146 III 185
21. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen B. (Beschwerde in Zivilsachen) 4A_416/2019 vom 5. Februar 2020
Regeste (de):
- Art. 199 Abs. 1
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 199 Verzicht auf das Schlichtungsverfahren - 1 Bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten mit einem Streitwert von mindestens 100 000 Franken können die Parteien gemeinsam auf die Durchführung des Schlichtungsverfahrens verzichten.
1 Bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten mit einem Streitwert von mindestens 100 000 Franken können die Parteien gemeinsam auf die Durchführung des Schlichtungsverfahrens verzichten. 2 Die klagende Partei kann einseitig auf das Schlichtungsverfahren verzichten, wenn: a die beklagte Partei Sitz oder Wohnsitz im Ausland hat; b der Aufenthaltsort der beklagten Partei unbekannt ist; c in Streitigkeiten nach dem Gleichstellungsgesetz vom 24. März 199584. - Nach Art. 199 Abs. 1
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 199 Verzicht auf das Schlichtungsverfahren - 1 Bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten mit einem Streitwert von mindestens 100 000 Franken können die Parteien gemeinsam auf die Durchführung des Schlichtungsverfahrens verzichten.
1 Bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten mit einem Streitwert von mindestens 100 000 Franken können die Parteien gemeinsam auf die Durchführung des Schlichtungsverfahrens verzichten. 2 Die klagende Partei kann einseitig auf das Schlichtungsverfahren verzichten, wenn: a die beklagte Partei Sitz oder Wohnsitz im Ausland hat; b der Aufenthaltsort der beklagten Partei unbekannt ist; c in Streitigkeiten nach dem Gleichstellungsgesetz vom 24. März 199584.
Regeste (fr):
- Art. 199 al. 1 CPC; renonciation conjointe à l'audience de conciliation.
- Dans les litiges d'une valeur inférieure à 100'000 fr., les parties sont tenues, en vertu de l'art. 199 al. 1 CPC, de mener une procédure de conciliation, même si aucune d'elles ne le souhaite. Si le défendeur déclare qu'il ne participera pas à l'audience de conciliation, l'autorité de conciliation ne peut pas dispenser le demandeur de comparaître à cette audience. Malgré la déclaration du défendeur, le demandeur doit participer à l'audience, même si ce n'est que pour obtenir l'autorisation de procéder (consid. 4).
Regesto (it):
- Art. 199 cpv. 1 CPC; rinuncia comune all'udienza di conciliazione.
- Nelle controversie con un valore litigioso inferiore a fr. 100'000.- le parti devono, in virtù dell'art. 199 cpv. 1 CPC, effettuare una procedura di conciliazione anche se entrambe non la vogliono. Se il convenuto dichiara che non darà seguito alla citazione all'udienza di conciliazione, l'autorità di conciliazione non può dispensare l'attore dalla comparizione all'udienza. Nonostante la comunicazione del convenuto di non venire all'udienza, l'attore deve parteciparvi, tutt'al più solo per ritirare l'autorizzazione ad agire (consid. 4).
Sachverhalt ab Seite 186
BGE 146 III 185 S. 186
A. A. (Kläger, Beschwerdeführer) stellte am 20. September 2018 ein Schlichtungsgesuch am Friedensrichteramt Kreis IX des Kantons Aargau. Er machte darin geltend, B. (Beklagter, Beschwerdegegner) habe ihm aus Vertragsverletzung Fr. 30'000.- zu bezahlen, unter Vorbehalt des Nachklagerechts. Mit Schreiben vom 1. Oktober 2018 teilte der Rechtsvertreter des Beklagten dem Friedensrichter mit, dass weder der Beklagte noch er selbst an der Friedensrichterverhandlung teilnehmen werde. Dieses Schreiben stellte der Friedensrichter dem Rechtsanwalt des Klägers zu. Dieser beantragte mit Schreiben vom 23. Oktober 2018, sein Mandant und er seien vom persönlichen Erscheinen an der Schlichtungsverhandlung zu dispensieren und es sei ihm ohne Verhandlung direkt eine Klagebewilligung auszustellen. Am 29. Oktober 2018 erteilte der Friedensrichter dem Kläger die Klagebewilligung. Er verfügte dabei in Dispositivziffer 1 ausdrücklich, dass dem Kläger "ohne durchgeführte Schlichtungsverhandlung die Klagebewilligung erteilt" werde.
B. Gestützt auf diese Klagebewilligung reichte der Kläger am Bezirksgericht Kulm Klage ein. Er begehrte, der Beklagte sei - unter Vorbehalt des Nachklagerechts - zu verpflichten, ihm Fr. 30'000.- zu bezahlen. Der Präsident des Bezirksgerichts trat mit Entscheid vom 18. März 2019 mangels gültiger Klagebewilligung auf die Klage nicht ein. Die dagegen vom Kläger erhobene Berufung wies das Obergericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 13. August 2019 ab.
C. Gegen den Entscheid des Obergerichts erhob der Beschwerdeführer Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht. Er beantragte,
BGE 146 III 185 S. 187
das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben. Das Obergericht sei anzuweisen, den Entscheid des Präsidenten des Bezirksgerichts aufzuheben und den Präsidenten anzuweisen, auf die Klage des Beschwerdeführers einzutreten und das Verfahren (...) weiterzuführen. Eventualiter sei der Präsident des Bezirksgerichts direkt anzuweisen, auf die Klage einzutreten und das Verfahren weiterzuführen. (...) Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
4.1 Für die Beantwortung der sich vorliegend stellenden Frage, ob der Kläger an der Schlichtungsverhandlung teilnehmen muss, wenn der Beklagte vorab erklärte, er werde nicht erscheinen, ist an der Regelung in der Zivilprozessordnung anzusetzen, nach welcher die Parteien gemeinsam auf das Schlichtungsverfahren verzichten können.
4.1.1 Nach dem Vorentwurf der Expertenkommission stand es den Parteien frei, gemeinsam auf das Schlichtungsverfahren zu verzichten (Art. 192 Abs. 1 VE-ZPO), zumindest dann, wenn das Schlichtungsverfahren nicht als obligatorisch erklärt wurde (Art. 192 Abs. 3 VE-ZPO). Begründet wurde diese gemeinsame Verzichtsmöglichkeit der Parteien damit, dass die Durchführung des Schlichtungsverfahrens wenig sinnvoll sei, wenn beide Parteien diese als nutzlos betrachten würden (Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Bericht zum Vorentwurf der Expertenkommission, 2003, S. 95).
4.1.2 In der Botschaft des Bundesrats wurde hingegen ausgeführt, dass die im Vorentwurf vorgesehenen weitgehenden Verzichtsmöglichkeiten der Parteien in der Vernehmlassung auf starke Kritik gestossen seien. Diesen Bedenken trage der Bundesrat unter anderem damit Rechnung, dass bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten die Parteien "erst ab einem Streitwert von mindestens 100'000 Franken auf den Schlichtungsversuch verzichten" (Art. 196 Abs. 1 E
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz ZPO Art. 196 Rechtshilfe - 1 Das Gericht kann um Rechtshilfe ersuchen. Das Rechtshilfegesuch kann in der Amtssprache des ersuchenden oder des ersuchten Gerichts abgefasst werden. |
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1 | Das Gericht kann um Rechtshilfe ersuchen. Das Rechtshilfegesuch kann in der Amtssprache des ersuchenden oder des ersuchten Gerichts abgefasst werden. |
2 | Das ersuchte Gericht informiert das ersuchende Gericht und die Parteien über Ort und Zeit der Prozesshandlung. |
3 | Das ersuchte Gericht kann für seine Auslagen Ersatz verlangen. |
Im Bereich der kleineren Streitwerte solle damit eine aussergerichtliche Vorrunde obligatorisch sein, denn dort sei die Vergleichsquote - und Entlastungswirkung für die Gerichte - erfahrungsgemäss am höchsten. Das Obligatorium liege dort aber auch im wohlverstandenen Interesse der Parteien: Durch den Gang zum Friedensrichter
BGE 146 III 185 S. 188
würden sie vor zu viel Aufwand infolge unnützer und unverhältnismässiger Demarchen geschützt. Bei hohen Streitwerten liege der Fall hingegen anders. Dort habe die praktische Erfahrung gezeigt, dass eine obligatorische Zwischenstation beim Friedensrichter oft nur ein unnützer Durchlauf zwecks Erteilung der Klagebewilligung darstelle. Die Parteien seien meist anwaltlich vertreten, sodass ihnen die optimale Wahl der Verfahrenseröffnung durchaus zugetraut werden könne. Deshalb solle hier auf die Vorrunde verzichtet und direkt geklagt werden können (Art. 196 E-ZPO). Verzicht heisse jedoch nicht einseitiger Verzicht: Die Parteien müssten die Abkürzung gemeinsam wählen, sonst könnte die Vorrunde zu leicht umgangen werden (Botschaft, a.a.O., 7242 f.). In den Räten wurde die Bestimmung von Art. 196 E-ZPO, abgesehen von einem hier nicht relevanten Antrag, nicht weiter diskutiert (AB 2007 SR 522; AB 2008 NR 952).
4.1.3 Dementsprechend zielt der historische Wille des Gesetzgebers auf eine beschränkte Verzichtsmöglichkeit. Grundsätzlich gilt Schlichtungspflicht (vgl. nicht publ. E. 1.1). Art. 199 Abs. 1
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz ZPO Art. 199 Verzicht auf das Schlichtungsverfahren - 1 Bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten mit einem Streitwert von mindestens 100 000 Franken können die Parteien gemeinsam auf die Durchführung des Schlichtungsverfahrens verzichten. |
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1 | Bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten mit einem Streitwert von mindestens 100 000 Franken können die Parteien gemeinsam auf die Durchführung des Schlichtungsverfahrens verzichten. |
2 | Die klagende Partei kann einseitig auf das Schlichtungsverfahren verzichten, wenn: |
a | die beklagte Partei Sitz oder Wohnsitz im Ausland hat; |
b | der Aufenthaltsort der beklagten Partei unbekannt ist; |
c | in Streitigkeiten nach dem Gleichstellungsgesetz vom 24. März 199584. |
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz ZPO Art. 196 Rechtshilfe - 1 Das Gericht kann um Rechtshilfe ersuchen. Das Rechtshilfegesuch kann in der Amtssprache des ersuchenden oder des ersuchten Gerichts abgefasst werden. |
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1 | Das Gericht kann um Rechtshilfe ersuchen. Das Rechtshilfegesuch kann in der Amtssprache des ersuchenden oder des ersuchten Gerichts abgefasst werden. |
2 | Das ersuchte Gericht informiert das ersuchende Gericht und die Parteien über Ort und Zeit der Prozesshandlung. |
3 | Das ersuchte Gericht kann für seine Auslagen Ersatz verlangen. |
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz ZPO Art. 199 Verzicht auf das Schlichtungsverfahren - 1 Bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten mit einem Streitwert von mindestens 100 000 Franken können die Parteien gemeinsam auf die Durchführung des Schlichtungsverfahrens verzichten. |
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1 | Bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten mit einem Streitwert von mindestens 100 000 Franken können die Parteien gemeinsam auf die Durchführung des Schlichtungsverfahrens verzichten. |
2 | Die klagende Partei kann einseitig auf das Schlichtungsverfahren verzichten, wenn: |
a | die beklagte Partei Sitz oder Wohnsitz im Ausland hat; |
b | der Aufenthaltsort der beklagten Partei unbekannt ist; |
c | in Streitigkeiten nach dem Gleichstellungsgesetz vom 24. März 199584. |
BGE 146 III 185 S. 189
4.1.4 Die Parteien können nach dem Gesagten bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten erst ab einem Streitwert von Fr. 100'000.- gemeinsam auf das Schlichtungsverfahren verzichten. Im Umkehrschluss haben die Parteien daher bei einem Streitwert von unter Fr. 100'000.-, unter Vorbehalt der erwähnten gesetzlichen Ausnahmen von Art. 198
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz ZPO Art. 198 Ausnahmen - Das Schlichtungsverfahren entfällt: |
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a | im summarischen Verfahren; |
abis | bei Klagen wegen Gewalt, Drohungen oder Nachstellungen nach Artikel 28b ZGB79 oder betreffend eine elektronische Überwachung nach Artikel 28c ZGB; |
b | bei Klagen über den Personenstand; |
bbis | bei Klagen über den Unterhalt des Kindes und weitere Kinderbelange, wenn vor der Klage ein Elternteil die Kindesschutzbehörde angerufen hat (Art. 298b und 298d ZGB81); |
c | im Scheidungsverfahren; |
d | im Verfahren zur Auflösung und zur Ungültigerklärung der eingetragenen Partnerschaft; |
e | bei folgenden Klagen aus dem SchKG83: |
e1 | Aberkennungsklage (Art. 83 Abs. 2 SchKG), |
e2 | Feststellungsklage (Art. 85a SchKG), |
e3 | Widerspruchsklage (Art. 106-109 SchKG), |
e4 | Anschlussklage (Art. 111 SchKG), |
e5 | Aussonderungs- und Admassierungsklage (Art. 242 SchKG), |
e6 | Kollokationsklage (Art. 148 und 250 SchKG), |
e7 | Klage auf Feststellung neuen Vermögens (Art. 265a SchKG), |
e8 | Klage auf Rückschaffung von Retentionsgegenständen (Art. 284 SchKG); |
f | bei Streitigkeiten, für die nach den Artikeln 5 und 6 dieses Gesetzes eine einzige kantonale Instanz zuständig ist; |
g | bei der Hauptintervention, der Widerklage und der Streitverkündungsklage; |
h | wenn das Gericht Frist für eine Klage gesetzt hat. |
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz ZPO Art. 199 Verzicht auf das Schlichtungsverfahren - 1 Bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten mit einem Streitwert von mindestens 100 000 Franken können die Parteien gemeinsam auf die Durchführung des Schlichtungsverfahrens verzichten. |
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1 | Bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten mit einem Streitwert von mindestens 100 000 Franken können die Parteien gemeinsam auf die Durchführung des Schlichtungsverfahrens verzichten. |
2 | Die klagende Partei kann einseitig auf das Schlichtungsverfahren verzichten, wenn: |
a | die beklagte Partei Sitz oder Wohnsitz im Ausland hat; |
b | der Aufenthaltsort der beklagten Partei unbekannt ist; |
c | in Streitigkeiten nach dem Gleichstellungsgesetz vom 24. März 199584. |
4.2
4.2.1 Die Bestimmung von Art. 199 Abs. 1
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz ZPO Art. 199 Verzicht auf das Schlichtungsverfahren - 1 Bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten mit einem Streitwert von mindestens 100 000 Franken können die Parteien gemeinsam auf die Durchführung des Schlichtungsverfahrens verzichten. |
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1 | Bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten mit einem Streitwert von mindestens 100 000 Franken können die Parteien gemeinsam auf die Durchführung des Schlichtungsverfahrens verzichten. |
2 | Die klagende Partei kann einseitig auf das Schlichtungsverfahren verzichten, wenn: |
a | die beklagte Partei Sitz oder Wohnsitz im Ausland hat; |
b | der Aufenthaltsort der beklagten Partei unbekannt ist; |
c | in Streitigkeiten nach dem Gleichstellungsgesetz vom 24. März 199584. |
4.2.2 Das Schlichtungsverfahren besteht aber im Wesentlichen aus der Schlichtungsverhandlung. In dieser Verhandlung sollen die Parteien zu einer Aussprache zusammengebracht werden (dazu nicht publ. E. 3.1). Teilen die Parteien der Schlichtungsbehörde nach der Einleitung des Schlichtungsverfahrens übereinstimmend mit, sie
BGE 146 III 185 S. 190
wollten nicht an der Schlichtungsverhandlung teilnehmen, kommt dies einem gemeinsamen Verzicht auf das Schlichtungsverfahren gleich (CLAUDE SCHRANK, Das Schlichtungsverfahren nach der Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], 2015, Rz. 469; vgl. auch: GROLIMUND/BACHOFNER, Die Klagebewilligung als Prozessvoraussetzung - Zum Obligatorium des Schlichtungsverfahrens und zum persönlichen Erscheinen an der Schlichtungsverhandlung, in: Das Zivilrecht und seine Durchsetzung, Festschrift für Thomas Sutter-Somm, Fankhauser und andere [Hrsg.], 2016, S. 137 ff., 151). Ein solcher gemeinsamer Verzicht bei einem Streitwert von unter Fr. 100'000.- ist daher nach Art. 199 Abs. 1
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz ZPO Art. 199 Verzicht auf das Schlichtungsverfahren - 1 Bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten mit einem Streitwert von mindestens 100 000 Franken können die Parteien gemeinsam auf die Durchführung des Schlichtungsverfahrens verzichten. |
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1 | Bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten mit einem Streitwert von mindestens 100 000 Franken können die Parteien gemeinsam auf die Durchführung des Schlichtungsverfahrens verzichten. |
2 | Die klagende Partei kann einseitig auf das Schlichtungsverfahren verzichten, wenn: |
a | die beklagte Partei Sitz oder Wohnsitz im Ausland hat; |
b | der Aufenthaltsort der beklagten Partei unbekannt ist; |
c | in Streitigkeiten nach dem Gleichstellungsgesetz vom 24. März 199584. |
4.2.3 Erklärt der Beklagte, er werde an der Schlichtungsverhandlung nicht teilnehmen, darf die Schlichtungsbehörde den Kläger daher nicht von der Schlichtungsverhandlung dispensieren. Sie hat vielmehr am bereits angesetzten Termin festzuhalten und die Parteien allenfalls erneut auf die Erscheinungspflicht (Art. 204
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz ZPO Art. 204 Persönliches Erscheinen - 1 Die Parteien müssen persönlich zur Schlichtungsverhandlung erscheinen. |
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1 | Die Parteien müssen persönlich zur Schlichtungsverhandlung erscheinen. |
2 | Sie können sich von einer Rechtsbeiständin, einem Rechtsbeistand oder einer Vertrauensperson begleiten lassen. |
3 | Nicht persönlich erscheinen muss und sich vertreten lassen kann, wer: |
a | ausserkantonalen oder ausländischen Wohnsitz hat; |
b | wegen Krankheit, Alter oder anderen wichtigen Gründen verhindert ist; |
c | in Streitigkeiten nach Artikel 243 als Arbeitgeber beziehungsweise als Versicherer eine angestellte Person oder als Vermieter die Liegenschaftsverwaltung delegiert, sofern diese zum Abschluss eines Vergleichs schriftlich ermächtigt sind. |
4 | Die Gegenpartei ist über die Vertretung vorgängig zu orientieren. |
4.3
4.3.1 In der Lehre wird dagegen vorgebracht, dass die behördliche Strenge einseitig zu Lasten des Klägers gehe. Halte die Schlichtungsbehörde an der Schlichtungsverhandlung fest, werde der Kläger zu einer Narrenfahrt zum Friedensrichter gezwungen - der Beklagte geniesse den freien Tag. Der Beklagte dürfe weder polizeilich vorgeführt noch dürfe sein Schwänzen mit einer Ordnungsbusse belegt
BGE 146 III 185 S. 191
werden. Hier wäre Pragmatismus der Schlichtungsbehörde erwünscht. Die Justiz sei ein kostbares Gut: Leerlauf ertrage sie nicht. Die ZPO dürfe und solle mit Augenmass angewendet werden. Das Schlichtungsverfahren wolle dem Kläger einen ersten Schritt auf dem Rechtsweg erleichtern. Es gehe nicht darum, persönliches Erscheinen (einseitig) zu beüben (GASSER/MÜLLER/PIETSCH-KOJAN, Ein Jahr Schweizerische ZPO - ein Erfahrungsbericht, Anwaltsrevue 1/2012, S. 8 ff., S. 9).
4.3.2 Richtig ist, dass die Säumnisfolgen bei Nichterscheinen an der Schlichtungsverhandlung für den Kläger und den Beklagten in der Zivilprozessordnung unterschiedlich geregelt wurden (dazu nicht publ. E. 3.2): Möchte der Kläger das bei der Schlichtungsbehörde anhängig gemachte Verfahren vor Gericht weiterführen, ist er gehalten, persönlich an der Schlichtungsverhandlung teilzunehmen. Ist er nicht anwesend, wird das Verfahren als gegenstandslos abgeschrieben und er erhält die für die Einreichung der Klage vor Gericht benötigte Klagebewilligung nicht. Demgegenüber riskiert der Beklagte bei Nichterscheinen bloss, dass die Schlichtungsbehörde so verfährt, wie wenn keine Einigung zwischen den Parteien zu Stande gekommen ist, sie dem Kläger mithin in aller Regel die Klagebewilligung ausstellt. Diese verschiedenen Konsequenzen des Nichterscheinens für Kläger und Beklagten sind aber eine direkte Folge davon, dass der Gesetzgeber die Säumnisfolgen in Art. 206
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz ZPO Art. 206 Säumnis - 1 Bei Säumnis der klagenden Partei gilt das Schlichtungsgesuch als zurückgezogen; das Verfahren wird als gegenstandslos abgeschrieben. |
|
1 | Bei Säumnis der klagenden Partei gilt das Schlichtungsgesuch als zurückgezogen; das Verfahren wird als gegenstandslos abgeschrieben. |
2 | Bei Säumnis der beklagten Partei verfährt die Schlichtungsbehörde, wie wenn keine Einigung zu Stande gekommen wäre (Art. 209-212). |
3 | Bei Säumnis beider Parteien wird das Verfahren als gegenstandslos abgeschrieben. |
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz ZPO Art. 206 Säumnis - 1 Bei Säumnis der klagenden Partei gilt das Schlichtungsgesuch als zurückgezogen; das Verfahren wird als gegenstandslos abgeschrieben. |
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1 | Bei Säumnis der klagenden Partei gilt das Schlichtungsgesuch als zurückgezogen; das Verfahren wird als gegenstandslos abgeschrieben. |
2 | Bei Säumnis der beklagten Partei verfährt die Schlichtungsbehörde, wie wenn keine Einigung zu Stande gekommen wäre (Art. 209-212). |
3 | Bei Säumnis beider Parteien wird das Verfahren als gegenstandslos abgeschrieben. |
BGE 146 III 185 S. 192
besonders qualifizierten Umstände, wie die Störung des Geschäftsgangs oder gar eine bös- oder mutwillige Prozessführung mehr vorzuliegen haben (Erläuternder Bericht zur Änderung der Zivilprozessordnung [Verbesserung der Praxistauglichkeit und Rechtsdurchsetzung] vom 2. März 2018, S. 67 f.).
4.4
4.4.1 In der Lehre wird im Weiteren postuliert, die Teilnahme des Klägers an der Schlichtungsverhandlung könne nicht verlangt werden, wenn von vornherein feststehe, dass die Schlichtungsverhandlung nicht durchgeführt und deren Zweck damit nicht erreicht werden könne. Wenn sich der Beklagte im anschliessenden Gerichtsverfahren auf den Standpunkt stellen würde, die Prozessvoraussetzung der erfolgten Schlichtung sei nicht gegeben, so würde er sich widersprüchlich verhalten und kaum richterlichen Schutz finden (MARTIN SCHMID, Praktische Fragen zum Schlichtungsverfahren, ZZZ 2011 S. 182 ff., S. 187). Gleiches gelte auch, wenn der Kläger aufgrund der Mitteilung des Beklagten nicht persönlich an der Schlichtungsverhandlung teilnehme, sondern einen Vertreter schicke. Stelle die Schlichtungsbehörde trotz fehlender persönlicher Teilnahme des Klägers eine Klagebewilligung aus, könne sich der säumige Beklagte im Gerichtsverfahren nicht darauf berufen, der Kläger sei nicht persönlich zur Schlichtungsverhandlung erschienen. Diese Rüge wäre rechtsmissbräuchlich, denn der Beklagte selbst habe durch seine pflichtwidrige Säumnis den Zweck der Schlichtungsverhandlung vereitelt (GROLIMUND/BACHOFNER, a.a.O., S. 151).
4.4.2 Dazu ist zunächst festzuhalten, dass das Vorliegen einer gültigen Klagebewilligung der Schlichtungsbehörde nach Art. 209
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz ZPO Art. 209 Klagebewilligung - 1 Kommt es zu keiner Einigung, so hält die Schlichtungsbehörde dies im Protokoll fest und erteilt die Klagebewilligung: |
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1 | Kommt es zu keiner Einigung, so hält die Schlichtungsbehörde dies im Protokoll fest und erteilt die Klagebewilligung: |
a | bei der Anfechtung von Miet- und Pachtzinserhöhungen: dem Vermieter oder Verpächter; |
b | in den übrigen Fällen: der klagenden Partei. |
2 | Die Klagebewilligung enthält: |
a | die Namen und Adressen der Parteien und allfälliger Vertretungen; |
b | das Rechtsbegehren der klagenden Partei mit Streitgegenstand und eine allfällige Widerklage; |
c | das Datum der Einleitung des Schlichtungsverfahrens; |
d | die Verfügung über die Kosten des Schlichtungsverfahrens; |
e | das Datum der Klagebewilligung; |
f | die Unterschrift der Schlichtungsbehörde. |
3 | Nach Eröffnung berechtigt die Klagebewilligung während dreier Monate zur Einreichung der Klage beim Gericht. |
4 | In Streitigkeiten aus Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen sowie aus landwirtschaftlicher Pacht beträgt die Klagefrist 30 Tage. Vorbehalten bleiben weitere besondere gesetzliche und gerichtliche Klagefristen. |
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz ZPO Art. 60 Prüfung der Prozessvoraussetzungen - Das Gericht prüft von Amtes wegen, ob die Prozessvoraussetzungen erfüllt sind. |
BGE 146 III 185 S. 193
Klagebewilligung ergab, von Amtes wegen, ohne dass sich der beklagte Beschwerdegegner dazu äusserte (zur amtswegigen Tatsachenermittlung vgl. Urteile 5D_181/2017 vom 24. April 2018 E. 2.4.2; 4A_229/2017 vom 7. Dezember 2017 E. 3.4.2). Der Richter hat somit auch ohne Einwand des Beklagten zu beurteilen, ob eine gültige Klagebewilligung vorliegt. Das Argument, der Einwand des Beklagten sei rechtsmissbräuchlich und auf die Klage sei daher trotz mangelhafter Klagebewilligung einzutreten, ist entsprechend nicht stichhaltig. Hinzu kommt, dass das Zivilprozessrecht öffentliches Recht ist, mit grundsätzlich zwingenden Bestimmungen (BGE 107 Ia 206 E. 3b S. 211; FABIENNE HOHL, Procédure civile, Bd. I, 2. Aufl. 2016, Rz. 82 f.). Entsprechend besteht im Zivilprozessrecht generell auch wenig Raum, infolge Rechtsmissbrauchs von klaren Verfahrensvorschriften abzuweichen (BGE 123 III 220 E. 4d S. 229), insbesondere dort, wo der Gesetzgeber klare Wertungsentscheide getroffen hat (BGE 107 Ia 206 E. 3b S. 211; FRANÇOIS BOHNET, Commentaire romand, Code de procédure civile, 2. Aufl. 2019, N. 25 zu Art. 52
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz ZPO Art. 52 Handeln nach Treu und Glauben - Alle am Verfahren beteiligten Personen haben nach Treu und Glauben zu handeln. |
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz ZPO Art. 52 Handeln nach Treu und Glauben - Alle am Verfahren beteiligten Personen haben nach Treu und Glauben zu handeln. |
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz ZPO Art. 52 Handeln nach Treu und Glauben - Alle am Verfahren beteiligten Personen haben nach Treu und Glauben zu handeln. |
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz ZPO Art. 52 Handeln nach Treu und Glauben - Alle am Verfahren beteiligten Personen haben nach Treu und Glauben zu handeln. |
4.4.3 In der Tat mag es aber aus der Sicht des Klägers unbefriedigend erscheinen an der Schlichtungsverhandlung teilzunehmen, obschon der Beklagte vorab mitteilte, er werde nicht erscheinen. Ist der Beklagte an der Verhandlung nicht anwesend, kann eine Aussprache zwischen den Parteien und damit der Zweck des Schlichtungsverfahrens nicht mehr erreicht werden. Ob aber ein persönliches Gespräch zwischen den Parteien an der Schlichtungsverhandlung stattfinden kann, ergibt sich erst an der Verhandlung. Erst dann wird mit letzter Sicherheit klar, ob der Beklagte nicht doch zur Verhandlung
BGE 146 III 185 S. 194
erscheint. Es kann nämlich nicht vollständig ausgeschlossen werden, dass er dennoch an der Schlichtungsverhandlung teilnehmen wird. Dies vor allem dann, wenn ihn die Schlichtungsbehörde nach seiner Erklärung, er werde nicht erscheinen, nochmals auf die Erscheinungspflicht hinweist (dazu E. 4.2.3). Entsprechend ist nach Art. 147 Abs. 1
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz ZPO Art. 147 Säumnis und Säumnisfolgen - 1 Eine Partei ist säumig, wenn sie eine Prozesshandlung nicht fristgerecht vornimmt oder zu einem Termin nicht erscheint. |
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1 | Eine Partei ist säumig, wenn sie eine Prozesshandlung nicht fristgerecht vornimmt oder zu einem Termin nicht erscheint. |
2 | Das Verfahren wird ohne die versäumte Handlung weitergeführt, sofern das Gesetz nichts anderes bestimmt. |
3 | Das Gericht weist die Parteien auf die Säumnisfolgen hin. |
4.5 Nach dem Ausgeführten gilt somit: Erklärt der Beklagte gegenüber der Schlichtungsbehörde vorab, er werde an der einberufenen Schlichtungsverhandlung nicht teilnehmen, hat die Schlichtungsbehörde am bereits festgesetzten Termin festzuhalten und die Parteien allenfalls erneut auf die Erscheinungspflicht aufmerksam zu machen. Die Schlichtungsbehörde darf den Kläger in diesem Fall nicht von der Schlichtungsverhandlung dispensieren und der Kläger hat trotz Mitteilung des Beklagten, er werde nicht kommen, an der Verhandlung teilzunehmen, allenfalls einzig um die Klagebewilligung abzuholen.