S. 388 / Nr. 53 Doppelbesteuerung (d)

BGE 54 I 388

53. Auszug aus dem Urteil vom 9. November 1928 i.S. «La Suisse» gegen
Steuerrekurskommission des Kts. Luzern.

Regeste:
Lebensversicherungsgesellschaft mit Sitz in einem und Grundeigentum im anderen
Kanton. Verhältnismässiger Abzug eines Teiles der Gesammtschulden und
Gesammtschuldenzinsen bei der Besteuerung im letzteren Kanton, wenn nach
dessen Steuergesetzgebung nur das Reinvermögen und

Seite: 389
Reineinkommen nach Abzug der «Zinsen fremder Kapitalien» der Besteuerung
unterliegt. Als dabei zu berücksichtigendes Passivum ist auch das
Deckungskapital (Prämienreserve) und dessen Verzinsung anzusehen, soweit es
den nach mathematischer Berechnung und geschäftlicher Erfahrung zur Deckung
der Verbindlichkeiten aus den laufenden Versicherungsverträgen erforderlichen
Betrag nicht übersteigt. - Verletzung von Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
und 46 Abs. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 46 Umsetzung des Bundesrechts - 1 Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
1    Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
2    Bund und Kantone können miteinander vereinbaren, dass die Kantone bei der Umsetzung von Bundesrecht bestimmte Ziele erreichen und zu diesem Zweck Programme ausführen, die der Bund finanziell unterstützt.10
3    Der Bund belässt den Kantonen möglichst grosse Gestaltungsfreiheit und trägt den kantonalen Besonderheiten Rechnung.11
BV dadurch,
dass Aktiengesellschaften, die im Kanton nur Grundeigentum und keinen
Geschäftsbetrieb besitzen, wie natürliche Personen statt nach den sonst für
Aktiengesellschaften geltenden besonderen Veranlagungsgrundsätzen und
Steuersätzen besteuert werden?

Die Aktiengesellschaft «La Suisse» mit statutarischem und tatsächlichem Sitz
in Lausanne betreibt als Geschäftszweige die Lebens- und Unfall-, sowie
Haftpflichtversicherung. Im März 1925 erwarb sie die im Zentrum der Stadt
Luzern (Grendelstrasse) gelegene Liegenschaft «Falkenhof». Davon sind 3 Zimmer
an W. Andres und B. Meier, Generalagenten der Rekurrentin für die Innerschweiz
und die anderen Räume sonst vermietet.
Durch Entscheid der Steuerrekurskommission des Kantons Luzern vom 17. März
1928 ist die Rekurrentin pro 1926 im Kanton Luzern steuerpflichtig erklärt
worden:
a) im Vermögen: für den Steuer (Kataster-)wert der Liegenschaft «Falkenhof»,
nach Abzug einer Wertquote, die der prozentualen Belastung des gesamten
Gesellschaftsvermögens mit Schulden entspreche;
b) im Einkommen: für den Ertrag (Mietzinseinnahmen) der genannten Liegenschaft
abzüglich gewisser darauf entfallender Verwaltungs- und Unterhaltsauslagen,
wobei grundsätzlich anerkannt wurde, dass weiter auch ein verhältnismässiger
Teil der von der Gesellschaft geschuldeten Passivzinsen abgerechnet werden
könnte, wenn und soweit die Verzinslichkeit der verschiedenen
Gesellschaftspassiven nachgewiesen sei.
Der Steuersatz wurde für die Vermögenssteuer auf

Seite: 390
2,2 und für die Einkommenssteuer auf 5% bestimmt entsprechend den
Höchstansätzen, die nach den §§ 8 u. 22 des luzernischen Steuergesetzes (StG)
für Einkommen von 30000 Fr. an und Vermögen von 1 Million Fr. an gelten, indem
für die Festsetzung gemäss § 81 StG und § 3 Abs. 2 der regierungsrätlichen
Vollziehungsverordnung (VV) zum StG nicht auf das in Luzern steuerbare
Einkommen und Vermögen, sondern auf das Gesamteinkommen und Gesamtvermögen der
Gesellschaft abgestellt wurde.
Die Rekurrentin hatte verlangt, dass als beim prozentualen Schuldenabzug zu
berücksichtigendes Passivum auch das Deckungskapital (Prämienreserve) und
dessen Verzinsung anerkannt werde. Ferner, dass sie nicht in der oben
angegebenen Weise getrennt auf dem Werte und Ertrage ihrer luzernischen
Liegenschaft, sondern gemäss den in §§23 ff. des kant. StG für die Besteuerung
von Aktiengesellschaften aufgestellten besonderen Grundsätzen für eine dem
Verhältnis jenes Wertes und Ertrages zu den gesamten Aktiven und Roheinnahmen
entsprechende Quote ihres Aktienkapitals und der Eigenkapital bildenden
Reserven sowie des Gesamtreinertrages und nach den dort vorgesehenen
Steuersätzen veranlagt werde.
Die Steuerrekurskommission lehnte beides ab, die Anwendung der §§ 23 ff. StG
unter Hinweis auf § 3 Abs. 2 der VV, die Anerkennung des Deckungskapitals als
Passivum mit der Begründung: die Passiven der Bilanz seien für den
Schuldenabzug nur insoweit zu berücksichtigen, als es sich dabei um wirkliche
bereits zur Entstehung gekommene Verbindlichkeiten des Steuerpflichtigen
handle. Blosse Rechnungsposten des internen Verkehrs oder Rücklagen für erst
künftige Verpflichtungen bildeten keine abzugsberechtigten Schulden im Sinne
des Steuerrechts. So könne insbesondere das Deckungskapital steuerrechtlich
nicht als Passivum gelten. Es handle sich dabei um zweckgebundenes Vermögen,
nicht

Seite: 391
um Drittpersonen gegenüber bereits existente Schuldverpflichtungen.
Eine staatsrechtliche Beschwerde der «La Suisse» aus Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
und 46 Abs. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 46 Umsetzung des Bundesrechts - 1 Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
1    Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
2    Bund und Kantone können miteinander vereinbaren, dass die Kantone bei der Umsetzung von Bundesrecht bestimmte Ziele erreichen und zu diesem Zweck Programme ausführen, die der Bund finanziell unterstützt.10
3    Der Bund belässt den Kantonen möglichst grosse Gestaltungsfreiheit und trägt den kantonalen Besonderheiten Rechnung.11
BV,
die sich u. a. auf diese Punkte bezog, ist vom BG hinsichtlich der Zulassung
des Deckungskapitals und seiner Verzinsung zum proportionalen Schuldenabzug
bei der Vermögens- und Einkommenssteuer - unter dem aus den Erwägungen sich
ergebenden Vorbehalte - gutgeheissen, im übrigen dagegen abgewiesen worden.
Gründe:
«1.- ...»
«2.- ...»
«3.- In Übereinstimmung mit dem früheren Urteile des Bundesgerichtes in Sachen
der heutigen Rekurrentin gegen die Kantone Bern und Waadt vom 17. September
1926 und BGE 45 I 207, sowie in Übereinstimmung mit der Auffassung der
Rekurrentin selbst hat die Steuerrekurskommission angenommen, dass die
Liegenschaft «Falkenhof» keine Betriebsstätte der Rekurrentin, d. h. keine
«ständige körperliche Anlage und Einrichtung» bilde, von der aus sie das
Versicherungsgeschäft betreiben würde, sondern dass die Rekurrentin der
Besteuerung in Luzern nur in der Eigenschaft als Eigentümerin eines hier
gelegenen Grundstücks unterstehe. Wenn dabei zur Feststellung der geschuldeten
Steuerleistung die allgemeinen Vorschriften über die Einkommens- und
Vermögenssteuer (§§ 2-22 StG) und nicht die besonderen Vorschriften über die
Besteuerung der Aktiengesellschaften (§§ 2-26) angewendet wurden, so stand
dies im Einklang mit § 3 Abs. 2 der regierungsrätlichen VV zum StG, der
lautet:
«Aktiengesellschaften und Erwerbsgenossenschaften, die im Kanton nur
Grundeigentum (will sagen: ohne einen Geschäftsbetrieb) haben, sind für dieses
Vermögen und für das daraus fliessende Einkommen wie natürliche

Seite: 392
Personen zu besteuern, jedoch entsprechend ihrem Gesamteinkommen und
-Vermögen.»
Die Rekurrentin bestreitet die Rechtsbeständigkeit dieser Bestimmung, weil es
sich um eine Vorschrift handle, die nur der Gesetzgeber, nicht der
Regierungsrat als Vollziehungsbehörde hätte erlassen können und weil sie eine
bundesrechtlich unzulässige Benachteiligung des ausserkantonalen
Steuerpflichtigen gegenüber dem im Kanton wohnhaften enthalte.
a) Die Verordnung geht indessen über die dem Regierungsrat durch § 108 StG
eingeräumten Vollziehungsbefugnisse insofern jedenfalls nicht hinaus, als sie
lediglich vorsieht, dass in dem dadurch betroffenen Falle das steuerbare
Vermögen und Einkommen selbst nach §§ 2­22 statt 23 ff. StG bestimmt und
bemessen werden soll. Denn damit ist nur ein Gedanke ausgeführt worden, der
bereits im Gesetze selbst ausgesprochen ist. Schon § 2 StG bestimmt bei
Aufzählung der einkommenssteuerpflichtigen Subjekte: «Die Einkommenssteuer
haben zu entrichten: 1. Alle natürlichen und juristischen Personen, Kollektiv-
und Kommanditgesellschaften und Gemeinderschaften, welche im Kanton Wohnsitz
oder Geschäftssitz haben oder ein Geschäft betreiben; 2. die auswärts
wohnhaften Inhaber oder Teilhaber von im Kanton bestehenden
Erwerbsunternehmungen; 3. die auswärts wohnenden Eigentümer von im Kanton
liegenden Grundstücken von dem Einkommen, das ihnen aus solchen Grundstücken
zu fliesst», will also als Steuerobjekt im letzteren Falle den
Liegenschaftsertrag als solchen und nicht bloss eine dessen Verhältnis zum
Gesamteinkommen des Pflichtigen entsprechende Quote dieses Gesamteinkommens
angesehen wissen. Ebenso lautet § 9 hinsichtlich der Vermögenssteuer: «Der
Vermögenssteuer ist unterworfen: 1. alles im Kanton gelegene Grundeigentum
(liegendes Vermögen); 2. das bewegliche Eigentum der in § 2 Ziff. 1 dieses
Gesetzes bezeichneten Steuerpflichtigen

Seite: 393
(fahrendes Vermögen).» Die Vorschriften, die das StG in den §§ 23-25 über die
Einschätzung von Aktiengesellschaften aufstellt, sind denn auch
augenscheinlich auf solche Gesellschaften zugeschnitten, die ihren Hauptsitz
oder dann doch eine Betriebsstelle im Kanton Luzern haben. Nur in diesem Falle
kann der Kanton Luzern den gemäss § 23 ermittelten Reinertrag (Aktivüberschuss
der Gewinn- und Verlustrechnung nach Vornahme eventueller Berichtigungen
hinsichtlich des Abzuges von Abschreibungen, Tantiemen und Zuweisungen an
Reservefonds) und die in § 25 genannten Rechnungsposten (Aktienkapital nebst
Eigenkapital darstellenden Reserven), die unter Umständen kein genauer
Ausdruck für die gegenüberstehenden wirklichen Vermögenswerte sind, ganz oder
teilweise zur Steuer heranziehen. Gehört eine Aktiengesellschaft dem Kanton
ausschliesslich durch Grundeigentum an, so beschränkt sich auch die
Steuerhoheit des Kantons auf dieses Grundeigentum und seinen Ertrag. Es würde
daher umgekehrt die Veranlagung in Gestalt der Besteuerung einer Quote des
Gesamteinkommens und Gesamteigenkapitals einen Übergriff in das
Besteuerungsrecht anderer Kantone, nämlich auf das bewegliche Vermögen und
nicht aus dem innerkantonalen Liegenschaftsbesitz stammende Einkommen
bedeuten, die dem Zugriffe des blossen Liegenschaftskantons entzogen sind. Das
Merkmal für die Anwendung der allgemeinen Einschätzungsgrundsätze oder der
besonderen Vorschriften für die Aktiengesellschaften liegt dabei nicht im
innerkantonalen oder ausserkantonalen Sitz der Gesellschaft, sondern darin, ob
sie im Kanton einen Geschäftsbetrieb oder lediglich Grundeigentum ohne solchen
Betrieb besitzt. Eine Unterscheidung nach diesem Merkmal verstösst aber nicht
gegen Art. 46 Abs. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 46 Umsetzung des Bundesrechts - 1 Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
1    Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
2    Bund und Kantone können miteinander vereinbaren, dass die Kantone bei der Umsetzung von Bundesrecht bestimmte Ziele erreichen und zu diesem Zweck Programme ausführen, die der Bund finanziell unterstützt.10
3    Der Bund belässt den Kantonen möglichst grosse Gestaltungsfreiheit und trägt den kantonalen Besonderheiten Rechnung.11
BV. Dem Gebote gleicher Behandlung mit einem
innerkantonalen Steuerpflichtigen ist Genüge getan, wenn bei Festsetzung des
steuerbaren Vermögens und Einkommens vom Liegenschaftswerte und -ertrage ein
der prozentualen

Seite: 394
Belastung des Gesamtvermögens mit Passiven bezw. verzinslichen Passiven
entsprechender Betrag als Schuldenanteil bezw. Schuldzinsenanteil abgerechnet
wird.
b) Zweifelhafter mag sein, ob es angeht, auf das so festgestellte steuerbare
Vermögen und Einkommen bei Aktiengesellschaften, die im Kanton nur
Grundeigentum haben, die für physische Personen geltenden Steuersätze statt
der in §§ 24, 25 StG vorgesehenen anzuwenden. Die Frage kann indessen
offengelassen werden, weil die Rekurrentin sich dabei nicht schlechter stellt
als bei Anwendung der letzteren Vorschriften. Für die Vermögenssteuer wäre
freilich in diesem Falle der Ansatz geringer (1 statt 2,2Promille), weil die
Vermögens- oder Kapitalsteuer der Aktiengesellschaften nicht progressiv ist.
Dagegen würde bei der Einkommenssteuer der Steuersatz nicht bloss 5%, sondern
8% betragen. Die Rekurrentin bestreitet dies allerdings, indem sie daraus,
dass § 81 StG die Berücksichtigung des Gesamteinkommens und -vermögens im
Falle mehrerer Steuerdomizile bloss für die Steueransätze der §§ 8 und 22,
nicht des § 24 vorsieht, folgert, dass zur Feststellung des letzteren
ausschliesslich das im Kanton steuerbare Einkommen in Betracht falle. Dieser
Schluss ist indessen unzutreffend. Wenn § 81 StG die §§ 24 und 25 Abs. 1 nicht
erwähnt, so kann dies nur darin seinen Grund haben, dass die Kapitalsteuer der
Aktiengesellschaften überhaupt nicht progressiv ist und hinsichtlich der von
ihnen zu entrichtenden Einkommenssteuer die Berücksichtigung des
Gesamtreinertrages sich schon aus § 24 selbst ergibt. Denn unter Reinertrag im
Sinne dieser Bestimmung kann nur der Gesamtreinertrag verstanden sein, indem
darin für die Aktiengesellschaften die sog. Ertragsintensitätssteuer
vorgesehen ist, die auf das quotale Verhältnis des Gesamtertrages zum
Gesamteigenkapital abstellt. Und zwar soll die einfache Einkommenssteuer
danach «halb so viele Prozente des Reinertrages betragen, als dieser Prozente
des steuerpflichtigen Kapitals ausmacht, jedoch höchstens 8%».

Seite: 395
Als steuerpflichtiges Kapital aber gelten nach § 25 Abs. I «das einbezahlte
Aktienkapital und die Eigenkapital darstellenden Reserven». Der für die
Besteuerung 1926 massgebende Gesamtreinertrag der Rekurrentin im
Geschäftsjahre 1925 macht aber nach den nicht angefochtenen Feststellungen des
Bücherexperten der Steuerbehörde (S. 4 seines Gutachtens) mit 598064 Fr. mehr
als 15% des nach jenen Grundsätzen ermittelten steuerbaren Gesamtkapitals,
3225371 Fr. aus, so dass der Steueransatz für das Einkommen bei Anwendung des.
§ 24 StG sich auf das Maximum, also 8% stellen würde. Aus den späteren
Ausführungen wird sich zudem ergeben, dass dasselbe auch dann der Fall wäre,
wenn man lediglich auf das im Kanton Luzern steuerbare Einkommen und Vermögen
abstellen wollte. Wenn bei Heranziehung der besonderen Vorschriften über die
Besteuerung der Aktiengesellschaften der Steuersatz für die Kapitalsteuer
kleiner wäre, so würden somit doch Vermögens- und Einkommenssteuer in ihrer
Gesamtwirkung, wie die Ziffern des steuerbaren Vermögens und Einkommens (Erw.
4 u. 5 am Schluss) zeigen werden, für die Rekurrentin nicht geringer, sondern
höher ausfallen als bei Anwendung der §§ 8 und 22 in Verbindung mit § 81 StG.
Die Rekurrentin hat also an der Abänderung des Entscheides der
Steuerrekurskommission in diesem Punkte kein Interesse.»
«4. - Steuerbares Vermögen im besonderen:
a) ...
b) ...
c) Deckungskapital (Prämienreserve).
Im Gegensatz zur Güterversicherung ist bei der Lebensversicherung das
versicherte Risiko in den einzelnen Jahren der Versicherungsdauer nicht gleich
hoch, sondern steigt von Jahr zu Jahr. Würde die Jahresprämie dem jeweiligen
Risiko angepasst, so müsste daher in der Jugend nur eine geringe Prämie und
von Jahr zu Jahr eine höhere, beim höchsten Alter kaum mehr

Seite: 396
erschwingliche Prämie geleistet werden. Da dies dem Zwecke der
Lebensversicherung, Vorsorge für die Zeit der Abnahme der Erwerbsfähigkeit zu
treffen, zuwiderlaufen würde, ist eine in der Höhe nach dem Eintrittsalter
bemessene, für die ganze Versicherungsdauer sich gleichbleibende, d. h. eine
Durchschnittstarifprämie üblich. Der Versicherungsnehmer hat infolgedessen in
den jüngeren Jahren höhere Prämien zu bezahlen, als dem augenblicklichen
Risiko des Versicherers entsprechen würde. Diese über das augenblickliche
Risiko hinaus bezahlten Prämienteile spart der Versicherer für die Zeit auf,
wo das Risiko die Prämie übersteigt. Die so nicht zu laufenden Ausgaben
verwendeten oder als Gewinn verteilten, sondern zurückgestellten Prämienteile
bilden die sog. Prämienreserve, das Deckungskapital (REHM, Bilanzen S. 482
ff.; SIMON, Bilanzen 191; ZIMMERMANN, Bilanz 142 ff.). Bezeichnet man als
Reserve jede Zurückbehaltung von Aktivwerten zum Zwecke der Deckung künftiger
Verluste (REHM, a.a.O. 543, 590), so ist auch die Prämienreserve ein
«Reservefonds» und damit in gewissem Sinne - wie der angefochtene Entscheid
sich ausdrückt - ein zweckgebundenes Vermögen. Doch unterscheidet sie sich von
einem echten Reservefonds dadurch, dass sie nicht freies Eigentum oder
Reinvermögen des Versicherers ist, sondern dass auf ihr rechtliche
Verpflichtungen lasten und zwar solche, die auf Leistung einer
Versicherungssumme gehen, die im Todesfalle usw. fällig wird (ZIMMERMANN,
a.a.O. 144). Solange die Einlagen in die Prämienreserve nicht in einem die
geschäftliche Erfahrung oder mathematische Berechnung übersteigenden Masse
gemacht werden, ist die Prämienreserve gleich der Summe, deren es bedarf, um
zusammen mit den künftigen Prämienzahlungen und den Zinsen die Verpflichtungen
zu erfüllen, die der Gesellschaft aus den abgeschlossenen
Versicherungsverträgen obliegen. M. a. W. sie bringt den jeweiligen
Wahrscheinlichkeitswert der durch die laufenden Verträge begründeten,
befristeten

Seite: 397
Verpflichtungen zur Zahlung der Versicherungssumme zum Ausdruck und stellt
damit ein Passivum der Gesellschaft dar. In der Bilanzwissenschaft wird denn
auch die Prämienreserve deswegen überwiegend nicht als «Reserve», sondern als
Schuldposten bezeichnet (SIMON, ZIMMERMANN, a.a.O.; BACHMANN, Kommentar zum OR
Art. 656 Nr. 12). Es ist auch durchaus unrichtig, dass es sich dabei nicht um
eine Rückstellung für bereits bestehende («existent gewordene»), sondern nur
für eventuelle künftige Verpflichtungen gegenüber Drittpersonen handle. Sowohl
bei der abgekürzten (gemischten) Lebensversicherung als bei der gewöhnlichen
Todesfallversicherung ist der Eintritt des Versicherungsfalles gewiss,
unbestimmt ist nur der Zeitpunkt seines Eintrittes. Es entsteht also schon mit
Beginn der Versicherung (in der Regel bei Bezahlung der ersten Prämie) ein
(befristetes) Schuldverhältnis und nicht eine blosse Anwartschaft. Speziell
für das schweizerische Recht kommt dies unzweideutig in den Ansprüchen zum
Ausdruck, die die eidg. Versicherungsgesetzgebung dem Versicherten schon vor
Eintritt des Versicherungsfalles gibt: so der Pflicht des Versicherers zum
Rückkauf der Police nach Bezahlung von drei Jahresprämien (Art. 90
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 46 Umsetzung des Bundesrechts - 1 Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
1    Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
2    Bund und Kantone können miteinander vereinbaren, dass die Kantone bei der Umsetzung von Bundesrecht bestimmte Ziele erreichen und zu diesem Zweck Programme ausführen, die der Bund finanziell unterstützt.10
3    Der Bund belässt den Kantonen möglichst grosse Gestaltungsfreiheit und trägt den kantonalen Besonderheiten Rechnung.11
WG) und der
Behandlung der für das Deckungskapital zu leistenden Kaution im Falle der
Anordnung der Liquidation oder des besonderen Konkursverfahrens nach Art. 9,
10 des Bundesgesetzes vom 4. Februar 1919 über die Kautionen der
Versicherungsgesellschaften. (OSTERTAG-HIESTAND, Versicherungsvertrag 2. Aufl.
S. 41.)
Die Steuerrekurskommission hätte demnach diese Verbindlichkeiten nur dann
unberücksichtigt lassen dürfen, wenn das luzernische Steuerrecht lediglich
fällige Schulden zum Abzug zuliesse. Dies ist aber nicht der Fall. Nach §§ 21,
22 StG können vielmehr alle grundversicherten und fahrenden Schulden ohne
Einschränkung, also auch befristete, ja sogar bedingte abgerechnet werden. Nur
dies entspricht auch der Besteuerung nach der

Seite: 398
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, wie sie im luzernischen StG durchgeführt
wird. Dass das letztere selbst dem Abschluss des Lebensversicherungsvertrages
die Wirkung der Begründung eines präsenten «bereits existenten»
Forderungsrechts des Versicherten und damit entsprechender Verpflichtungen,
Passiven des Versicherers beimisst, folgt aus § 19 desselben, wo die nicht
fälligen Lebens- und Altersversicherungen beim Versicherten zum Rückkaufswerte
als vermögenssteuerpflichtig erklärt werden. In der Wissenschaft besteht denn
auch Einigkeit darüber, dass die Verbindlichkeiten, die den
Versicherungsgesellschaften auf Grund der laufenden
Lebensversicherungsverträge obliegen und buchmässig ihren Ausdruck in der
«Prämienreserve» finden, bei der Besteuerung als Schulden zu berücksichtigen
sind (vgl. z. B. MANES, Versicherungslexikon S. 236). Und aus dem von der
Rekurrentin beigebrachten Berichte des eidg. Versicherungsamtes geht hervor,
dass dies denn auch bisher alle Kantone, in denen Versicherungsgesellschaften
ihren Sitz haben, ohne weiteres anerkannt haben. Zu welch unhaltbaren Folgen
der abweichende Standpunkt der luzernischen Steuerrekurskommission führen
würde, ergibt sich daraus, dass die Rekurrentin, wenn sie auch in den übrigen
Kantonen, in denen sie noch steuerpflichtig ist, gleich behandelt würde,
jährlich allein etwa 5 Millionen Franken an Steuern zu entrichten hätte. Der
angefochtene Entscheid, der der Prämienreserve die Eigenschaft eines Passivums
überhaupt, schlechthin abspricht, enthält unter diesen Umständen nicht einen
blossen Rechtsirrtum. Er beruht auf einer so völligen Verkennung der
massgebenden rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse, über die Rechenschaft
sich zu geben die Veranlagungsbehörde verpflichtet war, dass er als Willkür
und Verletzung von Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV betrachtet werden muss. Da dadurch der aus Art.
46 Abs. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 46 Umsetzung des Bundesrechts - 1 Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
1    Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
2    Bund und Kantone können miteinander vereinbaren, dass die Kantone bei der Umsetzung von Bundesrecht bestimmte Ziele erreichen und zu diesem Zweck Programme ausführen, die der Bund finanziell unterstützt.10
3    Der Bund belässt den Kantonen möglichst grosse Gestaltungsfreiheit und trägt den kantonalen Besonderheiten Rechnung.11
BV für Steuerpflichtige mit Steuerdomizilen in mehreren Kantonen
folgende Anspruch auf verhältnismässigen Schuldenabzug

Seite: 399
sozusagen illusorisch würde, ist auch diese Verfassungsvorschrift verletzt
(BGE 46 I 346).
Den luzernischen Steuerbehörden bleibt es immerhin unbenommen, über die Art
der Berechnung der Prämienreserve von der Rekurrentin Aufschluss zu verlangen,
die Berechnung nachzuprüfen und falls sich herausstellen sollte, dass die
Einlagen, welche die Rekurrentin in diesen Fonds gemacht hat, grösser sind,
als es nach der geschäftlichen Erfahrung und mathematischen Berechnung zur
Deckung ihrer Verbindlichkeiten erforderlich war, den Überschuss als Aktivum
zu behandeln. Die Nachprüfung der Rechnungen der Rekurrentin durch das eidg.
Versicherungsamt bietet keine Gewähr dafür, dass nicht solche stille Reserven
tatsächlich vorhanden sind. Denn das Versicherungsamt hätte nur dann
Veranlassung einzuschreiten, wenn die Prämienreserve ungenügend wäre, d. h.
zusammen mit den künftigen Prämieneingängen und den Zinsen zur Deckung der
Verbindlichkeiten nicht ausreichen würde. Unzulässig wäre es jedoch, die
Prämienreserve nur bis zur Höhe des Rückkaufswertes der laufenden Policen als
Passivum zu behandeln. Denn der Rückkaufswert entspricht nicht vollständig dem
gegenwärtigen Wahrscheinlichkeitswert der durch die laufenden
Versicherungsverträge begründeten Verbindlichkeiten der Gesellschaft. Der
Versicherer kann vielmehr bei der vorzeitigen Vertragsauflösung von dem auf
die betreffende Police entfallenden Deckungskapital einen gewissen Abzug
machen, weil erfahrungsmässig durchwegs die gesünderen Personen, also die
besseren Risiken zur vorzeitigen Vertragsauflösung schreiten und weil überdies
im Interesse der allgemeinen Förderung des Versicherungsgedankens der
leichtfertige Austritt aus der Versicherung eingeschränkt werden soll
(OSTERTAG-HIESTAND S. 66/67). Am 20. Mai 1927 hat freilich das Bundesgericht
einen Rekurs der Genfer Lebensversicherungsgesellschaft gegen einen Entscheid
des aargauischen Obergerichtes abgewiesen, wodurch ein Teil des

Seite: 400
Deckungskapitals als steuerpflichtiges Aktivum erklärt worden war. Doch
geschah dies nicht auf Grund materieller Erwägungen, sondern ausschliesslich
wegen ungenügender Rekursbegründung. Ebensowenig steht mit den vorstehenden
Erwägungen in Widerspruch das Urteil vom 14. Juni 1924 in Sachen Pensionskasse
des Revisionsverbandes aargauischer Kreditinstitute, wo die staatsrechtliche
Beschwerde gegen die Behandlung des bilanzmässigen «Deckungskapitals» als
Aktivum durch die aargauischen Steuerbehörden als unbegründet verworfen worden
ist. Denn es besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen den Ansprüchen an
eine solche genossenschaftlich organisierte Pensionskasse und den auf einem
Lebensversicherungsvertrag beruhenden Rechten. Während es sich bei den
letzteren um zwar befristete, aber an sich gewisse Verpflichtungen handelt,
hängen die Rechte auf Pension bei Pensionskassen der damals in Frage stehenden
Art von Bedingungen ab, die noch ungewiss sind, sind also nicht entstanden,
sondern erst in der Schwebe. Das Bundesgericht hat es deshalb auch abgelehnt,
sie bei der Besteuerung der Kassemitglieder einer rückkaufsfähigen
Lebensversicherungspolice gleichzustellen, d. h. darin ein steuerbares
Vermögen des Mitgliedes zu sehen (BGE 48 I 9).
Ausser der Prämienreserve für Lebensversicherungen (réserves et reports de
primes pour risques en cours de la branche-vie: 64052081 Fr.) finden sich in
der Bilanz der Rekurrentin auch noch einige kleinere Reserven («réserves pour
capitaux, rentes et rachats a régler»; «réserves pour risques en cours de la
branche-accident»; «réserves pour sinistres accidents à régler»; «fonds des
assurances avec participation aux bénéfices»), über die die Parteien sich
nicht näher ausgesprochen haben. Für einzelne davon steht ohne weiteres fest,
dass es sich um Passiven handelt, so für die Posten: «réserves pour capitaux,
rentes et rachats à régler», und «réserves pour sinistres accidents à régler»
(sog. Schadenreserven), die

Seite: 401
zur Bezahlung der bereits bekannten, aber noch nicht liquidierten Schäden
bestimmt sind. Sollten für die anderen Posten die Verhältnisse anders liegen,
so bleibt den Steuerbehörden das Recht gewahrt, dies zu berücksichtigen
Unter diesem Vorbehalte und unter dem weiteren, der oben hinsichtlich einer
allfälligen Überdeckung auf dem Posten «réserves et reports de primes pour
risques en cours de la branche-vie» angebracht worden ist, würde sich demnach
die Einschätzung zur Vermögenssteuer wie folgt gestalten.... »
«5. - Steuerbares Einkommen:
a) ...
b) Nach § 5 des kant. StG sind zur Bestimmung des steuerbaren Einkommens von
den Roheinkünften u.a. die «Zinsen fremder Kapitalien» abzurechnen. Der
angefochtene Entscheid anerkennt, dass infolgedessen auch die Rekurrentin als
ausserkantonale Steuerpflichtige Anspruch darauf hätte vom Ertrag der
Liegenschaft «Falkenhof» einen Betrag als Schuldzinsenanteil abzuziehen, der
der prozentualen Belastung der Gesamtbruttoaktiven mit verzinslichen Passiven
entspricht. Doch ist dieser Abzug, auch soweit bei der Vermögenseinschätzung
Passiven zugelassen und abgerechnet wurden, deshalb nicht vorgenommen worden,
weil die Verzinslichkeit der betreffenden Passivposten nicht ausgewiesen sei.
Es ist bereits in Erwägung 2 oben ausgeführt worden, dass dieser Standpunkt
nicht haltbar ist. Aber auch für den nach jenem Verhältnis auf die
Liegenschaft «Falkenhof» entfallenden Anteil an Deckungskapital muss der
Zinsabzug zugelassen werden, weil es sich auch hier, wie übrigens vom Experten
der Steuerbehörde in seinem Gutachten anerkannt worden ist, nicht um
unverzinsliche Verbindlichkeiten handelt. Im Versicherungswesen pflegt das
Deckungskapital so berechnet zu werden, dass es nur zusammen mit Zinsen und
Zinseszinsen und den künftigen Prämieneingängen die Verbindlichkeiten aus
402
den Versicherungsverträgen zu decken vermag. (MANES, Versicherungswesen 124,
126). Es sind daher auch die darauf berechneten Zinsen als Verzinsung einer
Schuld an Dritte zu betrachten und infolgedessen vom Roheinkommen
abzurechnen...
Dabei bleibt immerhin die Nachprüfung der Berechnung des Deckungskapitals i.
S. der Ausführungen in Erwägung 4 c oben und die Feststellung des Zinsfusses
für seine Verzinsung vorbehalten.»
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 54 I 388
Datum : 01. Januar 1927
Publiziert : 09. November 1928
Quelle : Bundesgericht
Status : 54 I 388
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Lebensversicherungsgesellschaft mit Sitz in einem und Grundeigentum im anderen Kanton...


Gesetzesregister
BV: 4 
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
46
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 46 Umsetzung des Bundesrechts - 1 Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
1    Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
2    Bund und Kantone können miteinander vereinbaren, dass die Kantone bei der Umsetzung von Bundesrecht bestimmte Ziele erreichen und zu diesem Zweck Programme ausführen, die der Bund finanziell unterstützt.10
3    Der Bund belässt den Kantonen möglichst grosse Gestaltungsfreiheit und trägt den kantonalen Besonderheiten Rechnung.11
WG: 90
BGE Register
45-I-207 • 46-I-335 • 48-I-6 • 54-I-388
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
deckungskapital • aktiengesellschaft • weiler • grundeigentum • deckung • wert • lebensversicherung • reservefonds • bundesgericht • aktienkapital • innerkantonal • aargau • eigenkapital • versicherer • unternehmung • berechnung • leben • frage • obliegenheit • eintritt des versicherungsfalls
... Alle anzeigen