S. 233 / Nr. 50 Familienrecht (d)

BGE 55 II 233

50. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 31. Oktober 1929 i. S.
Meyer gegen Billeter.


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Regeste:
ZGB Art. 314 Abs. 2: Abgesehen vom Falle der Spätgeburt wird nicht die
Vaterschaft dessen vermutet, der in der Zeit vor dem 300. Tage vor der Geburt
des Kindes der Mutter beigewohnt hat.

Der Satz des Art. 314 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 314 - 1 Die Bestimmungen über das Verfahren vor der Erwachsenenschutzbehörde sind sinngemäss anwendbar.
1    Die Bestimmungen über das Verfahren vor der Erwachsenenschutzbehörde sind sinngemäss anwendbar.
2    Die Kindesschutzbehörde kann in geeigneten Fällen die Eltern zu einem Mediationsversuch auffordern.
3    Errichtet die Kindesschutzbehörde eine Beistandschaft, so hält sie im Entscheiddispositiv die Aufgaben des Beistandes und allfällige Beschränkungen der elterlichen Sorge fest.
ZGB, dass die Vaterschaft des Beklagten vermutet
wird, wenn er in der Zeit vom dreihundertsten bis zum hundertachtzigsten Tage
vor der Geburt des Kindes der Mutter beigewohnt hat, trifft vorliegend nicht
zu, da der letzte Geschlechtsverkehr der Parteien nahezu, wenn nicht ganz,
zwei Wochen weiter zurück liegt. Infolgedessen vermag der blosse Nachweis des
Geschlechtsverkehrs der Parteien nicht zur Begründung der Vaterschaftsklage zu
genügen. Allermindestens hätten die Kläger ausserdem noch beweisen müssen,
dass die Geburt eine Spätgeburt gewesen sei; denn bei einer solchen reicht die
mutmassliche Empfängniszeit hinter den dreihundertsten Tag vor der Geburt
zurück und lässt es sich daher rechtfertigen die Vermutung der Vaterschaft
auch für einen vor dem dreihundertsten Tage vor der Geburt erfolgten
Geschlechtsverkehr platzgreifen zu lassen (BGE 43 II S. 135). Hier liegt
jedoch nicht der mindeste Anhaltspunkt für die Annahme einer Spätgeburt
vor.... Somit blieb den Klägern nichts anderes übrig, als den Beweis zu
führen, dass die letzte oder eine kurz vorhergegangene Beiwohnung des
Beklagten bei der Klägerin-Mutter zur Befruchtung geführt habe. Freilich wird
eine solche Beweisführung Schwierigkeiten bereiten. Namentlich werden hieran
höhere Anforderungen zu stellen sein, wenn es die Mutter mit der Gewährung
ausserehelichen Geschlechtsverkehrs eher leicht zu nehmen pflegte. Allein
vorliegend haben die Kläger eigentlich nicht einmal den Versuch gemacht,
irgendwelchen daherigen Beweis anzutreten, ... sondern sich damit begnügt,

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auf das in einem anderen Prozesse seinerzeit eingeholte Gutachten eines
medizinischen Sachverständigen zu verweisen, wonach Geburten nicht allzu
selten länger als dreihundert Tage seit der Beiwohnung auf sich warten lassen,
ohne dass die Merkmale einer Spätgeburt vorhanden wären (ein Gutachten, dem
übrigens der Arzt, der die Geburt geleitet hat, direkt widerspricht, indem er
es «bei unserem Befunde» als «ausgeschlossen» bezeichnet, dass diese Angabe
der Klägerin-Mutter (über den Zeitpunkt des letzten Geschlechtsverkehrs)
«stimmen könne»). Dass der Zeitraum zwischen dem hundertachtzigsten und dem
dreihundertsten Tage vor der Geburt nicht die ganze mögliche Empfängniszeit
umfasse, war schon beim Erlass des ZGB bekannt (vgl. SILBERNAGEL, Noten 10 ff.
zu Art. 314
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 314 - 1 Die Bestimmungen über das Verfahren vor der Erwachsenenschutzbehörde sind sinngemäss anwendbar.
1    Die Bestimmungen über das Verfahren vor der Erwachsenenschutzbehörde sind sinngemäss anwendbar.
2    Die Kindesschutzbehörde kann in geeigneten Fällen die Eltern zu einem Mediationsversuch auffordern.
3    Errichtet die Kindesschutzbehörde eine Beistandschaft, so hält sie im Entscheiddispositiv die Aufgaben des Beistandes und allfällige Beschränkungen der elterlichen Sorge fest.
ZGB, die sich auf aus jener Zeit stammende Literatur berufen, und
§ 1717 des um zehn Jahre älteren deutschen BGB, das die Empfängniszeit vom
181. bis zum 302. Tage vor der Geburt rechnet). Allein abgesehen vom Falle der
einwandfrei festgestellten Spätgeburt ist es eben wahrscheinlicher, dass die
Schwängerung auf eine spätere als die über dreihundert Tage vor der Geburt
zurückliegende Beiwohnung zurückzuführen ist, und daher erschien es dem
Gesetzgeber nicht als richtig, die Zusprechung der Vaterschaftsklage auch
schon ohne weiteres an den Beweis einer solchen Beiwohnung zu knüpfen und den
Beklagten einfach auf den Nachweis der Einreden aus Art. 314 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 314 - 1 Die Bestimmungen über das Verfahren vor der Erwachsenenschutzbehörde sind sinngemäss anwendbar.
1    Die Bestimmungen über das Verfahren vor der Erwachsenenschutzbehörde sind sinngemäss anwendbar.
2    Die Kindesschutzbehörde kann in geeigneten Fällen die Eltern zu einem Mediationsversuch auffordern.
3    Errichtet die Kindesschutzbehörde eine Beistandschaft, so hält sie im Entscheiddispositiv die Aufgaben des Beistandes und allfällige Beschränkungen der elterlichen Sorge fest.
und 315
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 315 - 1 Die Kindesschutzmassnahmen werden von der Kindesschutzbehörde am Wohnsitz des Kindes angeordnet.438
1    Die Kindesschutzmassnahmen werden von der Kindesschutzbehörde am Wohnsitz des Kindes angeordnet.438
2    Lebt das Kind bei Pflegeeltern oder sonst ausserhalb der häuslichen Gemeinschaft der Eltern oder liegt Gefahr im Verzug, so sind auch die Behörden am Ort zuständig, wo sich das Kind aufhält.
3    Trifft die Behörde am Aufenthaltsort eine Kindesschutzmassnahme, so benachrichtigt sie die Wohnsitzbehörde.

ZGB zu verweisen. Endlich kann nicht etwa auf die schon im November erfolgte
Kenntnisgabe von der Schwangerschaft abgestellt werden; denn es steht dahin,
ob die Klägerin-Mutter damals wirklich sich schon schwanger fühlte, geschweige
denn, ob sie es wirklich war, und nicht bloss Vorsorge zur Sicherung des
Beweises treffen wollte für den Fall, dass der Geschlechtsverkehr mit dem
Beklagten Folgen haben sollte.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 55 II 233
Datum : 01. Januar 1929
Publiziert : 31. Oktober 1929
Quelle : Bundesgericht
Status : 55 II 233
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : ZGB Art. 314 Abs. 2: Abgesehen vom Falle der Spätgeburt wird nicht die Vaterschaft dessen vermutet...


Gesetzesregister
ZGB: 314 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 314 - 1 Die Bestimmungen über das Verfahren vor der Erwachsenenschutzbehörde sind sinngemäss anwendbar.
1    Die Bestimmungen über das Verfahren vor der Erwachsenenschutzbehörde sind sinngemäss anwendbar.
2    Die Kindesschutzbehörde kann in geeigneten Fällen die Eltern zu einem Mediationsversuch auffordern.
3    Errichtet die Kindesschutzbehörde eine Beistandschaft, so hält sie im Entscheiddispositiv die Aufgaben des Beistandes und allfällige Beschränkungen der elterlichen Sorge fest.
315
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 315 - 1 Die Kindesschutzmassnahmen werden von der Kindesschutzbehörde am Wohnsitz des Kindes angeordnet.438
1    Die Kindesschutzmassnahmen werden von der Kindesschutzbehörde am Wohnsitz des Kindes angeordnet.438
2    Lebt das Kind bei Pflegeeltern oder sonst ausserhalb der häuslichen Gemeinschaft der Eltern oder liegt Gefahr im Verzug, so sind auch die Behörden am Ort zuständig, wo sich das Kind aufhält.
3    Trifft die Behörde am Aufenthaltsort eine Kindesschutzmassnahme, so benachrichtigt sie die Wohnsitzbehörde.
BGE Register
43-II-135 • 55-II-233
Stichwortregister
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tag • geschlechtsverkehr • mutter • beklagter • vaterschaftsklage • schwangerschaft • zahl • dauer • stelle • treffen • vermutung • schutzmassnahme • arzt • richtigkeit • minderheit • literatur • not