130 I 16
2. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Psychiatrische Klinik Oberwil und Verwaltungsgericht des Kantons Zug (staatsrechtliche Beschwerde) 1P.689/2003 vom 7. Januar 2004
Regeste (de):
- Medikamentöse Zwangsbehandlung in psychiatrischer Klinik während fürsorgerischen Freiheitsentzuges; Art. 7
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 7 Menschenwürde - Die Würde des Menschen ist zu achten und zu schützen.
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 10 Recht auf Leben und auf persönliche Freiheit - 1 Jeder Mensch hat das Recht auf Leben. Die Todesstrafe ist verboten.
1 Jeder Mensch hat das Recht auf Leben. Die Todesstrafe ist verboten. 2 Jeder Mensch hat das Recht auf persönliche Freiheit, insbesondere auf körperliche und geistige Unversehrtheit und auf Bewegungsfreiheit. 3 Folter und jede andere Art grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung sind verboten. SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 36 Einschränkungen von Grundrechten - 1 Einschränkungen von Grundrechten bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. Schwerwiegende Einschränkungen müssen im Gesetz selbst vorgesehen sein. Ausgenommen sind Fälle ernster, unmittelbarer und nicht anders abwendbarer Gefahr.
1 Einschränkungen von Grundrechten bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. Schwerwiegende Einschränkungen müssen im Gesetz selbst vorgesehen sein. Ausgenommen sind Fälle ernster, unmittelbarer und nicht anders abwendbarer Gefahr. 2 Einschränkungen von Grundrechten müssen durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein. 3 Einschränkungen von Grundrechten müssen verhältnismässig sein. 4 Der Kerngehalt der Grundrechte ist unantastbar. IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 8 Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens - (1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.
- Eine medikamentöse Zwangsbehandlung stellt einen schweren Eingriff in die persönliche Freiheit dar und betrifft die Menschenwürde zentral (E. 3).
- Gesetzliche Grundlage im Kanton Zug (E. 4).
- Erforderlichkeit einer vollständigen und umfassenden Interessenabwägung: öffentliche Interessen, Notwendigkeit der Behandlung, Auswirkungen einer Nicht-Behandlung, Prüfung von Alternativen, Beurteilung von Selbst- und Fremdgefährdung (E. 5).
Regeste (fr):
- Traitement médicamenteux forcé en clinique psychiatrique au cours de la privation de liberté à des fins d'assistance; art. 7, art. 10 al. 2 et art. 36 Cst., art. 8 CEDH.
- Un traitement médicamenteux forcé constitue une atteinte grave à la liberté personnelle et touche au coeur même de la dignité humaine (consid. 3).
- Base légale dans le canton de Zoug (consid. 4).
- Nécessité d'une pesée globale et complète des intérêts en présence: intérêts publics, caractère indispensable du traitement, conséquences d'une absence de traitement, examen des alternatives, appréciation de la mise en danger de soi et des tiers (consid. 5).
Regesto (it):
- Trattamento medicamentoso coatto in clinica psichiatrica durante una privazione della libertà a scopo d'assistenza; art. 7, art. 10 cpv. 2 e art. 36 Cost., art. 8 CEDU.
- Un trattamento medicamentoso coatto costituisce una grave ingerenza nella libertà personale e tocca in maniera centrale la dignità umana (consid. 3).
- Base legale nel Canton Zugo (consid. 4).
- Necessità di una ponderazione completa e globale degli interessi in gioco: interessi pubblici, necessità del trattamento, conseguenze dell'assenza di trattamento, esame di alternative, apprezzamento dell'esposizione a pericolo propria e altrui (consid. 5).
Sachverhalt ab Seite 17
BGE 130 I 16 S. 17
Gemäss ärztlicher Beurteilung leidet Frau X., Jahrgang 1964, seit Jahren an einer paranoiden Schizophrenie und ist mehrmals hospitalisiert worden. Seit dem 19. Juni 2003 befindet sie sich in der Psychiatrischen Klinik Oberwil. Am 26. Juni 2003 ordnete der Stadtrat von Zug die fürsorgerische Freiheitsentziehung im Sinne von Art. 397a
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 8 Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens - (1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. |
BGE 130 I 16 S. 18
Freiheit nach Art. 10 Abs. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 10 Recht auf Leben und auf persönliche Freiheit - 1 Jeder Mensch hat das Recht auf Leben. Die Todesstrafe ist verboten. |
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1 | Jeder Mensch hat das Recht auf Leben. Die Todesstrafe ist verboten. |
2 | Jeder Mensch hat das Recht auf persönliche Freiheit, insbesondere auf körperliche und geistige Unversehrtheit und auf Bewegungsfreiheit. |
3 | Folter und jede andere Art grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung sind verboten. |
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 8 Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens - (1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 7 Menschenwürde - Die Würde des Menschen ist zu achten und zu schützen. |
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3. Das Bundesgericht hat festgehalten, dass eine medikamentöse Zwangsbehandlung einen schweren Eingriff in die persönliche Freiheit im Sinne der körperlichen und geistigen Integrität nach Art. 10 Abs. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 10 Recht auf Leben und auf persönliche Freiheit - 1 Jeder Mensch hat das Recht auf Leben. Die Todesstrafe ist verboten. |
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1 | Jeder Mensch hat das Recht auf Leben. Die Todesstrafe ist verboten. |
2 | Jeder Mensch hat das Recht auf persönliche Freiheit, insbesondere auf körperliche und geistige Unversehrtheit und auf Bewegungsfreiheit. |
3 | Folter und jede andere Art grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung sind verboten. |
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 8 Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens - (1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 7 Menschenwürde - Die Würde des Menschen ist zu achten und zu schützen. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 36 Einschränkungen von Grundrechten - 1 Einschränkungen von Grundrechten bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. Schwerwiegende Einschränkungen müssen im Gesetz selbst vorgesehen sein. Ausgenommen sind Fälle ernster, unmittelbarer und nicht anders abwendbarer Gefahr. |
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1 | Einschränkungen von Grundrechten bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. Schwerwiegende Einschränkungen müssen im Gesetz selbst vorgesehen sein. Ausgenommen sind Fälle ernster, unmittelbarer und nicht anders abwendbarer Gefahr. |
2 | Einschränkungen von Grundrechten müssen durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein. |
3 | Einschränkungen von Grundrechten müssen verhältnismässig sein. |
4 | Der Kerngehalt der Grundrechte ist unantastbar. |
4.
4.1 Die Beschwerdeführerin hält zu Recht fest, dass die bundesrechtlichen Bestimmungen über den fürsorgerischen Freiheitsentzug gemäss Art. 397a
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 8 Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens - (1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. |
BGE 130 I 16 S. 19
Betroffenen abzugeben. Die Beschwerdeführerin macht nicht geltend, diese gesetzliche Grundlage als solche sei mit dem Verfassungsrecht nicht vereinbar.
4.2 Nach § 37 Abs. 2 GesG sind Zwangsmassnahmen bei Patienten zulässig, die urteilsunfähig sind oder die gemäss den Bestimmungen über den fürsorgerischen Freiheitsentzug in eine Behandlungseinrichtung eingewiesen worden sind. Das Verwaltungsgericht hat beide Voraussetzungen als gegeben betrachtet. (...)
5. Nach Art. 36
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 36 Einschränkungen von Grundrechten - 1 Einschränkungen von Grundrechten bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. Schwerwiegende Einschränkungen müssen im Gesetz selbst vorgesehen sein. Ausgenommen sind Fälle ernster, unmittelbarer und nicht anders abwendbarer Gefahr. |
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1 | Einschränkungen von Grundrechten bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. Schwerwiegende Einschränkungen müssen im Gesetz selbst vorgesehen sein. Ausgenommen sind Fälle ernster, unmittelbarer und nicht anders abwendbarer Gefahr. |
2 | Einschränkungen von Grundrechten müssen durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein. |
3 | Einschränkungen von Grundrechten müssen verhältnismässig sein. |
4 | Der Kerngehalt der Grundrechte ist unantastbar. |
5.1 Steht ein schwerer Eingriff in verfassungsmässige Rechte wie die im vorliegenden Fall gegen den Willen der betroffenen Person durchgeführte Medikation in Frage, ist eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen, welche zahlreiche Elemente einschliessen und diese sorgfältig einander gegenüberstellen muss. Zur Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs ist das öffentliche Interesse oder das Interesse am Schutz von Grundrechtspositionen Dritter darzutun. In komplexen Sachlagen wie der vorliegenden ist mit der Prüfung des öffentlichen Interesses engstens die Frage der Verhältnismässigkeit verbunden (vgl. BGE 127 I 6 E. 8 S. 25). Deren Prüfung erfordert eine Reihe von Abklärungen hinsichtlich unterschiedlichster Elemente: Es sind die Auswirkungen und Nebenfolgen der Medikation festzuhalten. Dem sind mögliche Alternativen
BGE 130 I 16 S. 20
gegenüber zu stellen. Insbesondere ist abzuschätzen, welche Folgen das Absetzen der Medikation etwa hinsichtlich Gesundheitszustand, Drittgefährdung und Selbstgefährdung haben könnten. Gestützt auf diese Elemente ist der gerügte Grundrechtseingriff in einer Gesamtwürdigung an den Verfassungsgarantien zu messen. Im Folgenden ist anhand dieser abstrakten Überlegungen konkret zu prüfen, wie es sich mit der Verfassungsmässigkeit der angefochtenen Zwangsmassnahme verhält.
5.2 Zum öffentlichen Interesse im Sinne von Art. 36 Abs. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 36 Einschränkungen von Grundrechten - 1 Einschränkungen von Grundrechten bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. Schwerwiegende Einschränkungen müssen im Gesetz selbst vorgesehen sein. Ausgenommen sind Fälle ernster, unmittelbarer und nicht anders abwendbarer Gefahr. |
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1 | Einschränkungen von Grundrechten bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. Schwerwiegende Einschränkungen müssen im Gesetz selbst vorgesehen sein. Ausgenommen sind Fälle ernster, unmittelbarer und nicht anders abwendbarer Gefahr. |
2 | Einschränkungen von Grundrechten müssen durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein. |
3 | Einschränkungen von Grundrechten müssen verhältnismässig sein. |
4 | Der Kerngehalt der Grundrechte ist unantastbar. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 12 Recht auf Hilfe in Notlagen - Wer in Not gerät und nicht in der Lage ist, für sich zu sorgen, hat Anspruch auf Hilfe und Betreuung und auf die Mittel, die für ein menschenwürdiges Dasein unerlässlich sind. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 41 - 1 Bund und Kantone setzen sich in Ergänzung zu persönlicher Verantwortung und privater Initiative dafür ein, dass: |
|
1 | Bund und Kantone setzen sich in Ergänzung zu persönlicher Verantwortung und privater Initiative dafür ein, dass: |
a | jede Person an der sozialen Sicherheit teilhat; |
b | jede Person die für ihre Gesundheit notwendige Pflege erhält; |
c | Familien als Gemeinschaften von Erwachsenen und Kindern geschützt und gefördert werden; |
d | Erwerbsfähige ihren Lebensunterhalt durch Arbeit zu angemessenen Bedingungen bestreiten können; |
e | Wohnungssuchende für sich und ihre Familie eine angemessene Wohnung zu tragbaren Bedingungen finden können; |
f | Kinder und Jugendliche sowie Personen im erwerbsfähigen Alter sich nach ihren Fähigkeiten bilden, aus- und weiterbilden können; |
g | Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung zu selbstständigen und sozial verantwortlichen Personen gefördert und in ihrer sozialen, kulturellen und politischen Integration unterstützt werden sowie ihre Gesundheit gefördert wird. |
2 | Bund und Kantone setzen sich dafür ein, dass jede Person gegen die wirtschaftlichen Folgen von Alter, Invalidität, Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit, Mutterschaft, Verwaisung und Verwitwung gesichert ist. |
3 | Sie streben die Sozialziele im Rahmen ihrer verfassungsmässigen Zuständigkeiten und ihrer verfügbaren Mittel an. |
4 | Aus den Sozialzielen können keine unmittelbaren Ansprüche auf staatliche Leistungen abgeleitet werden. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 7 Menschenwürde - Die Würde des Menschen ist zu achten und zu schützen. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 36 Einschränkungen von Grundrechten - 1 Einschränkungen von Grundrechten bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. Schwerwiegende Einschränkungen müssen im Gesetz selbst vorgesehen sein. Ausgenommen sind Fälle ernster, unmittelbarer und nicht anders abwendbarer Gefahr. |
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1 | Einschränkungen von Grundrechten bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. Schwerwiegende Einschränkungen müssen im Gesetz selbst vorgesehen sein. Ausgenommen sind Fälle ernster, unmittelbarer und nicht anders abwendbarer Gefahr. |
2 | Einschränkungen von Grundrechten müssen durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein. |
3 | Einschränkungen von Grundrechten müssen verhältnismässig sein. |
4 | Der Kerngehalt der Grundrechte ist unantastbar. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 36 Einschränkungen von Grundrechten - 1 Einschränkungen von Grundrechten bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. Schwerwiegende Einschränkungen müssen im Gesetz selbst vorgesehen sein. Ausgenommen sind Fälle ernster, unmittelbarer und nicht anders abwendbarer Gefahr. |
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1 | Einschränkungen von Grundrechten bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. Schwerwiegende Einschränkungen müssen im Gesetz selbst vorgesehen sein. Ausgenommen sind Fälle ernster, unmittelbarer und nicht anders abwendbarer Gefahr. |
2 | Einschränkungen von Grundrechten müssen durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein. |
3 | Einschränkungen von Grundrechten müssen verhältnismässig sein. |
4 | Der Kerngehalt der Grundrechte ist unantastbar. |
BGE 130 I 16 S. 21
Gesundheits gesetzes vor, dass Zwangsmassnahmen notwendig sein müssen, um eine unmittelbare und schwere Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit Dritter abzuwenden beziehungsweise eine akute schwerwiegende Störung des Zusammenlebens zu beseitigen. Dieser Aspekt ist im vorliegenden Fall insbesondere mit der vom Verwaltungsgericht angenommenen Drittgefährdung in Beziehung zu setzen.
5.3 Hinsichtlich der Notwendigkeit der Behandlung darf im vorliegenden Fall davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführerin trotz ihrer mangelnden Krankheitseinsicht - welche sie allerdings nicht hinderte, im Sommer 2003 von sich aus in die Klinik einzutreten - seit Jahren an einer paranoiden Schizophrenie leidet und insoweit auf Hilfe angewiesen ist. Aufgrund der ärztlichen Berichte kann weiter davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführerin tatsächlich gut auf die Medikation anspricht, dass sich ihr Zustand beruhigt hat und dass die Injektionen des Depotmedikaments zu längeren Phasen der Stabilisierung geführt haben. - Erschwerend fällt umgekehrt ins Gewicht, dass es sich bei der umstrittenen Medikation nicht (mehr) um eine dringliche und unmittelbar unerlässliche Intervention handelt, um das Leben der Beschwerdeführerin zu erhalten oder eine unmittelbare Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung abzuwenden; die Medikation hat vielmehr die Bedeutung einer eigentlichen und auf eine gewisse Dauer angelegten Therapie und Heilbehandlung (vgl. BGE 127 I 6 E. 9a S. 26 und E. 9c S. 28). Diesfalls stellt sich in vermehrtem Masse die Frage, unter welchen Umständen von Seiten des Patienten aufgrund des verfassungsmässigen und gesetzlichen Selbstbestimmungsrechts auf eine solche Heilbehandlung verzichtet werden kann. Überdies bedarf es eines Therapieplans, der die Zwangsmassnahme im Rahmen einer Heilbehandlung umschreibt und eine umfassende Güterabwägung überhaupt erst ermöglicht. Das Verwaltungsgericht geht in seinem Urteil auf diese Aspekte nicht ein (vgl. § 36 GesG; BGE 127 I 6 E. 9a S. 26 f.; Art. 427 ff. des Vorentwurfs für eine Revision des Zivilgesetzbuches [Erwachsenenschutz, Personenrecht und Kindesrecht]). - Weiter sind mögliche längerfristige Nebenfolgen in die Interessenabwägung einzubeziehen (vgl. zu möglichen Nebenfolgen den BGE 127 IV 154 zugrunde liegenden Sachverhalt). Im vorliegenden Fall beschwert sich die Beschwerdeführerin über nachhaltige Nebenwirkungen der Neuroleptika-Behandlung wie insbesondere starkes Augenbrennen und Mundtrockenheit sowie wegen der Eingriffe in den
BGE 130 I 16 S. 22
Hormonhaushalt starkes Anschwellen der Brüste und Milchsekretion. Zu diesen Nebenfolgen der Behandlung äussert sich das angefochtene Urteil indessen kaum. Hinsichtlich der unmittelbaren Nebenwirkungen wird lediglich ausgeführt, dass sie unangenehm und schmerzhaft seien und ihnen mit weiteren Medikamenten begegnet werden könne. Über Auswirkungen und allfällig positive Resultate der entsprechenden Sekundärmedikation spricht sich das Urteil indessen nicht aus. Gesamthaft lässt sich ihm somit die konkrete Schwere der Zwangsmassnahme - über den jeder zwangsweisen Behandlung anhaftenden Eingriff hinaus - nicht hinreichend entnehmen.
Unter dem Gesichtswinkel der Verhältnismässigkeit ist weiter zu prüfen, welche Auswirkungen eine Nicht-Behandlung hätte, welche Ersatzmassnahmen diesfalls erforderlich wären und wie sich diese im Vergleich zur Schwere der Zwangsmedikation auf die persönliche Freiheit auswirken. In dieser Hinsicht wird im angefochtenen Entscheid ausgeführt, ein Unterbruch der Behandlung und das damit verbundene Absinken des Risperdal-Spiegels - etwa in Folge des unerlaubten Entfernens aus der Klinik - führten zu akuten psychotischen Zuständen, zu psychotischer Dekompensation, zur ganzen Palette von Verhaltensmustern bei paranoider Schizophrenie und zu einem psychotisch paranoid angetriebenen, beleidigenden, distanzlosen, parathymen, nicht-absprachefähigen sowie verwahrlosten Zustand. Solche von den Ärzten festgehaltene Zustände dürfen und sollen nicht verharmlost werden. Daran ändert indessen der Umstand nichts, dass die Schilderungen der Folgen des Absetzens der Medikation durch das Verwaltungsgericht weitgehend im Abstrakten verbleiben. Es wird insbesondere kaum unterschieden zwischen erwünschten Zuständen - wie etwa der Vermeidung von angetriebenen, beleidigenden, distanzlosen oder verwahrlosten Phasen - und der Verhinderung von gravierend gesundheits- oder gar lebensgefährdenden Zuständen. Es wird nicht konkret dargetan, dass im Falle des Absetzens der Medikation ernsthaft mit einer physischen Gesundheits- oder Lebensgefährdung zu rechnen wäre (vgl. demgegenüber BGE 127 I 6 E. 7d S. 25 und E. 9c S. 28, wo eine mögliche katatone Starre [Stupor] eine schwerwiegende Gesundheitsgefährdung oder gar den Tod des Betroffenen ernstlich befürchten liess). Nur vage wird angetönt, dass eine Verschlechterung des momentanen Zustandes eine erfolgreiche Medikation möglicherweise in der Zukunft erschweren oder gar verunmöglichen könnte. Die Begriffe des
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psychotischen Zustandes und der psychotischen Dekompensation bleiben hinsichtlich der Schwere der Folgen des Absetzens der Medikation im Vagen. Es wird kaum in Rechnung gestellt, dass die Beschwerdeführerin trotz ihres psychotischen Zustandes im Sommer 2003 freiwillig in die Klinik eingetreten und nach ihrer unerlaubten Entfernung aus der Klinik wieder aus eigenem Antrieb zurückgekehrt ist. Gesamthaft gesehen ist demnach eine konkrete Gewichtung der Schwere des Zustandes, in dem sich die Beschwerdeführerin befindet, sowie der ernsthaften Gesundheitsgefährdung im Falle des Absetzens der Medikation nicht möglich.
Im Sinne des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit von Grundrechtseingriffen ist die gerügte Zwangsmedikation auch in Beziehung zu setzen mit Alternativen sowie deren Schwere und Auswirkungen auf die persönliche Freiheit (vgl. § 37 Abs. 3 GesG sowie die Regelung in § 22 Abs. 1 des Basler Psychiatriegesetzes, wonach eine Behandlung trotz des Widerstandes der betroffenen Person durchgeführt werden kann, wenn die persönliche Freiheit dadurch eindeutig weniger eingeschränkt wird als durch die sonst erforderlichen Ersatzmassnahmen [BGE 127 I 6 E. 9 S. 26]). In dieser Hinsicht weist die Beschwerdeführerin auf die vorerst freiwillige Einnahme der Medikamente hin und macht geltend, dass sie sich nicht gegen jegliche und insbesondere nicht gegen schwächere Neuroleptika zur Wehr setzt, vielmehr lediglich die starken, ihr verabreichten Medikamente (mit den erwähnten Nebenfolgen) ablehnt. Eine derartige alternative Behandlungsmethode wird im angefochtenen Entscheid nicht näher geprüft. Sie fällt nicht schon allein wegen des Umstandes ausser Betracht, dass die Beschwerdeführerin sich nicht zuverlässig einer oralen Medikation unterzieht, könnte sie doch in einer Klinik in bestimmtem Ausmasse dazu angehalten werden. Auch anderweitige Alternativen werden nicht diskutiert und in Betracht gezogen (vgl. BGE 127 IV 154, womit die Vollzugsbehörden unter den gegebenen Umständen hinsichtlich eines paranoid schizophrenen Versorgten zu Versuchen mit Alternativmedikamenten angehalten wurden [E. 4 S. 159 ff.]). Schliesslich können alternative Methoden mit sog. pflegerischen Zwangsmassnahmen kombiniert werden. § 37 Abs. 1 GesG nennt insbesondere Fixationen oder Isolierungen (vgl. BGE 127 I 6 E. 9c S. 28). - Wie es sich mit derartigen und allfällig weiteren Alternativen verhält, wird im angefochtenen Entscheid nicht ausgeführt. Es wird lediglich erwähnt, dass die Beschwerdeführerin
BGE 130 I 16 S. 24
bisweilen isoliert werden musste; dieser Umstand indessen vermag für sich allein die zwangsweise Medikation nicht zu rechtfertigen, sondern zeigt vielmehr, dass mit dieser pflegerischen Massnahme, die in psychiatrischen und für den Vollzug des fürsorgerischen Freiheitsentzuges vorgesehenen Kliniken nichts Aussergewöhnliches darstellt, in der gegebenen Situation einem Erregungszustand der Beschwerdeführerin tatsächlich begegnet werden konnte. Schliesslich wird im angefochtenen Entscheid ausgeführt, die umstrittene Medikation rechtfertige sich, um der Selbst- und Fremdgefährdung zu begegnen. Nach § 37 Abs. 3 GesG fallen Zwangsmassnahmen in Betracht, wenn sie notwendig sind, um eine unmittelbare und schwere Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit des Patienten oder Dritter abzuwenden beziehungsweise um eine akute schwerwiegende Störung des Zusammenlebens zu beseitigen. Bereits der Wortlaut dieser Bestimmung deutet darauf hin, dass eine unmittelbare und schwere Gefährdung erforderlich ist. Gleichermassen erfordern die zentral betroffenen Verfassungsrechte, dass die Selbst- und Fremdgefährdung nicht nur abstrakt möglich sind, sondern gestützt auf die tatsächlichen Verhältnisse konkret in Betracht fallen und als wahrscheinlich erscheinen (vgl. die Rechtsprechung zum Vorliegen des speziellen Haftgrundes der Fluchtgefahr, wonach eine solche nicht nur abstrakt, sondern konkret nachgewiesen werden muss; BGE 125 I 60 E. 3a S. 62). - In dieser Hinsicht wird im Entscheid des Verwaltungsgerichts nicht dargetan, worin im vorliegenden Fall die konkrete Selbstgefährdung liegen soll; insbesondere wird nicht auf eine spezifische Anfälligkeit der Beschwerdeführerin oder auf frühere konkrete Vorkommnisse hingewiesen. Im Umstand, dass die Beschwerdeführerin unbefugterweise mehrmals das Antidepressivum Fluctine zu sich genommen hat und sich dieses Medikament mit der angeordneten Medikation nicht verträgt, kann keine unmittelbare und schwerwiegende Selbstgefährdung erblickt werden. Überdies dürfte es in der Klinik möglich sein, die Einnahme derartiger Medikamente in bestimmtem Masse zu unterbinden. Ebenso wenig wird im angefochtenen Urteil hinsichtlich der Drittgefährdung ausgeführt, dass eine solche konkret und ernstlich befürchtet werden müsste. Das Gericht verweist hierzu auf ein früheres Verfahren; in seinem Urteil vom 16. September 2003 (Verfahren F 2003/28) ist allgemein dargelegt worden, dass die Beschwerdeführerin das Zusammenleben auf der Station akut und schwerwiegend störe, durch
BGE 130 I 16 S. 25
forderndes, beschimpfendes Verhalten auffalle, sich gereizt, aufbrausend und provozierend verhalten habe und es zwischen ihr und Mitpatienten auch zu Handgreiflichkeiten und Zwistigkeiten gekommen sei. Diese Schilderungen sind indessen kaum geeignet, eine konkrete und unmittelbare Gefährdung Dritter oder eine schwerwiegende Störung des Zusammenlebens zu belegen. Die in diesem Zusammenhang angeordneten Isolationen zeigen denn auch, dass die durch die Beschwerdeführerin hervorgerufene Unruhe mit milderen und in der Klinik nicht unüblichen pflegerischen Massnahmen bewältigt werden konnte.
5.4 Gesamthaft ergibt sich aus den vorstehenden Erwägungen, dass einerseits der Sachverhalt sowie mögliche Folgen (sowohl der Medikation als auch von Alternativen) unzureichend festgehalten worden sind. Zum andern zeigt sich, dass im angefochtenen Entscheid die Gründe für den Zwangseingriff in verschiedener Hinsicht nicht hinreichend dargetan und insbesondere die Selbst- und Drittgefährdung nicht konkret belegt worden sind. Damit hat das Verwaltungsgericht eine umfassende Interessen- und Güterabwägung tatsächlich nicht vorgenommen und eine solche ist - etwa durch Substitution von Seiten des Bundesgerichts - zurzeit auch nicht möglich. Das Verfassungsrecht mit seinen materiellen Garantien (Art. 10 Abs. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 10 Recht auf Leben und auf persönliche Freiheit - 1 Jeder Mensch hat das Recht auf Leben. Die Todesstrafe ist verboten. |
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1 | Jeder Mensch hat das Recht auf Leben. Die Todesstrafe ist verboten. |
2 | Jeder Mensch hat das Recht auf persönliche Freiheit, insbesondere auf körperliche und geistige Unversehrtheit und auf Bewegungsfreiheit. |
3 | Folter und jede andere Art grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung sind verboten. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 7 Menschenwürde - Die Würde des Menschen ist zu achten und zu schützen. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 36 Einschränkungen von Grundrechten - 1 Einschränkungen von Grundrechten bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. Schwerwiegende Einschränkungen müssen im Gesetz selbst vorgesehen sein. Ausgenommen sind Fälle ernster, unmittelbarer und nicht anders abwendbarer Gefahr. |
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1 | Einschränkungen von Grundrechten bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. Schwerwiegende Einschränkungen müssen im Gesetz selbst vorgesehen sein. Ausgenommen sind Fälle ernster, unmittelbarer und nicht anders abwendbarer Gefahr. |
2 | Einschränkungen von Grundrechten müssen durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein. |
3 | Einschränkungen von Grundrechten müssen verhältnismässig sein. |
4 | Der Kerngehalt der Grundrechte ist unantastbar. |