104 Ia 156
26. Auszug aus dem Urteil von 28. Juni 1978 i.S. X. AG und Y. AG gegen Z. und Konsorten, Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden und Beschwerdekammer des Kantonsgerichts Graubünden
Regeste (de):
- Art. 88
OG.
- Strafprozess; Legitimation des Geschädigten oder Anzeigers zur staatsrechtlichen Beschwerde (Bestätigung der Rechtsprechung).
Regeste (fr):
- Art. 88 OJ.
- Procès pénal; légitimation du lésé ou du dénonciateur pour former un recours de droit public (confirmation de la jurisprudence).
Regesto (it):
- Art. 88
OG.
- Procedimento penale; legittimazione della persona lesa o del denunciante a proporre ricorso di diritto pubblico (conferma della giurisprudenza).
Erwägungen ab Seite 156
BGE 104 Ia 156 S. 156
Aus den Erwägungen:
2. Die Beschwerdeführerinnen haben sich am kantonalen Strafverfahren als Geschädigte beteiligt. Es ist zu prüfen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfange sie als solche zur staatsrechtlichen Beschwerde legitimiert sind. a) Die staatsrechtliche Beschwerde steht den Bürgern (Privaten) hinsichtlich solcher Rechtsverletzungen zu, die sie durch allgemein verbindliche oder sie persönlich treffende Erlasse oder Verfügungen erlitten haben (Art. 88

BGE 104 Ia 156 S. 157
Wer beispielsweise nach dem kantonalen Recht befugt ist, als Anzeiger oder Geschädigter in einem Strafprozess Beweisanträge zu stellen, kann daher mit staatsrechtlicher Beschwerde geltend machen, man habe ihm in Missachtung der entsprechenden kantonalen Vorschriften keine Gelegenheit gegeben, solche Anträge zu stellen. Er kann dagegen nicht rügen, sie seien zu Unrecht wegen Unerheblichkeit oder aufgrund vorweggenommener Beweiswürdigung abgewiesen worden oder die kantonale Behörde habe die Beweise willkürlich gewürdigt. Ebensowenig sind Anzeiger und Geschädigter befugt, sich mit staatsrechtlicher Beschwerde über eine willkürliche Anwendung des materiellen Strafrechts zu beklagen (BGE 94 I 554; BGE 99 Ia 107, mit welchem Entscheid eine in BGE 97 I 109 und 772 vorgenommene Erweiterung der Beschwerdelegitimation rückgängig gemacht wurde; BGE 96 I 599, BGE 72 I 203, BGE 70 I 79; die geltende Praxis wurde mit BGE 69 I 18 eingeleitet).
b) Die Beschwerdeführerinnen stellen die Richtigkeit der dargelegten Rechtsprechung in Frage. Sie sehen ein wesentliches Argument für eine weniger zurückhaltende Praxis in der Aufgabe des Bundesgerichtes, für eine einheitliche Rechtsanwendung auf dem ganzen Gebiet der Schweiz zu sorgen, und sie weisen darauf hin, ein Geschädigter, der rechtsungleiche Behandlung rüge, verfechte damit auch öffentliche Interessen. Konkret falle zusätzlich ins Gewicht, dass die StPO des Kantons Graubünden dem Geschädigten eine relativ starke Parteistellung einräume. Das Ergebnis der Strafuntersuchung solle ausdrücklich auch der Geltendmachung von Zivilansprüchen dienen. Das Nichteintreten des Bundesgerichtes auf Willkürbeschwerden von Geschädigten aus Kantonen mit derart erweiterter Rechtsstellung des Geschädigten erscheine in erhöhtem Masse als fragwürdig. Diese Argumente veranlassen das Bundesgericht nicht, seine Praxis zu ändern. Die staatsrechtliche Beschwerde ist ein Rechtsbehelf eigener Art, der - von den hier nicht in Betracht fallenden Tatbeständen der Art. 84 lit. b

BGE 104 Ia 156 S. 158
übernommene Argument der Beschwerdeführerinnen, sie verföchten mit ihren privaten zugleich auch öffentliche Interessen, ins Leere; denn zur Wahrung dieser Interessen ist die staatsrechtliche Beschwerde gerade nicht gegeben. Diese Wahrung obliegt vielmehr ausschliesslich den Organen der kantonalen Strafrechtspflege und in Fällen wie dem vorliegenden zusätzlich der Bundesanwaltschaft, die gemäss Art. 266


SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
Fehl geht auch das Argument, die staatsrechtliche Beschwerde wegen Willkür müsse dem Geschädigten vor allem dann zustehen, wenn ihm das in Betracht fallende kantonale Prozessrecht eine verhältnismässig starke Stellung einräume, wie dies für den Kanton Graubünden zutreffe. Schon die Richtigkeit dieser letzten Behauptung ist mindestens zweifelhaft. Nach der Strafprozessordnung des Kantons Graubünden kann der Geschädigte erst nach Abschluss der Untersuchung in die Akten Einsicht nehmen und Ergänzungsanträge stellen (Art. 129 Abs. 1

SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 129 Wahlverteidigung - 1 Die beschuldigte Person ist berechtigt, in jedem Strafverfahren und auf jeder Verfahrensstufe einen Rechtsbeistand im Sinne von Artikel 127 Absatz 5 mit ihrer Verteidigung zu betrauen (Wahlverteidigung) oder, unter Vorbehalt von Artikel 130, sich selber zu verteidigen. |

SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 131 Sicherstellung der notwendigen Verteidigung - 1 Liegt ein Fall notwendiger Verteidigung vor, so achtet die Verfahrensleitung darauf, dass unverzüglich eine Verteidigung bestellt wird. |

SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 43 Geltungsbereich und Begriff - 1 Die Bestimmungen dieses Kapitels regeln die Rechtshilfe in Strafsachen von Behörden des Bundes und der Kantone zugunsten der Staatsanwaltschaften, Übertretungsstrafbehörden und Gerichte des Bundes und der Kantone. |

SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 252 Durchführung am Körper - Untersuchungen von Personen und Eingriffe in die körperliche Integrität werden von einer Ärztin oder einem Arzt oder von einer anderen medizinischen Fachperson vorgenommen. |

SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 37 Gerichtsstand bei selbstständigen Einziehungen - 1 Selbstständige Einziehungen (Art. 376-378) sind an dem Ort durchzuführen, an dem sich die einzuziehenden Gegenstände oder Vermögenswerte befinden. |

SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 152 Allgemeine Massnahmen zum Schutz von Opfern - 1 Die Strafbehörden wahren die Persönlichkeitsrechte des Opfers auf allen Stufen des Verfahrens. |
BGE 104 Ia 156 S. 159
(Bern) oder unter bestimmten Voraussetzungen (Zürich und St. Gallen) auch vor Gericht zu einem Vortrag zur Schuldfrage zulassen. Vor allem aber bestimmt sich die Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde ausschliesslich nach den bundesrechtlichen Regeln des OG; welche Stellung einer Partei im kantonalen Verfahren zukam, ist nicht entscheidend (BGE 102 Ia 94 E. 1; BGE 101 Ia 544; 99 Ia 255 E. 4). Die Frage nach dem Umfang der Parteirechte, die eine bestimmte kantonale Strafprozessordnung dem Geschädigten zuerkennt, ist daher nur insoweit von Bedeutung, als die Beeinträchtigung eben dieser Rechte in formeller Hinsicht unbestrittenermassen mit staatsrechtlicher Beschwerde gerügt werden kann; für eine weitergehende Legitimation der Geschädigten aus bestimmten Kantonen lässt sich daraus nichts herleiten. c) Auch abgesehen von den Argumenten der Beschwerdeführerinnen besteht bei nochmaliger Überprüfung der bisherigen Rechtsprechung kein Anlass, davon abzuweichen. Das Interesse des Geschädigten an der Bestrafung des Angeschuldigten kann doppelter Natur sein: es kann einerseits im Bedürfnis nach Sühne und Vergeltung liegen und anderseits im Bestreben, den zivilrechtlichen Wiedergutmachungsanspruch durchzusetzen. Da nach allgemeiner Ansicht der Strafanspruch allein dem Staat zusteht und Art. 88


SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 152 Allgemeine Massnahmen zum Schutz von Opfern - 1 Die Strafbehörden wahren die Persönlichkeitsrechte des Opfers auf allen Stufen des Verfahrens. |