116 II 243
44. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 12. Juli 1990 i.S. E.O.-C. gegen N. und G.O. (Berufung)
Regeste (de):
- Erbrechtliche Herabsetzung.
- 1. Herabsetzbarkeit einer unter der Herrschaft des alten Eherechts erfolgten ehevertraglichen Zuweisung des Vorschlags an den überlebenden Ehegatten (Bestätigung der Rechtsprechung). Einredeweise Geltendmachung im Erbteilungsprozess zugelassen, obwohl sich die Nachkommen dem ihnen von der Vormundschaftsbehörde vorgelegten Ehevertrag seinerzeit nicht widersetzt hatten (E. 3).
- 2. Die in Erfüllung einer sittlichen Pflicht erfolgten Zuwendungen unterliegen der Herabsetzung (E. 4).
Regeste (fr):
- Réduction successorale.
- 1. Réductibilité d'une attribution, par contrat de mariage passé sous l'empire de l'ancien droit matrimonial, du bénéfice de l'union conjugale au conjoint survivant (confirmation de la jurisprudence). Admission de l'exception soulevée en ce sens dans le procès en partage, alors même que les héritiers ne s'étaient pas opposés au contrat de mariage lorsqu'il leur avait été soumis par l'autorité tutélaire (consid. 3).
- 2. Les attributions faites en accomplissement d'un devoir moral sont soumises à réduction (consid. 4).
Regesto (it):
- Riduzione successoria.
- 1. È soggetta a riduzione un'attribuzione, mediante convenzione matrimoniale stipulata sotto la vigenza del diritto matrimoniale precedente, dell'aumento al coniuge superstite (conferma della giurisprudenza). È accolta l'eccezione sollevata in questo senso nella procedura di divisione, benché gli eredi non si fossero a suo tempo opposti alla convenzione matrimoniale, quando questa era stata loro sottoposta dell'autorità tutoria (consid. 3).
- 2. Le attribuzioni fatte in adempimento di un dovere morale sono soggette a riduzione (consid. 4).
Sachverhalt ab Seite 243
BGE 116 II 243 S. 243
Die Eheleute Elsa und Franz O.-C. schlossen am 6. Juli 1973 einen in der Folge von der Vormundschaftsbehörde genehmigten Ehevertrag ab. Darin wurde unter anderem die gesetzliche Regelung der Vorschlagsteilung dahin abgeändert, dass der bei der Auflösung der Ehe infolge Todes anfallende Vorschlag zu zwei
BGE 116 II 243 S. 244
Dritteln dem überlebenden Ehegatten und zu einem Drittel den Erben des verstorbenen Gatten gehören soll. Franz O. verfasste darauf am 22. Juli 1973 eine eigenhändige letztwillige Verfügung, in der er seiner Gattin bestimmte Vermögenswerte zu Alleineigentum zuwies; ferner verfügte er, dass seine Liegenschaft im Sinne einer Teilungsvorschrift ebenfalls seiner Gattin zufallen solle, wobei er als Anrechnungswert den amtlich festgesetzten Verkehrswert, ermässigt um dessen vierten Teil, vorsah. Schliesslich setzte er seine Nachkommen zugunsten der überlebenden Gattin auf den gesetzlichen Pflichtteil und verwies im übrigen auf den Ehevertrag. Am 8. August 1985 verstarb Franz O. Neben seiner Ehefrau hinterliess er als gesetzliche Erben seine beiden aus erster Ehe hervorgegangenen Kinder. Nachdem sich die Erben bei der Teilung des Nachlasses nicht einigen konnten, gelangten die Nachkommen des Verstorbenen mit Erbteilungsklage an das Bezirksgericht A. Das angerufene Gericht und, in zweiter Instanz, das Kantonsgericht von Graubünden errechneten den Nachlass des Verstorbenen und bestimmten die auf die einzelnen Erben entfallenden Pflichtteile. Die Beklagte hat gegen das Urteil des Kantonsgerichts Berufung an das Bundesgericht erhoben.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3. Die Beklagte vermag mit ihrer Berufung insoweit nicht durchzudringen, als sie darin behauptet, die von den Klägern einredeweise geltend gemachte Herabsetzung sei in Verletzung von Art. 533 Abs. 3
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 533 - 1 Die Herabsetzungsklage verjährt mit Ablauf eines Jahres von dem Zeitpunkt an gerechnet, da die Erben von der Verletzung ihrer Rechte Kenntnis erhalten haben, und in jedem Fall mit Ablauf von zehn Jahren, die bei den letztwilligen Verfügungen von dem Zeitpunkte der Eröffnung, bei den andern Zuwendungen aber vom Tode des Erblassers an gerechnet werden. |
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1 | Die Herabsetzungsklage verjährt mit Ablauf eines Jahres von dem Zeitpunkt an gerechnet, da die Erben von der Verletzung ihrer Rechte Kenntnis erhalten haben, und in jedem Fall mit Ablauf von zehn Jahren, die bei den letztwilligen Verfügungen von dem Zeitpunkte der Eröffnung, bei den andern Zuwendungen aber vom Tode des Erblassers an gerechnet werden. |
2 | Ist durch Ungültigerklärung einer späteren Verfügung eine frühere gültig geworden, so beginnen die Fristen mit diesem Zeitpunkte. |
3 | Einredeweise kann der Herabsetzungsanspruch jederzeit geltend gemacht werden. |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 2 - 1 Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln. |
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1 | Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln. |
2 | Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz. |
BGE 116 II 243 S. 245
Die Pflichtteilsrechte der Nachkommen sind somit bei der güterrechtlichen Begünstigung des überlebenden Ehegatten zu wahren und es muss ihnen die rechtliche Möglichkeit zur Durchsetzung ihrer Ansprüche geboten werden. Dass der güterrechtliche Anspruch der Ehefrau auf Beteiligung am Vorschlag in einer entsprechenden Geldforderung gegen den Nachlass des verstorbenen Ehemannes besteht und sie nicht die Zuweisung von Vermögensstücken der Errungenschaft verlangen kann (BGE 100 II 73 E. 2b), vermag daran - entgegen den Vorbringen in der Berufung - nichts zu ändern. Dabei ist insbesondere auch nicht einzusehen, inwiefern die Kläger gegen Art. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 2 - 1 Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln. |
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1 | Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln. |
2 | Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz. |
4. Der Erblasser errichtete am 4. November 1982 eine Lebensversicherung auf den Namen der Beklagten über rund Fr. 70'000.-- und eröffnete ihr zwecks Finanzierung ein entsprechendes Prämienkonto. Des weiteren hat er ihr ein Sparheft der Raiffeisenkasse Bergün/Bravuogn mit einer Einlage von Fr. 12'848.-- übergeben. Das Kantonsgericht hat beide Zuwendungen als Schenkungen qualifiziert und der Herabsetzung unterstellt, nachdem es insbesondere bezüglich des Sparhefts zur Überzeugung gelangt ist, es könne sich dabei nicht um eine Entschädigung für geleistete Arbeit handeln. a) Die Beklagte bestreitet nicht mehr, dass die Einmaleinlage zur Bezahlung ihrer Lebensversicherung direkt vom Erblasser entrichtet worden ist. Sie hält indessen dafür, es habe sich dabei nicht um eine Schenkung, sondern um die Erfüllung einer sittlichen Pflicht gehandelt, die der Herabsetzung nicht unterliege. Im
BGE 116 II 243 S. 246
übrigen lauteten Sparheft und Lebensversicherung bereits auf ihren Namen; sie könne frei darüber verfügen, weshalb die von der Rechtsprechung umschriebenen Voraussetzungen der Herabsetzung nicht erfüllt seien. b) Ob es sich bei den genannten Zuwendungen um Schenkungen oder um Leistungen aufgrund einer moralischen Verpflichtung handle, kann aufgrund der vorhandenen Feststellungen nicht abschliessend beurteilt werden. Diesbezüglich müsste die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen werden. Dazu besteht indessen vorliegend keine Veranlassung. Die Rechtsprechung hat vor geraumer Zeit bereits festgehalten, dass sich die Frage der Herabsetzung stets nach Erbrecht beurteile und dabei nicht darauf abgestellt werden dürfe, aus welchen Gründen die strittige Zuwendung gemacht worden sei. Das Bundesgericht hat damit auch die in Erfüllung einer sittlichen Pflicht erbrachten Zuwendungen entgegen Art. 239 Abs. 3
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 239 - 1 Als Schenkung gilt jede Zuwendung unter Lebenden, womit jemand aus seinem Vermögen einen andern ohne entsprechende Gegenleistung bereichert. |
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1 | Als Schenkung gilt jede Zuwendung unter Lebenden, womit jemand aus seinem Vermögen einen andern ohne entsprechende Gegenleistung bereichert. |
2 | Wer auf sein Recht verzichtet, bevor er es erworben hat, oder eine Erbschaft ausschlägt, hat keine Schenkung gemacht. |
3 | Die Erfüllung einer sittlichen Pflicht wird nicht als Schenkung behandelt. |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 208 - 1 Zur Errungenschaft hinzugerechnet werden: |
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1 | Zur Errungenschaft hinzugerechnet werden: |
1 | unentgeltliche Zuwendungen, die ein Ehegatte während der letzten fünf Jahre vor Auflösung des Güterstandes ohne Zustimmung des andern Ehegatten gemacht hat, ausgenommen die üblichen Gelegenheitsgeschenke; |
2 | Vermögensentäusserungen, die ein Ehegatte während der Dauer des Güterstandes vorgenommen hat, um den Beteiligungsanspruch des andern zu schmälern. |
2 | ...240 |
BGE 116 II 243 S. 247
Erbrechts, 2. A. 1976, S. 118, sowie DRUEY, Grundriss des Erbrechts, 2. A. 1988, § 6, Rz. 72, S. 67; vgl. auch JÖRG ALAIN SCHWARZ, Die Herabsetzung gemäss Art. 527 Ziff. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 527 - Der Herabsetzung unterliegen wie die Verfügungen von Todes wegen: |
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1 | die Zuwendungen auf Anrechnung an den Erbteil, als Heiratsgut, Ausstattung oder Vermögensabtretung, wenn sie nicht der Ausgleichung unterworfen sind; |
2 | die Erbabfindungen und Auskaufsbeträge; |
3 | die Schenkungen, die der Erblasser frei widerrufen konnte, oder die er während der letzten fünf Jahre vor seinem Tode ausgerichtet hat, mit Ausnahme der üblichen Gelegenheitsgeschenke; |
4 | die Entäusserung von Vermögenswerten, die der Erblasser offenbar zum Zwecke der Umgehung der Verfügungsbeschränkung vorgenommen hat. |
c) Das Kantonsgericht hat schliesslich zutreffend festgehalten, dass die Herabsetzungseinrede rechtsgültig erhoben worden ist. Dass sowohl die Lebensversicherung als auch das Sparheft bereits auf den Namen der Beklagten lauten, kann der Herabsetzbarkeit der entsprechenden Zuwendung nicht entgegenstehen, selbst wenn sie bloss einredeweise geltend gemacht wird. Vorliegend ist die Beklagte mit einem eigenen Teilungsbegehren gegen die Kläger aufgetreten. Wie bereits festgehalten worden ist, darf die Herabsetzungseinrede auch im Teilungsprozess erhoben werden (BGE 103 II 93; BGE 58 II 404 f.), zumal die Kläger als gesetzliche Erben mit dem Tod des Erblassers Mitbesitz und Gesamteigentum am Nachlass erlangt haben. Im Rahmen der Teilung dieses Nachlasses muss es ihnen daher möglich sein, dem gegen sie gerichteten Begehren insofern entgegenzutreten, als der Erblasser seine Verfügungsfreiheit durch Begünstigung der ihrerseits Ansprüche geltend machenden Beklagten überschritten hat. Die gegenteilige Auffassung der Beklagten würde dazu führen, dass die Einrede der Herabsetzung stets dann versagt bliebe, wenn die fragliche Verfügung bereits vollzogen worden wäre und sich die davon erfassten Vermögenswerte nicht mehr im Nachlass befänden. Diese Sichtweise mag sich aus dem Wesen der Einrede ergeben, doch wird sie der besonderen Situation im Erbteilungsprozess nicht gerecht; dort gilt es zu berücksichtigen, dass von sämtlichen Erben weitere Ansprüche geltend gemacht werden, gegenüber denen die Einrede gemäss Art. 527
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 527 - Der Herabsetzung unterliegen wie die Verfügungen von Todes wegen: |
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1 | die Zuwendungen auf Anrechnung an den Erbteil, als Heiratsgut, Ausstattung oder Vermögensabtretung, wenn sie nicht der Ausgleichung unterworfen sind; |
2 | die Erbabfindungen und Auskaufsbeträge; |
3 | die Schenkungen, die der Erblasser frei widerrufen konnte, oder die er während der letzten fünf Jahre vor seinem Tode ausgerichtet hat, mit Ausnahme der üblichen Gelegenheitsgeschenke; |
4 | die Entäusserung von Vermögenswerten, die der Erblasser offenbar zum Zwecke der Umgehung der Verfügungsbeschränkung vorgenommen hat. |