vorliegenden Prozesse vorgenommene Schätzung der Arbeitsunfähigkeit des
Klägers ergibt (in Verbindung mit den obigen Annahmen) für 9 Monate gänzliche
Arbeitsunfähigkeit, für 16 Monate 75%ige Arbeitsunfähigkeit und vom 1. Juli
1933 an dauernde 65%ige Arbeitsunfähigkeit, was kapitalisiert 33937 Fr.
ausmacht.
C. - Der Appellationshof des Kantons Bern hat die Klage gegen die Karton- und
Papierfabrik Deisswil A.-G. für 10700 Fr. Schadenersatz nebst 5% Zins seit 29.
Mai 1931 und 1000 Fr. Genugtuung zugesprochen, im übrigen, also insbesondere
gegenüber der Bauunternehmung Kästli gänzlich, abgewiesen.
D. - Gegen dieses Urteil hat die Karton- und Papierfabrik Deisswil A.-G. die
Berufung an das Bundesgericht erklärt mit dem Antrag auf Abweisung auch der
gegen sie gerichteten Klage, eventuell Rückweisung.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Die Beklagte will zur Entlastung von ihrer Haftung als Betriebsinhaberin
der schädigenden Starkstromleitung
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gemäss Art. 27 des Bundesgesetzes vom 24. Juni 1902 betreffend die
elektrischen Schwach- und Starkstromanlagen, oder mindestens zu erheblicher
Ermässigung ihrer Ersatzpflicht gemäss Art. 36 l . c. und 44 OR beweisen, dass
der Unfall durch grobes Verschulden des Klägers verursacht wurde. Indessen
kann dem Kläger nur zur Last gelegt werden, dass er, obwohl ihm aus
mehrjähriger Arbeit auf dem Fabrikareal der Beklagten das Vorhandensein der
gewöhnlich unter Spannung stehenden Fahrdrahtleitung bekannt war, die
Möglichkeit der Berührung derselben mit dem drahtumwickelten Schlauch und die
daraus entspringende Gefährdung nicht beachtete und ebensowenig die zur
Abwendung dieser Gefährdung dienende Brosche (auf die er zwar durch Schlapbach
aufmerksam gemacht wurde, was er aber wegen des Maschinenlärms überhörte). Da
er jedoch ausnahmsweise, bei ganz zufälligem Vorbeigehen und in wohl kaum
recht bewusster Unterbrechung sonstiger ihm obliegender Arbeit, zu einer
Manipulation mit dem nicht isolierenden Schlauch angewiesen wurde, kann diese
Unaufmerksamkeit, die nur wegen des Starkstromes so schwere Folgen hatte,
nicht als grobes Verschulden bezeichnet werden. Immerhin ist deswegen gemäss
Art. 36 l . c. und 44 OR die Ersatzpflicht der Beklagten zu ermässigen, und
zwar liegt kein zureichender Grund für eine stärkere als die von der
Vorinstanz zur Anwendung gebrachte Ermässigung um 10% vor, wiewohl, der
Ansicht der Vorinstanz, das Selbstverschulden sei in Fällen der kausalen
Haftpflicht nicht einfach wie gewöhnlich, sondern offenbar milder zu
beurteilen als im Verhältnis zum Verschulden des Schädigers, nicht zugestimmt
werden kann, weil der besonderen Gefährlichkeit gewisser gewerblicher Betriebe
und dergleichen schon gerade durch die Einführung der kausalen Haftpflicht
voll Rechnung getragen worden ist.
2.- Auf Verschulden oder Versehen der Bauunternehmung Kästli und ihres
Personals sich zu berufen, die im Verhältnis zur beklagten
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Karton- und Papierfabrik Deisswil Dritte sind, kann der Beklagten nicht etwa
deswegen versagt werden, weil sie es nicht schon vor der Vorinstanz getan
habe. Der Kläger konnte die gleichzeitig gegen die Firma Kästli erhobene Klage
nur aus (grobem) Verschulden derselben herleiten und hat damit die Frage nach
der im Falle der Gutheissung beider Klagen unerlässlichen Abgrenzung der
Ersatzpflicht beider Beklagten selbst zur Entscheidung vorgelegt, ohne dass
hiefür erforderlich gewesen wäre, dass der gemeinsame Fürsprecher der beiden
Beklagten die eine gegen die andere ausspiele. Auch steht nicht etwa die
definitiv gewordene Abweisung der Klage gegen die Bauunternehmung der Annahme
ihres Mitverschuldens entgegen, weil damit nur festgestellt ist, es treffe sie
kein grobes Verschulden (vgl. Art. 129 KUVG).
Als - leichtes - Verschulden der Bauunternehmung könnte es angesehen werden,
dass sie, anstatt einen längeren Schlauch in einem Graben unter dem Geleise
durchzuführen, sich mit der primitiven Einrichtung der «Brosche» und einem
kürzeren Schlauch begnügte. Immerhin war dieser Behelf bei planmässigem
Anschliessen des Schlauches an den Wasserhahn schliesslich gut genug, um der
Gefahr der Berührung des Schlauches mit der unter Spannung stehenden
Fahrdrahtleitung auszuweichen, weshalb die vorwiegende Unfallursache
keinesfalls in jenem Verschulden zu erblicken ist, sondern gleichwohl in dem
unter Spannung befindlichen Fahrdraht. Hieraus folgt aber die volle,
unermässigte Ersatzpflicht der beklagten Karton- und Papierfabrik Deisswil
A.-G. schon gemäss dem Präjudiz in BGE 38 II 250, ohne dass es der
vorbehaltlosen Anlehnung an die Rechtsprechung über die Bedeutung des
Verschuldens Dritter in Eisenbahnhaftpflichtfällen bedürfte, wonach
Verschulden Dritter nur entweder von der Haftpflicht entlastet oder nicht, je
nachdem es die ausschliessliche Unfallursache ist oder nicht, aber nie die
Ersatzpflicht bloss ermässigt.
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Beide Varianten der Rechtsprechung stimmen mit der allgemeinen Ordnung des
Schadenersatzrechtes im OR insofern überein, als die Ersatzpflicht gemäss Art.
44
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 44 - 1 Hat der Geschädigte in die schädigende Handlung eingewilligt, oder haben Umstände, für die er einstehen muss, auf die Entstehung oder Verschlimmerung des Schadens eingewirkt oder die Stellung des Ersatzpflichtigen sonst erschwert, so kann der Richter die Ersatzpflicht ermässigen oder gänzlich von ihr entbinden. |
|
1 | Hat der Geschädigte in die schädigende Handlung eingewilligt, oder haben Umstände, für die er einstehen muss, auf die Entstehung oder Verschlimmerung des Schadens eingewirkt oder die Stellung des Ersatzpflichtigen sonst erschwert, so kann der Richter die Ersatzpflicht ermässigen oder gänzlich von ihr entbinden. |
2 | Würde ein Ersatzpflichtiger, der den Schaden weder absichtlich noch grobfahrlässig verursacht hat, durch Leistung des Ersatzes in eine Notlage versetzt, so kann der Richter auch aus diesem Grunde die Ersatzpflicht ermässigen. |
einzustehen hat, also insbesondere wegen seines konkurrierenden
Selbstverschuldens, nicht aber wegen konkurrierender Schuld eines Dritten.
Mehrere Verursacher eines und desselben Schadens haben daher dem Geschädigten
regelmässig für den ganzen Schaden Ersatz zu leisten, sei es in echter
Solidarität bei gemeinsamer Verschuldung in bewusstem Zusammenwirken, sei es
in unechter Solidarität (Konkurrenz) bei unbewusstem Zusammenwirken,
insbesondere im Falle der Haftung aus verschiedenen Rechtsgründen. Hievon
werden freilich Ausnahmen gemacht, wenn infolge mitwirkenden Verschuldens
eines weiteren Verursachers (Dritten) entweder das Verschulden des einen
Verursachers (Beklagten) als leichteres erscheint oder dessen Handlung gar
nicht mehr als adäquate Schadensursache angesehen werden kann (vgl. neuestens
wieder BGE 59 II 369). Allein für die erste, aus Art. 43
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 43 - 1 Art und Grösse des Ersatzes für den eingetretenen Schaden bestimmt der Richter, der hiebei sowohl die Umstände als die Grösse des Verschuldens zu würdigen hat. |
|
1 | Art und Grösse des Ersatzes für den eingetretenen Schaden bestimmt der Richter, der hiebei sowohl die Umstände als die Grösse des Verschuldens zu würdigen hat. |
1bis | Im Falle der Verletzung oder Tötung eines Tieres, das im häuslichen Bereich und nicht zu Vermögens- oder Erwerbszwecken gehalten wird, kann er dem Affektionswert, den dieses für seinen Halter oder dessen Angehörige hatte, angemessen Rechnung tragen.27 |
2 | Wird Schadenersatz in Gestalt einer Rente zugesprochen, so ist der Schuldner gleichzeitig zur Sicherheitsleistung anzuhalten. |
Ausnahme ist im Haftpflichtrecht überhaupt kein Platz, wo das Verschulden des
Dritten mit schuldloser Verursachung, nämlich der Betriebsgefahr, als
Haftungsgrund konkurriert (vgl. BGE 55 II 88), und die zweite gilt für das
Haftpflichtrecht ohnehin, weil keine Haftpflicht angenommen wird, sobald neben
dem ursächliches Verschulden des Dritten die Betriebsgefahr gar nicht mehr als
adäquate Ursache anzusehen ist. Von diesen Ausnahmen abgesehen ist die
Aufteilung der Ersatzpflicht unter die verschiedenen Verursacher lediglich dem
Rückgriff derselben untereinander vorbehalten (Art. 50 Abs. 2
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 50 - 1 Haben mehrere den Schaden gemeinsam verschuldet, sei es als Anstifter, Urheber oder Gehilfen, so haften sie dem Geschädigten solidarisch. |
|
1 | Haben mehrere den Schaden gemeinsam verschuldet, sei es als Anstifter, Urheber oder Gehilfen, so haften sie dem Geschädigten solidarisch. |
2 | Ob und in welchem Umfange die Beteiligten Rückgriff gegeneinander haben, wird durch richterliches Ermessen bestimmt. |
3 | Der Begünstiger haftet nur dann und nur soweit für Ersatz, als er einen Anteil an dem Gewinn empfangen oder durch seine Beteiligung Schaden verursacht hat. |
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 51 - 1 Haften mehrere Personen aus verschiedenen Rechtsgründen, sei es aus unerlaubter Handlung, aus Vertrag oder aus Gesetzesvorschrift dem Verletzten für denselben Schaden, so wird die Bestimmung über den Rückgriff unter Personen, die einen Schaden gemeinsam verschuldet haben, entsprechend auf sie angewendet. |
|
1 | Haften mehrere Personen aus verschiedenen Rechtsgründen, sei es aus unerlaubter Handlung, aus Vertrag oder aus Gesetzesvorschrift dem Verletzten für denselben Schaden, so wird die Bestimmung über den Rückgriff unter Personen, die einen Schaden gemeinsam verschuldet haben, entsprechend auf sie angewendet. |
2 | Dabei trägt in der Regel derjenige in erster Linie den Schaden, der ihn durch unerlaubte Handlung verschuldet hat, und in letzter Linie derjenige, der ohne eigene Schuld und ohne vertragliche Verpflichtung nach Gesetzesvorschrift haftbar ist. |
neuerdings wieder BGE 56 II 401 Erw. 5, 59 II 170). Es ist nicht einzusehen,
wieso die auf erhöhten Schutz des Geschädigten angelegte
Haftpflichtgesetzgebung hätte von dieser Ordnung abweichen und an ein
(Mit)Verschulden Dritter die Erleichterung der Haftpflicht des
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Betriebsunternehmers knüpfen wollen. Dementsprechend sieht Art. 5 des
Eisenbahnhaftpflichtgesetzes eine Ermässigung der von der Eisenbahn zu
leistenden Entschädigung nur vor bei mitwirkendem Verschulden des Verletzten
selbst, nicht aber auch bei mitwirkendem Verschulden eines Dritten, während
Art. 18 nur gerade der Eisenbahn den Rückgriff einräumt, und zwar nicht etwa
nur wie Art. 3 des früheren Gesetzes von 1875 gegenüber ihrem Personal,
sondern allgemein gegenüber den Personen, die durch ihr Verschulden einen
Unfall verursacht haben, also auch gegenüber Dritten, somit vornehmlich
gegenüber mitschuldigen Dritten (weil ausschliessliche Schuld Dritter ja die
dem Rückgriff zugrunde liegende Haftpflicht der Eisenbahn überhaupt
ausgeschlossen hätte). Und Art. 36
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 36 - 1 Ist dem Bevollmächtigten eine Vollmachtsurkunde ausgestellt worden, so ist er nach dem Erlöschen der Vollmacht zur Rückgabe oder gerichtlichen Hinterlegung der Urkunde verpflichtet. |
|
1 | Ist dem Bevollmächtigten eine Vollmachtsurkunde ausgestellt worden, so ist er nach dem Erlöschen der Vollmacht zur Rückgabe oder gerichtlichen Hinterlegung der Urkunde verpflichtet. |
2 | Wird er von dem Vollmachtgeber oder seinen Rechtsnachfolgern hierzu nicht angehalten, so sind diese den gutgläubigen Dritten für den Schaden verantwortlich. |
einfach die Bestimmungen des OR als für die Bemessung der Entschädigungen
massgebend. Indessen kann nach deren eben dargelegter Bedeutung für das
Haftpflichtrecht der haftpflichtige Unternehmer zu seinen Gunsten nicht etwa
Art. 43
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 43 - 1 Art und Grösse des Ersatzes für den eingetretenen Schaden bestimmt der Richter, der hiebei sowohl die Umstände als die Grösse des Verschuldens zu würdigen hat. |
|
1 | Art und Grösse des Ersatzes für den eingetretenen Schaden bestimmt der Richter, der hiebei sowohl die Umstände als die Grösse des Verschuldens zu würdigen hat. |
1bis | Im Falle der Verletzung oder Tötung eines Tieres, das im häuslichen Bereich und nicht zu Vermögens- oder Erwerbszwecken gehalten wird, kann er dem Affektionswert, den dieses für seinen Halter oder dessen Angehörige hatte, angemessen Rechnung tragen.27 |
2 | Wird Schadenersatz in Gestalt einer Rente zugesprochen, so ist der Schuldner gleichzeitig zur Sicherheitsleistung anzuhalten. |
leistenden Ersatzes die Grösse des Verschuldens (scil. des Belangten) zu
würdigen ist, weil sich diese Bestimmung als auf die kausale Haftpflicht
unanwendbar erweist.
3.- Die Vorinstanz hat der Schadensberechnung auf Grund eines medizinischen
Gutachtens eine bleibende Invalidität von 65% zugrunde gelegt. Demgegenüber
bezeichnet es die Beklagte als unzulässig, dass der Schaden auf Grund der
medizinisch-theoretischen Invalidität berechnet werde, und verlangt
Rückweisung zur Ermittlung des Arbeitsverdienstes des Klägers in seinem neuen
Beruf als Hausierer und Schätzung des Schadens auf dieser Grundlage. Allein
die Erwerbsverhältnisse eines Hausierers, zumal eines mit körperlichen
Gebresten behafteten, sind zu prekär, als dass zuverlässig festgestellt werden
könnte, der Kläger werde ohne besondere Anstrengung oder sonstige Nachteile -
die er sich vom
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Schädiger nicht entgegenhalten lassen müsste - jederzeit und mit Sicherheit in
der Lage sein, aus seinem Hausiergewerbe einen so grossen Erwerb zu erzielen,
dass er durch den Zuschuss von Schadenersatz auf Grund 65%iger Invalidität
geradezu bereichert würde.
Auch darin ist der Vorinstanz beizustimmen, dass sie die für die Berechnung
des Barwertes der Rate massgebende mutmassliche Lebensdauer des Klägers von
nicht ganz 66 Jahren auch als Dauer der Erwerbsfähigkeit angenommen hat, weil
eine solange anhaltende volle Arbeitsfähigkeit im gesunden Berufe des
Bauarbeiters keine Seltenheit ist.
4.- Da gemäss Art. 100
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 43 - 1 Art und Grösse des Ersatzes für den eingetretenen Schaden bestimmt der Richter, der hiebei sowohl die Umstände als die Grösse des Verschuldens zu würdigen hat. |
|
1 | Art und Grösse des Ersatzes für den eingetretenen Schaden bestimmt der Richter, der hiebei sowohl die Umstände als die Grösse des Verschuldens zu würdigen hat. |
1bis | Im Falle der Verletzung oder Tötung eines Tieres, das im häuslichen Bereich und nicht zu Vermögens- oder Erwerbszwecken gehalten wird, kann er dem Affektionswert, den dieses für seinen Halter oder dessen Angehörige hatte, angemessen Rechnung tragen.27 |
2 | Wird Schadenersatz in Gestalt einer Rente zugesprochen, so ist der Schuldner gleichzeitig zur Sicherheitsleistung anzuhalten. |
auf die Höhe ihrer Leistungen in die Rechte des Versicherten gegenüber einem
Dritten, der für den Unfall haftet, eintritt, kann der Verletzte selbst diese
Rechte nur noch in dem von der Subrogation nicht erfassten Umfange geltend
machen. Die Vorinstanz hat sich bei der Anwendung dieser Vorschrift an die
neuesten Präjudizien der ersten Zivilabteilung in BGE 54 II 464, 58 II 230
(vgl. seither noch 60 II 36) gehalten, wonach die Subrogation der Suval nur
bei Identität, der einzelnen Schadensposten stattfindet (d. h. nur insofern,
als die Leistungen der Suval in Hinsicht auf den damit zu deckenden Schaden
sich mit dem vom Geschädigten geforderten Schadenersatz der Qualität nach
decken), ja auf den versicherten Teil dieser identischen Schadensposten
beschränkt ist (wobei der Abzug wegen Mitverschuldens des Geschädigten
ebensogut den auf die Suval übergegangenen als den beim Geschädigten
gebliebenen Teil trifft). Danach ist also bezüglich jedes Schadenspostens
festzustellen, einerseits welche Versicherungsleistung die Suval dafür
gemacht, anderseits welchen Ersatz der Schädiger dafür zu leisten hat, und
gebührt dann dieser Ersatz der Suval nur gerade im Umfang ihrer
Versicherungsleistung. Übersteigt der Ersatz für einen Schadensposten die
bezügliche
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Versicherungsleistung, so bleibt der Überschuss dem Verletzten, ungeachtet
eines Ausfalles der Suval auf andern Posten. Ist die Leistungspflicht des
Verantwortlichen geringer als die Versicherungsleistung der Suval, weil der
Richter einen Abzug für leichtes Selbstverschulden des Verletzten macht (den
die Suval nicht machen darf) (oder schätzt einmal der Richter den Schaden
weniger hoch als die Suval), so erleidet die Suval auf diesem Posten einen
Verlust, den sie nicht aus dem Überschuss des Ersatzes für einen andern
Schadensposten über die bezügliche Versicherungsleistung einbringen kann.
Insbesondere wird einer allfälligen Reduktion des Schadenersatzes wegen
Selbstverschuldens in gleicher Weise der an die Suval übergehende wie der beim
Verletzten bleibende Teil der Schadenersatzforderung unterworfen.
Was die Beklagte gegen diese Rechtsprechung vorbringt, vermag nicht von deren
Unrichtigkeit zu überzeugen. Art. 100 KWG bedarf sowieso einer einschränkenden
Auslegung, weil keinesfalls alle Rechte des Versicherten (und seiner
Hinterlassenen) auf die Suval übergehen können, insbesondere nicht das Recht
auf Genugtuung, aber z. B. auch nicht der Ersatz für ausserbetrieblichen
Nebenverdienst, der bei Kurzarbeit im Betriebe für den Lebensunterhalt
durchaus notwendig gewesen sein kann und übrigens keineswegs immer nur aus
sogenannter Schwarzarbeit gezogen wird. Es ist nicht ersichtlich welches
andere Kriterium für diese einschränkende Auslegung bestimmend sein könnte als
die Äquivalenz zwischen Schaden (Schadensfaktor), Versicherungsleistung und
Ersatzforderung. Dementsprechend tritt die Suval nur insoweit in die Forderung
des Geschädigten gegen den Haftbaren ein, als diese gerade für denjenigen
Schaden (Schadensfaktor) Ersatz bietet, welchen die Suval mit ihrer
Versicherungsleistung gutmacht. Deckt die Suval den Schaden (Schadensfaktor)
nur zum Teil, so tritt sie gerade nur in einen entsprechenden Teil der
Ersatzforderung ein, und wenn auch die Ersatzforderung selbst
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den Schaden (Schadensfaktor) nur zum Teil deckt, so tritt die Suval nur in
einen entsprechenden Teil der derart ermässigten Ersatzforderung ein. Auf
diese Weise gelangt der Geschädigte zum Ersatz all des Schadens, der durch die
Versicherungsleistungen der Suval nicht gedeckt wird, und wenn die
Ersatzpflicht ermässigt ist, der Haftbare also nur einen Teil des Schadens
ersetzen muss, so bleibt dem Geschädigten immer noch das Recht auf
verhältnismässigen Ersatz für die Differenz zwischen Schaden und
entsprechender Versicherungsleistung (ausser in dem hier nicht
interessierenden Falle der Kürzung der Versicherungsleistungen wegen groben
Selbstverschuldens). Wird ihm wegen leichten Selbstverschuldens ein Abzug an
der Ersatzforderung gemacht, so erscheint es auch nur billig, dass die Suval,
die aus leichtem Selbstverschulden des Versicherten nichts für sich herleiten
kann, sich nicht vorab auf Kosten des Geschädigten im vollen Umfang ihrer
Versicherungsleistungen aus der reduzierten Forderung auf Ersatz des Schadens
decken könne, der durch jene Versicherungsleistungen gutgemacht wird, sondern
dass die Ersatzforderung dem Geschädigten verbleibt, insoweit sie das
Äquivalent von Schaden ist, den die Versicherungsleistungen der Suval nicht
decken. Nichtsdestoweniger erleidet der Geschädigte eine gewisse, freilich
reduzierte Einbusse wegen seines Selbstverschuldens. Was der Suval dabei
entgeht, dafür wird sie schon durch die Prämieneinnahmen gedeckt sein, die sie
für eine das leichte Selbstverschulden deckende Versicherung bezogen hat. Die
Gefahr vermehrter Schadenersatzprozesse (zulasten der
Haftpflichtversicherungsgesellschaften) vermag die Auslegung des Art. 100
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 43 - 1 Art und Grösse des Ersatzes für den eingetretenen Schaden bestimmt der Richter, der hiebei sowohl die Umstände als die Grösse des Verschuldens zu würdigen hat. |
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1 | Art und Grösse des Ersatzes für den eingetretenen Schaden bestimmt der Richter, der hiebei sowohl die Umstände als die Grösse des Verschuldens zu würdigen hat. |
1bis | Im Falle der Verletzung oder Tötung eines Tieres, das im häuslichen Bereich und nicht zu Vermögens- oder Erwerbszwecken gehalten wird, kann er dem Affektionswert, den dieses für seinen Halter oder dessen Angehörige hatte, angemessen Rechnung tragen.27 |
2 | Wird Schadenersatz in Gestalt einer Rente zugesprochen, so ist der Schuldner gleichzeitig zur Sicherheitsleistung anzuhalten. |
umsoweniger massgebend zu beeinflussen, als der Gesetzgeber früher beim Erlass
des VVG (Art. 14 Abs. 2) auf eine ähnliche Gefahr ebenfalls keine Rücksicht
hatte nehmen wollen.
5.- Gemäss dem bereits erwähnten Art. 36
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 36 - 1 Ist dem Bevollmächtigten eine Vollmachtsurkunde ausgestellt worden, so ist er nach dem Erlöschen der Vollmacht zur Rückgabe oder gerichtlichen Hinterlegung der Urkunde verpflichtet. |
|
1 | Ist dem Bevollmächtigten eine Vollmachtsurkunde ausgestellt worden, so ist er nach dem Erlöschen der Vollmacht zur Rückgabe oder gerichtlichen Hinterlegung der Urkunde verpflichtet. |
2 | Wird er von dem Vollmachtgeber oder seinen Rechtsnachfolgern hierzu nicht angehalten, so sind diese den gutgläubigen Dritten für den Schaden verantwortlich. |
gegenüber dem Betriebsinhaber einer Stromanlage auch Art. 47
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 47 - Bei Tötung eines Menschen oder Körperverletzung kann der Richter unter Würdigung der besonderen Umstände dem Verletzten oder den Angehörigen des Getöteten eine angemessene Geldsumme als Genugtuung zusprechen. |
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Körperverletzung der Richter unter Würdigung der besonderen Umstände dem
Verletzten eine angemessene Geldsumme als Genugtuung zusprechen kann.
Neuerdings ist präjudiziell entschieden worden, dass die Anwendung der
letzteren Vorschrift durch leichtes Selbstmitverschulden des Geschädigten
nicht ausgeschlossen werde in Fällen, wo den Schädiger das vorwiegende
Verschulden trifft (BGE 54 II 17, 468; 55 II 321; 58 II 165). Allein dem
Geschädigten, der den Unfall mitverschuldet hat, auf solche Weise
entgegenzukommen, rechtfertigt sich nicht zu Lasten des Betriebsinhabers, der
nur aus kausaler Haftpflicht in Anspruch genommen werden kann, ohne dass ihn
irgendwelches Verschulden trifft (vgl. in diesem Sinne BGE 35 II 191 zu Art.
54 aOR, der zwar die Schuld des Schädigers als Voraussetzung für die
Genugtuung hervorhob, aber ebensowenig unbedingt verlangte wie Art. 47 rOR).
Zur Schuld kann es aber der Beklagten nicht angerechnet werden, dass sie den
Gebrauch ihres zum gesetzten Zweck etwas kurzen Schlauches nicht verhinderte,
weil für die Art und Weise der Verwendung des Schlauches ungeachtet seiner
Provenienz das Personal der Bauunternehmer Kästli verantwortlich war. Die
Ordnung des Eisenbahnhaftpflichtgesetzes (Art. 8) geht denn auch ausdrücklich
dahin, dass die Eisenbahnen beim Fehlen eines Verschuldens ihrer Leute unter
keinen Umständen eine Genugtuung zu leisten haben.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird teilweise dahin begründet erklärt, dass Dispositiv 1 b des
angefochtenen Urteils aufgehoben und der Genugtuungsanspruch abgewiesen wird.
Im übrigen wird die Berufung abgewiesen und das Urteil des Appellationshofes
des Kantons Bern vom 9. November 1933 bestätigt.