Urteilskopf

143 III 373

53. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. Stiftung A. gegen B. AG (Beschwerde in Zivilsachen) 4A_115/2017 vom 12. Juli 2017

Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 373

BGE 143 III 373 S. 373

A.

A.a Die Stiftung A. (Stiftung, Klägerin, Beschwerdeführerin) bezweckt unter anderem die Wahrung der Werke von Max Bill, deren Sammlung und Pflege, die Förderung der wissenschaftlichen Forschung, die Unterstützung der Verbreitung der Sammlung und die Wahrung der Urheberrechte. Die B. AG (Möbelfabrik, Beklagte, Beschwerdegegnerin) bezweckt die Fabrikation und den Vertrieb von Möbeln.
A.b Mit Lizenzvertrag vom 7. April 1999 räumte die Stiftung der Möbelfabrik das ausschliessliche Recht ein, bestimmte von Max Bill entworfene Möbel herzustellen und zu vertreiben, sowie das nicht ausschliessliche Recht, die Marke "max bill" für diese Möbel zu verwenden. Nachdem die im Lizenzvertrag vorgesehenen Mindeststückzahlen von der Möbelfabrik nicht erreicht wurden, machte die
BGE 143 III 373 S. 374

Stiftung von ihrem Recht Gebrauch, die exklusive Lizenz in eine einfache Lizenz umzuwandeln. Mit Schreiben vom 1. Oktober 2010 kündigte die Stiftung den Lizenzvertrag ordentlich auf den 31. Dezember 2011; am 11. Mai 2011 erklärte sie wegen "krasser" Vertragsverletzung die fristlose Kündigung. Die Möbelfabrik opponierte der fristlosen Kündigung und behauptete, auf den vertragsgegenständlichen Möbeln beständen soweit ersichtlich keine Schutzrechte. Die Stiftung erwiderte, die Möbel seien urheberrechtlich geschützt und sie werde nicht dulden, dass die Möbelfabrik solche nach der Aufbrauchfrist weiterhin herstellen und vertreiben werde. Die Möbelfabrik bot jedoch auf ihrer Internetseite weiterhin den von Max Bill entworfenen "Kreuzzargenstuhl" wie auch den von ihm ursprünglich für die Hochschule für Gestaltung (HfG) Ulm geschaffenen Barhocker ("HfG-Barhocker") an.

B.

B.a Mit Klage vom 25. Mai 2012 stellte die Stiftung beim Handelsgericht des Kantons St. Gallen unter anderem das folgende Begehren (Ziffer 1 betrifft den Kreuzzargenstuhl): "2. Der Beklagten sei unter Androhung der Straffolge von Art. 292
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 292 - Wer der von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels an ihn erlassenen Verfügung nicht Folge leistet, wird mit Busse bestraft.
StGB im Zuwiderhandlungsfall gegenüber ihren Organen zu untersagen, Stühle in der Form des von Max Bill entworfenen 'HfG Barhockers' selbst oder durch Dritte herzustellen oder zu vertreiben:
[...]."
Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage.

BGE 143 III 373 S. 375

B.b Mit Urteil vom 30. November 2016 untersagte das Handelsgericht der Beklagten, Stühle gemäss Ziffer 1 der Rechtsbegehren herzustellen. Ziffer 2 der Rechtsbegehren der Klägerin wies das Handelsgericht ab. Es hielt fest, dass Hocker seit Urzeiten bekannte Sitzmöbel seien. Die erste Herstellung eines HfG-Barhockers fällt danach zeitlich in die Mitte der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts, wobei die vorliegend massgebende Fassung für die Expo 1964 in Lausanne überarbeitet wurde; der HfG-Barhocker zeichnet sich nach den Erwägungen des angefochtenen Urteils durch seine reduzierte Formgebung aus. Das Handelsgericht definierte das Konzept des Barhockers als Verbindung einer runden Sitzfläche mit leicht schräg gestellten Beinen und einem Ring, der die Konstruktion stabilisiert und gleichzeitig als Fussstütze dient; die Vorinstanz stellte fest, dass dieses Konzept zum Zeitpunkt der Entwicklung des HfG-Barhockers bekannt war und führte namentlich vier ältere Modelle an.
BGE 143 III 373 S. 376

Ausserdem verweist das Gericht auf einen Barhocker von Robin Day, der etwa in der gleichen Zeit wie der HfG-Barhocker, d.h. Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre erstmals hergestellt wurde. Das Gericht schliesst aus dem Überblick, dass nahezu alle Bestandeselemente des HfG-Barhockers auf die eine oder andere Weise in älteren Modellen enthalten waren; es erachtet als letztlich unerheblich, ob die Hocker drei- oder vierbeinig ausgestaltet seien, da die gemeinsame Urform mit ihren schräg in das Sitzbrett eingepassten Beinstollen weitere Varianten gleichsam vorgebe, die vom Melkstuhl mit einem Bein bis zur vierbeinigen Ausführung führten. Unter Bezugnahme auf das Gerichtsgutachten verneint die Vorinstanz sodann, dass der HfG-Barhocker einen Stil wesentlich mitgeprägt habe oder sich deutlich von den damals bekannten Stilrichtungen unterscheide. Aufgrund der vorbekannten Modelle, die bereits alle wesentlichen Bestandteile des HfG-Barhockers aufgewiesen hätten, sei die Gestaltung des HfG-Barhockers derart stark eingeschränkt gewesen, dass für individuelle oder originelle Merkmale kein Raum mehr blieb, sei doch die Gestaltung des fraglichen Hockers entsprechend dem Zeitgeist auf das absolut Wesentliche reduziert gewesen. Nachdem im Zweifelsfall von einem rein handwerklichen Erzeugnis auszugehen sei, erfüllt der HfG-Barhocker nach den Erwägungen im angefochtenen Urteil die Anforderungen an den individuellen Charakter eines urheberrechtlich geschützten Werks nicht. Die Vorinstanz verneinte sodann ein unlauteres Verhalten der Beklagten.
C. Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt die Klägerin im Wesentlichen, es sei ihre Klage vollumfänglich gutzuheissen und die Kosten des kantonalen Verfahrens seien entsprechend zu verlegen. Sie rügt, die Vorinstanz habe bundesrechtswidrig auf einen Vergleich mit dem Barhocker von Robin Day abgestellt, der nicht vorbekannt gewesen sei, sie habe zu Unrecht eine mosaikartige Betrachtungsweise angewandt, statt auf den Gesamteindruck abzustellen, habe bundesrechtswidrig eine deutliche Unterscheidung zu bestehenden Stilrichtungen verlangt und bundesrechtswidrig strengere Kriterien für Werke angewandter Kunst als für zweckfreie Kunst zugrunde gelegt. Sie bringt vor, eine korrekte Anwendung von Art. 2
SR 231.1 Bundesgesetz vom 9. Oktober 1992 über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz, URG) - Urheberrechtsgesetz
URG Art. 2 Werkbegriff - 1 Werke sind, unabhängig von ihrem Wert oder Zweck, geistige Schöpfungen der Literatur und Kunst, die individuellen Charakter haben.
1    Werke sind, unabhängig von ihrem Wert oder Zweck, geistige Schöpfungen der Literatur und Kunst, die individuellen Charakter haben.
2    Dazu gehören insbesondere:
a  literarische, wissenschaftliche und andere Sprachwerke;
b  Werke der Musik und andere akustische Werke;
c  Werke der bildenden Kunst, insbesondere der Malerei, der Bildhauerei und der Graphik;
d  Werke mit wissenschaftlichem oder technischem Inhalt wie Zeichnungen, Pläne, Karten oder plastische Darstellungen;
e  Werke der Baukunst;
f  Werke der angewandten Kunst;
g  fotografische, filmische und andere visuelle oder audiovisuelle Werke;
h  choreographische Werke und Pantomimen.
3    Als Werke gelten auch Computerprogramme.
3bis    Fotografische Wiedergaben und mit einem der Fotografie ähnlichen Verfahren hergestellte Wiedergaben dreidimensionaler Objekte gelten als Werke, auch wenn sie keinen individuellen Charakter haben.4
4    Ebenfalls geschützt sind Entwürfe, Titel und Teile von Werken, sofern es sich um geistige Schöpfungen mit individuellem Charakter handelt.
URG hätte ergeben, dass der umstrittene HfG-Barhocker im Vergleich zum damals bekannten Formenschatz in Berücksichtigung der eingeschränkten Gestaltungsfreiheit die urheberrechtlich massgebende Individualität aufweise. Ausserdem rügt die Beschwerdeführerin, die Vorinstanz habe Art. 2
SR 241 Bundesgesetz vom 19. Dezember 1986 gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG)
UWG Art. 2 Grundsatz - Unlauter und widerrechtlich ist jedes täuschende oder in anderer Weise gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstossende Verhalten oder Geschäftsgebaren, welches das Verhältnis zwischen Mitbewerbern oder zwischen Anbietern und Abnehmern beeinflusst.
und aArt. 3 lit. d
SR 241 Bundesgesetz vom 19. Dezember 1986 gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG)
UWG Art. 3 - 1 Unlauter handelt insbesondere, wer:
1    Unlauter handelt insbesondere, wer:
a  andere, ihre Waren, Werke, Leistungen, deren Preise oder ihre Geschäftsverhältnisse durch unrichtige, irreführende oder unnötig verletzende Äusserungen herabsetzt;
b  über sich, seine Firma, seine Geschäftsbezeichnung, seine Waren, Werke oder Leistungen, deren Preise, die vorrätige Menge, die Art der Verkaufsveranstaltung oder über seine Geschäftsverhältnisse unrichtige oder irreführende Angaben macht oder in entsprechender Weise Dritte im Wettbewerb begünstigt;
c  unzutreffende Titel oder Berufsbezeichnungen verwendet, die geeignet sind, den Anschein besonderer Auszeichnungen oder Fähigkeiten zu erwecken;
d  Massnahmen trifft, die geeignet sind, Verwechslungen mit den Waren, Werken, Leistungen oder dem Geschäftsbetrieb eines anderen herbeizuführen;
e  sich, seine Waren, Werke, Leistungen oder deren Preise in unrichtiger, irreführender, unnötig herabsetzender oder anlehnender Weise mit anderen, ihren Waren, Werken, Leistungen oder deren Preisen vergleicht oder in entsprechender Weise Dritte im Wettbewerb begünstigt;
f  ausgewählte Waren, Werke oder Leistungen wiederholt unter Einstandspreisen anbietet, diese Angebote in der Werbung besonders hervorhebt und damit den Kunden über die eigene oder die Leistungsfähigkeit von Mitbewerbern täuscht; Täuschung wird vermutet, wenn der Verkaufspreis unter dem Einstandspreis vergleichbarer Bezüge gleichartiger Waren, Werke oder Leistungen liegt; weist der Beklagte den tatsächlichen Einstandspreis nach, so ist dieser für die Beurteilung massgebend;
g  den Kunden durch Zugaben über den tatsächlichen Wert des Angebots täuscht;
h  den Kunden durch besonders aggressive Verkaufsmethoden in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt;
i  die Beschaffenheit, die Menge, den Verwendungszweck, den Nutzen oder die Gefährlichkeit von Waren, Werken oder Leistungen verschleiert und dadurch den Kunden täuscht;
k  es bei öffentlichen Auskündigungen über einen Konsumkredit unterlässt, seine Firma eindeutig zu bezeichnen oder den Nettobetrag des Kredits, die Gesamtkosten des Kredits und den effektiven Jahreszins deutlich anzugeben;
l  es bei öffentlichen Auskündigungen über einen Konsumkredit zur Finanzierung von Waren oder Dienstleistungen unterlässt, seine Firma eindeutig zu bezeichnen oder den Barzahlungspreis, den Preis, der im Rahmen des Kreditvertrags zu bezahlen ist, und den effektiven Jahreszins deutlich anzugeben;
m  im Rahmen einer geschäftlichen Tätigkeit einen Konsumkreditvertrag anbietet oder abschliesst und dabei Vertragsformulare verwendet, die unvollständige oder unrichtige Angaben über den Gegenstand des Vertrags, den Preis, die Zahlungsbedingungen, die Vertragsdauer, das Widerrufs- oder Kündigungsrecht des Kunden oder über sein Recht zu vorzeitiger Bezahlung der Restschuld enthalten;
n  es bei öffentlichen Auskündigungen über einen Konsumkredit (Bst. k) oder über einen Konsumkredit zur Finanzierung von Waren oder Dienstleistungen (Bst. l) unterlässt, darauf hinzuweisen, dass die Kreditvergabe verboten ist, falls sie zur Überschuldung der Konsumentin oder des Konsumenten führt;
o  Massenwerbung ohne direkten Zusammenhang mit einem angeforderten Inhalt fernmeldetechnisch sendet oder solche Sendungen veranlasst und es dabei unterlässt, vorher die Einwilligung der Kunden einzuholen, den korrekten Absender anzugeben oder auf eine problemlose und kostenlose Ablehnungsmöglichkeit hinzuweisen; wer beim Verkauf von Waren, Werken oder Leistungen Kontaktinformationen von Kunden erhält und dabei auf die Ablehnungsmöglichkeit hinweist, handelt nicht unlauter, wenn er diesen Kunden ohne deren Einwilligung Massenwerbung für eigene ähnliche Waren, Werke oder Leistungen sendet;
p  mittels Offertformularen, Korrekturangeboten oder Ähnlichem für Eintragungen in Verzeichnisse jeglicher Art oder für Anzeigenaufträge wirbt oder solche Eintragungen oder Anzeigenaufträge unmittelbar anbietet, ohne in grosser Schrift, an gut sichtbarer Stelle und in verständlicher Sprache auf Folgendes hinzuweisen:
p1  die Entgeltlichkeit und den privaten Charakter des Angebots,
p2  die Laufzeit des Vertrags,
p3  den Gesamtpreis entsprechend der Laufzeit, und
p4  die geografische Verbreitung, die Form, die Mindestauflage und den spätesten Zeitpunkt der Publikation;
q  für Eintragungen in Verzeichnisse jeglicher Art oder für Anzeigenaufträge Rechnungen verschickt, ohne vorgängig einen entsprechenden Auftrag erhalten zu haben;
r  jemandem die Lieferung von Waren, die Ausrichtung von Prämien oder andere Leistungen zu Bedingungen in Aussicht stellt, die für diesen hauptsächlich durch die Anwerbung weiterer Personen einen Vorteil bedeuten und weniger durch den Verkauf oder Verbrauch von Waren oder Leistungen (Schneeball-, Lawinen- oder Pyramidensystem);
s  Waren, Werke oder Leistungen im elektronischen Geschäftsverkehr anbietet und es dabei unterlässt:
s1  klare und vollständige Angaben über seine Identität und seine Kontaktadresse einschliesslich derjenigen der elektronischen Post zu machen,
s2  auf die einzelnen technischen Schritte, die zu einem Vertragsabschluss führen, hinzuweisen,
s3  angemessene technische Mittel zur Verfügung zu stellen, mit denen Eingabefehler vor Abgabe der Bestellung erkannt und korrigiert werden können,
s4  die Bestellung des Kunden unverzüglich auf elektronischem Wege zu bestätigen;
t  im Rahmen eines Wettbewerbs oder einer Verlosung einen Gewinn verspricht, dessen Einlösung an die Inanspruchnahme einer kostenpflichtigen Mehrwertdienstnummer, die Leistung einer Aufwandsentschädigung, den Kauf einer Ware oder Dienstleistung oder an die Teilnahme an einer Verkaufsveranstaltung, Werbefahrt oder einer weiteren Verlosung gebunden ist;
u  den Vermerk im Telefonverzeichnis nicht beachtet, dass ein Kunde keine Werbemitteilungen von Personen erhalten möchte, mit denen er in keiner Geschäftsbeziehung steht, und dass seine Daten zu Zwecken der Direktwerbung nicht weitergegeben werden dürfen; Kunden ohne Verzeichniseintrag sind den Kunden mit Verzeichniseintrag und Vermerk gleichgestellt;
v  Werbeanrufe tätigt, ohne dass eine Rufnummer angezeigt wird, die im Telefonverzeichnis eingetragen ist und zu deren Nutzung er berechtigt ist;
w  sich auf Informationen stützt, von denen sie oder er aufgrund eines Verstosses gegen die Buchstaben u oder v Kenntnis erhalten hat.
2    Absatz 1 Buchstabe s findet keine Anwendung auf die Sprachtelefonie und auf Verträge, die ausschliesslich durch den Austausch von elektronischer Post oder durch vergleichbare individuelle Kommunikation geschlossen werden.18
UWG verletzt, indem sie die lauterkeitsrechtliche Grundlage ihrer Ansprüche verneinte.

BGE 143 III 373 S. 377

In Gutheissung der Beschwerde hebt das Bundesgericht den angefochtenen Entscheid auf, soweit die Rechtsbegehren hinsichtlich des HfG-Barhockers abgewiesen wurden, und heisst die Klage gut. (Zusammenfassung)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Das Bundesgesetz vom 9. Oktober 1992 über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz, URG; SR 231.1) definiert das Werk in Art. 2 Abs. 1
SR 231.1 Bundesgesetz vom 9. Oktober 1992 über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz, URG) - Urheberrechtsgesetz
URG Art. 2 Werkbegriff - 1 Werke sind, unabhängig von ihrem Wert oder Zweck, geistige Schöpfungen der Literatur und Kunst, die individuellen Charakter haben.
1    Werke sind, unabhängig von ihrem Wert oder Zweck, geistige Schöpfungen der Literatur und Kunst, die individuellen Charakter haben.
2    Dazu gehören insbesondere:
a  literarische, wissenschaftliche und andere Sprachwerke;
b  Werke der Musik und andere akustische Werke;
c  Werke der bildenden Kunst, insbesondere der Malerei, der Bildhauerei und der Graphik;
d  Werke mit wissenschaftlichem oder technischem Inhalt wie Zeichnungen, Pläne, Karten oder plastische Darstellungen;
e  Werke der Baukunst;
f  Werke der angewandten Kunst;
g  fotografische, filmische und andere visuelle oder audiovisuelle Werke;
h  choreographische Werke und Pantomimen.
3    Als Werke gelten auch Computerprogramme.
3bis    Fotografische Wiedergaben und mit einem der Fotografie ähnlichen Verfahren hergestellte Wiedergaben dreidimensionaler Objekte gelten als Werke, auch wenn sie keinen individuellen Charakter haben.4
4    Ebenfalls geschützt sind Entwürfe, Titel und Teile von Werken, sofern es sich um geistige Schöpfungen mit individuellem Charakter handelt.
URG: "Werke sind, unabhängig von ihrem Wert oder Zweck, geistige Schöpfungen der Literatur und Kunst, die individuellen Charakter haben." Dazu gehören nach Art. 2 Abs. 2 lit. f
SR 231.1 Bundesgesetz vom 9. Oktober 1992 über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz, URG) - Urheberrechtsgesetz
URG Art. 2 Werkbegriff - 1 Werke sind, unabhängig von ihrem Wert oder Zweck, geistige Schöpfungen der Literatur und Kunst, die individuellen Charakter haben.
1    Werke sind, unabhängig von ihrem Wert oder Zweck, geistige Schöpfungen der Literatur und Kunst, die individuellen Charakter haben.
2    Dazu gehören insbesondere:
a  literarische, wissenschaftliche und andere Sprachwerke;
b  Werke der Musik und andere akustische Werke;
c  Werke der bildenden Kunst, insbesondere der Malerei, der Bildhauerei und der Graphik;
d  Werke mit wissenschaftlichem oder technischem Inhalt wie Zeichnungen, Pläne, Karten oder plastische Darstellungen;
e  Werke der Baukunst;
f  Werke der angewandten Kunst;
g  fotografische, filmische und andere visuelle oder audiovisuelle Werke;
h  choreographische Werke und Pantomimen.
3    Als Werke gelten auch Computerprogramme.
3bis    Fotografische Wiedergaben und mit einem der Fotografie ähnlichen Verfahren hergestellte Wiedergaben dreidimensionaler Objekte gelten als Werke, auch wenn sie keinen individuellen Charakter haben.4
4    Ebenfalls geschützt sind Entwürfe, Titel und Teile von Werken, sofern es sich um geistige Schöpfungen mit individuellem Charakter handelt.
URG insbesondere Werke der angewandten Kunst.
2.1 Nach der Legaldefinition geniessen Werke der angewandten Kunst urheberrechtlichen Schutz, wenn sie als geistige Schöpfungen mit individuellem Charakter anzusehen sind. Originalität im Sinne einer persönlichen Prägung durch den Urheber oder die Urheberin ist nach dem geltenden, revidierten Gesetz nicht erforderlich. Vorausgesetzt wird, dass der individuelle Charakter im Werk selbst zum Ausdruck kommt. Massgebend ist die Werk-Individualität und nicht die Urheber-Individualität (BGE 136 III 225 E. 4.2; BGE 134 III 166 E. 2.1; BGE 130 III 168 E. 4.4, BGE 130 III 714 E. 2.1; seither etwa Urteile 4A_482/2013 vom 19. März 2014 E. 3.2.2; 4A_78/2011 vom 2. Mai 2011 E. 2.1). Dabei hängen die Anforderungen an die Individualität vom Spielraum ab, der für die individuelle Gestaltung zur Verfügung steht; je geringer dieser ist, desto eher ist Individualität zu bejahen (BGE 125 III 328 E. 4b S. 331 mit Hinweis). Geschützt ist, was sich als individuelle oder originelle Schöpfung von den tatsächlichen oder natürlichen Vorbedingungen im Rahmen der Zweckbestimmung abhebt (BGE 125 III 328 E. 4b S. 331; BGE 117 II 466 E. 2a). Diktiert allerdings der Gebrauchszweck die Gestaltung durch vorbekannte Formen derart, dass für individuelle oder originelle Merkmale praktisch kein Raum bleibt, liegt ein rein handwerkliches Erzeugnis vor, das vom Schutz des Urheberrechts auszunehmen ist (BGE 125 III 328 E. 4b S. 331; BGE 117 II 466 E. 2a; BGE 113 II 190 E. I.2a S. 197; je mit Hinweisen). Dabei werden nach der Rechtsprechung bei Werken der angewandten Kunst verhältnismässig hohe Anforderungen an die Individualität gestellt; im Zweifel ist danach auf eine rein handwerkliche Leistung zu erkennen (BGE 113 II 190 E. I.2a S. 197 mit Hinweis; bestätigt im Urteil 4A_78/2011 vom 2. Mai 2011 E. 2.4).
BGE 143 III 373 S. 378

2.2 Für Sitzmöbel besteht eine Vielzahl möglicher Formen, weshalb sich nicht sagen lässt, ihre Gestaltung sei weitgehend oder gar ausschliesslich durch deren Zweck vorgegeben. Es ist denn auch in ständiger Rechtsprechung anerkannt, dass sie urheberrechtlichen Schutz geniessen können (BGE 113 II 190 E. I.2a S. 197 mit Hinweisen). Erforderlich und hinreichend ist für diesen Schutz, dass über eine rein handwerkliche oder industrielle Arbeit hinaus eine individuelle künstlerische Gestaltung erkennbar ist, die sich von den vorbekannten Formen deutlich unterscheidet, was namentlich zutrifft, wenn sich das Möbelstück von bisherigen Stilrichtungen klar abhebt und eine neue Richtung einleitet oder wesentlich mitbestimmt (BGE 113 II 190 E. I.2a S. 197; vgl. auch BGE 134 III 547 E. 2 S. 549). Die Vorinstanz hat im vorliegenden Fall unter Bezugnahme auf das von ihr eingeholte Gutachten verneint, dass der HfG-Barhocker einen Stil wesentlich mitgeprägt habe. Der Hocker zeichnet sich nach den Erwägungen im angefochtenen Urteil durch seine reduzierte Formgebung aus, wobei das Konzept des Barhockers definiert wird als Verbindung einer runden Sitzfläche mit leicht schräg gestellten Beinen und einem Ring, der die Konstruktion stabilisiert und gleichzeitig als Fussstütze dient. Die Vorinstanz stellt fest, dass dieses Konzept zum Zeitpunkt der Entwicklung des HfG-Barhockers bekannt war und führt namentlich vier ältere Modelle an, in denen nahezu alle Bestandeselemente des HfG-Barhockers auf die eine oder andere Weise enthalten waren, wobei unerheblich sei, ob die Hocker drei- oder vierbeinig ausgestaltet seien, da die gemeinsame Urform mit ihren schräg in das Sitzbrett eingepassten Beinstollen weitere Varianten gleichsam vorgebe. Die Vorinstanz fügt zudem an, dass in etwa der gleichen Zeit ein Barhocker von Robin Day hergestellt wurde, dessen einziger Unterschied darin bestehe, dass die Stahlrohre unterhalb der Sitzfläche mittig zusammenlaufen, während sie beim HfG-Barhocker etwas auf Distanz gesetzt sind.
2.3 Die Beschwerdeführerin rügt zunächst, die Vorinstanz habe auf einen nicht vorbekannten Formenschatz abgestellt, indem sie nicht nur auf vier vorbekannte Barhocker, sondern auch auf denjenigen von Robin Day verwiesen habe.
2.3.1 Die Vorinstanz hat festgestellt, dass die Datierung des Barhockers von Robin Day, den sie abbildet, schwierig ist und dass es naheliegt anzunehmen, dass dieser Hocker etwa in der gleichen Zeit wie der HfG-Barhocker erstmals hergestellt wurde, nämlich Ende 50er, Anfang 60er Jahre des letzten Jahrhunderts. Aus den
BGE 143 III 373 S. 379

nachfolgenden Erwägungen ergibt sich indes nicht ausdrücklich, inwiefern die Vorinstanz diesen Hocker in ihre Erwägungen einbezogen hat.
2.3.2 Die Vorinstanz stellt fest, dass "im Grunde nahezu alle Bestandeselemente des HfG-Barhockers bereits auf die eine oder andere Weise in älteren Modellen enthalten waren". Sie verneint den individuellen Charakter des hier umstrittenen Hockers in der Erwägung, dass eine stilistische Einordnung praktisch unmöglich sei, weil alle Bestandteile auf das Wesentliche reduziert seien, ohne dass für eine weitere formale Ausgestaltung noch Spielraum bleibe, wobei dieser fast schon asketische Minimalismus ein durchgehender Charakterzug des 20. Jahrhundert und für die mittleren 50er Jahre nicht mehr neu gewesen sei. Die Vorinstanz verneint gestützt darauf eine deutliche Unterscheidung zu den damals bestehenden Stilrichtungen.
2.3.3 Die Vorinstanz hat entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin den Barhocker von Robin Day nicht als vorbekanntes Modell betrachtet. Sie hat klargestellt, dass dieses Modell etwa gleichzeitig erstmals hergestellt wurde wie der hier umstrittene Hocker, aber sie hat dem HfG-Barhocker den urheberrechtlichen Schutz in der Erwägung verweigert, dass eine deutliche Unterscheidung zu den damals bekannten Stilrichtungen fehle. Aufgrund dieser Erwägung ist davon auszugehen, dass sie sich auf das gleichzeitig entwickelte Modell von Robin Day bezog, um zu zeigen, dass die minimalistische Ausgestaltung der vorbekannten Elemente zu ähnlichen Modellen führte.
2.3.4 Die Rüge der Beschwerdeführerin trifft nicht zu, dass die Vorinstanz die Individualität des HfG-Barhockers wegen der Ähnlichkeit mit dem Barhocker von Robin Day als vorbekannte Form verneint hat.
2.4 Die Beschwerdeführerin rügt zu Recht, die Vorinstanz habe eine unzulässige "mosaikartige" Betrachtung angewandt, indem sie den vorbekannten Formenschatz in einzelne Elemente zergliedert und diese miteinander verglichen habe. Für den urheberrechtlichen Schutz entscheidend ist der künstlerische Eindruck der Formgebung, der nicht die notwendige oder gar ausschliessliche Folge eines einzelnen Bauelementes ist, sondern durch die Gestaltung, Linienführung und das Zusammenwirken aller Elemente bestimmt wird. Dabei kann zwar die Gestaltung eines Elementes dominieren und so hervorstechen, dass es prägend wirkt. Aber der Vergleich einzelner Elemente ist nicht entscheidend (vgl. BGE 113 II 190 E. I.2b S. 198).
BGE 143 III 373 S. 380

Nicht entscheidend ist jedenfalls, dass einzelne Elemente vorbekannt sind.
2.5 Die Beschwerdeführerin rügt sodann zu Recht, die Vorinstanz habe dem Umstand der fehlenden deutlichen Unterscheidung zu den bestehenden Stilrichtungen im Rahmen ihrer Beurteilung der Werk-Individualität zu viel Bedeutung beigemessen und damit die Anforderungen an die Individualität eines Werks überspannt. Zwar hat das Bundesgericht im amtlich publizierten Urteil BGE 113 II 190 ausgeführt, dass die Individualität namentlich dann zu bejahen ist, wenn sich das Möbelstück von bisherigen Stilrichtungen klar abhebt und eine neue Richtung einleitet oder wesentlich mitbestimmt. Als massgebend für die Individualität des Werks wird in diesem Urteil jedoch hervorgehoben, dass über eine rein handwerkliche oder industrielle Arbeit hinaus eine individuelle künstlerische Gestaltung erkennbar ist, die sich von den vorbekannten Formen deutlich abhebt. Dies kann auch der Fall sein, wenn keine neue Stilrichtung eingeleitet oder wesentlich mitbestimmt wird, worauf im Übrigen auch der angefochtene Entscheid in anderem Zusammenhang hinweist.
2.6 Schliesslich kritisiert die Beschwerdeführerin, dass die Vorinstanz für Werke der angewandten Kunst vergleichsweise höhere Anforderungen an die Individualität stelle, indem sie den urheberrechtlichen Schutz im Zweifelsfall verweigere.
2.6.1 Das Bundesgericht hat im unveröffentlichten Urteil 4A_78/2011 vom 2. Mai 2011 unter Verweis auf die Materialien und die Doktrin (IVAN CHERPILLOD, in: Urheberrechtsgesetz [URG], Müller/Oertli [Hrsg.], 2006, N. 56 zu Art. 2
SR 231.1 Bundesgesetz vom 9. Oktober 1992 über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz, URG) - Urheberrechtsgesetz
URG Art. 2 Werkbegriff - 1 Werke sind, unabhängig von ihrem Wert oder Zweck, geistige Schöpfungen der Literatur und Kunst, die individuellen Charakter haben.
1    Werke sind, unabhängig von ihrem Wert oder Zweck, geistige Schöpfungen der Literatur und Kunst, die individuellen Charakter haben.
2    Dazu gehören insbesondere:
a  literarische, wissenschaftliche und andere Sprachwerke;
b  Werke der Musik und andere akustische Werke;
c  Werke der bildenden Kunst, insbesondere der Malerei, der Bildhauerei und der Graphik;
d  Werke mit wissenschaftlichem oder technischem Inhalt wie Zeichnungen, Pläne, Karten oder plastische Darstellungen;
e  Werke der Baukunst;
f  Werke der angewandten Kunst;
g  fotografische, filmische und andere visuelle oder audiovisuelle Werke;
h  choreographische Werke und Pantomimen.
3    Als Werke gelten auch Computerprogramme.
3bis    Fotografische Wiedergaben und mit einem der Fotografie ähnlichen Verfahren hergestellte Wiedergaben dreidimensionaler Objekte gelten als Werke, auch wenn sie keinen individuellen Charakter haben.4
4    Ebenfalls geschützt sind Entwürfe, Titel und Teile von Werken, sofern es sich um geistige Schöpfungen mit individuellem Charakter handelt.
URG; VON BÜREN/MEER, in: Urheberrecht und verwandte Schutzrechte, SIWR Bd. II/1, 2. Aufl. 2006, S. 77) erkannt, dass die Praxis, wonach im Zweifel bei Werken der angewandten Kunst eine rein handwerkliche Leistung vorliegt, weiterhin gilt. Die Beschwerdeführerin befürwortet namentlich unter Verweis auf eine Praxisänderung des deutschen Bundesgerichtshofs (Urteil I ZR 143/12 vom 13. November 2013, publ. in: Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen [BGHZ] 199 [2014] 52 sowie GRUR 2/2014 S. 175 - "Geburtstagszug") eine Änderung der Rechtsprechung. Sie hält die Praxis des deutschen Höchstgerichts unter Verweis auf BGE 75 II 355 S. 360/362 und die EU-Designrichtlinie für relevant, da diese auch dem schweizerischen Gesetzgeber als Leitlinie diente (Botschaft vom 16. Februar 2000 zu einem Bundesbeschluss zur Genfer Akte des Haager

BGE 143 III 373 S. 381

Musterschutz-Abkommens und einem Bundesgesetz über den Schutz von Design, BBl 2000 2781 Ziff. 5.2).
2.6.2 Die Geltungsbereiche des URG einerseits und des Bundesgesetzes vom 5. Oktober 2001 über den Schutz von Design (DesG; SR 232.12) anderseits unterscheiden sich dadurch, dass das Urheberrecht die "individuelle", das Designrecht die "eigenartige" Leistung schützt. Der Schutz beider Gesetze gilt der kreativen Formgebung. Aus dem grundsätzlich übereinstimmenden Schutzzweck ergibt sich angesichts des unterschiedlich weit reichenden Schutzes, dass die Voraussetzungen der urheberrechtlichen Individualität höher sein müssen als die Eigenart des Designrechts (LUCAS DAVID, in: Urheberrechtsgesetz [URG], Müller/Oertli [Hrsg.], 2. Aufl. 2012, Einführung, N. 27). Ein urheberrechtlich geschütztes Werk der angewandten Kunst kann daher nur vorliegen, wenn die künstlerische Gestaltung eines handwerklichen Erzeugnisses mindestens die designrechtliche Eigenart (Art. 2 Abs. 1
SR 232.12 Bundesgesetz vom 5. Oktober 2001 über den Schutz von Design (Designgesetz, DesG) - Designgesetz
DesG Art. 2 Schutzvoraussetzungen - 1 Design ist schutzfähig, soweit es neu ist und Eigenart aufweist.
1    Design ist schutzfähig, soweit es neu ist und Eigenart aufweist.
2    Design ist nicht neu, wenn der Öffentlichkeit vor dem Hinterlegungs- oder Prioritätsdatum ein identisches Design zugänglich gemacht worden ist, welches den in der Schweiz beteiligten Verkehrskreisen bekannt sein konnte.
3    Design weist keine Eigenart auf, wenn es sich nach dem Gesamteindruck von Design, welches den in der Schweiz beteiligten Verkehrskreisen bekannt sein konnte, nur in unwesentlichen Merkmalen unterscheidet.
DesG) unbestreitbar klar und deutlich erreicht. Für die designrechtliche Eigenart ist erforderlich, dass sich der Gesamteindruck der beanspruchten Form in der Beurteilung der an einem Kauf der entsprechend gestalteten Produkte unmittelbar interessierten Personen vom Vorbekannten massgeblich abhebt (BGE 134 III 547 E. 2.2 S. 550; BGE 133 III 189 E. 5.1.1; vgl. auch BGE 134 III 205 E. 6). Da Werke der angewandten Kunst durch ihren Gebrauchszweck bestimmt sind, ist entscheidend, ob sich die künstlerische Formgebung im Rahmen dieses Zwecks von den vorbekannten Formen so deutlich abhebt, dass sie als einmalig erscheint.
2.7 Die Vorinstanz hat dem "HfG-Barhocker" von Max Bill den urheberrechtlichen Schutz namentlich in der Erwägung verweigert, die Formgebung bestehe aus vorbekannten Elementen eines Hockers, die auf das absolute Minimum reduziert seien, so dass für weitere formale Ausgestaltung kein Spielraum bleibe bzw. sich die Formgebung künstlerisch gar nicht mehr individualisieren lasse. Die vorbekannten Elemente, aus denen sich ein Barhocker zusammensetzt, definiert die Vorinstanz dabei als runde Sitzfläche mit leicht abgeschrägten Stützen und einer kreisrunden Stabilisierung, die zugleich als Fussstütze dient. Damit beschreibt die Vorinstanz indes nur eine mögliche Ausführung eines Barhockers, wie sich aus den im angefochtenen Urteil abgebildeten vorbekannten Modellen ergibt. Danach bestehen zwar die vorbekannten Barhocker aus einer Sitzfläche, Stützen und einer Stabilisierung, welche die Stützen verbindet. Dass jedoch die vorbekannten Modelle von Barhockern im
BGE 143 III 373 S. 382

Zeitpunkt der erstmaligen Herstellung des HfG-Barhockers ausschliesslich runde Sitzflächen und leicht abgeschrägte Stützen aufgewiesen hätten, ergibt sich daraus gerade nicht. Auch die im angefochtenen Urteil abgebildeten Modelle, die dem HfG-Barhocker am nächsten kommen, weisen zum Teil viereckige Sitzflächen bzw. gerade Stützen (am Rande der Sitzfläche angebracht) bzw. auf die Mitte der Sitzfläche zulaufende Stützen auf, die zudem unterschiedlich proportioniert und ausgestaltet sind. Dass die vorbekannten Hocker teilweise nicht drei, sondern vier Stützen haben, stellt die Vorinstanz selbst fest, hält dies jedoch ohne Auseinandersetzung mit der Wirkung auf die Formgebung des Hockers für unerheblich.
2.8 Der HfG-Barhocker ist als Werk geschützt, wenn er sich als individuelle oder originelle Schöpfung von den tatsächlichen oder natürlichen Vorbedingungen im Rahmen der Zweckbestimmung deutlich abhebt (BGE 125 III 328 E. 4b S. 331; BGE 117 II 466 E. 2a; vgl. auch BGE 136 III 225 E. 4.2).
2.8.1 Die Vorinstanz hat den Gebrauchszweck, in dessen Rahmen vorbekannte Formen der Gestaltung zu berücksichtigen sind, zutreffend als Barhocker definiert. Die praktische Anwendung besteht in der Möglichkeit, die an einer Bar servierten Getränke und Speisen sitzend zu konsumieren; die Sitzflächen müssen daher auf einer Höhe angebracht sein, die der sitzenden Person die bequeme Erreichbarkeit der Angebote auf der Bar gewährleistet. Da Bars regelmässig für Konsumationen durch stehende Personen eingerichtet sind, sind sie etwa eine Treppenstufe höher als die üblichen Tische; entsprechend müssen die Sitzflächen um etwa eine Treppenstufe höher liegen als diejenigen für die Konsumation an Tischen. Um die Sitzfläche zu erreichen, muss eine Aufstiegsmöglichkeit bestehen. Der Gebrauchsgegenstand Barhocker ist daher so konzipiert, dass eine Sitzfläche auf Trägern in einer Höhe angebracht ist, die durch einen Aufstieg in Höhe einer Stufe erreicht werden kann; dabei hat sich herausgebildet, die Aufstiegsmöglichkeit durch eine horizontale Leiste ausserhalb oder innerhalb der Träger zu gewährleisten: diese dient gleichzeitig der Stabilisierung der Träger und erlaubt ausserdem der sitzenden Person, die Füsse darauf zu stellen.
2.8.2 Die Elemente, welche einen Barhocker seiner Funktion nach charakterisieren, bestehen somit aus Trägern, welche eine Sitzgelegenheit in Höhe von 60-80 cm tragen und um die auf einer Höhe von ca. 20 cm ab Boden eine horizontale Leiste angebracht ist. Der
BGE 143 III 373 S. 383

Spielraum für die Gestaltung von Hockern, welche diese Elemente aufweisen, ist nicht sehr eingeschränkt, wie schon die im angefochtenen Urteil als vorbekannt angeführten Formen zeigen (vgl. vorn Sachverhalt Bst. B.b). Die Träger müssen nicht - in unterschiedlichem Winkel - abgeschrägt sein, sondern können auch völlig senkrecht ausgestaltet sein (in diesem Fall aus Gründen der Stabilität wohl am äusseren Rand der Sitzfläche). Die Sitzfläche ihrerseits kann unterschiedlich geformt sein (z.B. Rechtecke, runde oder ovale Formen, mit oder ohne Lehne). Die Leisten können eckig oder rund, innerhalb oder ausserhalb der Träger montiert sein. Ausserdem kann Materialwahl oder Farbgebung den Gesamteindruck der Gestaltung eines Barhockers wesentlich verändern.
2.8.3 Die Vorinstanz hält zutreffend fest, dass sich der HfG-Barhocker durch Minimalismus seiner Formgebung auszeichnet. Ihr kann indes nicht gefolgt werden, wenn sie die Individualität aus der Erwägung verneint, dass eine weitere Reduktion der Formen nicht mehr denkbar ist. Gerade klassische Formen zeichnen sich mitunter dadurch aus, dass die Eleganz ihrer Gestaltung mit minimalen Elementen beeindruckt. Die funktional notwendigen Elemente eines Barhockers - Träger, Sitzfläche und Leiste - sind beim HfG-Barhocker zwar minimal so ausgestaltet, dass die drei, durch eine runde Leiste verbundenen Träger in optimalem Winkel direkt mit der entsprechend proportionierten runden Sitzfläche verbunden sind. Es kann indes nicht gesagt werden, damit sei auch technisch-funktional die stabilste Form so gestaltet, dass sie nicht monopolisiert werden dürfe. Denn es trifft nicht zu, dass etwa Hocker mit vier völlig vertikal gestalteten oder in anderem Winkel abgeschrägten Trägern, mit einer eckigen oder anders proportionierten Sitzfläche ihren Zweck weniger gut erreichen würden als die hier umstrittene "minimale" Gestaltung. Soweit die Vorinstanz daher sinngemäss die Individualität aus der Erwägung verneint, dass der technisch-funktionale Zweck eines Barhockers nicht besser erreicht werden könne als mit der minimalen Gestaltung der erforderlichen Elemente, kann ihr nicht gefolgt werden. Der künstlerische Eindruck, der durch die minimalistische Gestaltung erreicht wird, ist nicht funktional bedingt.
2.8.4 Die Vorinstanz hat als vorbekannte Formen von Barhockern vier Modelle berücksichtigt. Es ist nicht bestritten, dass diese für vorbekannte Formen typisch sind bzw. die dem HfG-Barhocker am ähnlichsten erscheinenden vorbekannten Gestaltungen darstellen. Von diesen Formen unterscheidet sich der hier umstrittene
BGE 143 III 373 S. 384

HfG-Barhocker bzw. dessen Vorgänger (dessen runde Sitzfläche aus Holz gefertigt und dessen Befestigungsleiste noch ausserhalb der Träger angebracht war) wesentlich. Der Gesamteindruck des HfG-Barhockers hebt sich von den im angefochtenen Urteil abgebildeten vorbekannten Formen künstlerisch so ab, dass seine urheberrechtliche Individualität nicht verneint werden kann. So sind nicht nur die drei Träger (die optisch selbstverständlich einen anderen Eindruck hervorrufen als vier Träger) in ihrer Schrägstellung und unmittelbaren Befestigung etwas innerhalb der unteren Seite der Sitzfläche in keinem der Vorgängermodelle ähnlich verwirklicht. Auch das Verhältnis zwischen den (gestalterisch optimal abgeschrägten) Trägern und der runden (verhältnismässig kleinen) Sitzfläche prägt den Gesamteindruck des HfG-Barhockers so, wie es in keinem der vorbekannten Modelle auch nur annähernd angedeutet ist.
2.8.5 Durch die "minimalistische" Ausgestaltung der für einen Barhocker notwendigen Elemente und ihre aufeinander abgestimmte Proportionierung erweckt der HfG-Barhocker einen Gesamteindruck, der ihn als solchen individualisiert und von den vorbekannten Modellen deutlich abhebt. Der urheberrechtliche Schutz kann diesem Werk angewandter Kunst daher nicht versagt werden. Die Beschwerde ist aus diesem Grunde gutzuheissen und die Klage auch in Bezug auf den HfG-Barhocker gutzuheissen.
Die Beschwerdegegnerin wendet gegen das Rechtsbegehren zwar ein, es sei überschiessend, da sie die umstrittenen Möbelstücke nie durch Dritte habe herstellen lassen. Dass sie zur Herstellung durch Dritte berechtigt sein könnte, behauptet sie indes zu Recht nicht. Würde sie dies beabsichtigten, stände der Beschwerdeführerin das Recht zu, ihr dies zu untersagen. Für den Fall, dass sie nie beabsichtigte, die Möbel durch Dritte herstellen zu lassen, fehlt der Beschwerdeführerin zwar ein Rechtsschutzinteresse. Es ist aber nicht ersichtlich, welches Interesse die Beschwerdegegnerin haben könnte, dass das Verbot im vorliegenden Verfahren beschränkt wird, zumal die Vorinstanz in Ziffer 1 ein entsprechendes Verbot rechtskräftig erlassen hat. Das Verbot ist daher entsprechend den Begehren zu formulieren. (...)
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 143 III 373
Date : 12. Juli 2017
Published : 07. November 2017
Source : Bundesgericht
Status : 143 III 373
Subject area : BGE - Zivilrecht
Subject : Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 lit. f URG; Urheberrechtsschutz; Werk-Individualität. Anforderungen an die urheberrechtliche Individualität
Classification : Änderung der Rechtsprechung


Legislation register
DesG: 2
StGB: 292
URG: 2
UWG: 2  3
BGE-register
113-II-190 • 117-II-466 • 125-III-328 • 130-III-168 • 130-III-714 • 133-III-189 • 134-III-166 • 134-III-205 • 134-III-547 • 136-III-225 • 143-III-373 • 75-II-355
Weitere Urteile ab 2000
4A_115/2017 • 4A_482/2013 • 4A_78/2011
Keyword index
Sorted by frequency or alphabet
lower instance • applied arts • foundation • overall impression • character • defendant • legal demand • commercial court • license agreement • outside • federal court • within • copyright and similar protectional rights • doubt • federal law on the protection of design • commodity • appeal concerning civil causes • [noenglish] • license • originator • termination of employment without notice • statement of affairs • position • component • collection • decision • work • scope • use • production • condition • court and administration exercise • reprimand • distance • hamlet • commodity • literature • function • wood • lausanne • relationship between • cantonal proceeding • value • drawn • civil matter • doctrine • meadow • drawer • behavior • 20th century • sea
... Don't show all
BBl
2000/2781