Bundesstrafgericht
Tribunal pénal fédéral Tribunale penale federale Tribunal penal federal
Geschäftsnummer: BB.2010.91 (Nebenverfahren: BP.2010.54)
Entscheid vom 17. August 2011 I. Beschwerdekammer
Besetzung
Bundesstrafrichter Tito Ponti, Vorsitz, Emanuel Hochstrasser und Giuseppe Muschietti, Gerichtsschreiber Stefan Graf
Parteien
A. Corporation, vertreten durch Rechtsanwalt Florian Baumann,
Beschwerdeführerin
gegen
Bundesanwaltschaft,
Beschwerdegegnerin
Gegenstand
Einstellung nach Ermittlungsverfahren (Art. 106 Abs. 1

Sachverhalt:
A. Mit zwei Verfügungen vom 3. September 2003 eröffnete die Bundesanwaltschaft gegen B. und gegen C. ein gerichtspolizeiliches Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Geldwäscherei im Sinne des Art. 305bis



B. Mit Eingabe vom 6. Januar 2004 gelangte die A. Corporation erstmals an die Bundesanwaltschaft und stellte dieser in Aussicht, ihr in den folgenden Tagen Unterlagen zuzustellen, aus welchen ersichtlich sei, dass sie im erwähnten Strafverfahren als Geschädigte zu betrachten sei (Beschwerdeantwortbeilage [nachfolgend „BAB“] 2). In der Folge wurde die A. Corporation von der Bundesanwaltschaft zwar ins Verfahren miteinbezogen bzw. liess die A. Corporation der Bundesanwaltschaft verschiedene Eingaben zugehen, ohne dass jedoch die verfahrensrechtliche Stellung der A. Corporation jemals klar und in formeller Hinsicht verbindlich festgestellt worden wäre. Den Akten ist zu entnehmen, dass es der A. Corporation nicht um die adhäsionsweise Geltendmachung von Zivilansprüchen gegangen ist (vgl. hierzu BAB 23); vielmehr verlangte sie unter Berufung auf ein Urteil des United States District Court for the Southern District of New York vom 31. Juli 2003 (act. 1.3) die Aushändigung der im gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahren beschlagnahmten Vermögenswerte zur Wiederherstellung des rechtmässigen Zustandes bis zur vollständigen Deckung ihrer zivilgerichtlich bestätigten Schadenersatzforderung in der Höhe von rund 2,1 Milliarden USD zuzüglich Zinsen und Verzugszinsen sowie Verfahrenskosten und Parteientschädigungen (vgl. hierzu u. a. BAB 32). Nach erfolgter Zuweisung entsprechender Gelder unterzeichnete die A. Corporation am 20. April 2009 eine Erklärung, in welcher sie bestätigte, kein weiteres Interesse an der Fortführung des Ermittlungsverfahrens mehr zu haben (act. 21.4).
C. Mit Verfügung vom 9. September 2010 (act. 1.2) stellte die Bundesanwaltschaft das gerichtspolizeiliche Ermittlungsverfahren ein (Ziff. 1 des Verfügungsdispositivs) und ordnete an, dass die noch beschlagnahmten Beweismittel und Vermögenswerte mittels separaten Verfügungen freigegeben würden (Ziff. 2 des Verfügungsdispositivs).
D. Hiergegen gelangte die A. Corporation mit Beschwerde vom 24. September 2010 an die I. Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts und beantragt in materieller Hinsicht was folgt (act. 1):
1. Es sei die Einstellungsverfügung der Bundesanwaltschaft vom 9. September 2010 (…) vollumfänglich aufzuheben;
2. Eventualiter: Ziff. 2 des Dispositivs der angefochtenen Verfügung der Bundesanwaltschaft vom 9. September 2010 betreffend Einstellung des Ermittlungsverfahrens (…) sei aufzuheben und die Bundesanwaltschaft sei anzuweisen, ein selbständiges Einziehungsverfahren im Sinne von Art. 73

Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Beschwerdegegnerin.
In prozessualer Hinsicht beantragte die A. Corporation eingangs ihrer Beschwerde sinngemäss, dieser die aufschiebende Wirkung zu erteilen. Zudem ersuchte sie um Gelegenheit, die Beschwerde innerhalb von 30 Tagen zu ergänzen und ihr während dieser Zeit weiterhin Akteneinsicht zu gewähren.
Mit Verfügung vom 6. Oktober 2010 hiess der Präsident der I. Beschwerdekammer das Gesuch um Erteilung der aufschiebenden Wirkung insofern gut als er die Bundesanwaltschaft anwies, die Beschlagnahme bezüglich der noch vorhandenen Beweismittel und Vermögenswerte bis zur rechtskräftigen Erledigung der Beschwerde aufrecht zu erhalten (act. 4).
In ihrer Beschwerdeantwort vom 10. November 2010 schliesst die Bundesanwaltschaft auf Abweisung der Beschwerde. Weiter beantragt sie, den zweiten prozessualen Antrag der A. Corporation abzuweisen bzw. infolge Gegenstandslosigkeit abzuschreiben; beides unter Kostenfolge zulasten der Beschwerdeführerin (act. 8).
Mit Eingabe vom 17. Dezember 2010 stellte die A. Corporation direkt bei der Direktion der Bundesanwaltschaft die folgenden Rechtsbegehren (act. 14.10):
1. Es sei der Ausstand der Staatsanwälte J. und K anzuordnen;
2. Es sei die Einstellungsverfügung vom 9. September 2010 (...) vollumfänglich aufzuheben.
Im Rahmen der am selben Tag erstatteten Replik hält die A. Corporation an den bisher gestellten Beschwerdeanträgen fest. Neu ersucht sie die I. Beschwerdekammer jedoch, die Bundesanwaltschaft sei sowohl bei Gutheissung der oben erwähnten Beschwerdeanträge Ziff. 1 oder Ziff. 2 anzuweisen, für die Fortsetzung des Verfahrens den Ausstand der Staatsanwälte J. und K. anzuordnen. In prozessualer Hinsicht beantragte sie, das vorliegende Beschwerdeverfahren bis zum Entscheid über ihr Ausstands- und Aufhebungsbegehren an die Bundesanwaltschaft vom 17. Dezember 2010 zu sistieren (act. 14).
Mit Eingabe vom 1. Februar 2011 liess Staatsanwältin J. der I. Beschwerdekammer ihre Stellungnahme zum gegen sie gerichteten Ausstandsgesuch zugehen (act. 19). Diese wurde der A. Corporation am 10. Februar 2011 zur Kenntnis gebracht (act. 20).
Mit Eingabe vom 16. März 2011 liess die Bundesanwaltschaft der I. Beschwerdekammer weitere Unterlagen zugehen und stellt diesbezüglich den Antrag, diese im Rahmen des hängigen Beschwerdeverfahrens zu berücksichtigen (act. 21). Die A. Corporation liess sich hierzu ihrerseits mit Eingabe vom 22. März 2011 vernehmen (act. 22).
Auf die Ausführungen der Parteien und die eingereichten Akten wird, soweit erforderlich, in den folgenden rechtlichen Erwägungen Bezug genommen.
Die I. Beschwerdekammer zieht in Erwägung:
1.
1.1 Rechtsmittel gegen vor dem am 1. Januar 2011 erfolgten Inkrafttreten der Schweizerischen Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO; SR 312.0) gefällte Entscheide sind gemäss Art. 453 Abs. 1

Anderes gilt jedoch für das Ausstandsgesuch, welches im Zusammenhang mit dem mittels angefochtener Verfügung eingestellten Ermittlungsverfahren angebracht wurde (vgl. hierzu nachfolgende E. 2).
1.2 Die I. Beschwerdekammer prüft die Eintretensvoraussetzungen frei, ohne hierbei an die Vorbringen der Parteien gebunden zu sein (vgl. hierzu Guidon, Die Beschwerde gemäss Schweizerischer Strafprozessordnung, Berner Diss., Zürich/St. Gallen 2011, N. 546 f. m.w.H.).
1.3
1.3.1 Der Geschädigte und die anspruchsberechtigten Personen nach Art. 1



1.3.2 Partei im Bundesstrafverfahren ist u. a. der Geschädigte, wenn er privatrechtliche Ansprüche aus der strafbaren Handlung geltend macht (Art. 34

1.3.3 Vorliegend hat die Beschwerdeführerin zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens im oben beschriebenen Sinne zivilrechtliche Ansprüche adhäsionsweise geltend gemacht. Das ergibt sich gerade auch aus den im Rahmen der Replik gemachten Ausführungen der Beschwerdeführerin selber (vgl. diesbezüglich act. 14, Rz 42 ff.) Vielmehr leitet sie im Rahmen ihrer Beschwerdeschrift ihre angebliche Parteistellung ab aus dem Umstand, dass sie im nunmehr eingestellten Verfahren mehrfach und nachdrücklich um Befriedigung ihrer (bereits durch ein Zivilurteil festgestellten) privatrechtlichen Ansprüche über Art. 70 ff





1.3.4 Die Beschwerdeführerin hat somit im Rahmen des nunmehr eingestellten Ermittlungsverfahrens keine privatrechtlichen Ansprüche geltend gemacht. Nach dem Gesagten kommt ihr daher keine Parteistellung als Geschädigte im Sinne von Art. 34




1.4
1.4.1 Angesichts des oben Ausgeführten stellt sich die Frage, ob das von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Ersuchen um Zusprechung beschlagnahmter Vermögenswerte als Streitigkeit in Bezug auf zivilrechtliche Ansprüche im Sinne des Art. 6 Ziff. 1

1.4.2 Nach Art. 6 Ziff. 1




1.4.3 Vorliegend nicht im Streit liegt das privatrechtliche Verhältnis zwischen der Beschwerdeführerin und den vormals Beschuldigten. Die Beschwerdeführerin hat diesbezüglich bereits ein rechtskräftiges und vollstreckbares Zivilurteil erwirkt, welches einige der vormals Beschuldigten ihr gegenüber zur Leistung einer betragsmässig bezifferten Schadenersatzzahlung verpflichtet (act. 1.3). Weitere Schadenersatzforderungen sind von der Beschwerdeführerin wie oben bereits erwähnt keine geltend gemacht worden (vgl. hierzu E. 1.3.3). Über Bestand und Umfang ihrer zivilrechtlichen Schadenersatzansprüche ist daher abschliessend entschieden worden, weshalb es diesbezüglich an einer zivilrechtlichen „Streitigkeit“ im Sinne von Art. 6 Ziff. 1





auf dem ordentlichen Weg der Zwangsvollstreckung befriedigen zu können, die Beschwerdeführerin hierfür nicht zwingend auf die Weiterführung des nunmehr eingestellten Strafverfahrens angewiesen ist. Von einer Verletzung des in Art. 6 Ziff. 1


1.5 Nach dem Gesagten war die Beschwerdeführerin im Rahmen des nunmehr eingestellten Ermittlungsverfahrens nie Partei im Sinne von Art. 34


2. Wie eingangs erwähnt (vgl. E. 1.1) richtet sich die Beurteilung des vor Inkrafttreten der StPO am 1. Januar 2011 gestellten, der I. Beschwerdekammer jedoch erst nachher übermachten Ausstandsbegehrens nach neuem Recht (vgl. Art. 448 Abs. 1




3.
3.1 Bei diesem Ausgang des Verfahrens hätte grundsätzlich die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 245 Abs. 1







3.2 Angesichts der wohl auch auf diese irreführenden Angaben im Verlaufe des Verfahrens und in der angefochtenen Verfügung zurückzuführenden, letztlich aber unzulässigen Beschwerdeerhebung hat die Beschwerdegegnerin der Beschwerdeführerin für das vorliegende Beschwerdeverfahren eine Parteientschädigung in der Höhe von Fr. 1'500.-- (inkl. Auslagen, exkl. MwSt.) auszurichten (Art. 245 Abs. 1



Demnach erkennt die I. Beschwerdekammer:
1. Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
2. Auf das Ausstandsgesuch wird nicht eingetreten.
3. Es werden keine Gerichtskosten erhoben. Die Bundesstrafgerichtskasse hat der Beschwerdeführerin den geleisteten Kostenvorschuss in der Höhe von Fr. 1'500.-- zurückzuerstatten.
4. Die Beschwerdegegnerin hat der Beschwerdeführerin für das vorliegende Beschwerdeverfahren eine Parteientschädigung in der Höhe von Fr. 1'500.-- auszurichten (inkl. Auslagen, exkl. MwSt.).
Bellinzona, 18. August 2011
Im Namen der I. Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Zustellung an
- Rechtsanwalt Florian Baumann
- Bundesanwaltschaft
Rechtsmittelbelehrung
Gegen Entscheide der I. Beschwerdekammer über Zwangsmassnahmen kann innert 30 Tagen nach der Eröffnung der vollständigen Ausfertigung beim Bundesgericht Beschwerde geführt werden (Art. 79 und 100 Abs. 1 des Bundesgesetzes über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005; BGG). Das Verfahren richtet sich nach den Artikeln 90 ff. BGG.
Eine Beschwerde hemmt den Vollzug des angefochtenen Entscheides nur, wenn der Instruktionsrichter oder die Instruktionsrichterin es anordnet (Art. 103
