S. 434 / Nr. 67 Versicherungsvertrag (d)

BGE 57 II 434

67. Urteil der II. Zivilabteilung vom 2. Juli 1931 i. S. Meier gegen "Zürich",
Allgemeine Unfall- und Haftpflichtversicherungs-Aktiengesellschaft.

Regeste:
Unfallversicherung. Zulässigkeit einer Klausel, wonach nur für diejenigen
Unfallsfolgen Entschädigung geleistet werden soll, welche ohne die Mitwirkung
bereits vorhandener oder unabhängig vom Unfall nachträglich entstandener
Krankheitszustände voraussichtlich eingetreten wären.

Aus dem Tatbestand:
A. - Der bei der «Zürich» gegen Unfall versicherte Emil Meier-Röthinger in
Münchenstein zog sich am 14. Dezember 1928 durch Sturz eine Kopfverletzung mit
erheblichem Blutverlust zu. Mitte Januar 1929 war die Verletzung geheilt. Die
«Zürich» bezahlte das versicherungsmässige Taggeld. Am 1. Februar 1929 starb
Meier an den Folgen eines Prostatacarcinoms.
B. - Mit vorliegender Klage verlangten die Erben Meier, es sei ihnen die
Hälfte der in der Police vorgesehenen Todesfallentschädigung von 20000 Fr.
zuzusprechen. Zur Begründung machten sie geltend, dass der beim Unfall
eingetretene Blutverlust die vorher noch

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aussichtsreiche Operation des Prostatacarcinoms verunmöglicht habe. Der Tod
müsse also zum grossen Teil dem Unfall zugeschrieben werden. Dem Einfluss der
Krankheit sei durch Reduktion des Entschädigungsanspruchs von 20000 Fr. auf
10000 Fr. genügend Rechnung getragen.
Die Beklagte beantragte Abweisung der Klage unter Berufung auf § 16 der
allgemeinen Versicherungsbedingungen. Diese Bestimmung lautet:
«Wenn erhebliche Krankheitszustände schon vor dem Unfall vorhanden waren oder
nach demselben, aber davon unabhängig eintreten, so hat die Gesellschaft nur
für diejenigen Unfallsfolgen Entschädigung zu leisten, welche ohne die
Mitwirkung jener Krankheitszustände voraussichtlich entstanden wären. Das
Gleiche gilt bei der Versicherung von Frauen für die Schwangerschaft.
Säuferwahnsinn fällt auch dann nicht zu Lasten der Versicherung, wenn er durch
Unfall ausgelöst wird.»
Die Klage wurde von den kantonalen Instanzen teilweise gutgeheissen, vom
Bundesgericht abgewiesen.
Aus den Erwägungen:
1. - Nach § 16 der allgemeinen Bedingungen sollen von der Versicherung
diejenigen Unfallsfolgen ausgenommen sein, die ohne das Bestehen oder
Hinzukommen erheblicher Krankheitszustände voraussichtlich nicht eingetreten
wären.
Es frägt sich in erster Linie, ob diese Bestimmung gültig ist. Das muss bejaht
werden. Es besteht kein Grund, warum die Parteien nicht eine derartige
Beschränkung der Haftbarkeit sollten vereinbaren dürfen. Selbst die
Versicherungsnehmer sind an der Zulassung der Klausel interessiert; denn wenn
der Versicherer notwendig auch für die Schäden aufkommen müsste, die sich aus
dem Unfall durch die Mitwirkung einer Krankheit ergeben, so wäre es kranken
Leuten entweder gar nicht oder dann nur zu bedeutend erschwerten Bedingungen
möglich, sich gegen Unfall zu versichern. Auf diesem

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Boden steht schon die bisherige bundesgerichtliche Rechtsprechung. Zwar
scheint in BGE 32 II S. 292 Erw. 4 letztem Absatz eine Klausel, wonach die
Versicherung nur diejenigen Schäden decke, welche der Unfall allein und
unmittelbar, ohne Mitwirkung einer Krankheit oder eines andern Umstandes zur
Folge habe, noch als schlechthin ungültig angesehen worden zu sein. Man könne,
heisst es dort, dem Versicherten nicht den Beweis dafür auferlegen, dass der
Unfall die einzige Ursache des Schadens gewesen sei; überdies existiere
vielleicht kein Mensch ohne irgendwelche krankhafte Anlage oder organische
Unvollkommenheit, sodass fast alle mit dieser Klausel abgeschlossenen
Unfallversicherungen zum vorneherein illusorisch wären. Allein schon in BGE 44
II S. 101
Erw. 2 und in allen folgenden Entscheidungen ist deswegen nicht mehr
Ungültigkeit der Klausel angenommen worden. In der Tat genügt es, im Sinne der
Gründe, die in BGE 32 II S. 292 für die Ungültigkeit angeführt wurden, zu
Gunsten der Versicherten zwei Vorbehalte zu machen. Einmal dürfen unter den
Begriff Krankheitszustand nicht schon Abnormitäten und latente krankhafte
Zustände, sondern nur aktive Krankheiten subsumiert werden (vgl. BGE 44 II S.
102
u. 50 II S. 223). Ferner hat der Versicherte nur einen ursächlichen
Zusammenhang zwischen Unfall und Schaden nachzuweisen. Sache des Versicherers
ist es dann darzutun, dass neben dem Unfall auch noch eine die Haftung
beschränkende Krankheit mitgewirkt oder eine krankhafte Anlage vorgelegen
habe, die voraussichtlich in kurzer Zeit die nämlichen Folgen gehabt hätte wie
der Unfall (vgl. für letzteres insbesondere BGE 50 II S. 223).
Dass sich die Klausel ihrem Wortlaute gemäss nicht nur auf Krankheiten
bezieht, die nach dem Unfall eingetreten sind, sondern auch auf solche, die
schon vorher ebenfalls vorhanden waren, bedarf keiner Erörterung mehr; die in
BGE 32 II S. 292 noch vertretene gegenteilige Auffassung ist durch die ganze
seitherige Rechtsprechung überholt.
2. -
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 57 II 434
Datum : 01. Januar 1931
Publiziert : 02. Juli 1931
Quelle : Bundesgericht
Status : 57 II 434
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Unfallversicherung. Zulässigkeit einer Klausel, wonach nur für diejenigen Unfallsfolgen...


BGE Register
32-II-287 • 44-II-96 • 50-II-216 • 57-II-434
Stichwortregister
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