S. 328 / Nr. 68 Prozessrecht (d)

BGE 55 II 328

68. Urteil der I. Zivilabteilung vom 18. Dezember 1929 i. S. Haas gegen
Zoppetti.


Seite: 328
Regeste:
OG Art. 56. Zivilrechtsstreitigkeit. Unzulässigkeit der Berufung gegen das
Urteil über eine Klage auf Absetzung des Liquidators einer
Kollektivgesellschaft, der seine Neutralitätspflicht und seine Zuständigkeit
überschritten haben soll. Akt der freiwilligen Gerichtsbarkeit. OR Art. 580.

A. - Im November 1928 trat die Kollektivgesellschaft Max Haas & Cie in Luzern,
deren Teilhaber der Kläger ist, in Liquidation. Im Einverständnis mit den
Gesellschaftern ernannte der Amtsgerichtspräsident von Luzern-Stadt den
Beklagten zum Liquidator. Nachdem der Beklagte per 30. Juni 1929 einen
provisorischen Liquidationsbericht verfasst hatte, stellte der Kläger beim
Amtsgerichtspräsidium das Gesuch, den Beklagten als Liquidator abzuberufen,
weil er durch eine Strafklage gegen den Kläger seine Zuständigkeit
überschritten und ihm gegenüber eine feindliche Gesinnung bekundet habe. Der
Kläger berief sich zur Begründung des Abberufungsbegehrens auf OR Art. 580,
582 ff., 394 ff. und 97 ff. und auf alle einschlägigen Bestimmungen betr.
Vertragsverletzung und unerlaubte Handlung.
B. - Der Amtsgerichtspräsident von Luzern-Stadt wies das Gesuch am 16.
September 1929 ab.
C. - Kantonale Rechtsmittel.
D. - Gegen das Urteil des Amtsgerichtspräsidenten von Luzern-Stadt, das dem
Kläger am 23. September 1929 zugestellt wurde, hat dieser am 10. Oktober 1929
u. a. auch die Berufung an das Bundesgericht erklärt und beantragt, die Klage
gutzuheissen und den Beklagten als Liquidator der Firma Haas & Cie sofort
abzuberufen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Die vom Kläger für die Statthaftigkeit der Berufung erwähnten
Entscheidungen des Bundesgerichtes in BGE 31 II S. 270 und in BGE 43 II 48 l
stimmen in ihrem

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rechtlichen Inhalt in keiner Weise mit der vorliegenden prozessrechtlichen
Streitfrage überein. In Sachen Lincio c. Rodde (BGE 31 II 270) hat das
Bundesgericht erkannt, dass die Beschränkung des Instanzenzuges auf zwei
Instanzen durch das kantonale Prozessrecht ohne Belang sei für die
Zulässigkeit der Berufung an das Bundesgericht nach eidgenössischem Recht. In
Sachen Schmid c. Schweizerische Bundesbahnen (BGE 43 II 481) war zu
entscheiden, wie sich der Streitwert der Berufung berechne, wo das kantonale
Prozessrecht im Gegensatz zum OG keine Zusammenrechnung der einzelnen
Klageforderungen gestattet. Im vorliegenden Fall dagegen hängt die
Zulässigkeit der Berufung davon ab, ob der kantonale Richter durch Haupturteil
eine zivilrechtliche Streitigkeit im Sinne des Art. 56 OG entschieden habe.
2.- Bei der weitern vom Berufungskläger für die Zulässigkeit des Rechtsmittels
der Berufung an das Bundesgericht angerufenen Entscheidung in BGE 42 II S. 288
(Urteil der I. Zivilabteilung i. S. August Knoblauch c. Emil Knoblauch)
handelte es sich um einen Fall, in welchem der eine Gesellschafter einer
Kollektivgesellschaft gegen den andern Klage erhoben hatte mit dem
Rechtsbegehren, dass durch das Gericht gemäss Art. 580
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 580 - 1 Der dem ausscheidenden Gesellschafter zukommende Betrag wird durch Übereinkunft festgesetzt.
1    Der dem ausscheidenden Gesellschafter zukommende Betrag wird durch Übereinkunft festgesetzt.
2    Enthält der Gesellschaftsvertrag darüber keine Bestimmung und können sich die Beteiligten nicht einigen, so setzt das Gericht den Betrag in Berücksichtigung der Vermögenslage der Gesellschaft im Zeitpunkt des Ausscheidens und eines allfälligen Verschuldens des ausscheidenden Gesellschafters fest.
OR ein «anderer
Liquidator», d. h. ein nicht zu den Gesellschaftern gehörender Liquidator zu
ernennen sei Das Handelsgericht des Kantons Aargau ernannte einen solchen
nicht der Gesellschaft angehörenden Liquidator, und der unterlegene
Gesellschafter ergriff dagegen die Berufung an das Bundesgericht. Das
Bundesgericht ist auf die Berufung eingetreten. Es nahm an, es handle sich um
eine Zivilrechtsstreitigkeit im Sinne des Art. 56 OG, denn die Ernennung von
Liquidatoren gemäss Art. 580
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 580 - 1 Der dem ausscheidenden Gesellschafter zukommende Betrag wird durch Übereinkunft festgesetzt.
1    Der dem ausscheidenden Gesellschafter zukommende Betrag wird durch Übereinkunft festgesetzt.
2    Enthält der Gesellschaftsvertrag darüber keine Bestimmung und können sich die Beteiligten nicht einigen, so setzt das Gericht den Betrag in Berücksichtigung der Vermögenslage der Gesellschaft im Zeitpunkt des Ausscheidens und eines allfälligen Verschuldens des ausscheidenden Gesellschafters fest.
OR durch den Richter sei kein Akt der
freiwilligen Gerichtsbarkeit, wo die richterliche Aufgabe ihrem Hauptzwecke
nach darin bestehe, bei der Begründung, Aufhebung usw. an sich nicht im Streit
liegender privater Rechte mitzuwirken. Art. 580
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 580 - 1 Der dem ausscheidenden Gesellschafter zukommende Betrag wird durch Übereinkunft festgesetzt.
1    Der dem ausscheidenden Gesellschafter zukommende Betrag wird durch Übereinkunft festgesetzt.
2    Enthält der Gesellschaftsvertrag darüber keine Bestimmung und können sich die Beteiligten nicht einigen, so setzt das Gericht den Betrag in Berücksichtigung der Vermögenslage der Gesellschaft im Zeitpunkt des Ausscheidens und eines allfälligen Verschuldens des ausscheidenden Gesellschafters fest.
OR bestimme, dass die
gerichtliche

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Ernennung im Streitfalle zu erfolgen habe, also dann, wenn Streit zwischen den
Gesellschaftern bestehe, ob besondere Liquidatoren oder ob Gesellschafter als
solche zu bestellen seien, und wenn dieser Streit behördlich ausgetragen
werden müsse.
3.- Im vorliegenden Fall hat man es im Gegensatz zu der zitierten Entscheidung
nicht mit der Anwendung des Art. 580
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 580 - 1 Der dem ausscheidenden Gesellschafter zukommende Betrag wird durch Übereinkunft festgesetzt.
1    Der dem ausscheidenden Gesellschafter zukommende Betrag wird durch Übereinkunft festgesetzt.
2    Enthält der Gesellschaftsvertrag darüber keine Bestimmung und können sich die Beteiligten nicht einigen, so setzt das Gericht den Betrag in Berücksichtigung der Vermögenslage der Gesellschaft im Zeitpunkt des Ausscheidens und eines allfälligen Verschuldens des ausscheidenden Gesellschafters fest.
OR zu tun. Die Streitfrage, ob ein
Gesellschafter oder eine aussenstehende Drittperson als Liquidator zu ernennen
sei, steht hier nicht mehr in Frage, sondern ist durch die Verfügung des
Amtsgerichtspräsidenten entschieden worden, durch welche im Einverständnis mit
den Gesellschaftern der heutige Beklagte als Liquidator gewählt wurde.
Bei der vom Kläger heute aufgeworfenen Frage handelt es sich darum, ob
Zoppetti wieder abzusetzen sei. Der Kläger hat sein auf die Abberufung
gerichtetes Begehren «Klage» genannt. Aber er hat es nicht auf Art. 580 Abs. 2
gestützt, d. h. er hat nicht behauptet, die Wahl Zoppettis laufe den privaten
Rechten der Gesellschafter zuwider, selber die Vertretung der aufgelösten
Gesellschaft als Liquidatoren fortzusetzen. Vielmehr hat er das Begehren
lediglich mit Vorwürfen begründet, die sich gegen die Person und die
Amtsführung des Liquidators richten. Den Gegenstand des mit der vorliegenden
Berufung angefochtenen Entscheides bildet somit keineswegs ein «Streitfall»,
wie ihn Art. 580 Abs. 2 vorsieht und wie er in der erwähnten Entscheidung des
Bundesgerichtes beurteilt wurde, sondern ausschliesslich eine Frage, welche in
die dem Gerichtspräsidenten obliegende freiwillige Gerichtsbarkeit gehört.
Dass es sich nicht um eine zivilrechtliche Streitigkeit im Sinne des Art. 580
handelt, kommt auch darin zum Ausdruck, dass der Berufungskläger nicht gegen
seine Mitgesellschafter geklagt hat, sondern gegen den Liquidator. Zwischen
dem Berufungskläger und dem Liquidator besteht jedoch keine
Zivilrechtsstreitigkeit. Was der Kläger vom Liquidator

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verlangt, ist kein privatrechtlicher Anspruch, ja sein Begehren ist in
Wirklichkeit an den Amtsgerichtspräsidenten gerichtet und geht auf Vornahme
einer in den Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit fallenden, dem
Gerichtspräsidenten obliegenden Amtshandlung. Die Frage, ob diese Amtshandlung
rechtlich begründet sei, oder ob sie zu unterlassen und das Begehren
abzuweisen sei, kann nicht Gegenstand einer Zivilrechtsstreitigkeit im Sinne
des Art. 56 OG bilden.
Auch in dem Fall Knoblauch gegen Knoblauch (BGE 42 II S. 288 ff.) lag in der
vom Handelsgericht des Kantons Aargau vorgenommenen Wahl des Liquidators ein
Akt der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Implicite war die Ernennung des
Liquidators aber auch die Entscheidung einer zivilrechtlichen Frage, ob
nämlich die bisherigen Gesellschafter Anspruch auf Fortsetzung der Vertretung
der Gesellschaft hatten, oder ob ein Dritter als Liquidator zu ernennen war.
Da somit keine zivilrechtliche Streitigkeit vorliegt, kann das Bundesgericht
auf die Berufung des Klägers nicht eintreten.
Demnach erkennt das Bundesgericht: Auf die Berufung wird nicht eingetreten.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 55 II 328
Datum : 01. Januar 1929
Publiziert : 18. Dezember 1929
Quelle : Bundesgericht
Status : 55 II 328
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : OG Art. 56. Zivilrechtsstreitigkeit. Unzulässigkeit der Berufung gegen das Urteil über eine Klage...


Gesetzesregister
OG: 56
OR: 580
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 580 - 1 Der dem ausscheidenden Gesellschafter zukommende Betrag wird durch Übereinkunft festgesetzt.
1    Der dem ausscheidenden Gesellschafter zukommende Betrag wird durch Übereinkunft festgesetzt.
2    Enthält der Gesellschaftsvertrag darüber keine Bestimmung und können sich die Beteiligten nicht einigen, so setzt das Gericht den Betrag in Berücksichtigung der Vermögenslage der Gesellschaft im Zeitpunkt des Ausscheidens und eines allfälligen Verschuldens des ausscheidenden Gesellschafters fest.
BGE Register
31-II-266 • 42-II-288 • 43-II-47 • 43-II-479 • 55-II-328
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
liquidator • bundesgericht • frage • beklagter • freiwillige gerichtsbarkeit • zivilrechtsstreitigkeit • kollektivgesellschaft • aargau • obliegenheit • handelsgericht • entscheid • kantonales rechtsmittel • amtliche tätigkeit • rechtsbegehren • begründung des entscheids • richterliche behörde • unerlaubte handlung • rechtsmittel • wiese • besteller
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