S. 67 / Nr. 12 Garantie des Bürgerrechts (d)

BGE 60 I 67

12. Urteil vom 15. Juni 1934 i. S. Lempert gegen Bonfol.


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Regeste:
Unverzichtbarkeit der Rechte aus Art. 44
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 44 Grundsätze - 1 Bund und Kantone unterstützen einander in der Erfüllung ihrer Aufgaben und arbeiten zusammen.
1    Bund und Kantone unterstützen einander in der Erfüllung ihrer Aufgaben und arbeiten zusammen.
2    Sie schulden einander Rücksicht und Beistand. Sie leisten einander Amts- und Rechtshilfe.
3    Streitigkeiten zwischen Kantonen oder zwischen Kantonen und dem Bund werden nach Möglichkeit durch Verhandlung und Vermittlung beigelegt.
/45
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV.
Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts bei Beschwerden wegen Verweigerung der
Ausstellung eines Heimatscheins: Untersuchung der Frage, ob der
Beschwerdeführer Bürger der betreffenden Gemeinde sei, als Präjudizialpunkt.
Bürgerrecht des Kindes aus der Ehe einer Schweizerin mit einem ehemaligen
Russen, der nach der Sovietgesetzgebung seines russischen Bürgerrechts
verlustig gegangen und dadurch staatenlos geworden ist. Einrede der
Völkerrechtswidrigkeit sovietrussischer Vorschriften über den Verlust des
russischen Bürgerrechts.

A. - Die Rekurrentin Jacqueline-Marguerite-Henriette Lempert (im Folgenden
kurz als Jacqueline Lempert bezeichnet) ist das am 12. April 1932 in Ukkel,
Belgien, geborene Kind der Eheleute Constantin Lempert und Berthe-Marie-Louise
geb. Corbaz. Constantin Lempert ist von Geburt russischer Bürger. Ob er diese
Staatsangehörigkeit noch besitze, ist im vorliegenden Verfahren streitig. Er
hatte mit seinen Eltern in Odessa gewohnt. Im Dezember

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1919, während einer vorübergehenden Besetzung dieser Stadt durch die
weiss-russische Armee Denikin, flüchtete die Familie mit Hilfe eines ihr vom
weiss-russischen Gouverneur ausgestellten, durch das schweizerische Konsulat
und das Bureau International de Contrôle Odessa visierten Passes aus Russland
und wandte sich nach der Schweiz. Nach kurzem Aufenthalt in Bern liess sie
sich in Genf nieder, wo Constantin Lempert die Universität besuchte und seine
Studien im Jahre 1927 als ingénieur-chimiste mit dem Doktorat ès sciences
physiques abschloss. Hier verehelichte er sich auch am 21. Mai 1927. Die
ursprünglichen Ausweispapiere waren im Jahre 1923 durch einen Nansenpass
ersetzt worden. Berthe-Marie-Louise Corbaz war vor der Verheiratung Bürgerin
von Bonfol, Kanton Bern. Sie behielt das bernische und infolgedessen
schweizerische Bürgerrecht auch nachher bei, weil nach russischem Recht die
Ausländerin durch die Ehe mit einem Russen nicht dessen Staatsangehörigkeit
erwirbt. Am 26. August 1927, kurz nach der Eheschliessung, ist ihr von der
Burgergemeinde Bonfol ein Heimatschein ausgestellt worden, über den sie heute
noch verfügt. Im Frühjahr 1929 siedelten die Eheleute Lempert-Corbaz nach
Belgien über. Im Mai 1933 kehrten sie von dort wieder nach der Schweiz zurück.
Sie verlangten die Anerkennung des Kindes Jacqueline als Bürgerin von Bonfol,
dessen Eintragung im dortigen Bürgerregister und die Ausstellung eines
entsprechenden Heimatscheins, wurden aber mit diesem Begehren sowohl von der
Burgergemeinde Bonfol als von der Polizeidirektion des Kantons Bern
abgewiesen, von der Polizeidirektion nach Einholung einer Rechtsauskunft der
Polizeiabteilung des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes durch
Verfügung vom 15. Juni 1933, mit der Begründung: nach Sovietrecht verliere
freilich der im Ausland lebende Russe sein Bürgerrecht, wenn im
Aufenthaltsstaat eine Sovietgesandtschaft errichtet wurde und er von dieser
nicht innert Jahresfrist einen Sovietpass erhalten habe. Weder in Belgien noch
in der

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Schweiz bestehe aber eine solche Gesandtschaft. Der Ehemann Lempert besitze
also noch immer die Möglichkeit, für sich und seine Kinder russische
Ausweispapiere zu verlangen und zu erhalten, sobald er Wohnsitz in einem Lande
nehme, wo sich eine russische diplomatische Vertretung befinde. Er könne
deshalb nicht als staatenlos gelten, sodass die Voraussetzungen, unter denen
Jacqueline Lempert als Kind einer Schweizerin das Schweizerbürgerrecht
beanspruchen könnte, nicht vorlägen.
B. - Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 15. Juli 1933 haben hierauf namens
der Jacqueline Lempert deren Eltern gestützt auf Art. 43
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 43 Aufgaben der Kantone - Die Kantone bestimmen, welche Aufgaben sie im Rahmen ihrer Zuständigkeiten erfüllen.
-45
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV beim
Bundesgericht gegen die Polizeidirektion des Kantons Bern den Antrag gestellt,
die rekursbeklagte Behörde sei anzuhalten, die Rekurrentin als Bürgerin von
Bonfol anzuerkennen, sie in das dortige Bürgerregister eintragen zu lassen und
ihr einen Heimatschein auszustellen.
Zur Begründung wird geltend gemacht, dass der Ehemann Lempert mit seinen
Eltern wegen feindlicher Einstellung zum Sovietregime aus Russland geflohen
sei. Solche Flüchtlinge würden aber von Sovietrussland nicht als Bürger
anerkannt; auch Constantin Lempert sei somit schon durch die Tatsache dieser
Flucht staatenlos geworden. Nachdem andererseits die Rekurrentin auch nicht
etwa nach belgischem Recht durch die Geburt in diesem Lande (jure soli) die
dortige Staatsangehörigkeit erhalten habe, teile sie als Kind aus der Ehe
einer Schweizerin mit einem Staatenlosen das schweizerische Bürgerrecht der
Mutter. Dasselbe gelte überdies auch unter der Voraussetzung der fortdauernden
russischen Staatsangehörigkeit des Ehemannes Lempert, wenn die Tatsache der
ehelichen Abstammung von einem russischen Vater nach dem massgebenden
sovietrussischen Recht nicht zur Folge gehabt habe, der Rekurrentin dessen
Bürgerrecht zu verschaffen und sie deshalb ohne die Anerkennung als
Schweizerin staatenlos würde. So verhalte es sich nach Art. 35 des Code
soviétique de la famille, indem danach

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bei verschiedenem Bürgerrecht der Eltern die Staatsangehörigkeit der Kinder
durch Vereinbarung der Eltern bestimmt werde. Im vorliegenden Falle sei eine
derartige Vereinbarung zwischen den Ehegatten Lempert-Corbaz, dass die
Rekurrentin Russin werden solle, nicht getroffen worden. Vielmehr hätten die
Ehegatten am 13. Juli 1933 die gemeinsame Erklärung abgegeben, sie wünschten
ihrem Kinde die russische Staatsangehörigkeit nicht zu geben und erwarteten
dessen Anerkennung als Schweizerin. Aus dem schweizerischen Bürgerrecht ergebe
sich die Verpflichtung der bernischen Behörden zur Eintragung der Rekurrentin
in das Bürgerregister von Bonfol und zur Aushändigung eines Heimatscheins.
Der Art. 35 des sovietrussischen Gesetzbuches betreffend Ehe, Familie und
Vormundschaft («Code de la famille») von 1926 (der an die Stelle von Art. 147
des in BGE 54 I S. 231 zitierten früheren Gesetzes von 1921 getreten ist)
lautet in der deutschen Übersetzung bei Freund, das Zivilrecht in der
Sovietunion S. 37:
«Art. 35. Ist bei verschiedener Staatsangehörigkeit der Eltern auch nur ein
Teil im Zeitpunkt der Geburt des Kindes Bürger der RSFSR gewesen, so gilt
unter der Bedingung, dass mindestens ein Elternteil in diesem Zeitpunkte auf
dem Gebiet der Union der SSR gewohnt hat, das Kind als Bürger der RSFSR. Ist
jedoch ein Elternteil im Zeitpunkt der Geburt des Kindes Bürger der RSFSR
gewesen, haben aber in diesem Zeitpunkt beide Eltern ausserhalb des Gebietes
der Union der SSR gewohnt, so wird die Staatsangehörigkeit des Kindes durch
Vereinbarung der Eltern bestimmt.»
C. - Durch Nachtragseingabe vom 15. August 1933 ist sodann zur Frage der
Staatsangehörigkeit des Ehemannes Lempert auf das sovietrussische Dekret vom
28. Oktober 1921, gelegentlich auch als Dekret vom 15. Dezember 1921
bezeichnet, insbesondere dessen Art. 1 hingewiesen worden (Journal de droit
international privé Bd. 52 (1926) S. 551 No 6).

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«Le conseil des commissaires du peuple arrête:
1. Les personnes appartenant aux catégories ci-dessous énumérées et résidant à
l'étranger après la promulgation du présent décret, sont privées du droit de
cité russe:
a) Les personnes ayant séjourné à l'étranger plus de .a années sans
interruption et qui n'auraient pas reçu des représentations soviétiques à
l'étranger, des passeports étrangers ou des certificats correspondant jusqu'à
la date du 1er mars 1922.
Remarque: Le présent délai ne s'étend pas aux pays où il n'existe pas de
représentation de la RSFSR; dans ces pays ledit délai doit être fixé après la
création desdites représentations .
b) Les personnes ayant quitté la Russie après le 7 novembre 1917 sans
l'autorisation du pouvoir soviétique;
e) Les personnes ne tombant pas sous le coup des paragraphes a et b du présent
article et qui, résidant à l'étranger, ne se sont pas fait inscrire par les
représentations de la RSFSR à l'étranger, dans les délais indiqués par le
paragraphe a et son annexe.»
Selbst wenn mangels Bestehens von Sovietgesandtschaften in Belgien und in der
Schweiz noch zweifelhaft sein sollte, ob Constantin Lempert auf Grund der
litt. a und e dieses Dekretes die russische Staatsangehörigkeit verloren habe
- auch wenn er sich bei einer solchen Vertretung um einen Pass hätte bewerben
können, so würde er ihn offenbar als Glied einer dem Sovietregime feindlichen
Familie nicht erhalten haben - so treffe doch für ihn auf alle Fälle der
Verlustgrund der litt. b ebenda zu. Dieser Auffassung sei denn auch das
Pariser Generalkonsulat der Union der Sovietrepubliken nach der auf Anfrage
des Anwaltes der Rekurrentin erteilten Antwort.
Im Zusammenhang mit der Anrufung der letzterwähnten Bestimmung des Dekretes
vom 28. Oktober 1921 (Art. 1 b) werden sodann die näheren Angaben über die
Umstände der 1919 erfolgten Ausreise (Flucht) der Familie Lempert aus Russland
gemacht, die oben Fakt. A wieder

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gegeben worden sind. Ferner wird gestützt auf Art. 43
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
OG das Begehren um
Wiederherstellung gegen den Ablauf der Beschwerdefrist für die neuen
tatsächlichen Anbringen dieser Nachtragseingabe gestellt.
In der Anfrage an das russische Generalkonsulat Paris vom 31. Juli 1933 hatte
der Anwalt der Beschwerdeführerin darauf hingewiesen, dass der Ehemann Lempert
im Dezember 1919 Odessa und Russland mit Ausweispapieren der weissrussischen
Armee Denikin ohne Erlaubnis der Sovietbehörden verlassen, seither in der
Schweiz und Belgien gelebt und nichts unternommen habe, um sich
sovietrussische Papiere zu verschaffen. Das Generalkonsulat antwortete am 11.
August: «que votre client n'est pas citoyen soviétique; pour être réintégré
dans les droits de cité soviétique il devrait présenter une demande qui serait
envoyée au Comité Central Exécutif de l'URSS seul compétent dans la décision».
D. - Der Regierungsrat des Kantons Bern hat namens dieses Kantons und der
Burgergemeinde Bonfol die Abweisung der Beschwerde beantragt.
Das von der Rekurrentin angerufene sovietrussische Dekret vom 28. Oktober 1921
sei völkerrechtswidrig und dürfe deshalb bei Beurteilung des Falles nicht
berücksichtigt werden, da nach allgemein anerkannten völkerrechtlichen
Grundsätzen ein Staat missliebig gewordene Angehörige nicht einfach des
Bürgerrechts verlustig erklären und anderen Staaten zuschieben könne. Sogar
nach diesem Erlasse wäre übrigens Constantin Lempert nicht staatenlos. Da er
nie in einem Staate gelebt habe, in dem eine Sovietgesandtschaft bestehe, habe
auch die durch das Dekret vorgesehene Frist zum Begehren um Ausstellung eines
Sovietpasses für ihn noch nicht zu laufen begonnen und der an die Versäumung
der Frist geknüpfte Verlust des Bürgerrechts nicht eintreten können. Nach dem
Schreiben des Pariser Generalkonsulats der Sovietrepubliken vom 11. August
1933 bestehe ferner für ihn heute noch die Möglichkeit, sich direkt an das

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«Comité Central Exécutif de l'URSS» zu wenden, um die Wiederanerkennung als
russischer Staatsbürger zu erwirken. Solange er nicht nachweise, dass er sich
ohne Erfolg um die Ausstellung eines Nationalitätsausweises bemüht habe, könne
seine Staatenlosigkeit nicht als dargetan gelten.
Ebensowenig wie das Dekret vom 28. Oktober 1921 könne der Art. 35 des Code
soviétique de la famille anerkannt werden, indem «derartige für andere
Nationen tief einschneidende Bestimmungen völkerrechtlich unzulässig» seien.
Sowohl nach schweizerischem als nach belgischem Rechte, wie auch nach dem
Rechte aller übrigen Staaten mit Ausnahme der Sovietrepublik, folgten die
ehelichen Kinder dem Bürgerrecht des Vaters.
In der Duplik ist sodann zu diesem Punkte noch geltend gemacht worden, dass
die fragliche Vorschrift (Art. 35 des Code de la famille) schon zur Zeit der
Geburt der Rekurrentin nicht mehr gegolten habe, sondern Art. 7 des neuen, sie
aufhebenden Dekretes vom 13. Juni 1930 über die Staatsangehörigkeit. Danach
werde nunmehr jede Person von Geburt an als Russe betrachtet, die von einem
russischen Vater oder einer russischen Mutter abstamme, ohne Rücksicht auf den
Geburtsort und den Wohnsitz der Eltern; eine Bestimmung der
Staatsangehörigkeit durch Vereinbarung der Eltern sei hier nicht mehr
vorgesehen und zugelassen.
E. - Aufgefordert dieses Dekret vorzulegen oder doch die Quelle anzugeben, der
es entnommen wurde, hat der Regierungsrat von Bern am 3. April 1934
mitgeteilt, dass es in der deutschen Zeitschrift für Standesamtswesen Jahrgang
1930 S. 244; abgedruckt sei. Zugleich wurde der angerufene Art. 7 desselben
wörtlich wiedergegeben.
F. - Die Rekurrentin hat dazu mit Eingabe vom 24. April bemerkt, dass ihr der
Wortlaut des fraglichen Erlasses nicht zugänglich sei. Immerhin könne er sich
doch wohl nur auf Staatsangehörige der Sovietunion beziehen, die ihren
Wohnsitz in der Union haben, während

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für im Ausland wohnende die frühere Regelung weitergelte. Dem Vernehmen nach
sei übrigens das Dekret vom 13. Juni 1930 seither wieder aufgehoben und durch
ein solches vom 22. April 1931 über die Staatsangehörigkeit der Sovietunion
ersetzt worden, dessen Inhalt die Rekurrentin allerdings nicht kenne und von
dem sie auch nicht wisse, wo es veröffentlicht sei.
G. - Auf ein zum letzteren Punkt an die Polizeiabteilung des eidgenössischen
Justiz- und Polizeidepartementes gerichtetes Auskunftsgesuch hat diese
Amtsstelle dem Instruktionsrichter am 16. Mai geantwortet:
«qu'effectivement l'art. 35 du Code soviétique de la famille a été remplacé
par l'ordonnance sur la nationalité rendue le 13 juin 1930 par le Comité
exécutif central et le Comité des commissaires du peuple de l'Union des
Républiques soviétiques russes, dont l'art. 7 déclarait citoyen de l'URSS par
naissance, toute personne dont au moment de sa naissance les deux parents ou
l'un des deux étaient ressortissants de l'URSS. Il est exact, d'autre part,
que cette ordonnance, à son tour, a été remplacée par la loi du 22 avril 1931,
qui crée en matière de nationalité une législation uniforme pour les Etats de
l'Union, et dont l'art. 7 est l'exacte reproduction de l'art. 7 de
l'ordonnance précitée. Vous trouverez cette nouvelle loi - qui nous était
encore inconnue au moment où nous avons écrit l'an dernier à la Direction de
la police du canton de Berne - dans LESKE-LÖWENFELD «Das Recht der
Staatsangehörigkeit der europäischen und aussereuropäischen Staaten», première
partie, livraison 1 (Berlin 1934).»
Nach dem erwähnten Werk S. 134 lautet der Art. 7 dieses neuen
Bundesangehörigkeitsgesetzes vom 22. April 1931:
«Art. 7. - Als Staatsangehöriger der UdSSR kraft Geburt gilt eine Person, wenn
beide Eltern oder ein Elternteil im Zeitpunkt ihrer Geburt Staatsangehörige
der UdSSR waren.»
Daran knüpft der Redaktor dieses Abschnittes der

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Veröffentlichung («9. das Staatsangehörigkeitsrecht der Union der
Sozialistischen Soviet-Republiken») Prof. MAKAROV folgenden Kommentar:
«1. Art. 7 gibt den Text des Art. 7 des BAG vom 13.6.30 wörtlich wieder.
2. Er baut den Erwerb der SovietSTA durch Geburt auf dem Grundsatz des jus
sanguinis auf, dabei in seiner weitesten Ausgestaltung: der Geburtsort wird
überhaupt nicht berücksichtigt und für den Erwerb der SovietSTA genügt, dass
nur ein Teil SovietSTA ist. Das BAG vom 20.10.24 enthielt kompliziertere
Vorschriften: wenn beide Eltern SovietSTA waren, erwarb das Kind die SovietSTA
ohne Rücksicht auf den Geburtsort; wenn im Zeitpunkt der Geburt des Kindes nur
ein Elternteil SovietSTA war, wollte das Gesetz unterscheiden, ob ein
Elternteil im Gebiet der UdSSR lebt oder nicht. Falls ein Elternteil in der
UdSSR lebte, sollte das Kind die SovietSTA erwerben ohne Rücksicht auf den
Geburtsort; falls beide Eltern im Ausland lebten, sollte die
Staatsangehörigkeit des Kindes durch Vereinbarung bestimmt werden. Über die
recht schwierigen Fragen, die eine solche Regelung des Erwerbes der STA durch
Geburt hervorrufen konnte, s. MAKAROV im Ostrecht 1926 S. 19-20.
3. Der Begriff der Eltern oder eines Elternteiles muss nach dem Sovietrecht
bestimmt werden, soweit seine Vorschriften nach dem sovietistischen
internationalen Privatrecht für diese Bestimmung zur Anwendung kommen sollen.
Das findet statt, wenn das Kind im Gebiet der UdSSR oder im Ausland von
Personen geboren wird, die STA der UdSSR sind. Dabei genügt es nach der
Tendenz des Sovietrechtes, dass nur ein Elternteil im Besitz der SovietSTA
ist.
Als Eltern gelten nach Sovietrecht Personen, die als solche ins
Zivilstandsregister eingetragen sind: es sind die Mutter des Kindes und die
Person, deren Vaterschaft festgestellt ist ...
4. Das Kind erwirbt die STA der UdSSR, wenn die

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Eltern oder nur ein Elternteil im Besitze der STA zur Zeit seiner Geburt
waren. Der Zeitpunkt der Geburt bestimmt sich auch nach den Eintragungen im
Zivilstandsregister.»
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Die Beschwerdeschrift vom 15. Juli 1933 war bei der Einreichung nicht
unterzeichnet, weder von den Eltern der Rekurrentin, die als deren gesetzliche
Vertreter für sie handeln, noch durch den von ihnen zur Beschwerdeerhebung
bevollmächtigten Anwalt. Sie ist aber mit einem Begleitschreiben eingelegt
worden, das die Unterschrift des Anwaltes trägt. Dadurch darf auch der Inhalt
der mit dem Schreiben übermittelten Rechtsschrift selbst als gedeckt
betrachtet werden. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob nicht der Mangel
ohnehin noch nach Ablauf der Beschwerdefrist hätte gehoben werden können, wie
es auf Einladung des Instruktionsrichters, unvorgreiflich der Entscheidung des
Gerichtes hierüber, geschehen ist. Im vorliegenden Falle würde sich eine
strengere Lösung hinsichtlich des streitigen Erfordernisses umsoweniger
rechtfertigen, als bei der Unverzichtbarkeit der Rechte aus Art. 44
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 44 Grundsätze - 1 Bund und Kantone unterstützen einander in der Erfüllung ihrer Aufgaben und arbeiten zusammen.
1    Bund und Kantone unterstützen einander in der Erfüllung ihrer Aufgaben und arbeiten zusammen.
2    Sie schulden einander Rücksicht und Beistand. Sie leisten einander Amts- und Rechtshilfe.
3    Streitigkeiten zwischen Kantonen oder zwischen Kantonen und dem Bund werden nach Möglichkeit durch Verhandlung und Vermittlung beigelegt.
/45
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV das
Begehren um Ausstellung eines Heimatscheines für die Rekurrentin immer noch
wiederholt werden könnte, jedenfalls sobald wegen sonst ihr drohender
Nachteile dazu ein besonderer Anlass besteht mit der Wirkung, dass bei einer
erneuten Ablehnung der Staatsgerichtshof alsdann auf formrichtig erhobene
Beschwerde materiell über die Verfassungsmässigkeit des ablehnenden Bescheides
zu befinden hätte (BGE 28 I 129 Erw. 4; 42 I 308 Erw. 1).
2.- Nach ständiger Rechtsprechung kann bei solchen Beschwerden das
Bundesgericht auch die Frage, ob der Beschwerdeführer Bürger der betreffenden
Gemeinde und damit des betreffenden Kantons sei, als Präjudizialpunkt,
vorfrageweise prüfen. Die Lösung, welche dabei dieser Frage gegeben wird, hat
immerhin nur die Bedeutung

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eines Urteilsmotivs. Zu einer endgültigen Entscheidung über das Bestehen oder
Nichtbestehen des bestrittenen Bürgerrechtsverhältnisses durch ein der
Rechtskraft fähiges Urteilsdispositiv ist das Bundesgericht in diesem
Verfahren nicht befugt (BGE 36 I 218 Erw. 1 und 2; 37 I 244 Erw. 1; 45 I 158
Erw. 1; 54 I 232 Erw. 1; 55 I 16 Erw. 1 und 22 Erw. 1). Soweit die vorliegende
Beschwerde neben der Ausstellung eines Heimatscheins der Gemeinde Bonfol noch
ein Mehreres, nämlich die Verpflichtung der rekursbeklagten Behörde zur
Anerkennung der Rekurrentin als Bürgerin dieser Gemeinde und Anordnung der
Eintragung in das dortige Bürgerregister verlangt, kann deshalb darauf nicht
eingetreten werden.
3.- Es ist ein von den Bundesbehörden seit 1848 stets festgehaltener
Grundsatz, dass die Schweizerin durch Verheiratung mit einem Nichtschweizer
ihr Schweizerbürgerrecht nur verliert, wenn sie gleichzeitig infolge des
Eheschlusses die Staatsangehörigkeit des Ehemannes erwirbt, dass sie also
Schweizerin bleibt, wenn letzteres wegen Staatenlosigkeit des Mannes oder nach
seinem Heimatrecht nicht der Fall ist. Ferner, dass auch die Kinder aus einer
solchen Ehe einer Schweizerin mit einem Staatenlosen als Schweizer geboren
werden, wenn sie andernfalls staatenlos wären (siehe aus früherer Zeit BGE 7
S. 85 ff. insbesondere 96/97; 17 S. 98 Erw. 1; aus neuerer Zeit ebenda 36 I
215
ff., insbesondere 223 Erw. 5; 54 I 233; ferner die vom eidgenössischen
Justiz- und Polizeidepartement im Jahre 1926 im Einverständnis mit dem
Bundesgericht veröffentlichten Richtlinien SALIS-BURCKHARDT, Bundesrecht I No.
358 unter VI; BBl. 1927 I S. 503/4). Dem Falle der Staatenlosigkeit des
Ehemannes ist auch nach der letzteren Richtung entsprechend dem Grunde dieser
Praxis, die Entstehung von Heimatlosigkeit tunlich zu verhüten, der andere
gleichzustellen und wird tatsächlich gleichgestellt, wo der Ehemann zwar die
Staatsangehörigkeit eines andern Staates besitzt, diese aber nach dessen
Gesetzgebung nicht mit der Geburt

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auf das Kind übergegangen ist und das letztere auch nicht etwa kraft der
Geburt in einem dritten Lande jure soli dessen Bürger geworden ist (s. die
Erläuterungen zu den erwähnten Richtlinien SALIS-BURCKHARDT a.a.O. S. 792
unter Ziff. 2 c und das Urteil des Bundesgerichtes vom 13. Oktober 1933 i. S.
Touchon). Der Kanton Bern ficht denn auch diese Grundsätze (die freilich von
BURCKHARDT, wie früher schon, auch neuerdings beanstandet werden, Kommentar,
2. Aufl. S. 518, 3. Aufl. S. 503 und 609 No. 6) abgesehen von dem in Erw. 5
unten, letzter Absatz, zu erörternden Vorbehalt nicht an.
4.- Wäre der Ehemann Lempert noch russischer Staatsangehöriger (der
Sovietunion), so würde diese Staatsangehörigkeit nach Art. 7 des
sovietrussischen Bundesangehörigkeitsgesetzes vom 22. April 1931 mit der
Geburt auch auf die Rekurrentin übergegangen sein. Der von der Rekurrentin und
ursprünglich auch vom eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement für
diesen Fall als massgebend betrachtete Art. 35 des Gesetzbuches betreffend
Ehe, Familie und Vormundschaft von 1926 war, wie aus Fakt. G oben einwandfrei
hervorgeht, zur Zeit der Geburt der Rekurrentin bereits aufgehoben und durch
die erwähnte Vorschrift des Gesetzes vom 22. April 1931 ersetzt. Es braucht
daher nicht untersucht zu werden, wie sich danach die Rechtslage gestaltet
hätte. Dass der heute geltende Art. 7 des Bundesangehörigkeitsgesetzes von
1931 hier deshalb keine Anwendung finden könne, weil die Eigenschaft des
Ehemannes Lempert als «Elternteil» mangels Gültigkeit der von ihm in der
Schweiz geschlossenen Ehe in Russland nicht anerkannt würde, wird nicht
behauptet und es liegt dafür auch nichts vor.
5.- Die Rekurrentin kann danach auf das Schweizerbürgerrecht nur Anspruch
erheben, wenn die andere Alternative zutrifft, auf welche die Beschwerde
gestützt wird, nämlich die Staatenlosigkeit des Ehemannes Lempert im
massgebenden Zeitpunkte. Diese Voraussetzung muss

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aber in der Tat nach Art. 1 lit. b) des von der Rekurrentin angeführten
sovietrussischen Dekretes vom 28. Oktober 1921 als nachgewiesen angesehen
werden. Die fortdauernde Geltung dieses Erlasses wird vom Kanton Bern nicht in
Zweifel gezogen. Es besteht deshalb kein Anlass, der Rekurrentin hiefür noch
einen weitern Beweis aufzuerlegen (Art. 22
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
OG und Art. 3
SR 273 Bundesgesetz vom 4. Dezember 1947 über den Bundeszivilprozess
BZP Art. 3
1    Der Richter prüft von Amtes wegen die Zulässigkeit der Klage und aller weiteren Prozesshandlungen.
2    Der Richter darf über die Rechtsbegehren der Parteien nicht hinausgehen und sein Urteil nur auf Tatsachen gründen, die im Verfahren geltend gemacht worden sind. Er soll jedoch die Parteien auf unzulängliche Rechtsbegehren aufmerksam machen und darauf hinwirken, dass sie Tatsachen und Beweismittel, die für die Feststellung des wahren Tatbestandes notwendig erscheinen, vollständig angeben. Zu diesem Instruktionszwecke kann er jederzeit die Parteien persönlich einvernehmen.
BZP). Nach den
ebenfalls nicht bestrittenen Umständen, unter denen Constantin Lempert
Russland seinerzeit verlassen hat, kann ferner nicht zweifelhaft sein, dass er
zu der hier des Bürgerrechtes verlustig erklärten Personenkategorie gehört,
nämlich zu denjenigen, welche nach dem 7. November 1917 ohne Erlaubnis der
Sovietbehörden ausgewandert sind.
Dass die Anführung des erwähnten Dekretes wie die näheren Angaben über diese
Ausreise erst in der Nachtragseingabe vom 15. August 1933 erfolgt sind, kann
nicht dazu führen, sie wegen Verspätung nicht zu berücksichtigen. Zur
Begründung der Beschwerde in tatsächlicher Beziehung genügte die Behauptung,
dass der Vater der Rekurrentin nach Errichtung des Sovietstaates ohne
Bewilligung seiner Behörden ins Ausland geflohen sei und dass solche
Flüchtlinge von Sovietrussland nicht als Bürger anerkannt würden. Diese
Behauptung ist aber schon in der Beschwerdeschrift aufgestellt worden. Das
weitere darf als Frage der Beweisführung betrachtet werden und konnte daher
auch später noch nachgeholt werden (Art. 186
SR 273 Bundesgesetz vom 4. Dezember 1947 über den Bundeszivilprozess
BZP Art. 3
1    Der Richter prüft von Amtes wegen die Zulässigkeit der Klage und aller weiteren Prozesshandlungen.
2    Der Richter darf über die Rechtsbegehren der Parteien nicht hinausgehen und sein Urteil nur auf Tatsachen gründen, die im Verfahren geltend gemacht worden sind. Er soll jedoch die Parteien auf unzulängliche Rechtsbegehren aufmerksam machen und darauf hinwirken, dass sie Tatsachen und Beweismittel, die für die Feststellung des wahren Tatbestandes notwendig erscheinen, vollständig angeben. Zu diesem Instruktionszwecke kann er jederzeit die Parteien persönlich einvernehmen.
OG).
Der vom Kanton Bern angerufene Vorbehalt des Dekretes vom 28. Oktober 1921,
wonach die Frist zur Erwirkung eines Sovietpasses in den Ländern, wo keine
diplomatische Vertretung der Sovietunion besteht, erst nach Errichtung einer
solchen zu laufen beginnt, bezieht sich nur auf die Verwirkungstatbestände von
Art. 1 lit. a) und e) des Dekretes, nicht auf denjenigen von lit. b) ebenda.
Hier war (Art. 2 des Dekretes) lediglich vorgesehen. dass die unter die
letztere Bestimmung fallenden

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Personen vor dem 1. März 1922 beim «Comité Central Exécutif Panrusse» durch
Vermittlung der nächsten diplomatischen Vertretungen ein Gesuch um
Wiedereinsetzung in das Bürgerrecht stellen könnten. Dass aber Constantin
Lempert von dieser Möglichkeit oder einer eventuellen spätern wiederholten
gleichen Aufforderung, die übrigens nicht dargetan ist, mit Erfolg Gebrauch
gemacht habe, ist nicht behauptet.
Die Annahme, dass er auf Grund von Art. 1 lit. b) des streitigen Dekretes sein
russisches Bürgerrecht verloren hat, wird übrigens bestätigt durch die
Auskunft des Russischen Generalkonsulates in Paris vom 11. August 1933, dass
er nach dem mitgeteilten Tatbestand nicht Sovietbürger sei. Wenn es darin
heisst, dass er immerhin «pour être réintégré dans les droits de cité
soviétique» ein Gesuch an das «Comité Central Exécutif de l'URSS» richten
könne, das darüber entscheiden werde, so kann dies angesichts jener
vorangehenden Feststellung nur die Bedeutung eines Hinweises auf die
Möglichkeit der Wiedereinbürgerung, des Neuerwerbs dieses Bürgerrechtes haben.
Diese Möglichkeit ist aber gegenüber der bis dahin bestehenden
Staatenlosigkeit jedenfalls dann unerheblich, wenn der Gesuchsteller nicht
unter bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen einen Rechtsanspruch auf die
fragliche Wiederaufnahme hat, sondern es sich um ein Begehren handelt, das,
wie nach dem Schreiben und dem, was im allgemeinen über die Praxis der
Sovietbehörden bekannt ist, geschlossen werden muss, von ihnen nach freiem
Ermessen bewilligt oder abgewiesen werden kann. Constantin Lempert ist danach
nicht bloss, wie die Beschwerdeantwort es wenden will, zur Zeit ausserstande,
seine Staatsangehörigkeit durch einen entsprechenden Ausweis darzutun, sondern
er befindet sich in der Lage desjenigen, der einen solchen Ausweis nicht
beibringen kann, weil er die dazu erforderliche Nationalität eines anderen
Staates nicht besitzt.
Die hieraus für die Staatsangehörigkeit der Rekurrentin

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sich ergebenden Folgerungen können auch nicht wegen «Völkerrechtswidrigkeit»
der im Dekrete vom 28. Oktober 1921 getroffenen Ordnung abgelehnt werden. Es
ist nicht nötig, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob das aus der Souveränität
des einzelnen Staates grundsätzlich folgende Recht, die Voraussetzungen für
den Erwerb und die Fortdauer seiner Staatsangehörigkeit durch seine nationale
Gesetzgebung frei zu bestimmen, durch Rücksichten des internationalen Verkehrs
Einschränkungen erleide; ferner inwieweit sich hierüber aus der
Völkerrechtslehre bestimmte Grundsätze ableiten lassen, die es gestatten
würden, eine Bestimmung wie die in Betracht kommende als unzulässig zu
erklären (vgl. dazu LISZT Völkerrecht 9. Aufl. S. 102 § 11; VANSELOW
Völkerrecht No. 21, 27, 12 a; HOLD-FERNECK Völkerrecht Bd. II S. 25 unter B;
FAUCHILLE, droit international public; Bd. I, 1. Teil S. 841 ff., bes. S. 844
No. 418 und S. 878; FREUND-SÉE in Journal du droit international Bd. 51 (1924)
S. 55 letzter Absatz). Denn selbst wenn dies der Fall wäre, würde darin nach
dem Wesen des Völkerrechtes als einer Ordnung zwischen Staaten höchstens eine
Verletzung von Pflichten gegenüber den andern Staaten liegen, die durch die
beanstandete Ordnung in ihren Interessen betroffen werden, wobei die Annahme
eines solchen Verstosses überdies praktisch solange ohne Wirkung bleibt, als
ein Rechtsweg für den auswärtigen Staat, um den früheren Heimatstaat zur
Rückgängigmachung der Ausbürgerung und Wiederaufnahme der betreffenden Person
anzuhalten, nicht gegeben ist. An der Staatenlosigkeit der durch den
angefochtenen Gesetzgebungsakt betroffenen Person selbst, d. h. an der
Tatsache, dass ihr früherer Heimatstaat sie nicht mehr als Bürger anerkennt,
vermag dadurch nichts geändert zu werden. Diese Tatsache muss aber nach dem
Zwecke der in Erwägung 3 oben umschriebenen Praxis genügen, um dem Kind aus
der Ehe einer solchen Person mit einer Schweizerin, die ihrerseits die
schweizerische Staatsangehörigkeit auch

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nach der Verheiratung beibehalten hat, die letztere ebenfalls zu verschaffen,
sofern es nicht etwa kraft der Geburt in einem dritten Staate nach dessen
Gesetzgebung dort Bürger geworden ist. Von dieser Auffassung ist denn auch das
Bundesgericht schon in den oben in anderem Zusammenhang erwähnten Fällen BGE 7
S. 85 und 17 S. 98 ohne weiteres ausgegangen, wo ähnliche
Verwirkungstatbestände der früheren russischen und österreichischen
Gesetzgebung in Frage standen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass die rekursbeklagte Behörde
angewiesen wird, den verlangten Heimatschein für die Rekurrentin ausstellen zu
lassen. Die weitergehenden Beschwerdebegehren werden abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 60 I 67
Datum : 01. Januar 1934
Publiziert : 15. Juni 1934
Quelle : Bundesgericht
Status : 60 I 67
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : Unverzichtbarkeit der Rechte aus Art. 44/45 BV.Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts bei Beschwerden...


Gesetzesregister
BV: 43 
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 43 Aufgaben der Kantone - Die Kantone bestimmen, welche Aufgaben sie im Rahmen ihrer Zuständigkeiten erfüllen.
44 
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 44 Grundsätze - 1 Bund und Kantone unterstützen einander in der Erfüllung ihrer Aufgaben und arbeiten zusammen.
1    Bund und Kantone unterstützen einander in der Erfüllung ihrer Aufgaben und arbeiten zusammen.
2    Sie schulden einander Rücksicht und Beistand. Sie leisten einander Amts- und Rechtshilfe.
3    Streitigkeiten zwischen Kantonen oder zwischen Kantonen und dem Bund werden nach Möglichkeit durch Verhandlung und Vermittlung beigelegt.
45
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BZP: 3
SR 273 Bundesgesetz vom 4. Dezember 1947 über den Bundeszivilprozess
BZP Art. 3
1    Der Richter prüft von Amtes wegen die Zulässigkeit der Klage und aller weiteren Prozesshandlungen.
2    Der Richter darf über die Rechtsbegehren der Parteien nicht hinausgehen und sein Urteil nur auf Tatsachen gründen, die im Verfahren geltend gemacht worden sind. Er soll jedoch die Parteien auf unzulängliche Rechtsbegehren aufmerksam machen und darauf hinwirken, dass sie Tatsachen und Beweismittel, die für die Feststellung des wahren Tatbestandes notwendig erscheinen, vollständig angeben. Zu diesem Instruktionszwecke kann er jederzeit die Parteien persönlich einvernehmen.
OG: 22  43  186
BGE Register
28-I-127 • 36-I-215 • 37-I-240 • 42-I-307 • 45-I-155 • 54-I-230 • 55-I-11 • 60-I-67
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
bundesgericht • ehe • frage • heimatschein • udssr • russland • russ • familie • belgien • vater • gemeinde • ausweispapier • mutter • diplomatische vertretung • 1919 • weiler • frist • bewilligung oder genehmigung • ehegatte • beschwerdeschrift
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BBl
1927/I/503