VI. STAATSVERTRÄGE
TRAITÉS INTERNATIONAUX
63. Urteil vom 10. Juli 1924 i. S. Fréland gegen Obergaricht Zürich.
Gerichtsstandsvertrag mit Frankreich, Art. 5. In der Schweiz erhobene
Präjudizialklage des Erben eines in Frankreich verstorbenen Schweizer-s
gegen den in Frankreich wohnenden Inhaber Von Nachlassobjekten
behufs Feststellung der erbrechth'chen Ansprüche des Klägers und als
Vorbereitung einer in Frankreich zu erhebenden Klage auf Herausgabe
jener Objekte. Zuständigkeit des schweizerischen
Richters. '
A. Im Jahre 1906 starb an seinem Wohnort Houilles in Frankreich Heinrich
Brändlin, Bürger von Stäfa, Kanton Zürich. Er hinterliess die Witwe
und eine 1899 geborene Tochter, die heutige Rekursbeklagte. Ein auf
Anordnung der schweizerischen Gesandtschaft in . Paris aufgenommenes
Nachlassinventar ergab einen
Wertschriftenbestand von rund 208,000 Fr. ; im Nach"lass war ausserdem
eine schWeizerische Liegenschaft vorhanden, die aber 1907 verkauft
worden ist. Eine Teilung des Nachlasses zwischen 'der Witwe und der
Tochter fand nicht statt, auch nicht als sich die erstere im Jahre
1908 mit dem Rekurrenten Fréland, einem Franzosen, verheiratete. Der
Nachlass scheint in den Händen der Witwe und dann der Eheleute Fréland
ver-blieben zu sein._ 1921 starb Frau Fréland und 1922 verheiratete sich
die Rekursbeklagte mit dem Franzosen Magnin.
Im November 1922 leitete sie gegen den Rekurrenten beim Bezirksgericht
Meilen Klage über folgende Rechtsbegehren ein :
1. Wie ist der Nachlass des am 26. Mai 1906 in
StaatSverträge. N° 63. _ 409 Houilles, Frankreich, verstorbenen
J. B. H. Brändlin,
Bürger von Stäfa, festzustellen und zu verteilen ?
2. Ist die Schenkung der 7 Namen-Aktien der Spinnerei Utznachberg
A.-G. von je 5000 Fr., die der genannte H. Brändlin im Sommer 1905
seiner Gattin geb. Viguerie gemacht hat, eine pfäehtwidrige im Sinne von
Art. 980 ff. des zürcherischen privatrechtlichen Gesetzbuches und ist
sie deshalb bei Ausmessung des der Tochter Violette Magnin geb; Brändlin
zukommenden Pflichtteiles dem N achlasse ihres Vaters zuzurechnen oder
wie zu berücksichtigen ?
Die Kompetenz des Bezirksgerichtes Meilen wurde aus Art. 5 des
Gerichtsstandsvertrages mit Frankreich hergeleitet. Der Rekurrent
bestritt sie, und das Bezirksgericht wies mit Urteil vom 14._ Juni
19% die Klage wegen Inkompetenz von der Hand und zwar mit folgender
wesentlicher Begründung : Da der Vater der Klägerin Schweizer und in Stäfa
heimatberechtigt gewesen sei, so wären an sich für einen Prozess über die
Teilung seines Nachlasses die zürcherischen Gerichte zuständig. Diese
Zuständigkeit bestehe aber nur. für Streitigkeiten zwischen Erben um
Bestandteile des Nachlasses, Während, soweit Ansprüche des Nachlasses
gegen Dritte oder von Dritten gegen den Nachlass gel tend gemacht werden,
die gewöhnlichen Gerichtsstands-regeln, also nicht die Bestimmungen
des Art. 5, sondern des Art. 1 des französisch-schweizerischen
Gerichtsstandsvertrages gälten. Der Beklagte sei nun nicht Erbe
des Brändlin und habe mit dessen Erbschaft nichts zu tun. Ob das
Nachlassvermögen auf die Mutter der Klägerin übergegangen und nach der
Verheiratung mit dem Beklagten faktisch in dessen Besitz gekommen sei,
spiele keine Rolle. Die Klägerin hätte nach Erreichung der Volljährigkeit
die Möglichkeit gehabt, ihre erbrechtlichen Ansprüche gegenüber der
Mutter geltend zu machen. Gegen den Beklagten könne sie Ansprüche nur
als gewöhnliche Forderungsansprüche geltend machen und
410 Staatsrecht.
eine solche Klage könne nicht bei dem hiesigen Gerichte, sondern müsse
in Frankreich erhoben werden. Auch auf ein Klagebegehren, mit dem eine
von Brändlin zu seinen Lebzeiten gemachte Schenkung angefochten werde,
könnten die hiesigen Gerichte nicht eintreten. Die Beschenkte sei die
Mutter der Klägerin gewesen ; wenn der Schenkungsgegenstand später im
Nachlass der Mutter noch vorhanden gewesen und in den Besitz des Beklagten
gekommen sei, so könne die Klägerin ihm gegenüber eine Liquidationsklage
oder Forderungsklage, nicht aber eine erbrechtliche Klage geltend machen.
Auf Berufung der Rekursbeklagten hob das Obergericht Zürich am
12. März 1924 das bezirksgerichtliche Urteil auf und wies die Sache
an die Vorinstanz zur Ausfällung eines neuen _Urteils zurück. Die
Begründung dieses Entscheides geht im wesentlichen dahin: Die
Klage erscheine als eine Erbteilungsklage im Sinne des Art. 604
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 604 - 1 Jeder Miterbe kann zu beliebiger Zeit die Teilung der Erbschaft verlangen, soweit er nicht durch Vertrag oder Vorschrift des Gesetzes zur Gemeinschaft verpflichtet ist. |
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1 | Jeder Miterbe kann zu beliebiger Zeit die Teilung der Erbschaft verlangen, soweit er nicht durch Vertrag oder Vorschrift des Gesetzes zur Gemeinschaft verpflichtet ist. |
2 | Auf Ansuchen eines Erben kann das Gericht vorübergehend eine Verschiebung der Teilung der Erbschaft oder einzelner Erbschaftssachen anordnen, wenn deren sofortige Vornahme den Wert der Erbschaft erheblich schädigen würde. |
3 | Den Miterben eines zahlungsunfähigen Erben steht die Befugnis zu, zur Sicherung ihrer Ansprüche sofort nach dem Erbgange vorsorgliche Massregeln zu verlangen. |
ZGB und § 959 zürch. priv. GB. Sie gehe auf Feststellung der Grösse
des Nachlasses des Vaters der Klägerin und des der letzteren daran
zukommenden Erbteiles: danach falle sie aber grundsätzlich unter Art. 5
des Gerichtsstandsvertrages mit Frankreich. Ihrem Begriffe nach sei
freilich die Erbteilungsklage in der Regel gegen Miterben zu richten,
weil damit der bisherigen Erbengemeinschaft (Art. 602
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 602 - 1 Beerben mehrere Erben den Erblasser, so besteht unter ihnen, bis die Erbschaft geteilt wird, infolge des Erbganges eine Gemeinschaft aller Rechte und Pflichten der Erbschaft. |
|
1 | Beerben mehrere Erben den Erblasser, so besteht unter ihnen, bis die Erbschaft geteilt wird, infolge des Erbganges eine Gemeinschaft aller Rechte und Pflichten der Erbschaft. |
2 | Sie werden Gesamteigentümer der Erbschaftsgegenstände und verfügen unter Vorbehalt der vertraglichen oder gesetzlichen Vertretungs- und Verwaltungsbefugnisse über die Rechte der Erbschaft gemeinsam. |
3 | Auf Begehren eines Miterben kann die zuständige Behörde für die Erbengemeinschaft bis zur Teilung eine Vertretung bestellen. |
gemacht Werden solle. Diese Regel müsse' aber eine Ausnahme erleiden,
Wenn einem Erben oder mehreren unter sich einigen Erben an Stelle eines
verstorbenen Miterben ein Dritter als Beklagter gegenüberstehe, der das
Erbrecht der Kläger oder deren Ansprüche auf Teilung mit Einwendungen
bestreite, die dem verstorbenen Miterben aus erbrechtlichen Gründen
zugestanden haben und die der Dritte daher nur aus der Person seines
Rechtsverfahren erheben könne. Insoweit müsse der dem auf Erbteilung
klagenden Erben durch den Staatsvertrag gewährleistete heimatliche
Gerichtsstand auch einem Dritten gegenüber gegeben sein, gleichviel ob
Staatsverträge. N° 63. 411
dieser den verstorbenen Miterben beerbt habe oder nicht. Die Frage,
ob derBeklagte Erbe seiner Frau (der Mutter der Klägerin) sei, brauche
deshalb nicht entschieden zu werden. Es könnte sich dabei jedenfalls
nur um die succession irreguliére im Sinne von Art. 767 773 Code
civil handeln, bei der Rechte und Pflichten des Erblassers nicht von
Rechtswegen, sondern erst durch besondere Einweisung übergehen. Verweigere
in einem solchen Falle der Beklagte die Herausgabe des Nachlasses
gestützt auf Einreden obligationen-, sachenoder familienrechtlicher
Natur, so werde freilich gegen ihn eine obligatorische oder dingliche
Klage angehoben Werden müssen, auf die Art. 5 des Staatsvertrages keine
Anwendung finde. Im vorliegenden Falle habe man es aber noch nicht mit
einem solchen Anspruch auf Hera u s g a b e von Nachlassgegenständen,
sondern nur mit der Feststellung des Erbteiles der Klägerin zu tun, und
diese Feststellung vor dem hiefür zuständigen Richter könne der Klägerin
nicht deshalb versagt werden, Weil nicht alle zwischen den Parteien
streitigen Punkte in diesem Prozess erledigt werden und weil der Beklagte
hier nicht zu Leistungen verpflichtet werden könne. Die Zuständigkeit
sei daher gegeben. Sie beschränke sich aber auf die Streitpunkte, welche
sich auf die Feststellung des Erbrechtes, die Grösse des Nachlasses und
die Art der Teilung beziehen, während soweit der Beklagte Erbschaftsteile
auf Grund seiner rechtlichen Beziehungen zu seiner Frau, an deren Stelle
er belangt werde, beanspruche, Einreden erhebe, die er nicht aus der
Person jener, sondern aus seiner eigenen Person herleite und die ihm auch
gegenüber seiner Frau zugestanden hätten, der Streit vor den ordentlichen
Gerichtsstand des Beklagten gehöre. Unter diese ZWeite Kategorie von
Einreden fielen speziell die Fragen, ob und inwieweit der Beklagte kraft
ehelichen Güterrechts oder als gewesener cotuteur der Klägerin oder aus
obligatio nenoder sachenrechtlichen Gesichtspunkten für die Erhaltung
412 Staatsrecht.
des in seinem oder im Besitze seiner Frau gewesenen Nachlassvermögens
hafte, zur Zeit noch Nachlassaktiven
im Besitze habe u. s. w., ferner welche Ansprüche er '
aus seinem ehemännlichen Nutzniessungsrechte an den Nachlass seiner
Frau habe. Es wird sodann im Einzelnen untersucht, inwiefern es sich
bei den einzelnen nach den Vorbringen der Parteien streitigen Aktibund
Passivposten allenfalls um einen Streit der letzteren Art handle und
festgestellt, dass durchwegs daneben auch noch die rein erbrechtliche
Frage nach dem Bestande, der Grösse des Nachlasses des Vaters Brändlin
streitig sei und zur Beurteilung stehe.
B. Gegen das obergerichtliche Urteil hat Freland den staatsrechtlichen
Rekurs wegen Verletzung von Art. 5 des Gerichtsstandsvertrages ergriffen
mit dem Antrag, das Urteil sei aufzuheben. Die Klage sei zwar, so Wird
ausgeführt, als erbrechtliche formuliert; materiell könne es sich aber
nach den zwischen den Parteien bestehenden Beziehungen nicht um einen
Erbrechtsstreit im Sinne von Art. 5 Gerichtsstandsvertrag handeln.
Weder bestreite der Rekurrent das Erbrecht der Klägerin am väterlichen
Nachlass, noch ihr Recht auf Tei · lung, sofern eine solche heute
überhaupt noch in Frage kommen könnte, noch erhebe er irgendwelche
erbreehtlichen Einwendungen gegenüber der Klägerin. Nur zwischen Erben
und eventuell Erbprätendenten sei aber eine Erbschaftsklage im Sinne
des zitierten Vertragsartikels möglich. Der Umstand, dass ein Dritter
Gegenstände oder Rechtsansprüche besitze, die zuvor einmal Bestandteil
eines Nachlasses gebildet hätten, zu dem er keine erbrechtlichen
Beziehungen habe, lasse eine gegen ihn gerichtete Klage eines Erben
niemals als Erbteilungsklage erscheinen. Selbst wenn der Rekurrent sich
in dieser Lage befände oderiwenn der ganze Nachlass Brändlin in seine
Hand gelangt wäre, was beides nicht zugegeben werde, so sei daher doch
eine Klage gegen ihn auf Feststellung und Teilung des Nachlasses ausge-
Staatsverträge. N° 63. 413
schlossen. Ein Feststellungsbegehren könne nur gestellt werden gegenüber
demjenigen, der auch mit der entsprechenden Leistungsklage belangt
werden könnte. Gegenüber dem Rekurrenten könne aber ein auf Leistung
gerichteter Erbteilungsanspruch nicht in Frage kommen. Dass der
Rekurrent als Ehemann der Mutter der Klägerin in gewisse familienund
erbrechtliche Beziehungen zur letztern gekommen sei, sei unerheblich,
weil dadurch ss keinerlei erbrechtliche Beziehungen seinerseits zum
Nachlass Brändlin hergestellt worden seien. Eine Klage gegen einen
Dritten auf Herausgabe von Gegenständen u. dgl. werde auch dadurch
nicht zu einer erbrechtlichen, dass dabei erbrechtliche Feststellungen
vorgenommen werden müssten. Der Rekurrent anerkenne bezüglich jeglicher
Ansprüche, welche die Rekursbeklagte an ihm glaube erheben zu können,
vorbehaltlos die Zuständigkeit der französischen Gerichte.
C. In der Vernehmlassung des Obergerichts wird gegenüber der Erklärung im
Rekurse, dass der Rekurrent weder das Erbrecht der Rekursbeklagten, noch
ihr Recht auf Teilung des väterlichen Nachlasses bestreite, sofern eine
solche heute noch in Frage kommen könne, noch überhaupt irgendwelche
erbrechtlichen Einwendungen gegenüber der Rekursbeklagten erhebe,
bemerkt : der obergerichtliche Referent habe die Parteien zu einer
Verständigung über die rein erbrechtlichen Fragen veranlassen wollen,
doch sei eine solche von der Rekursbeklagten abgelehnt und es seien auch
durch die Erklärungen des Rekurrenten in einer darauf erfolgten Eingabe
die Streitpunkte erbrechtlicher Natur keineswegs gegenstandslos geworden.
Die Rekursbeklagte Frau Magnin geb. Brändlin hat die AbWeisung des
Rekurses beantragt.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung :
1. Die Rekursbeklagte ist beim Tode ihres Vaters im Jahre 1906, eventuell
neben ihrer Mutter, dessen
414 Staatsrecht.
Erbin geworden, und sie hat daher ein Erbrecht inbezug auf dessen
Nachlass. Sie behauptet, gegen den Rekurrenten einen Anspruch
auf Herausgabe des ihr daran ' zukommenden Erbteils zu haben,
soweit die Herausgabe nicht bereits geschehen ist. Gegenstand des
vorliegenden Prozesses ist indessen nicht dieser Anspruch, sondern
lediglich die Entscheidung e i n e r Vorfrage, von der die behauptete
Herausgabeoder Ersatzpflicht des Rekurrenten mit abhängt, nämlich
die Feststellung desjenigen Teils des Nachlasses des Vaters Brändlin,
der an die Rekursbeklagte kraft ihres Erbrechtes fällt. Diese Frage
ist es, Welche die Rekursbeklagte mit der Klage dem Zürcher Richter
unterbreitet hat, indem sie einen Entscheid darüber begehrt, wie der
Nachlass festzustellen und zu verteilen sei (Begehren 1), und ob eine
vom Erblasser seiner Ehefrau gemachte Schenkung als den Pflichtteil der
Rekursbeklagten verletzend zu erklären sei (Begehren 2). Einzig in diesem
der Formu-lierung der Klagebegehren entsprechenden Umfange, soweit die
zwischen den Parteien streitigen Punkte sich auf die Feststellung des
Erbrechts der Klägerin, die Grösse des Nachlasses und die Art seiner
Teilung beziehen , hat die Vorinstanz die Klage auch zugelassen ; alle
übrigen Streitpunkte, bei denen es sich um die Pflicht des Beklagten als
angeblichen gegenwärtigen oder gewesenen Nachlassbesitzers zur Herausgabe
des f e s t g e s t e l l t e n Erbteils oder zu einer entsprechenden
Ersatzleistung handelt, hat sie vor den französischen Richter
verwiesen, von der Auffassung ausgehend, dass dabei nach der Stellung
des Rekurrenten zum Nachlass Brändlin nicht mehr ein erbrechtlicher,
sondern ein gewöhnlicher mobiliarsachenoder obligationenrechtlicher
(eventuell familienrechtlicher) Streit vorliege, der am ordentlichen
Gerichtsstande des Beklagten auszutragen sei. Die dem Zürcher Richter
unterbreiteten Streitfragen aber, für die er sich zuständig erklärt hat,
sind der Materie nach zweifellos erbrecht-
Staatsverträge. N° 63. 415
licher Natur i. S. von Art. 5 des Gerichtsstandsvertrages: für die erste
bedarf dies keiner Erörterung und die zweite betrifft die Anfechtung
eines Rechtsgeschäftes des Erblassers wegen Pflichtwidrigkeit,
das nach der nicht beanstandeten Feststellung des Obergerichts als
Zuwendung auf den Todesfall, mit erbrechtlichem Charakter anzusehen
ist (BGE 11, 340). Da der Erblasser ein in Frankreich verstorbener
Zürcher ist, könnte die Zuständigkeit des Zürcher Richters deshalb
nicht bezweifelt werden, wenn der Streit zwischen den Erben geführt
würde. Auch die allfällige französische Nationalität der beiden Parteien
würde ihr nicht entgegenstehen (AUJAY, Traité franco-suisse 214; GURU,
Gerichtsstandsvertrag 82; ROGUIN, Conflits des lois 250; SCHUHTER,
Zivilprozessrecht des Bundes 580). Zweifel über die Zuständigkeit des
Zürcher Richters sind nur deshalb möglich, einmal weil der Beklagte
nicht Erbe noch Erbprätendent am Nachlasse ist, auf den sich die Klage
bezieht, sodann weil die Klage nicht bezweckt einen unmittelbaren
Vollstreckungstitel für eine vom Beklagten zu bewirkende Leistung zu
erlangen, sondern lediglich ein bestimmtes Rechtsverhältnis feststellen
zu lassen, das für die Begründetheit eines erst noch vor dem f r a n z
ö s i s c h e n Richter zu erhebenden Leistungsanspruches präjudiziell
ist. Würde der erbrechtliche Präjudizialpunkt nicht als besonderer
Streit vor den Zürcher Richter gebracht, so wäre der mit der Klage
gegen den Rekurrenten auf Herausgabe des Erbteils der Klägerin oder
auf Ersatzleistung befasste französische Richter zweifellos befugt
gewesen, darüber ebenfalls zu entscheiden, da nach allgemein, auch im
französischen Recht (vgl. GARSONNET, Proc. I, 3. Aufl. § 479) geltender
Regel die Zuständigkeit in der Hauptfrage die Vorfragen mitumfasst,
selbst wenn sie zum Gegenstand eines selbständigen Prozesses gemacht
in die Zuständigkeit eines andern Richters fielen. 2.Art. 5 Abs. 1 des
Gerichtsstandsvertrages scheint
416 Staatsrecht.
nun allerdings seinem Wortlaut nach vorauszusetzen, dass bei den dem
heimatlichen Richter des Erblassers überwiesenen Erbstreitigkeiten
Erben oder doch Erb' prätendenten, eventuell Legatäre die Parteien
sind. Er'knüpft damit aber doch wohl nur an den überwiegenden
Regelfall an, wo sich in der Tat solche gegenüberstehen. Die scheinbar
einschränkende Fassung schliesst daher noch nicht schlechthin aus, dass
ausnathWeise auch die Klage gegen einen Nichterben vor den heimatlichen
Gerichtsstand gehört, vorausgesetzt dass sie, wie hier, materiell durchaus
erbrechtlichen Charakter hat, und sofern eine solche freiere Auslegung
im übrigen dem Sinn des Vertrages entspricht.
Obwohl der Gerichtsstandsvertrag es nicht ausdrücklich ausspricht, kann
doch darüber kein Zweifel bestehen, dass im Verhältnis der Vertragsstaaten
der Nachlass dem heimatlichen Erbrechte des Verstorbenen untersteht
(mit den Einschränkungen, die sich aus dem 2. Satz von Abs. 1 und aus
Abs. 2 von Art. 5 ergeben). Gerade um die Anwendung des heimatlichen
Rechts sicher zu stellen, ist in Art. 5 der Gerichtsstand der Heimat
vorgesehen, da vom Richter des letzten Wohnsitzes des Erblassers die
richtige Anwendung eines fremden Erbrechtssystcms nicht wohl zu erwarten
wäre (Cum, 82, 90 f.; Regum, §§ 259, 260 und dortiges Zitat aus der
Botschaft des Bundesrates). Die Frage, wie der Nachlass Brändlin im
Verhältnis der Hinterbliebenen, der Rekursbeklagten und ihrer Mutter,
festzustellen und zu verteilen sei, beurteilt sich daher nach dem
Heimatrechte des Erblassers, d. h. nach dem im Jahre 1906 noch geltenden
kantonalen Rechte von Zürich, das in dieser Hinsicht in Art. 15
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 15 |
vorbehalten ist. Darnach regelt es sich insbesondere, welche Erbquote
die Rekursbeklagte beanspruchen kann, wie hoch ihr Pflicht-teil ist und
ob er durch die fragliche Schenkung verletzt ist. Es handelt sich also
dabei überall um ein Rechtsverhältnis, das nicht nur
Staatsveiträge. N° 63. 417
materiell nach Zürcher Recht, sondern im Sinne des Gerichtsstandsvertrages
auch durch den zürcherischen Richter zu entscheiden ist. Und die
vorliegende Feststellungsklage beZWeckt nichts anderes, als dieses
Rechtsverhältnis derjenigen Gerichtsbarkeit zu unterbreiten, die der
Materie nach zu dessen Beurteilung staatsvertraglich berufen ist. Indem
es zum Gegenstand eines selbständigen, der Leistungsklage gegen den
'Rekurrenten als angeblichen gegenwärtigen oder doch gewesenen Besitzer
des Nachlasses auf Herausgabe bezw. Ersatz des festgestellten Anteils
der Rekursbeklagten an demselben vorangehenden Prozesses gemacht wird,
ergibt sich eine in dieser Beschränkung rein erbrechtliche Streitigkeit
betreffend den Nachlass eines in Frankreich verstorbenen Schweizers,
die im Sinn und Geist des Vertrages unter dessen} Art. 5 gebracht Werden
kann, wennschon der Beklagte nicht Erbe oder Erbprätendent ist.
Dem Staatsvertrage ist auch nicht zu entnehmen, dass der Gerichtsstand
des Art. 5 nur da gegeben sein soll, wo die Beerbung eines Nachlasses den
unmittelbaren und ausschliesslichen Gegenstand des Streitverhältnisses
zwischen den Parteien bildet, nicht dagegen, wo siessbloss als
Vorfrage bei einem anderen, nicht unter jenen Artikel, sondern unter
die allgemeine Gerichtsstandsregel des Art. 1 fallenden Anspruche in
Betracht kommt, dass in einem solchen Falle vielmehr die Vorfragen
erbrechtlicher Natur mit der Hauptfrage und folglich vor dem für die"
letztere zuständigen Richter ausgetragen werden müssten, Wie denn der
Rekurrent die Unzulässigkeit der Anrufung des zürcherischen Richters
aus diesem Gesichtspunkte selbst nicht behauptet. Nach schweizerischer
Rechtsauffassung (s. z.B. ' BGE 35 II 739 ; 41 II 428 ; 43 II 360) ist
ein Begehren auf präjudizielle Feststellung eines Rechtsverhältnisses
dieser Art zweifellos statthaft. Die Rekursbeklagte hat daran trotz der
Möglichkeit der sofortigen Leistungs-
418 Staatsrecht.
klage insofern 'ein Interesse, als sie offenbar gestützt auf das
Zürcher Recht am Nachlasse ihres Vaters ein weitergehendes Erbrecht
beansprucht, als es ihr nach ' französischem Recht zustehen Würde,
und als sie keine Gewähr dafür hätte, dass der französische Richter
die erbrechtliche Vorfrage auf Grund der zürcherischen Gesetzgebung
beurteilen würde. Das Interesse an der Durchführung der Klage kann auch
nicht deshalb verneint werden, weil das Zürcher Urteil über diese Frage
für den Richter im späteren Vindikationsprozesse nicht verbindlich
wäre und er sie ohne Rücksicht darauf neuerdings selbständig lösen
könnte. Es steht keineswegs fest, dass der französische Richter diesen
Standpunkt einnehmen Würde. Nach Art. 15 ff. des Gerichtsstandsvertrages
sind die vom zuständigen Gericht erlassenen rechtskräftigen Urteile aus
einem Vertragsstaate auch im anderen Staate vollstreckbar, sofern nicht
eines der in Art. 17 Ziff. 2 und 3 erwähnten Vollstreckungshjndernisse
vorliegt. Die Vollstreckung müsste deshalb, sofern die Kompetenz
des Zürcher Richters nach Art. 5 des Vertrages gegeben ist, auch für
das von ihm im vorliegenden Falle zu erlassende Urteil in Frankreich
gewährt Werden, wenn sie nicht nach dem Inhalt des Urteils als blosser
Feststellung eines präjudiziellen Rechtsverhältnisses ausgeschlossen
wäre. Die Vollstreckbarkeit im anderen Staate schliesst aber die
Pflicht zur Anerkennung des Urteils durch den Richter dieses Staates,
die sog. negative Rechtskraftwirkung als das minus ohne weiteres in
sich. Ein Hindernis für die Vollstreckung und damit für die Anerkennung
im Sinne von Art. 17 Ziff. 3 des Staatsvertrages (aus dem Gesichtspunkte
des ordre public) liesse sich vielleicht dann befürchten, wenn eine
Präjudizialklage der vorliegenden Art, die ohne die Verurteilung des
Beklagten zu einer bestimmten Leistung zu begehren, lediglich einen
künftigen darauf gerichteten Prozess vorbereiten soll, nach französischem
Rechte nicht statthaft wäre.
Staatsverträge. N° 63. 419
Nun ist aber sogar im Erbteilungsstreite zwischen Miterben mit der
Feststellung des Erbrechts und Erbteils des Klägers die Herausgabepflicht
des beklagten Miterben und Nachlassbesitzers nicht lohne weiteres gegeben
und rechtskräftig festgestellt, dann nämlich nicht, wenn der Beklagte
an den Nachlassgegenständen ein seit dem Erbfall während der Dauer
der Erbengemeinschaft durch Singularnachfolge erworbenes selbständiges
Recht geltend macht. Trotzdem kann kein ZWeifel bestehen, dass wegen
einer solchen Prätention eines Miterben die durch den Staatsvertrag
selbst vor den Heimatrichter gewiesene Auseinandersetzung zwischen
den Erben über den Nachlass nicht auseinandergerissen und gegenüber
diesem Miterben vor einen andern Richter gewiesen Werden kann. Ist
die Möglichkeit zweier Prozesse, eines ersten über die Beerbung des
Nachlasses vor dem Heimatrichter des Erblassers und eines nachfolgenden
vor dem ordentlichen Richter des Beklagten über andere Einreden, die der
beklagte Erbe dem AnSpruche' eines Miterben auf Herausgabe bestimmter
Nachlassaktiven entgegenhält, demnach schon durch die staatsvertragliche
Festsetzung eines, Sondergerichtsstandes für Streitigkeiten über
die Liquidation oder Teilung einer Erbschaft notwendig gegeben, so
kann auch die Verbindlichkeit des Urteils des Heimatrichters in einem
solchen Präjudizialprozess für den Richter des anderen Staates nicht
unter Berufung auf eine abWeichende internrechtliche Ordnung abgelehnt
werden, Welche die Führung eines selbständigen Prozesses über blosse
Präjudizialfragen für einen gegen den Beklagten erst noch zu erhebenden
Anspruch ausschliesst. Im übrigen kennt auch das französische Recht
die Klage auf Feststellung eines Rechtsverhältnisses, wenn schon nicht
unter einem besonderen Namen (vgl. DU PAQUIEB, De l'action en fixation
de droit im Journal des tribunaux 1918, S. 454) und die Voraussetzungen,
die hier allgemein für eine action verlangt werden .un
AS 50 I 1924 29
420 · Staatsrecht.
droit régulièrement constitué, un interet au succès de l'action,
la légitimation active (GARSONNET, a. a. O § 356 ff.) sind nach dem
Gesagten offenbar im vorliegenden 'Falle vorhanden.
3. Die Zuständigkeit des Zürcher Richters auf Grund von Art. 5 des
Geüchtsstandsvertrages für die Klage der Rekursbeklagten ist daher
jedenfalls in dem Umfang, in dem der angefochtene Entscheid sie
grundsätzlich in Anspruch nimmt, zu bejahen. Die Abgrenzung,
die das Obergericht im einzelnen von jener grundsätzlichen Auffassung
ausgehend zwischen unter Art. 5 des Vertrages fallenden erbrechtlichen
und anderen Streitpunkten vorgenommen hat, ist vom Rekurrenten eventuell
nicht beanstandet worden und daher nicht zu überprüfen.
Demnach erkennt das Bundesgericht : Der Rekurs wird abgewiesen.
64. Urteil vom 17. oktober 1924 i." S. Geiger & 01° gegen Obergericht
Luzern.
Gerichtsstandsvertrag mit Frankreich Art. 17 Ziff. 2 und Erklärung
zwischen der Schweiz und Frankreich vom 1. Februar 1913 betr. die
Übermittlung {von Aktenstücken. Die Tatsache, dass die dem schweizerischen
Beklagten in gehöriger Form übergehene Vorladung vor das französische
Gericht der zustehenden kantonalen Behörde nicht durch Vermittlung des
eidgen. Justizdepartements, sondern direkt von dem betr. französischen
Staatsanwalt zugekommen ist, schliesst die Gütigkeit der Ladung im Sinne
der ersterwähnten Staatsvertragshestimmung nicht aus. Ebensowenig,
dass ihr bei der Übergabe keine deutsche Übersetzung beigegeben war,
wenn der Zustellungsempfänger eine solche nicht verlangt hat.
Die Rekurrentin Firma Geiger & C, eine Kollektivgesellschaft mit Sitz
in Luzern, ist durch Kontumazialurteil des Tribunal de commerce de
Perpignan vom
Staatsveiträge. N° 64. ' 421
5. Nov. 1920 zur Zahlung von 10,195 Fr. 80 Cts. nebst Verzugszinsen
an den Rekursbeklagten Bigorre in Perpignan verpflichtet worden. Die
Urteilssumme wurde gegen die Rekurrentin in Luzern in Betreibung gesetzt.
Die luzernischen Behörden verweigerten indessen die Rechtsöffnung und
ein dagegengerichteter Rekurs des Gläubigers wurde vom Bundesgericht
am 13. Juli 1923 abgewiesen, weil wohl feststehe, dass eine Vorladung
zur Verhandlung vor das Gericht in Perpignan dem dortigen Staatsanwalt
zur Zustellung an die Rekurrentin übergeben worden, nicht aber auch,
dass sie tatsächlich und rechtzeitig an die letztere gelangtsei, wie
es nach Art. 17 Ziff. 2 des Gerichtsstandsverü'agcs mit Frank reich
Voraussetzung für die Vollstreckung des Kontumazialurteils Wäre.
In einer darauf angehobenen neuen Betreibung wurde die Rechtsöffnung
von den luzernischen Behörden gewährt, nachdem der Gläubiger zum Beweise
für die Erfüllungjener Voraussetzung. das Original eines Schreibens des
Procureur de la République près le tribuna] de 1" instance de Perpignan
vom 6. Oktober 1920 an Mon-
_ sieur le President du Departement federal de, Justice · et de Police
à Genève beigebracht hatte, worin das
Departement ersucht wurde, den. dem Schreiben beigelegten Akt (enthaltend
die erwähnte Vorladung) nach den Formen der internen schweizerischen
Gesetzgebung und gemäss Art. 2 und 3 der Haager Zivilprozesskonvention
von 1909 dem Adressaten zustellen zu lassen und die Bescheinigung über
die erfolgte Zustellung der ersuchenden Behörde zuzusend'enAm Fusse dieses
Schreibens und auf der Rückseite desselben finden sich folgende Vermerke:
recu, Luzern 13. Oktober 1920-
Geiger & Cie
B e r i c h t: Die vorstehend erwähnte' in der Beilage sich befundene
Verfügung wurde auftragsgemäss vom Unterzeichneten dem Inhaber der
FirmaGeiger & Cie,