206 Staatsrecht.

Ausdehnung gegeben Werden. Folglich darf der Vorstehend entwickelte
Begriff des steuerrechtlichen Domizils der juristischen Person im hier
gegebenen Falle ohne Willkür auch in das kantonale Gesetz hineingelegt und
demnach die Relcurrentin als im Kanton Aargau domiziliertsi behandelt
werden.

6. Die spezielle Anfechtung der aargauischen Steuer'auilage pro 1917,
wegen Willkür, ist ebenfalls unbegründet. Dieser Steuerauflage steht der
Grundsatz der kantonalen Steuerpraxis, wonach die ordentlichen Steuern im
Steuerjahr zu beziehen sind und nicht nachträglich eingeiordert werden
können , keinesWegs entgegen. Wenn das Obergericht angenommen hat,
dass diesem Grundsatz vorliegend durch die ursprüngliche Zustellung des
Steuerzettels mit Zahlungsaufi'orderung, vom 5. Dezember 1917, seitens
der Finanzdirektion Genüge geschehen sei, obschon die Finanzdirektion
sich dann zur WiedererWägung dieser steuer-Verfügung bereit erklärt und
ihren endgültigen Entscheid erst im September 1918 getrolleii hat, so
ist das gewiss nicht willkürlich. Dass die Rekurrentin aus der Verzögenmg
der Erledigung ihres Wieder-

erwägungsgesuchs nicht einfach schliessen durfte, die,

Finanzdirekticn verzichte auf; den Steueranspruch, bedarf keiner weitem
Begründung. _

7. Die bisherigen Erwägungen würden an sieh dazu führen, dem Kanton
Glarus auch für das Jahr 1917 jedes Steuerrecht gegenüber der 'Rekurrentin
abznspreehen. Nun hat sich aber der Kanton Aargau im Widerspruch freilich
mit der Begründe seines Standpunktes schon durch die Finanzdirektion
auf die Besteuerung einer Quote Von 90% der in Betracht fallenden Werte
beschränkt, und. die Rekurrentin hat für den Fall der Zulässigkeit dieses
Anspruchs eine weitergehende Reduktion ihrer Besteuerung durch den Kanton
Glarus nicht verlangt. Bei dieser prozessualen Situation muss sich das
Bundesgericht auf die Abweisung des Rekurses gegenüber dem Kanton Aargau
und auf die Feststellung der

oDoppelbesteuerung N°, 27. 207

dessen effektiver Steuerforderung entsprechenden Rück.-erstattungspflicht
des Kantons Glarus, die unbestritten ist, beschränken.

Demnach erkennt das Bundesgericht :

1. Das Hauptbegehren der Rekurrentin um Aufhebung des Urteils der
I. Abteilung des aargauischen Obergerichts. vom 24. Januar 1919 und
Feststellung, dass der Kanton Aargau keinerlei Steueransprüche gegen
sie habe, wird abgewiesen.

2. Das Eventualbegehren der Rekurrentin wird dahin, gutgeheissen', dass
der Kanton Glarus pflichtig erklärt wird, ihr neun Zehntel der pro 1917
bezogenen steuerzurückzuerstatten;

27. Urteil vom 11. Juli 1919

i. S. Schweizerische Lebensversichemgsund Rentenanetalt _ gegen Solothurn
und Zürich.

Art. 46 Abs.; )BV. Eine ausuärtige Generalageniur

einer Versicherungsgesellschaft begründet normalerweise k e i n besonderes
Steuerdomizil. -

A. Die Reknrrentin, Schweiz. Lebensversicherungsund Rentenanstalt ,
die im Jahre 1857 als Schweiz.. Rentenanstalt gegründet worden ist,
betreibt. mit statutarischem Sitz in Zürich als Hauptgeschäft die
Kapitalversicherung auf den Todesund den Erlebensfall für über 2000
Fr., mit und ohne Anspruch der Versicherungsnehmer auf Rückvergütung der
Rechnungsübersehüsse (Gegenseitigkeit), sowie die Rentenversicherung, und
daneben, als besondern Geschäftszweig für das Gebiet der Schweiz, noch die
sog. Volksversicherung als Lebensversicherung auf Gegenseitigkeit. für
höchstens 2000 Fr., mit und ohne ärztliche Unter--

208 Staatsrecht.

suchung der Versicherungsnehmer. Sie hat Generalagenturen , denen
Lokalagenten unterstellt sind, in 16 Kantonen (mit Einschluss des
Sitzkantons). Eine solche besteht für den grössten Teil des Kantons
Solothurn, angrenzende Gebiete des Kantons Bern und den ganzen Kanton
Baselland in Solothurn, wo sie durch Notar Oskar V. Wartburg als
Generalagent Verwaltet wird. _

Die Anstalt ist von jeher in Zürich für ihren gesamten Geschäftsbetrieb
der Vermögensund Einkommensbesteuerung unterworfen Werden. Im Jahre 1917
hat sie als Einkommenssteuer dem Kanten und der Stadtgemeinde Zürich
einen Betrag von 24,748 Fr. 50 Cts. für ein Gesamteinkommen von 177,084
Fr. entrichtet.

Anderseits ist die Anstalt erstmals für das Jahr 1917, gemäss
den Weisungen des solothurnisehen Finanzdepartements an die
kantonalen Stenerorgane vom 14. Februar 1917, durch Verfügung
der Kreissteuerkommission der Stadt Solothurn vom 7. Juni 1918 mit
Rücksicht auf ihre dortige Generalagentur als auch im Kanton Solothurn
steuerpflichtig erklärt werden, und. zwar für ein Einkommen von 32,089
Fr. mit einem Steuerbetrag von 706 Fr. . '

B. Hieraui hat die Anstalt mit Eingabe vom 5. Juli 1918 in formell
richtiger Weise den staatsrechtlichen Rekurs an das Bundesgericht Wegen
bundesrechtswidriger Doppelbesteuerung ergriffen und folgende Anträge
gestellt :

Hauptbegehren.

Der Kanten Solothurn sei nicht berechtigt, von der

Rekurrentin eine Einkommenssteuer zu erheben. Eventualbegehren.

a) Der auf den Kanton Solothurn entfallende Einkommensteuerbetrag sei
auf der in der Rekurshegründung vorgeschlagenen Grundlage zu ermitteln
und demnach für das Jahr 1917 auf 4 Fr. 30 Cts. (1% von 429 Fr.
.30 Cts.) festzusetzenDoppelbesteuerung No 27. 20a

b) Der Kanton und die Stadt Zürich seien verpflichtet, dem Steuerrecht
des Kantons Solothurn vom Jahre 191? an Rechnung zu tragen und demnach
der Rekurrentin das steuerbetreiknis zurückzuerstatten, das sie dem
Kanton Solothurn für das Jahr 1917 schulde.

Zur Begründung des Hauptbegehrens wird in erster Linie ausgeführt, dass
die Rekurrentin im'Kanton Solothurn kein bundesrechtlieh anerkanntes
Steuerdomizii habe, weil ihr dortiger Geschäftsbetrieb die hieiür durch
die gegenwärtige Praxis des Bundesgerichts (AS 40 I S. 73 i,; [il IS. 432
it. ;42 l S. 138 und 318) aufgestellten Erfordernisse nicht erfülleDie
Generalagentur in Solothurn stelle vor allem keine ständige körperliche
Anlage oder Einrichtung des Geschäftes dar. Ständig sei sie nicht,
weil die Abgrenzung der Generalagentur Gebiete häufigen Aenderungen
unterliege und auch der Sitz einer Generalagentur jederzeit ohne
Beeinträchtigung des Geschättshetriehes gewechselt werden könne. Und
Von einer körperlichen Anlage oder Einrichtung der Rekurrentin könne
nicht gesprochen werden, weil das hiezu erforderliche sachliche Substrat
fehle, indem der Generalagent v. Wartburg in e ig e ne r Klause, in
der v 0 n ihm gemieteten Wohnung, seines Amtes walte und die einzigen,
der Rekurrentin gehörenden körperlichen

Sachen an seinem Sitze die ihm anvertrauten Versicher

mngsmaterialien {Tarife, Prospekte, allgemeine Versicherungshedinguugen
und Antragsformulare) seien, die wohl so wenig wie der bekannte
Aushängeschild zu den körperlichen Anlagen oder Einrichtungen
gehörten. Ferner vollziehe sich mittelst der Generalagentur Solothurn
auch nicht ein qualitativ und quantitativ wesentlicher Teil des
Geschättshetriebes der Rekurrentin. Vertragsgemässe Aufgabe des
Generalagenten sei hauptsächlich die Organisation und auch direkte
Betätigung des Anwerbedienstes im Agenturgebiet: daneben besorge er
noch die Aushändig'ung der Polizen, sowie den (grösstenteils durch
Einzahlungen auf

210 ' Staatsrecht.

sein Postschekkonto erfolgenden) Prämieninkasso für die Versicherungen
des Hauptgeschäfts (während der

Prämieninkasso für die Volksversicherungen aus

schliesslich direkt vom Anstaltssitze aus besorgt werde-) und
Versicherungsauszahlungen. Er habe k e i n e r l e i für den Abschluss der
Yersichemngsverträge und die Erledigung der Versicherungsansprüche e n t s
,c h e i d e n d e Funktionen : er sei nicht Abschluss-, sondern lediglich
Vermittlungsagent, da die Antragspapiere der 'Versicherungskandidaten
an die Anstaltsdirektion zur endgültigen Prüfung und zum Entscheide
über Annahme oder Ablehnung, der ihm einfach als Vollendete Tatsache
mitgeteilt werde, weiterzuleiten habe und auch für den übrigen Verkehr mit
dem Publikum (Aniragenvon Versicherten, Auskünfte usw.) blosser Vermittler
sei, also insbesondere keine Mitteilungen und Anzeigen irgend welcher Art
rechtsverbindlich iür die Anstalt entgegennehmen und auch Auszahlungen
von Geldern (Versiche-rungssummen, Rückkaut'swertcn, usw.) nicht ohne
vorherige Genehmigung der Anstalt vollziehen dürfe. Darnach könne von
einer q' u a l i t a t i ' wesentlichen Arbeit des Generalagenten von
vornherein nicht gesprochen werden ; die vornehmsten und hedeutsamsten
Verrichtungen des Versicherungsbetriebes (Bisikenauswahl, Tarifierung,
Vertragsabschluss, Behandlung der Schadensfälle und Vermögensv'erwaltung)
seien der Zentralleitung am Sitze der Anstalt vorbehalten. Aber auch
von einer im Verhältnis zur Gesamtproduktion der Rekurrentin quantitativ
wesentlichen Arbeitsleistung der einzelnen Generalagentur könne natürlich
nicht die Rede sein.

lm weitern wird grundsätzlich noch geltend gemacht, dass die Steuerpflicht
der Rekurrentin im Kanton Solothurn auch nach dem solothurnischen
Steuergesetz vom 17. März 1905 nicht zu Recht bestehe, da unter dessen §
2 litt. c nur ein im Kanton gelegenes Geschäft einer ausWärts wohnenden
Person fallen könne, dessen Betrieb ein bundesreehtlich anerkanntes
interkantonales Steuerdomizil begründe.DoppelbesteuerungN° 27. 211

C. Der Regierungsrat des Kantons Solothurn hat Anweisung des
Hauptbegehrens, sowie des Eventualbegehrens unter litt. a des Rekurses
und Bestätigung der angefochtenen Verfügung der Kreissteuerkommission
beantragt. ss

Er nimmt unter Hinweis auf ein den Weisungen "des Finanzdepartements
vom 14. Februar 1917 zugrunde liegendes Rechtsgutachten von
Prof. Dr. BLUMENSTEIN in Bern (das die Auffassung vertritt, dass
nach der gegenwärtigen Praxis des Bundesgerichts zu Art. 46 Abs. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 46 Umsetzung des Bundesrechts - 1 Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
1    Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
2    Bund und Kantone können miteinander vereinbaren, dass die Kantone bei der Umsetzung von Bundesrecht bestimmte Ziele erreichen und zu diesem Zweck Programme ausführen, die der Bund finanziell unterstützt.10
3    Der Bund belässt den Kantonen möglichst grosse Gestaltungsfreiheit und trägt den kantonalen Besonderheiten Rechnung.11
BV
Versicherungsunternehmungen neben dem Sitzkanton noch in allen Kantonen
steuerpflichtig seien, wo sie Hauptund Generalagenten mit der Kompetenz
zum Prämieninkasso und zu gewissen Auszahlungen hätten) in grundsätzlicher
Hinsicht den Standpunkt ein, die Merkmale des Steuerdomizils im Sinne der
gegenwärtigen bundesgerichtlichen Praxis seien bei der Generalagentur der
Rekurrentin in Solothurn gegeben. Die im Rekurse als die vornehmsten
und bedeutsamsten Verrichtungen des Versicherungsbetriebes erwähnten
Funktionen genügten nicht, um das Geschäft zu betreiben oder gar
rentabel zu machen. Vielmehr sei namentlich auch der AnWerbedienst
und selbst der übrige, dem Generalagenten obliegende Verkehr mit den
Versicherten und dem Publikum für den technischen und kommerziellen
Versicherungsbetrieb von ausschlaggebender Bedeutung und deshalb q n a
l i t a t iv wesentlich jedenfalls ebensosehr-, wie das Reklamebureau
einer Schiflahrtsgesellschaft, die Verkaufsstelle einer Ofenfabrik, die
Repa-raturwerkstätte und Waschanstalt einer speisen-agengesellschaft
(AS 37 I Nr. 73, 53 und 54) oder die Farb,läden einer chemischen
Färberei (Urteil vom 28. Dezember 1915 in Sachen Terlinden gegen Bern und
Zürich). Man brauchte sich dabei sogar nicht mit BLUMENSTEIN auf General-·
und Hauptagentur zu beschränken, sondern könnte in dieser Hinsicht
auch blosse Unteragenten und lnspektoren als wesentliche Betriebsorgane
betrachten. Und dass speziell die Generalagentur in Solothurn für

212 Staatsrecht.

den Betrieb der Rekurrentin auch q u a n t i t a t i wesentliche Arbeit
leiste, ergehe sich aus der Höhe der

Prämieneinnahmen im Kanton Solothurn sowie aus der

Ausdehnung des ihr unterstellten Wirkungsgebietes. Anderseits liege
im Bureau des Generalagenten eine diesen Betrieb vermittelnde ständige
körperliche Einrichtung. Es stelle eine auf sachlichem Substrat ruhende
Betriebseinrichtung dar, die einen notwendigen Bestandteil der von der
Rekurrentin gewählten Art des Betriebes mit ständigen Organen ausserhalb
des zentralen Geschäftssitzes bilde. Dass der Raum, in welchem sich
das Bureau des Generalagenten befinde, weder im Eigentum der Rekurrentin
stehe, noch auf ihren Namen gemietet sei, sei unerheblich; es genüge, dass
die Rekurrentin den Generalagenten vertragsgemäss zur Einrichtung eines
solchen Bureaus verpflichtet habe und dass dieses der Abwicklung ihres
Geschättsbetriebes diene (zu vergi. AS 39 I Nr. 100, 40 I Nr. 7, s'il
I Nr. 61). Und eine ständige Einrichtung bedeute das Bureau trotz der
betriebstechnischen Möglichkeit, den Sitz der Generalagentur zu verlegen;
denn als nichtständige Einrichtungen betrachte das Bundesgericht nur
solche, die bestimmungsgemäss nach einer gewissen Zeit entfernt würden,
weil ihr ZWeck der Natur der Sache nach ein vorübergehender sei. wie
Bauhütten und dergleichen-(zuvergl. AS 37 l Nr. 74und 41 1 Nr. 62). ...

D. Der Regierungsrat des Kantons Zürich und das Steuerwesen der Stadt
Zürich haben sich dem Hauptantrage und der zugehörigen Begründung
des Rekurses angeschlossen. Sie betonen namentlich, dass beim
Versicherungsgeschäft, wie bei keinem andern Geschäftsunternehmen,
die Zentralleitung am Gescliäi'tssitze in jeder Beziehung, sowohl
insgesamt, als auch für jedes einzelne Geschäft, von überragender
Bedeutung sei, und dass deshalb der die auswärtige Steuerpflicht der
Versichernngsgeselischaften ablehnende Entscheid des Bundesgerichts vom
4. Juli 1908 in Sachen Zürich gegenDoppelbesteuerung N° 27. 213

Graubünden (AS 34 I Nr. 42) auch heute noch als Zu-

treffend erscheine·

Das Bundesgericht zieht in Erwägung :

'1. Das Bundesgericht hat die Steuerpflicht der
Versicherungsgesellschaften am Orte einer auswärtigen Agentur
bezw. Generalagentur aus dem Gesichtspunkte des Art. 46
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 46 Umsetzung des Bundesrechts - 1 Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
1    Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
2    Bund und Kantone können miteinander vereinbaren, dass die Kantone bei der Umsetzung von Bundesrecht bestimmte Ziele erreichen und zu diesem Zweck Programme ausführen, die der Bund finanziell unterstützt.10
3    Der Bund belässt den Kantonen möglichst grosse Gestaltungsfreiheit und trägt den kantonalen Besonderheiten Rechnung.11
Abs.·2 BV schon
zweimal verneint : durch die Urteile vom 3. Juni 1892 in Sachen Helvetia
gegen Uri (AS 18 S. 21 i.) und Vom 4. Juni 1908 in Sachen Zürich gegen
Graubünden (AS 34 I S. 247 H.). Diese beiden Urteile sind jedoch für den
heutigen Entscheid nicht ohne weiteres präjudiziell, weil sie von einem
der gegenwärtigen Praxis nicht mehr entsprechenden Begriff des sekundären
Steuerdomizils ausgehen. Zur Zeit des ersten Urteils wurde hiel'ür eine
Zweigniederlassung im Sinne des Zivilrechts erlordert, und zur Zeit des
zweiten Urteils ging die Aufiassung des Bundesgerichts dahin, d es sich
am betreffenden Orte mittelst ständiger Anlagen oder Einrichtungen ein
wesentlicher Teil des Geschäftshetriebes des Steuerpflichtigen abspielen
müsse, und zwar entweder unter verhältnis-mässig selbständiger Leitung
(derart, dass die völlige Verselbständigung dieses Teilhetriebes ohne
erhebliche organisatorische Aenderungen möglich wäre)

oder aber als notwendiger, in seiner vorliegenden Er-

scheinungs'iorm unentbehrlicher Bestandteil des anderweitig einheitlich
geleiteten Geschäftsbetriebes. Die heutige Praxis dagegen nimmt
ein sekundäres Steuerdomizil überall da an, wo mittelst ständiger
körperlicher Anlagen oder Einrichtungen überhaupt ein qualitativ und
quantitativ wesentlicher Teil des Gescliaktsbetriebes vor sich geht,
ohne Rücksicht darauf, ob dieser tatsächlich vorhandene Teilbetrieb in
seiner Erscheinungsiorm notwendig sei oder ob er ohne Nachteil für das
ganze Geschäft geändert werden könnte. Ani diese neue Ausgestaltung der
Praxis ist denn auch das Vorgehen der solothurnisch en

214 Staatsreeht.

Steuerbehörden gegenüber der Rekurrentin, dem das Gutachten BLUMENSTEINS
zugrunde liegt, zurückzuführen.

2. Nun erhebt sich nach Lage der Akten in erster Linie die Frage, ob
die in Solothurn bestehende Generalagentur als eine ständige örperliche
Einrichtung des Betriebes der Rekurrentin anzusehen sei. Der Umstand, dass
das dortige Geschäftsbureau des Gefieralagenten, das dieser vertragsgemäss
zu halten hat, nicht von der R'ekurrentin gemietet und installiert worden
ist, sondern einen Bestandteil der eigenen Mietwohnung des Generalagenten
bildet, schliesst ihre Bejahung nicht ohne weiteres

aus, da für die Beantwortung der Frage mehr der Wirt--

schaftliche als der juristische Gesichtspunkt massgebend sein muss. Allein
das Verhältnis zwischen dem Generalagenten und der Rekurrentin im
allgemeinen führt zu ihrer Verneinung. Der Generalagent ist in seiner
gewöhnlichen Stellung, um die es sich nach den unbestrittenen Angaben der
Rekurrentin hier handelt, jedenfalls wirtschaftlich nicht als blosses
Organ seiner Versicherungsanstalt, sondern als 3 e l b s t ä n dig e
r G e w e r b e t r e i b e n d e r zu betrachten, da er nicht gegen
pauschal bestimmtes Honorar im zeitlich geregelten Dienste der Anstalt
steht, wie deren Beamte und Angestellte, sondern die ihm übertragene
Tätigkeit, Wenigstens in der Hauptsache (was den Anwerbedienst betriiit),
im Rahmen eigenen Ermessens gegen feste Honorierung nach Leistungen
ausübt. Uebrigens qualifiziert sich seine Stellung dementsprechend
auch juristisch der hier wohl zutreffenden Regel nach (Ver gl. hierüber
z. B. RòLLt, Kommentar zum BG fiber den Versicherungsvartrag. Anmerkung
2 zu Art. 34, S. 413, sowie allgemein schon VIKTOR EHRENBERG,
Versicherungsrecht, Seite 207 ff.) nicht als DienstvertragSVerhältrüs,
sondern als freiereAuftragsverhältnis im Sinne des Art. 394 Abs. 2
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 394 - 1 Durch die Annahme eines Auftrages verpflichtet sich der Beauftragte, die ihm übertragenen Geschäfte oder Dienste vertragsgemäss zu besorgen.
1    Durch die Annahme eines Auftrages verpflichtet sich der Beauftragte, die ihm übertragenen Geschäfte oder Dienste vertragsgemäss zu besorgen.
2    Verträge über Arbeitsleistung, die keiner besondern Vertragsart dieses Gesetzes unterstellt sind, stehen unter den Vorschriften über den Auftrag.
3    Eine Vergütung ist zu leisten, wenn sie verabredet oder üblich ist.

OR. Unter diesen Umständen aber kann die Geschäft-seinrichtung des
Generalagenten in Solothurn, obschon sie ,nach vertraglicher Vereinbarung
mit der RekurrentinDoppelbesteuerung N° 27. 2315

getroffen worden ist, n i c h t als d e r e n Geschäftseinrichtung,
sondern muss als Einrichtung für den selbständigen Gesehäitsbetrieb
des Generalagenten angesprochen Werden und erfüllt deshalb das in Rede
stehende Erfordernis des sekundären Steuerdomizils nicht. Schon aus
diesem Grunde ist die Rekurrentin iii-Solothurn nicht steuerpflichtig. _

Es kann daher die Weitere Frage unerörtert bleiben, ob die Tätigkeit des
Generalagenten im Verhältnis zum Geschäftsbetrieb der Rekurrentin das
Erfordernis qualitativer und quantitativer Erheblichkeit erfüllen würde.

Demnach erkennt das Bundesgericht :

In Gutheissung des Rekurses wird die Verfügung der Kreissteuerkommission
der Stadt Solothurn vom 7. Juni 1918 in dem Sinne aufgehoben, dass die
Rekurrentin als in Solothurn nicht einkommensteuerpflichtig erklärt wird.

AS 45 l mm '!5
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 45 I 207
Datum : 24. Januar 1919
Publiziert : 31. Dezember 1920
Quelle : Bundesgericht
Status : 45 I 207
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 206 Staatsrecht. Ausdehnung gegeben Werden. Folglich darf der Vorstehend entwickelte


Gesetzesregister
BV: 46
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 46 Umsetzung des Bundesrechts - 1 Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
1    Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
2    Bund und Kantone können miteinander vereinbaren, dass die Kantone bei der Umsetzung von Bundesrecht bestimmte Ziele erreichen und zu diesem Zweck Programme ausführen, die der Bund finanziell unterstützt.10
3    Der Bund belässt den Kantonen möglichst grosse Gestaltungsfreiheit und trägt den kantonalen Besonderheiten Rechnung.11
OR: 394
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 394 - 1 Durch die Annahme eines Auftrages verpflichtet sich der Beauftragte, die ihm übertragenen Geschäfte oder Dienste vertragsgemäss zu besorgen.
1    Durch die Annahme eines Auftrages verpflichtet sich der Beauftragte, die ihm übertragenen Geschäfte oder Dienste vertragsgemäss zu besorgen.
2    Verträge über Arbeitsleistung, die keiner besondern Vertragsart dieses Gesetzes unterstellt sind, stehen unter den Vorschriften über den Auftrag.
3    Eine Vergütung ist zu leisten, wenn sie verabredet oder üblich ist.
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
bundesgericht • aargau • weiler • bestandteil • frage • stelle • versicherer • weisung • verhältnis zwischen • funktion • 1919 • regierungsrat • versicherungsnehmer • entscheid • unternehmung • bewilligung oder genehmigung • lebensversicherung • vertragsabschluss • wohnraum • bruchteil
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