116 Ia 242
40. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 3. Oktober 1990 i.S. B. und Mitbeteiligte gegen Gemeinde Laax und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste (de):
- Art. 85 lit. a
OG; Wahl eines Primarlehrers in den Gemeindevorstand, Gemeinde Laax/GR; Unvereinbarkeits- und Ausstandsregelung.
- 1. Das politische Stimmrecht umfasst das aktive und das passive Wahlrecht, eingeschlossen das Recht des Bürgers, dass ein öffentliches Amt nur mit Personen besetzt wird, die in sich keine Unvereinbarkeitsgründe erfüllen (E. 1a).
- 2. Unvereinbarkeitsvorschriften unterstehen an sich der freien Kognition des Bundesgerichts. Dabei ist zwischen den durch die Unvereinbarkeitsvorschriften verfolgten Zielen, insbesondere die Unabhängigkeit der Behördenmitglieder zu garantieren, und den Mitteln zu unterscheiden, mit denen diese Ziele erreicht werden sollen. Das Bundesgericht hat sich zurückzuhalten, wenn es die Auswahl der Mittel überprüft, soweit diese von örtlichen Umständen abhängen, die zu würdigen in erster Linie den Kantonen obliegt (E. 1b).
- 3. Da nicht der Gemeindevorstand von Laax, der zwar zusammen mit dem Schulrat Wahlbehörde der Lehrer dieser Gemeinde ist (Art. 46 der Gemeindeverfassung), sondern der Schulrat allein unmittelbare Aufsichtsbehörde gegenüber den Lehrern ist (Art. 60/61 Schulgesetz/GR), kann ein Lehrer dem Gemeindevorstand angehören (Art. 21 Gemeindegesetz/GR), allerdings nicht als Leiter des Schulwesens. Ob er bei den die Lehrer betreffenden Geschäften ausstandspflichtig ist, muss im Einzelfall beurteilt werden; ausstandspflichtig ist er jedenfalls bei seiner eigenen Wahl als Lehrer sowie bei Geschäften, die ihm nahestehende Personen betreffen (E. 2-4).
Regeste (fr):
- Art. 85 let. a OJ; élection d'un instituteur à la Municipalité de Laax/GR; règles d'incompatibilité et de récusation.
- 1. Le droit de vote comprend celui d'élire et d'être élu, y compris le droit pour le citoyen d'obtenir qu'une fonction publique ne soit occupée que par des personnes qui ne soient pas frappées par une cause d'incompatibilité (consid. 1a).
- 2. Le Tribunal fédéral examine avec une pleine cognition les prescriptions relatives à l'incompatibilité. Dans ce domaine, il faut distinguer les buts visés par ces prescriptions, en particulier la garantie d'indépendance des membres des autorités, des moyens mis en oeuvre pour y parvenir. Le Tribunal fédéral fait preuve de retenue dans l'examen du choix de ces moyens, lorsqu'il dépend de circonstances locales dont l'appréciation incombe en premier lieu aux cantons (consid. 1b).
- 3. Certes, la Municipalité de Laax élit les instituteurs de cette commune, conjointement avec le conseil scolaire (art. 46 de la constitution communale); en revanche, seul ce dernier fonctionne directement comme autorité de surveillance des instituteurs (art. 60/61 de la loi sur l'école/GR). Dès lors, un enseignant peut faire partie de la Municipalité (art. 21 de la loi sur les communes/GR), mais pas en tant que chef de l'instruction publique. La question de savoir s'il doit se récuser dans les affaires concernant les enseignants doit être examinée de cas en cas; il doit en tout cas se récuser lors de sa propre élection en tant qu'instituteur, et dans les affaires concernant ses proches (consid. 2-4).
Regesto (it):
- Art. 85 lett. a
OG; elezione di un maestro di scuola elementare nel municipio di Laax/GR; norme relative all'incompatibilità e al dovere d'astensione.
- 1. Il diritto di voto comprende l'elettorato attivo e passivo, incluso il diritto del cittadino a che una funzione pubblica sia occupata solo da persone esenti da una causa d'incompatibilità (consid. 1a).
- 2. Il Tribunale federale esamina con piena cognizione le disposizioni concernenti l'incompatibilità. In tale ambito occorre distinguere tra i fini perseguiti da queste norme, in particolare la garanzia d'indipendenza dei membri delle autorità, e i mezzi utilizzati per realizzarli. Il Tribunale federale s'impone un certo riserbo nell'esame dei mezzi scelti, laddove la scelta dipenda da circostanze locali il cui apprezzamento incombe in primo luogo ai cantoni (consid. 1b).
- 3. Se è vero che il municipio di Laax nomina i maestri di tale comune, congiuntamente con il consiglio scolastico (art. 46 della costituzione comunale), solo quest'ultimo funge invece direttamente come autorità di vigilanza sui maestri (art. 60/61 della legge scolastica GR). Un maestro può quindi far parte del municipio (art. 21 della legge sui comuni GR), ma non quale capo del dicastero dell'istruzione pubblica. La questione se debba astenersi negli affari riguardanti i maestri va esaminata di caso in caso; egli deve comunque astenersi in occasione della propria nomina quale maestro e negli affari concernenti le persone a lui vicine (consid. 2-4).
Sachverhalt ab Seite 244
BGE 116 Ia 242 S. 244
D. wohnt in Laax, wo er seit Herbst 1980 als Primarlehrer tätig ist. Die Gemeindeversammlung vom 7. April 1990 wählte ihn mit Amtsantritt am 1. Juni 1990 in den Gemeindevorstand. Gegen diese Wahl erhoben B. und Mitbeteiligte beim Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden Beschwerde, mit der sie geltend machten, D. fehle das passive Wahlrecht; als Primarschullehrer sei er aus Gründen der Unvereinbarkeit nicht in den Gemeindevorstand wählbar. Die Gemeinde beantragte, die Beschwerde sei gutzuheissen. Das Verwaltungsgericht wies diese jedoch am 29. Mai 1990 ab, soweit es darauf eintrat. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus, die Rollenverteilung im Gemeindevorstand lasse sich derart organisieren, dass der Lehrer nicht in seiner eigenen Aufsichtsbehörde amte.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 11. Juli 1990 beantragen B. und Mitbeteiligte, das - ihnen am 11. Juni 1990 mitgeteilte - Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden vom 29. Mai 1990 sei aufzuheben. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit auf sie eingetreten werden kann.
Erwägungen
Erwägungen:
1. a) Das politische Stimmrecht umfasst das aktive und das passive Wahlrecht (BGE 91 I 192 E. 1a), eingeschlossen das Recht des Bürgers, dass ein öffentliches Amt nur mit Personen besetzt wird, die in sich keine Unvereinbarkeitsgründe erfüllen (vgl. BGE 114 Ia 395 ff., BGE 89 I 77). Als Stimmbürger der Gemeinde Laax sind die Beschwerdeführer legitimiert, dieses Recht mit Stimmrechtsbeschwerde als verletzt zu rügen (Art. 85 lit. a

BGE 116 Ia 242 S. 245
Urteil des Bundesgerichts vom 8. August 1989 i.S. Anthamatten, E. 2). Dabei ist zwischen den durch die Unvereinbarkeitsklauseln verfolgten Zielen, insbesondere die Unabhängigkeit der Behördenmitglieder zu garantieren, und den Mitteln zu unterscheiden, mit denen diese Ziele erreicht werden sollen. Das Bundesgericht hat sich zurückzuhalten, wenn es die Auswahl der Mittel überprüft, soweit diese von örtlichen Umständen abhängen, die zu würdigen in erster Linie den Kantonen obliegt (BGE 114 Ia 404 f. E. 7c).
2. a) Die Bündner Gemeinden sind befugt, sich Verfassungen zu geben, welche jedoch "den Bundes- und Kantonsgesetzen ... nicht zuwider sein dürfen" (Art. 40 Abs. 2 der Verfassung für den Kanton Graubünden vom 2. Oktober 1892 [KV]; vgl. Art. 2







b) Im vorstehend aufgezeigten kantonalen Rahmen bestimmt die Gemeindeverfassung von Laax vom 23. März 1973 (GV), dass jeder Stimmberechtigte in eine Gemeindebehörde gewählt werden kann, sofern die Wählbarkeit nicht durch ein Strafgerichtsurteil eingeschränkt ist (Art. 7 Abs. 1

BGE 116 Ia 242 S. 246
Ausstandspflicht, ebenfalls bei einem "unmittelbaren persönlichen Interesse" (Art. 9 Abs. 1










c) Zu entscheiden ist somit, ob ein Lehrer, der Gemeindeangestellter ist, als Mitglied in einem Gemeindevorstand mitwirken darf, obwohl diese Behörde an der Wahl und Entlassung der Lehrkräfte beteiligt ist. Diese Frage stellt sich, weil ein Gemeindeangestellter der ihm unmittelbar vorgesetzten Behörde nicht angehören darf. Das Verwaltungsgericht bejaht die Frage dem Grundsatze nach, weil der Lehrer praxisgemäss eine besondere Stellung einnehme. Er sei nur in beschränktem Rahmen Gemeindeangestellter, weil er eigenen Aufsichtsorganen, namentlich dem Schulrat, unterstehe. Ausserdem werde seine besondere Stellung durch seine Funktion, die Arbeitszeit und die kantonal geregelte Mindestbesoldung deutlich. Wohl sei der Schulrat gemeinsam mit dem Gemeindevorstand Wahlbehörde. Aber die Ausstandsregelung gewährleiste, dass der Lehrer bei sämtlichen Lehrerwahlen in den Ausstand treten müsse. Seine Stellung unterscheide sich in dieser Situation in keiner Weise von jener des Rechtsvertreters einer Partei oder des Mitgliedes des Verwaltungsrates einer juristischen Person (Art. 9 Abs. 2

BGE 116 Ia 242 S. 247
Sache des Schulrates, auch wenn sich bisher möglicherweise der Gemeindevorstand hier gesetzwidrig eingemischt haben sollte. Es sei möglich, dem in den Gemeindevorstand gewählten Lehrer eine der sechs anderen Verwaltungsabteilungen anzuvertrauen, allenfalls über die Ermächtigung zur Abweichung bei besonderen Verhältnissen (Art. 40 Abs. 2

3. Dass allein der Schulrat die Lehrer beaufsichtigt (Art. 60/61 SchG), ist unbestritten. Die Beschwerdeführer erachten die Vorgesetztenrolle des Gemeindevorstandes trotzdem als gegeben. Soweit sie sich dabei auf das kantonale Unvereinbarkeitsgesetz berufen, überzeugt ihr Argument von vornherein nicht; dieses Gesetz bezieht sich offensichtlich nur auf Beamte und Angestellte des Kantons (Art. 3 des Gesetzes über die Unvereinbarkeit von Ämtern im Kanton Graubünden vom 3. März 1968). Das Hauptproblem besteht im Einwand der Beschwerdeführer, der Gemeindevorstand beeinflusse das Anstellungsverhältnis der Lehrer trotzdem entscheidend, weil er über die Wahl oder Entlassung der einzelnen Lehrer befinde. a) Das Verwaltungsgericht will diese letztgenannte Rüge damit entkräften, der in den Gemeindevorstand gewählte Lehrer müsse bei sämtlichen Lehrerwahlen in den Ausstand treten; seine Stellung gleiche derjenigen des Rechtsvertreters einer Partei oder des Mitgliedes eines Verwaltungsrats einer juristischen Person. aa) Zum Ausstand ist verpflichtet, wer im betreffenden Einzelfall ein "unmittelbares persönliches Interesse" hat (Art. 23 Abs. 1

BGE 116 Ia 242 S. 248
Regierung und des Grossen Rates von Graubünden [GRRP] Band VIII/1961-1970 Nr. 6511 S. 22 f. und Band VII/1951-1960 Nr. 5944 S. 22; PETER ANDRI VITAL, Das Verfahren in der bündnerischen Gemeindeversammlung, Diss. Zürich 1988, S. 90). Allerdings genügt nicht jedes persönliche Interesse. Die bündnerische Praxis hat die Ausstandsbestimmungen im allgemeinen restriktiv ausgelegt (s. GRRP Band VII/1951-1960 Nr. 5945 S. 24 und PVG 1979 Nr. 8 S. 22 f.; KURT LANGHARD, Die Organisation der politischen Gemeinden des Kantons Graubünden im Spiegel der neueren kantonalen und kommunalen Rechtsetzung, Diss. Zürich 1977, S. 141; VITAL, a.a.O., S. 90). Das geltende Recht verpflichtet - wie erwähnt - erst zum Ausstand, wenn das persönliche Interesse unmittelbar berührt ist (Art. 23 Abs. 1


BGE 116 Ia 242 S. 249
u.a. 1986, N. 11 zu § 69). Es lässt sich somit einwenden, ein solcher genereller Ausschluss hätte in der Gemeindeverfassung ausdrücklich angeordnet werden müssen; die Ausstandsklausel dürfe nicht so extensiv wie durch das Verwaltungsgericht ausgelegt werden. Wie es sich damit im einzelnen verhält, kann indes jedenfalls an dieser Stelle offenbleiben; im Verlaufe der weiteren Erwägungen wird darauf zurückzukommen sein (nachf. lit. c). b) Die Mitwirkung des Lehrers scheitert nach Meinung der Beschwerdeführer jedenfalls generell an der Unvereinbarkeitshürde. Weil der Gemeindevorstand bei der Wahl und Entlassung der Lehrkräfte mitzuwirken hat (Art. 46 Abs. 2 Ziff. 1


BGE 116 Ia 242 S. 250
Verwaltungstätigkeit des Gemeindevorstandes besitzt; er geniesst zumindest faktisch eine gewisse Unabhängigkeit, hat politisch neutral zu handeln, untersteht einer Aufsicht durch andere Organe sowie einer kantonalen Regelung hinsichtlich seiner Mindestbesoldung und seiner Arbeitsleistung (Art. 50 ff. SchG). cc) Offenbar im Hinblick auf diese Sonderstellung nimmt die das kantonale Gemeindegesetz betreffende Botschaft der Regierung an den Grossen Rat des Kantons Graubünden denn auch im Zusammenhang mit der die Unvereinbarkeit von Gemeindeämtern regelnden Bestimmung des Art. 21





dd) Dabei wird selbstverständlich vorausgesetzt, dass der Lehrer im Gemeindevorstand nicht als Leiter des Schul-, Armen- und Fürsorgewesens und damit nicht als Präsident des Schulrates eingesetzt wird; sonst müsste er so oft in den Ausstand treten, dass diese Funktion nicht mehr ordnungsgemäss versehen würde. Gegenüber dieser Randbedingung des kantonalen Rechts hat die bloss gemeinderechtliche Pflicht, dass jedes Gemeindevorstandsmitglied jede Verwaltungsabteilung übernehmen muss (Art. 35 Abs. 5

BGE 116 Ia 242 S. 251
Departementsverteilung oder andere informelle Gründe entgegenhalten, wie anscheinend auch das Verwaltungsgericht annimmt; dementsprechend kommt es gar nicht zu einer Auswahlsituation für den betreffenden Lehrer. c) Diese erhebliche Distanz zur Tätigkeit des Gemeindevorstandes besitzt der zum Gemeindevorstandsmitglied gewählte Lehrer aber nur dann, wenn er bei sämtlichen Wahl- und Entlassungsentscheiden zum Ausstand verpflichtet ist. Mit dieser Lösung hat das Verwaltungsgericht offensichtlich einen Weg gesucht, eine weitgehende Mitarbeit der Lehrer zu ermöglichen. Sie eröffnet einen gewissen Spielraum und erleichtert es so auch kleineren (Berg-)Gemeinden, die Bestellung und Funktion ihrer Behörden zu sichern (RASCHEIN, a.a.O., S. 103). An sich ist im vorliegenden Fall das passive Wahlrecht betroffen, wie es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts letztlich durch Bundesverfassungsrecht für das ganze Land einheitlich niedergelegt ist (BGE 114 Ia 402 E. 6a). Seine Ausgestaltung im einzelnen ist indes durchaus kantonaler Differenzierung zugänglich; die Rechtsprechungskompetenz des Bundesgerichts aufgrund der staatsrechtlichen Beschwerde schliesst Erweiterungen und kantonale (oder lokale) Unterschiede bei der Konkretisierung der verfassungsmässigen Rechte nicht durchwegs aus (s. BGE 104 Ia 157 f., vgl. auch BGE 114 Ia 404 f. E. 7c). Entsprechend darf dem Verwaltungsgericht, dem die Verhältnisse in den Bündner Gemeinden besser bekannt sind als dem Bundesgericht, nicht verwehrt werden, die Anwendung der Unvereinbarkeits- und Ausstandsbestimmungen zu kombinieren, indem es einerseits die Unvereinbarkeit verneint und anderseits die Ausstandspflicht nach strengen Kriterien bejaht.
4. Schliesslich wendet der Gemeindevorstand ein, eine Zulassung der angefochtenen Wahl privilegiere die Lehrer. Richtig ist, dass die Unvereinbarkeit mit dem Gleichbehandlungsgebot vereinbar sein muss (BGE 114 Ia 402 E. 6a, 409 f. E. 8e). Dieses Gebot ist auch dann verletzt, wenn die Unterscheidungen nicht getroffen werden, die sich aufgrund der Verhältnisse aufdrängen (BGE 114 Ia 3 E. 3, 323 E. 3a, 423 f. E. 4a, BGE 113 Ia 196 E. 2b). Nach den erwähnten Gründen für eine Sonderstellung der Lehrer darf indes das kantonale Recht den Lehrern auf Gemeindeebene eine entsprechende Sonderstellung einräumen; jedenfalls verstösst die konkrete Regelung in Laax nach dem Gesagten nicht gegen die Grenzen des den Kantonen hier zustehenden Spielraumes.