Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess {T 7}
B 57/06
Urteil vom 28. Juni 2006
III. Kammer
Besetzung
Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Seiler; Gerichtsschreiber Schmutz
Parteien
S.________, 1932, Gesuchsteller, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Armin Strub, Maiacherstrasse 11,
8127 Forch,
gegen
Personalvorsorgestiftung der AREVA T&D AG,
Carl Sprecher-Strasse 3, 5036 Oberentfelden, Gesuchsgegnerin
(Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
vom 2. April 1998)
Sachverhalt:
A.
S.________ arbeitete seit Anfang 1990 bei der Firma P.________. Am 24. September 1992 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis auf Ende 1992. Ihre Personalvorsorgestiftung richtete dem in die USA ausreisenden Versicherten eine Freizügigkeitsleistung von Fr. 25'671.90 aus. Dieser erhob beim Versicherungsgericht des Kantons Aargau Klage auf Zahlung einer zusätzlichen Freizügigkeitsleistung. Das Versicherungsgericht wies diese mit Entscheid vom 21. Januar 1997 ab. S.________ reichte dagegen Verwaltungsgerichtsbeschwerde ein (Verfahren B 22/97). Während des Verfahrens vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht reichten die Personalvorsorgeeinrichtung am 19. August 1997 und das Bundesamt für Sozialversicherung an 9. Oktober 1997 eine Vernehmlassung ein. Das Eidgenössische Versicherungsgericht stellte diese in Kopie dem Beschwerdeführer zu. Mit Urteil vom 2. April 1998 wies es die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ab (Ziff. I des Dispositivs), wobei es dem Beschwerdeführer die unentgeltliche Verbeiständung gewährte.
S.________ erhob am 13. Oktober 1998 Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR-Verfahren 45228/99). Dieser stellte mit Urteil vom 11. Oktober 2005 fest, Art. 6 Ziff. 1 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (SR 0.101; EMRK) sei verletzt worden, weil der Beschwerdeführer keine Möglichkeit gehabt habe, sich zur Stellungnahme des Bundesamtes für Sozialversicherung zu äussern. Zudem verurteilte er die Schweiz, dem Beschwerdeführer eine Entschädigung (Art. 41

IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 41 Gerechte Entschädigung - Stellt der Gerichtshof fest, dass diese Konvention oder die Protokolle dazu verletzt worden sind, und gestattet das innerstaatliche Recht der Hohen Vertragspartei nur eine unvollkommene Wiedergutmachung für die Folgen dieser Verletzung, so spricht der Gerichtshof der verletzten Partei eine gerechte Entschädigung zu, wenn dies notwendig ist. |
B.
S.________ reicht beim Eidgenössischen Versicherungsgericht ein Revisionsgesuch ein. Er beantragt, Ziffer I des Urteils des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 2. April 1998 sei aufzuheben; die Personalvorsorgeeinrichtung sei zu verpflichten, ihm eine Freizügigkeitsleistung von Fr. 59'219.25 zuzüglich Zins zu 5 % ab 30. Januar 1993 auszurichten. Zudem beantragt er die unentgeltliche Rechtspflege.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach Art. 139a

IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 41 Gerechte Entschädigung - Stellt der Gerichtshof fest, dass diese Konvention oder die Protokolle dazu verletzt worden sind, und gestattet das innerstaatliche Recht der Hohen Vertragspartei nur eine unvollkommene Wiedergutmachung für die Folgen dieser Verletzung, so spricht der Gerichtshof der verletzten Partei eine gerechte Entschädigung zu, wenn dies notwendig ist. |

IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 41 Gerechte Entschädigung - Stellt der Gerichtshof fest, dass diese Konvention oder die Protokolle dazu verletzt worden sind, und gestattet das innerstaatliche Recht der Hohen Vertragspartei nur eine unvollkommene Wiedergutmachung für die Folgen dieser Verletzung, so spricht der Gerichtshof der verletzten Partei eine gerechte Entschädigung zu, wenn dies notwendig ist. |
(nicht veröffentlichte Urteile 2A.363/2001 vom 6. November 2001, Erw. 3b/cc, und 2A.256/2001 vom 29. April 2002, Erw. 3.2).
2.
Der Gesuchsteller macht ohne nähere Begründung geltend, eine Wiedergutmachung sei im vorliegenden Verfahren nur durch eine Revision möglich. Dies trifft indessen nicht zu:
2.1 Die vom EGMR festgestellte Konventionsverletzung liegt einzig darin, dass dem Beschwerdeführer nicht Gelegenheit gegeben worden sei, sich zur Vernehmlassung des Bundesamtes für Sozialversicherung zu äussern. Das Recht, sich zu Eingaben anderer Beteiligter zu äussern, ist nach der Konzeption des EGMR ein rein formeller Anspruch, der unabhängig davon besteht, ob das Gericht bei seinem Entscheid auf diese Eingabe abgestellt und ob diese einen Einfluss auf das materielle Ergebnis gehabt hat (Urteil des EGMR vom 11. Oktober 2005, Ziff. 32, mit Hinweisen). Konsequenz dieser Konzeption ist, dass die Verletzung dieses Anspruchs keineswegs zwangsläufig die materielle Unrichtigkeit des Urteils impliziert. Es verhält sich anders, als wenn der EGMR eine Konventionsverletzung darin erblickt, dass der innerstaatliche Entscheid materiellrechtlich ein Konventionsrecht verletzt, indem zum Beispiel einer Person unter Verletzung der Konvention ein Freiheitsrecht entzogen oder eine Leistung verweigert wurde. In solchen Fällen besteht die Wiedergutmachung darin, dass der Entzug des Freiheitsrechts aufgehoben oder die Leistung erbracht wird, was gegebenenfalls mittels Revision des bundesgerichtlichen Urteils zu erfolgen hat, soweit dies zur
Behebung der festgestellten Konventionsverletzung erforderlich ist (BGE 125 III 190 Erw. 4b, 123 I 333 Erw. 2a, 120 V 156 ff.). Liegt hingegen die Konventionsverletzung in der Verletzung einer verfahrensrechtlichen Vorschrift, so kann dies allein nicht zur Folge haben, dass die anbegehrte Leistung zugesprochen bzw. ein Urteil in diesem Sinne revidiert wird (vgl. BGE 129 V 421 Erw. 3.4 in fine).
2.2 Vorliegend hat der EGMR einzig eine Verfahrensrechtsverletzung ausgemacht; hingegen hat er nicht festgestellt, das Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts stelle in seinem materiellen Gehalt eine Konventionsverletzung dar. Im Gegenteil hat er für das Eidgenössische Versicherungsgericht verbindlich (Art. 46

IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 46 Verbindlichkeit und Vollzug der Urteile - (1) Die Hohen Vertragsparteien verpflichten sich, in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das endgültige Urteil des Gerichtshofs zu befolgen. |
3.
Selbst wenn man eine zusätzliche Form der Wiedergutmachung darin erblicken wollte, dass der Beschwerdeführer die Möglichkeit erhalten müsse, sich nachträglich zur Vernehmlassung des Bundesamtes für Sozialversicherung zu äussern, würde sich am Ergebnis nichts ändern. Denn eine solche Äusserung, die der Beschwerdeführer mit seinem Revisionsgesuch bereits wahrgenommen hat, könnte selbstverständlich nicht ohne weiteres zur Folge haben, dass das erste Urteil aufzuheben wäre. Eine revisionsweise Aufhebung käme höchstens dann in Frage, wenn in dieser Äusserung entscheiderhebliche Vorbringen enthalten wären, die sich auf Grund neuer Aspekte in der Vernehmlassung aufdrängen konnten, und die im Rahmen des ersten Urteils nicht berücksichtigt wurden.
3.1 Das Bundesamt für Sozialversicherung hatte in seiner Stellungnahme vom 9. Oktober 1997 neben allseits unbestrittenen intertemporalrechtlichen Ausführungen zunächst auf die Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts gemäss BGE 117 V 302 hingewiesen, wonach auf Grund von Art. 2 Abs. 2

SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 2 - 1 Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln. |
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1 | Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln. |
2 | Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz. |
3.2 Sodann hat das Bundesamt für Sozialversicherung in seiner Vernehmlassung ausgeführt, ob die Voraussetzungen der wirtschaftlichen Entlassung erfüllt seien, sei eine Frage der richterlichen Beweiswürdigung, und auf drei Aktenstücke hingewiesen, von denen zwei eher für, das dritte (ein Schreiben der ehemaligen Arbeitgeberin vom 28. September 1992) eher gegen eine Entlassung aus wirtschaftlichen Gründen sprächen. Diese Aktenstücke waren sowohl dem kantonalen Versicherungsgericht bei seinem Entscheid vom 21. Januar 1997 als auch dem Eidgenössischen Versicherungsgericht bei seinem Urteil vom 2. April 1998 bekannt und wurden von beiden Gerichten gewürdigt und in die Entscheidfindung einbezogen. Der Beschwerdeführer bringt diesbezüglich in seinem Revisionsgesuch im Wesentlichen die gleichen Argumente vor, die er bereits in seiner Beschwerde vom 30. April 1997 dargelegt hatte, und die das Eidgenössische Versicherungsgericht bei seinem Urteil berücksichtigt hat. Keines der Vorbringen stellt ein neues Argument dar, das sich auf Grund der Vernehmlassung des Bundesamtes für Sozialversicherung aufgedrängt hätte. Insbesondere hatte der Beschwerdeführer selber mit seiner Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 30. April 1997 das vom Bundesamt für
Sozialversicherung zitierte Schreiben vom 28. September 1992 eingereicht und sich zu dessen Inhalt geäussert. Die Vernehmlassung des Bundesamtes für Sozialversicherung brachte keine neuen Aspekte zum Vorschein. Erst recht ist ausgeschlossen, dass das Urteil anders hätte lauten können, wenn sich der Beschwerdeführer damals zu dieser Vernehmlassung geäussert hätte.
4.
Das Revisionsgesuch erweist sich damit als offensichtlich unbegründet und kann im Verfahren nach Art. 143

SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 2 - 1 Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln. |
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1 | Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln. |
2 | Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz. |
5.
Da das Revisionsgesuch aussichtslos war, kann die unentgeltliche Verbeiständung nicht gewährt werden (Art. 152

SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 2 - 1 Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln. |
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1 | Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln. |
2 | Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz. |
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.
3.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 28. Juni 2006
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: