S. 172 / Nr. 44 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht (d)

BGE 57 III 172

44. Entscheid vom 24. Oktober 1931 i. S. Häsler.


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Regeste:
Wer einen Wohnsitz aufgibt, ohne einen neuen zu begründen, ist am
Aufenthaltsorte, nicht am bisherigen Wohnorte zu betreiben. Art. 48
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 48 - Schuldner, welche keinen festen Wohnsitz haben, können da betrieben werden, wo sie sich aufhalten.
SchKG
(Erw. 1).
Die Frage, ob der Pfändung einer «altbernischen Witwe» das
Verfangenschafterecht ihrer Kinder entgegenstehe, ist im Widerspruchsverfahren
auszutragen (Erw. 2).
Celui qui abandonne son domicile sans s'en créer un nouveau doit être
poursuivi à l'endroit où il se trouve et non pas au lieu où il avait son
précédent domicile. Art. 48 LP (consid. 1).
La question de savoir si les droits que l'art. 148 de la loi bernoise sur
l'introduction du code civil suisse confère aux enfants dans la succession
paternelle sur les biens soumis au droit matrimonial de l'ancienne partie du
Canton (Verfangenschaftsrecht) font obstacle à une saisie contre la mère doit
se juger dans la procédure de revendication des art. 106 à 109 LP (consid. 2).
Chi abbandona il suo domicilio senza acquistarne altro dev'essere escusso al
luogo dove si trova e non a quello dove dimorava prima. Art. 48 LEF (consid.
1).
La questione se i diritti che l'art. 148 della legge bernese sull'introduzione
del codice civile, concede ai figli nella successione paterna sui beni
soggetti al diritto matrimoniale dell'antica parte del Cantone
(Verfangenschaftsrecht) ostino ad un pignoramento diretto contro la madre,
dev'essere decisa nel procedimento di rivendicazione degli art. 106-109 LEF
(consid. 2).

A. - Die Rekurrentin ist die Witwe eines Berner Oberländer Landwirtes und
Mutter eines im Jahre 1913 geborenen gemeinsamen Kindes. Vor dem Inkrafttreten
des ZGB sollen die Ehegatten eine gemeinsame schriftliche Erklärung über die
Beibehaltung des bisherigen bernischen Güterstandes zur Eintragung in das
Güterrechtsregister eingereicht haben.
Am 4. Februar 1931 meldete sich die Rekurrentin von ihrem bisherigen Wohnort
Interlaken nach Wilderswil ab und wurde daher am 3. März im Wohnsitzregister
von Interlaken gelöscht. Auf Verlangen der Rekursgegnerin erliess das
Betreibungsamt des Kantons Basel-Stadt am 19. Juni 1931 einen Zahlungsbefehl
gegen die Rekurrentin,

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die sich damals in Basel befand, und auf das am 14. Juli eingegangene
Fortsetzungsbegehren hin schritt es zur Pfändung, die jedoch, weil sich kein
pfändbares Vermögen bei der Rekurrentin in Basel vorfand, requisitionsweise in
Interlaken und Wilderswil vollzogen werden musste, insbesondere auf Möbel, die
zum grösseren Teil bei einem Camionneur in Interlaken eingestellt, zum
kleineren Teil in der früheren Wohnung der Rekurrentin bei der Rekursgegnerin
in Wilderswil zurückgeblieben waren. Am 13. August meldete sich die
Rekurrentin dann von Wilderswil nach Basel ab, und am 27. August meldete sie
sich beim Kontrollbureau in Basel an mit der Erklärung, bald wieder abreisen
zu wollen mit dem Ziel: Bern, 5 Bahnhofplatz bei Notar Ruef.
B. - Inzwischen hatte die Rekurrentin am 8. August die Pfändungsurkunde
erhalten und am 18. August (durch das Advokaturbureau Roth, Ruef & Joss,
Fürsprecher, Bahnhofplatz 5, Bern) Beschwerde geführt mit dem Antrag, die
Pfändung sei aufzuheben und das Betreibungsamt Basel-Stadt sei anzuweisen, der
Betreibung keine weitere Folge zu geben. Zur Begründung wendet sie örtliche
Unzuständigkeit des Betreibungsamtes Basel-Stadt ein, sowie das Fehlen einer
Angabe im Zahlungsbefehl über ihre bloss beschränkte Haftung für die ohne
Zustimmung ihres Kindes bezw. dessen Vertreters gegenüber der Rekursgegnerin
eingegangene Schuld, unter Hinweis auf BGE 44 III S. 140 und folgende
Vorschriften des bernischen EG zum ZGB:
Art. 150
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 48 - Schuldner, welche keinen festen Wohnsitz haben, können da betrieben werden, wo sie sich aufhalten.
: Haben beide Ehegatten das Inkrafttreten des ZGB erlebt und ihren
bisherigen Güterstand sowohl unter sich als auch gegenüber Dritten beibehalten
(Art. 144), so... werden die nachfolgenden Bestimmungen des bisherigen Rechtes
(Art. 151 und 152) als güterrechtlich bezeichnet.
Art. 151 Ziff. 2, in Verbindung mit Art. 148 Ziff. 2 und 4: Stirbt der Ehemann
und sind aus der Ehe Kinder vorhanden, so fällt der Nachlass an die Ehefrau
unter

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Vorbehalt des Teilungsrechtes der Kinder und gilt als eheliches Vermögen der
gesamte Nachlass des Ehemannes. - Für Schulden, welche die Witwe ohne die
Zustimmung der Kinder oder ihrer Vertreter, für die unter der elterlichen
Gewalt der Mutter stehenden Kinder ohne die Zustimmung der
Vormundschaftsbehörde eingeht, haften neben ihrem allfälligen sonstigen
Vermögen nur die Erträgnisse des ehelichen Vermögens. - Kommen die Gläubiger
zu Verlust, so können sie die Teilung des ehelichen Vermögens und Befriedigung
aus dem Anteil der Witwe verlangen.
C. - Die Aufsichtsbehörde über das Betreibungsamt des Kantons Basel-Stadt hat
am 1. Oktober 1931 die Beschwerde abgewiesen.
D. - Diesen Entscheid hat die Rekurrentin an das Bundesgericht weitergezogen.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.- Die örtliche Zuständigkeit des Betreibungsamtes Basel-Stadt ist von dessen
Aufsichtsbehörde zutreffend aus Art. 48
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 48 - Schuldner, welche keinen festen Wohnsitz haben, können da betrieben werden, wo sie sich aufhalten.
SchKG hergeleitet worden, wonach
Schuldner, welche keinen festen Wohnsitz haben, da betrieben werden können, wo
sie sich aufhalten. Diese ausschliesslich betreibungsrechtliche Vorschrift
findet Anwendung, sobald eine Person sich vom bisherigen Wohnsitz entfernt in
der Absicht, hier nicht mehr dauernd zu verbleiben, jedoch ohne die Absicht,
am neuen Aufenthaltsorte dauernd zu verbleiben, und steht insofern in einem
gewissen Gegensatze zu Art. 24 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 24 - 1 Der einmal begründete Wohnsitz einer Person bleibt bestehen bis zum Erwerbe eines neuen Wohnsitzes.
1    Der einmal begründete Wohnsitz einer Person bleibt bestehen bis zum Erwerbe eines neuen Wohnsitzes.
2    Ist ein früher begründeter Wohnsitz nicht nachweisbar oder ist ein im Ausland begründeter Wohnsitz aufgegeben und in der Schweiz kein neuer begründet worden, so gilt der Aufenthaltsort als Wohnsitz.
ZGB. In diesem Sinne hat die Rekurrentin
ihren bisherigen Wohnsitz in Interlaken unzweifelhaft aufgegeben und keinen
neuen begründet, als sie sich zunächst für einige wenige Monate nach
Wilderswil und von da nach Basel begab, wo sie dann noch zwei Monate nach der
Ankunft und nach Anhebung der vorliegenden Betreibung angab, nicht dauernd
hier bleiben zu wollen.

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2.- Die dem angeführten Präjudiz zugrunde liegenden Sätze über die Betreibung
gegen die Ehefrau, die in der Tat (bei der fortgesetzten Gütergemeinschaft
und) beim Güterstand des bisherigen Berner Rechtes für den alten Kantonsteil
auch nach dem Tode des Ehemannes brauchbar gewesen wären, waren in Verbindung
mit einer autoritativen Regelung (durch Verordnung oder Kreisschreiben des
Gesamtbundesgerichtes) gedacht und haben, weil eine solche nicht zustande kam,
wieder verlassen werden müssen zugunsten einer anderen Ordnung der Betreibung
gegen die Ehefrau, was mit den Präjudizien in BGE 51 III S. 92 und 145
geschehen ist, auf denen die seitherige Rechtsprechung fusst (vgl. BGE 53 III
S. 1
; 54 III S. 320). Deshalb kann die Rekurrentin aus jenem Präjudiz nichts
mehr herleiten. Ebensowenig aber aus der durch die neuere Rechtsprechung
getroffenen Ordnung der Betreibung gegen die Ehefrau, wonach auf Grund eines
gegen die Ehefrau gerichteten und ihr persönlich, nicht (auch) dem Ehemanne
zugestellten Zahlungsbefehles nur ihr Sondergut gepfändet werden darf; denn
sie versagt, sobald nach dem Tode des Ehemannes die Zustellung an ihn nicht
mehr in Frage kommt. Dem gegen die Witwe gerichteten und ihr zugestellten
Zahlungsbefehl kann nicht eine ähnlich beschränkte, sondern muss vielmehr die
umfassende Wirkung beigelegt werden, dass er die Grundlage für die Pfändung
ihres sämtlichen Vermögens abgibt, ungeachtet allfälliger
Verfangenschaftsrechte der Kinder. Um letztere gegenüber der Pfändung
auszuspielen, sind Widerspruchsverfahren und allfällig Widerspruchsprozess die
geeigneten Rechtsbehelfe, gleichwie die Wahrung anderer der Pfändung
entgegenstehender Drittansprachen aller Art ohne Nachteil hat von der
Rechtsprechung in dieses Verfahren verwiesen werden können. Eine andere Lösung
wird insbesondere nicht etwa dadurch erfordert, dass öfter auch als
Präjudizialfrage darüber wird entschieden werden müssen, ob die Schuld noch
vom Ehemann oder erst von der Witwe, und von dieser mit oder ohne Zustimmung

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der Kinder bezw. ihrer Vertreter eingegangen worden ist. Um die Einleitung des
Widerspruchsverfahrens herbeizuführen, braucht also die Rekurrentin einfach
das Betreibungsamt auf das Verfangenschaftsrecht ihres Kindes aufmerksam zu
machen. Dies ist durch die binnen zehn Tagen seit der Zustellung der
Pfändungsurkunde geführte Beschwerde in genügender Weise geschehen (ganz
abgesehen von der Frage, ob die Versäumnis der Ansprachefrist durch die Mutter
ungeachtet des virtuell bestehenden Interessengegensatzes dem Kind
entgegengehalten werden könnte, wie das Betreibungsamt zu glauben scheint).
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer: Der Rekurs wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 57 III 172
Datum : 01. Januar 1931
Publiziert : 24. Oktober 1931
Quelle : Bundesgericht
Status : 57 III 172
Sachgebiet : BGE - Schuldbetreibungs- und Konkursrecht
Gegenstand : Wer einen Wohnsitz aufgibt, ohne einen neuen zu begründen, ist am Aufenthaltsorte, nicht am...


Gesetzesregister
SchKG: 48
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 48 - Schuldner, welche keinen festen Wohnsitz haben, können da betrieben werden, wo sie sich aufhalten.
ZGB: 24 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 24 - 1 Der einmal begründete Wohnsitz einer Person bleibt bestehen bis zum Erwerbe eines neuen Wohnsitzes.
1    Der einmal begründete Wohnsitz einer Person bleibt bestehen bis zum Erwerbe eines neuen Wohnsitzes.
2    Ist ein früher begründeter Wohnsitz nicht nachweisbar oder ist ein im Ausland begründeter Wohnsitz aufgegeben und in der Schweiz kein neuer begründet worden, so gilt der Aufenthaltsort als Wohnsitz.
150
BGE Register
44-III-140 • 51-III-92 • 53-III-1 • 57-III-172
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
betreibungsamt • witwe • basel-stadt • zahlungsbefehl • ehegatte • frage • mutter • eheliches vermögen • monat • bisheriger wohnsitz • tod • aufenthaltsort • weiler • inkrafttreten • schuldbetreibungs- und konkursrecht • erbschaft • bruchteil • widerspruchsverfahren • rechtsmittel • begründung des entscheids
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