129 IV 282
43. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Zug gegen X. (Nichtigkeitsbeschwerde) 6S.471/2002 vom 26. Mai 2003
Regeste (de):
- Art. 26 Abs. 2
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 26 - 1 Jedermann muss sich im Verkehr so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet.
1 Jedermann muss sich im Verkehr so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet. 2 Besondere Vorsicht ist geboten gegenüber Kindern, Gebrechlichen und alten Leuten, ebenso wenn Anzeichen dafür bestehen, dass sich ein Strassenbenützer nicht richtig verhalten wird. SR 741.11 Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 (VRV)
VRV Art. 4 Angemessene Geschwindigkeit - (Art. 32 Abs. 1 SVG)
1 Der Fahrzeugführer darf nur so schnell fahren, dass er innerhalb der überblickbaren Strecke halten kann; wo das Kreuzen schwierig ist, muss er auf halbe Sichtweite halten können. 2 und 3 ...44 4 ...45 5 Der Fahrzeugführer darf ohne zwingende Gründe nicht so langsam fahren, dass er einen gleichmässigen Verkehrsfluss hindert. SR 741.11 Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 (VRV)
VRV Art. 29 Warnsignale - (Art. 40 SVG)
1 Der Fahrzeugführer hat sich so zu verhalten, dass akustische Warnsignale oder Lichtsignale möglichst nicht notwendig sind. Er darf solche Signale nur geben, wo die Sicherheit des Verkehrs es erfordert; dies gilt auch für Gefahrenlichter (Art. 109 Abs. 6 und 110 Abs. 3 Bst. b VTS130).131 2 Der Fahrzeugführer hat akustische Warnsignale zu geben, wenn Kinder im Bereich der Strasse nicht auf den Verkehr achten und vor unübersichtlichen, engen Kurven ausserorts. 3 Nach Eintritt der Dunkelheit dürfen nur Lichtsignale gegeben werden. Akustische Warnsignale sind nur in Notfällen zulässig. - Die vom Fahrzeuglenker auf Grund von Art. 26 Abs. 2
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 26 - 1 Jedermann muss sich im Verkehr so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet.
1 Jedermann muss sich im Verkehr so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet. 2 Besondere Vorsicht ist geboten gegenüber Kindern, Gebrechlichen und alten Leuten, ebenso wenn Anzeichen dafür bestehen, dass sich ein Strassenbenützer nicht richtig verhalten wird.
Regeste (fr):
- Art. 26 al. 2 LCR, art. 4 al. 3 et art. 29 al. 2 OCR; devoirs de prudence en présence d'enfants dans la circulation routière.
- La prudence particulière prévue à l'art. 26 al. 2 LCR à l'égard d'un enfant (principe de la méfiance) s'impose au conducteur même si l'enfant est accompagné d'un adulte. Le conducteur peut compter sur un comportement correct de l'enfant désirant traverser la route, seulement si la personne qui accompagne celui-ci le tient de manière reconnaissable par la main ou d'une autre façon (consid. 2 et 3).
Regesto (it):
- Art. 26 cpv. 2 LCStr, art. 4 cpv. 3 e art. 29 cpv. 2 ONC; obblighi di prudenza nei confronti di fanciulli nella circolazione stradale.
- La particolare prudenza verso i fanciulli che, giusta l'art. 26 cpv. 2 LCStr, deve essere usata da parte del conducente di veicoli (principio della diffidenza), deve essere osservata anche se il fanciullo è accompagnato da un adulto. Il conducente può fare affidamento sul comportamento corretto del fanciullo, intenzionato ad attraversare una strada, solamente se la persona che lo accompagna lo tiene manifestamente per la mano oppure in un altro modo altrettanto fermo (consid. 2 e 3).
Sachverhalt ab Seite 282
BGE 129 IV 282 S. 282
A.- Am 30. September 1997 um 16.35 Uhr fuhr X. mit seinem Personenwagen des Typs Range Rover auf der A.strasse in C. talwärts. Etwas oberhalb der rechtsseitigen Einmündung zum B.rain
BGE 129 IV 282 S. 283
standen der fünfjährige Y. und seine Begleiterin, die knapp achtzehnjährige Z., bei der Einmündung einer privaten Zufahrtsstrasse am linken Fahrbahnrand. Die beiden Fussgänger, welche sich zuvor aus der Zufahrtsstrasse genähert hatten, beabsichtigten die A.strasse an dieser Stelle zu überqueren, weil sie auf der anderen Strassenseite in den B.rain einbiegen wollten und weil auf der linken Strassenseite kein Trottoir vorhanden war. Sie warteten einen bergwärts fahrenden Personenwagen ab. Nachdem dieser passiert hatte, sprang Y., der links neben seiner Begleiterin gestanden und sich an einer von dieser mitgeführten Tasche gehalten hatte, plötzlich auf die Strasse. In diesem Moment näherte sich von rechts X. mit einer Geschwindigkeit von 30 bis 40 km/h. Es kam zu einer Kollision zwischen X.s Personenwagen und Y. Das Kind wurde von der Frontpartie des Wagens am Kopf getroffen und auf die Strasse geschleudert. Es verstarb in der Folge an seinen schweren Kopfverletzungen. X. hatte Bremsbereitschaft erstellt, als er die beiden Fussgänger wahrnahm. Im Moment, als Y. zu rennen begann, konnte er die Kollision nicht mehr verhindern. Die Sichtweite der Fussgänger bergwärts, woher sich X. genähert hatte, betrug ungefähr 85 Meter. X. war der Auffassung, mit der Begleiterin von Y. Blickkontakt aufgenommen zu haben, was diese aus ihrer Sicht nicht bestätigen konnte. X. hatte seine Aufmerksamkeit auf Z. gerichtet, nicht aber auf Y. Da das verunfallte Kind auf der linken Seite seiner Begleiterin gestanden hatte, konnte X. nicht feststellen, ob diese das Kind an der Hand hielt; er war jedoch davon ausgegangen, dass dies der Fall sei.
B.- Auf Grund dieses Sachverhalts erhob die Staatsanwaltschaft des Kantons Zug am 9. August 2001 gegen X. Anklage wegen fahrlässiger Tötung. Gestützt auf Art. 66bis
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG) SVG Art. 26 - 1 Jedermann muss sich im Verkehr so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet. |
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1 | Jedermann muss sich im Verkehr so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet. |
2 | Besondere Vorsicht ist geboten gegenüber Kindern, Gebrechlichen und alten Leuten, ebenso wenn Anzeichen dafür bestehen, dass sich ein Strassenbenützer nicht richtig verhalten wird. |
C.- Von der Anklage der fahrlässigen Tötung sprach das Einzelrichteramt des Kantons Zug X. mit Urteil vom 30. Januar 2002 frei. Das Strafgericht des Kantons Zug wies die von der Staatsanwaltschaft gegen den Freispruch erhobene Berufung am 5. Juli 2002 ab und bestätigte den erstinstanzlichen Freispruch.
D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zug erhebt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Strafgerichts vom 5. Juli 2002 sei aufzuheben, und die Sache sei zur Schuldigsprechung des Beschwerdegegners an die Vorinstanz zurückzuweisen.
BGE 129 IV 282 S. 284
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1 Gemäss Art. 117
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 117 - Wer fahrlässig den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 18 - 1 Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben. |
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1 | Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben. |
2 | War dem Täter nicht zuzumuten, das gefährdete Gut preiszugeben, so handelt er nicht schuldhaft. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 18 - 1 Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben. |
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1 | Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben. |
2 | War dem Täter nicht zuzumuten, das gefährdete Gut preiszugeben, so handelt er nicht schuldhaft. |
BGE 129 IV 282 S. 285
des Erfolges erscheinen und so alle anderen mitverursachenden Faktoren - namentlich das Verhalten des Angeschuldigten - in den Hintergrund drängen (BGE 127 IV 34 E. 2a; BGE 122 II 315 E. 3c; BGE 122 IV 17 E. 2c/bb; BGE 121 IV 10 E. 3 und 286 E. 3; BGE 120 IV 300 E. 3e, je mit Hinweisen).
2.2
2.2.1 Der Fahrzeuglenker ist gegenüber dem Fussgänger, der die Strasse ausserhalb eines Fussgängerstreifens zu überqueren beabsichtigt, grundsätzlich vortrittsberechtigt, auch wenn er ihm gemäss Art. 33 Abs. 1
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG) SVG Art. 33 - 1 Den Fussgängern ist das Überqueren der Fahrbahn in angemessener Weise zu ermöglichen.112 |
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1 | Den Fussgängern ist das Überqueren der Fahrbahn in angemessener Weise zu ermöglichen.112 |
2 | Vor Fussgängerstreifen hat der Fahrzeugführer besonders vorsichtig zu fahren und nötigenfalls anzuhalten, um den Fussgängern den Vortritt zu lassen, die sich schon auf dem Streifen befinden oder im Begriffe sind, ihn zu betreten.113 |
3 | An den Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel ist auf ein- und aussteigende Personen Rücksicht zu nehmen. |
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG) SVG Art. 26 - 1 Jedermann muss sich im Verkehr so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet. |
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1 | Jedermann muss sich im Verkehr so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet. |
2 | Besondere Vorsicht ist geboten gegenüber Kindern, Gebrechlichen und alten Leuten, ebenso wenn Anzeichen dafür bestehen, dass sich ein Strassenbenützer nicht richtig verhalten wird. |
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG) SVG Art. 26 - 1 Jedermann muss sich im Verkehr so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet. |
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1 | Jedermann muss sich im Verkehr so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet. |
2 | Besondere Vorsicht ist geboten gegenüber Kindern, Gebrechlichen und alten Leuten, ebenso wenn Anzeichen dafür bestehen, dass sich ein Strassenbenützer nicht richtig verhalten wird. |
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG) SVG Art. 26 - 1 Jedermann muss sich im Verkehr so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet. |
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1 | Jedermann muss sich im Verkehr so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet. |
2 | Besondere Vorsicht ist geboten gegenüber Kindern, Gebrechlichen und alten Leuten, ebenso wenn Anzeichen dafür bestehen, dass sich ein Strassenbenützer nicht richtig verhalten wird. |
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG) SVG Art. 26 - 1 Jedermann muss sich im Verkehr so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet. |
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1 | Jedermann muss sich im Verkehr so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet. |
2 | Besondere Vorsicht ist geboten gegenüber Kindern, Gebrechlichen und alten Leuten, ebenso wenn Anzeichen dafür bestehen, dass sich ein Strassenbenützer nicht richtig verhalten wird. |
BGE 129 IV 282 S. 286
sich Kinder, Gebrechliche oder alte Personen unkorrekt verhalten werden (BGE 104 IV 28 E. 3c; BGE 115 IV 239 E. 2; RAPHAEL VON WERRA, Du principe de la confiance dans le droit de la circulation routière ..., ZWR 4/1970 S. 200). In der deutschen Lehre wird in diesem Zusammenhang von einem Misstrauensgrundsatz gesprochen, der folgenden Inhalt hat: "Eine Begegnung mit einem Kind im Alter bis zu 10 Jahren ist in der Regel so gefährlich, dass der Kraftfahrer, unabhängig vom mutmasslichen Verhalten des Kindes, von sich aus alles tun muss, um einen Unfall zu verhüten." [KLAUS KIRSCHBAUM, Der Vertrauensschutz im deutschen Strassenverkehrsrecht, Diss. Berlin 1980, S. 249]). Gegenüber den im Gesetz aufgezählten Personen bedarf es umgekehrt besonderer Umstände, welche positiv für ein begrenztes Vertrauen in deren ordnungsgemässes Verhalten im Verkehr sprechen (BGE 115 IV 239; vgl. auch SCHAFFHAUSER, Grundriss des Schweizerischen Strassenverkehrsrechts, 2. Aufl., 2002, Bd. I, N. 441).
Besondere Vorsicht gegenüber Kindern im Strassenverkehr schreiben auch Art. 4 Abs. 3
SR 741.11 Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 (VRV) VRV Art. 4 Angemessene Geschwindigkeit - (Art. 32 Abs. 1 SVG) |
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1 | Der Fahrzeugführer darf nur so schnell fahren, dass er innerhalb der überblickbaren Strecke halten kann; wo das Kreuzen schwierig ist, muss er auf halbe Sichtweite halten können. |
2 | und 3 ...44 |
4 | ...45 |
5 | Der Fahrzeugführer darf ohne zwingende Gründe nicht so langsam fahren, dass er einen gleichmässigen Verkehrsfluss hindert. |
SR 741.11 Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 (VRV) VRV Art. 29 Warnsignale - (Art. 40 SVG) |
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1 | Der Fahrzeugführer hat sich so zu verhalten, dass akustische Warnsignale oder Lichtsignale möglichst nicht notwendig sind. Er darf solche Signale nur geben, wo die Sicherheit des Verkehrs es erfordert; dies gilt auch für Gefahrenlichter (Art. 109 Abs. 6 und 110 Abs. 3 Bst. b VTS130).131 |
2 | Der Fahrzeugführer hat akustische Warnsignale zu geben, wenn Kinder im Bereich der Strasse nicht auf den Verkehr achten und vor unübersichtlichen, engen Kurven ausserorts. |
3 | Nach Eintritt der Dunkelheit dürfen nur Lichtsignale gegeben werden. Akustische Warnsignale sind nur in Notfällen zulässig. |
2.2.2 Der gesetzlichen Regelung der Sorgfaltspflichten gegenüber Kindern liegt die entwicklungspsychologische Tatsache zu
BGE 129 IV 282 S. 287
Grunde, dass Kinder wenigstens bis zu einem gewissen Alter gar nicht oder nur sehr beschränkt in der Lage sind, die Gefahren des Verkehrs kognitiv zu verarbeiten. Untersuchungen geben Anlass zur Annahme, dass Kinder zum Teil bis zu zwölf Jahren typische Verkehrsgefahren überhaupt nicht verstehen (vgl. SCHAFFHAUSER, a.a.O., N. 443, mit Hinweisen). Kinder verfügen über ein engeres Blickfeld als Erwachsene. Sie können bewegte Objekte im Raum wahrnehmungsmässig nicht miteinander koordinieren und ihr Wahrnehmungsprozess ist gegenüber demjenigen Erwachsener verlangsamt. Unabhängig von ihren kognitiven Fähigkeiten sind Kinder ausserdem in ihrem Verhalten sprunghaft und in besonderem Masse unberechenbar; sie beherrschen ihren Körper nur beschränkt und neigen zu unvorhersehbaren Spontanreaktionen auf innere und äussere Reize (vgl. SCHAFFHAUSER, ebd., mit Hinweisen). Trotz des besonderen normativen Schutzes, den der Gesetzgeber Kindern im Strassenverkehr gewährt, gehören Kinder zwischen 4 und 14 Jahren zu derjenigen Fussgängergruppe, die im Strassenverkehr anteilsmässig am häufigsten Opfer schwerer oder tödlicher Verletzungen wird (vgl. Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK, Bundesamt für Strassen ASTRA: Erarbeitung der Grundlagen für eine Verkehrssicherheitspolitik des Bundes, 2002, Schlussbericht, S. 29).
3.
3.1 Die Vorinstanz spricht den Lenker mit der Begründung frei, das verunfallte Kind sei kein Kind im Sinne von Art. 26 Abs. 2
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG) SVG Art. 26 - 1 Jedermann muss sich im Verkehr so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet. |
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1 | Jedermann muss sich im Verkehr so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet. |
2 | Besondere Vorsicht ist geboten gegenüber Kindern, Gebrechlichen und alten Leuten, ebenso wenn Anzeichen dafür bestehen, dass sich ein Strassenbenützer nicht richtig verhalten wird. |
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG) SVG Art. 26 - 1 Jedermann muss sich im Verkehr so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet. |
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1 | Jedermann muss sich im Verkehr so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet. |
2 | Besondere Vorsicht ist geboten gegenüber Kindern, Gebrechlichen und alten Leuten, ebenso wenn Anzeichen dafür bestehen, dass sich ein Strassenbenützer nicht richtig verhalten wird. |
BGE 129 IV 282 S. 288
den vorinstanzlichen Feststellungen teilweise nicht deckt (Art. 277bis Abs. 1
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG) SVG Art. 26 - 1 Jedermann muss sich im Verkehr so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet. |
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1 | Jedermann muss sich im Verkehr so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet. |
2 | Besondere Vorsicht ist geboten gegenüber Kindern, Gebrechlichen und alten Leuten, ebenso wenn Anzeichen dafür bestehen, dass sich ein Strassenbenützer nicht richtig verhalten wird. |
3.2 Anknüpfungspunkt für die Anwendung von Art. 26 Abs. 2
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG) SVG Art. 26 - 1 Jedermann muss sich im Verkehr so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet. |
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1 | Jedermann muss sich im Verkehr so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet. |
2 | Besondere Vorsicht ist geboten gegenüber Kindern, Gebrechlichen und alten Leuten, ebenso wenn Anzeichen dafür bestehen, dass sich ein Strassenbenützer nicht richtig verhalten wird. |
3.3 In Bezug auf das Unfallgeschehen stellt die Vorinstanz Folgendes fest: Der Lenker fuhr auf einer wenig befahrenen Innerortsstrasse auf ein kleines Kind und eine knapp achtzehnjährige Begleiterin zu, die als Fussgänger am linken Strassenrand standen. Auf
BGE 129 IV 282 S. 289
dieser Seite war kein Trottoir vorhanden. Das Kind stand links neben, aus Sicht des Lenkers also hinter seiner Begleiterin und war somit für ihn wenigstens teilweise verdeckt. Die beiden Fussgänger wollten die Fahrbahn erkennbar überqueren. Der Lenker mässigte sein Tempo und erstellte Bremsbereitschaft. Das Kind achtete nicht auf den Verkehr, insbesondere nicht auf das sich von rechts nahende Fahrzeug. Der Lenker seinerseits konzentrierte sich auf die Begleiterin, nicht aber auf das Kind. Er ging davon aus, mit der Begleiterin Sichtkontakt aufgenommen zu haben - was diese allerdings nicht bestätigte -, und er nahm fälschlicherweise im Weiteren an, das Kind werde von seiner Begleiterin an der Hand gehalten. Als es für die Erwachsenen überraschend auf die Strasse rannte, konnte der Lenker die für das Kind tödliche Kollision nicht mehr verhindern. Obwohl der Lenker eine gewisse Vorsicht aufbrachte, indem er sein Tempo mässigte und Bremsbereitschaft erstellte, ist ihm eine Sorgfaltspflichtverletzung vorzuwerfen. Er hätte nicht nur auf die Begleiterin achten dürfen, sondern sich auch auf das Kind konzentrieren müssen. Insbesondere hätte er nicht davon ausgehen dürfen, die Begleiterin halte es fest, ohne sich Rechenschaft darüber abzulegen, ob dies tatsächlich der Fall sei. Ebenso wenig berücksichtigte er, dass das Kind nicht auf ihn achtete. Unter diesen Umständen hätte er nicht darauf vertrauen dürfen, dass sich das Kind, welches die Strasse erkennbar überqueren wollte, richtig verhalten werde. Er wäre deshalb verpflichtet gewesen, die zweideutige Situation wenigstens mit einem Warnsignal zu klären oder gar sein Tempo so weit zu mässigen, dass er vor den Fussgängern hätte anhalten können. Das überraschende Hervorspringen des Kindes entspricht demjenigen Verhalten, welches Art. 26 Abs. 2
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG) SVG Art. 26 - 1 Jedermann muss sich im Verkehr so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet. |
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1 | Jedermann muss sich im Verkehr so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet. |
2 | Besondere Vorsicht ist geboten gegenüber Kindern, Gebrechlichen und alten Leuten, ebenso wenn Anzeichen dafür bestehen, dass sich ein Strassenbenützer nicht richtig verhalten wird. |
3.4 Aufgrund der Akten und des angefochtenen Entscheids kann ein Mitverschulden der Begleiterin des Kindes nicht ausgeschlossen werden. Ihr Verhalten - das Kind nicht fest zu halten - war unter den gegebenen örtlichen Verhältnissen als mögliches Drittverschulden jedoch nicht derart ungewöhnlich, dass der Lenker damit überhaupt nicht hätte rechnen müssen. Aus Art. 26 Abs. 2
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG) SVG Art. 26 - 1 Jedermann muss sich im Verkehr so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet. |
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1 | Jedermann muss sich im Verkehr so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet. |
2 | Besondere Vorsicht ist geboten gegenüber Kindern, Gebrechlichen und alten Leuten, ebenso wenn Anzeichen dafür bestehen, dass sich ein Strassenbenützer nicht richtig verhalten wird. |
BGE 129 IV 282 S. 290
vertrauen darf, der andere werde eine Gefährdung des Kindes ausschliessen, wenn er sich darüber keine Gewissheit verschaffen kann.
3.5 Die Vorinstanz macht zur Begründung ihres freisprechenden Entscheides im Weiteren geltend, dass der Strassenverkehr zusammenbrechen würde, wenn der Fahrzeuglenker auf das richtige Verhalten begleiteter Kinder nicht vertrauen dürfte. Sie bezieht sich damit indirekt auf die dogmatische Figur des so genannten erlaubten Risikos, wonach die Anforderungen an die Sorgfalt bei der Ausübung einer gesellschaftlich tolerierten und nützlichen, aber gefährlichen Tätigkeit nicht so hoch angesetzt werden dürfen, dass die Tätigkeit als solche nicht mehr ausgeübt werden könnte, wenn die Sorgfaltspflichten erfüllt würden. Die Befürchtung der Vorinstanz, der Strassenverkehr könnte durch allzu weitgehende Vorsichtspflichten der Fahrzeuglenker übermässig erschwert werden, ist verständlich. Allerdings hält der Gesetzgeber die erhöhten Schutzbedürfnisse von Kindern und die Gewährleistung des Verkehrsflusses für vereinbar, und das Leben und die Unversehrtheit der Kinder ist ein wichtigeres Rechtsgut als der ungestörte Verkehrsfluss. Im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass die vorstehend dargelegte Sorgfaltspflicht des Automobilisten gegenüber begleiteten Kindern den Strassenverkehr zum Erliegen bringen könnte. Schliesslich ist bei der Bemessung der Sorgfaltspflicht auf die konkreten Umstände abzustellen. Der vorliegend zu beurteilende Unfall ereignete sich auf einer wenig befahrenen Innerortsstrasse. Es kann nicht angenommen werden, dass der Lenker den Verkehrsfluss behindert oder dritte Verkehrsteilnehmer gefährdet hätte, wenn er gehupt oder sein Tempo weiter verlangsamt oder gar angehalten hätte.
3.6 Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist demnach gutzuheissen und das angefochtene Urteil aufzuheben.