Tribunal federal
{T 7}
U 493/05
Urteil vom 11. Januar 2007
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Borella, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Kernen,
Gerichtsschreiber Hadorn.
Parteien
N.________, 1963, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Dr. Bernhard Frei, Münzgraben 2, 3011 Bern,
gegen
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Unfallversicherung,
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 8. November 2005.
Sachverhalt:
A.
N.________ (geb. 1963) war bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch unfallversichert, als er am 8. Mai 1998 einen Unfall erlitt. Die SUVA kam für die Folgekosten auf. Mit Verfügung vom 13. Januar 2003 sprach sie N.________ eine Rente gestützt auf einen Invaliditätsgrad von 24 % sowie eine Entschädigung für eine Integritätseinbusse von 15 % zu. Auf Einsprache hin erhöhte die Anstalt die Rente mit Entscheid vom 11. März 2005 auf 38 % und die Integritätsentschädigung auf 20 %.
B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 8. November 2005 ab.
C.
N.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und beantragen, es sei ihm eine Rente für einen Invaliditätsgrad von 55 % zuzusprechen.
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110) in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch nach OG (Art. 132 Abs. 1
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz BGG Art. 132 Übergangsbestimmungen - 1 Dieses Gesetz ist auf die nach seinem Inkrafttreten eingeleiteten Verfahren des Bundesgerichts anwendbar, auf ein Beschwerdeverfahren jedoch nur dann, wenn auch der angefochtene Entscheid nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes ergangen ist. |
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1 | Dieses Gesetz ist auf die nach seinem Inkrafttreten eingeleiteten Verfahren des Bundesgerichts anwendbar, auf ein Beschwerdeverfahren jedoch nur dann, wenn auch der angefochtene Entscheid nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes ergangen ist. |
2 | ...118 |
3 | Die Amtsdauer der ordentlichen und nebenamtlichen Bundesrichter und Bundesrichterinnen, die gestützt auf das Bundesrechtspflegegesetz vom 16. Dezember 1943119 oder den Bundesbeschluss vom 23. März 1984120 über die Erhöhung der Zahl der nebenamtlichen Richter des Bundesgerichts gewählt worden sind oder die in den Jahren 2007 und 2008 gewählt werden, endet am 31. Dezember 2008.121 |
4 | Die zahlenmässige Begrenzung der nebenamtlichen Bundesrichter und Bundesrichterinnen gemäss Artikel 1 Absatz 4 gilt erst ab 2009.122 |
2.
Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Vorschriften zu den Begriffen der Erwerbsunfähigkeit (Art. 7
SR 830.1 Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) ATSG Art. 7 Erwerbsunfähigkeit - 1 Erwerbsunfähigkeit ist der durch Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit verursachte und nach zumutbarer Behandlung und Eingliederung verbleibende ganze oder teilweise Verlust der Erwerbsmöglichkeiten auf dem in Betracht kommenden ausgeglichenen Arbeitsmarkt. |
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1 | Erwerbsunfähigkeit ist der durch Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit verursachte und nach zumutbarer Behandlung und Eingliederung verbleibende ganze oder teilweise Verlust der Erwerbsmöglichkeiten auf dem in Betracht kommenden ausgeglichenen Arbeitsmarkt. |
2 | Für die Beurteilung des Vorliegens einer Erwerbsunfähigkeit sind ausschliesslich die Folgen der gesundheitlichen Beeinträchtigung zu berücksichtigen. Eine Erwerbsunfähigkeit liegt zudem nur vor, wenn sie aus objektiver Sicht nicht überwindbar ist.11 |
SR 830.1 Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) ATSG Art. 8 Invalidität - 1 Invalidität ist die voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde ganze oder teilweise Erwerbsunfähigkeit. |
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1 | Invalidität ist die voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde ganze oder teilweise Erwerbsunfähigkeit. |
2 | Nicht erwerbstätige Minderjährige gelten als invalid, wenn die Beeinträchtigung ihrer körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit voraussichtlich eine ganze oder teilweise Erwerbsunfähigkeit zur Folge haben wird.12 |
3 | Volljährige, die vor der Beeinträchtigung ihrer körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit nicht erwerbstätig waren und denen eine Erwerbstätigkeit nicht zugemutet werden kann, gelten als invalid, wenn eine Unmöglichkeit vorliegt, sich im bisherigen Aufgabenbereich zu betätigen. Artikel 7 Absatz 2 ist sinngemäss anwendbar.13 14 |
SR 832.20 Bundesgesetz vom 20. März 1981 über die Unfallversicherung (UVG) UVG Art. 18 Invalidität - 1 Ist der Versicherte infolge des Unfalles zu mindestens 10 Prozent invalid (Art. 8 ATSG49), so hat er Anspruch auf eine Invalidenrente, sofern sich der Unfall vor Erreichen des Referenzalters50 ereignet hat.51 |
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1 | Ist der Versicherte infolge des Unfalles zu mindestens 10 Prozent invalid (Art. 8 ATSG49), so hat er Anspruch auf eine Invalidenrente, sofern sich der Unfall vor Erreichen des Referenzalters50 ereignet hat.51 |
2 | Der Bundesrat regelt die Bemessung des Invaliditätsgrades in Sonderfällen. Er kann dabei auch von Artikel 16 ATSG abweichen. |
SR 830.1 Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) ATSG Art. 16 Grad der Invalidität - Für die Bestimmung des Invaliditätsgrades wird das Erwerbseinkommen, das die versicherte Person nach Eintritt der Invalidität und nach Durchführung der medizinischen Behandlung und allfälliger Eingliederungsmassnahmen durch eine ihr zumutbare Tätigkeit bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage erzielen könnte, in Beziehung gesetzt zum Erwerbseinkommen, das sie erzielen könnte, wenn sie nicht invalid geworden wäre. |
3.
Streitig und zu prüfen ist der Invaliditätsgrad. Dabei ist nur der Einkommensvergleich umstritten. Die SUVA zog zur Ermittlung des hypothetischen Valideneinkommens den Lohn bei, den der Versicherte bei seinem letzten Arbeitgeber erzielt hatte, und stellte beim hypothetischen Invalideneinkommen auf die Tabellenlöhne der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE) ab, wobei sie einen leidensbedingten Abzug von 15 % gewährte. Hiegegen erhebt der Beschwerdeführer mehrere Einwendungen.
3.1 In erster Linie macht der Versicherte geltend, er habe schon vor dem Unfall wegen seiner ausländischen Herkunft und seiner mangelhaften Deutschkenntnisse ein unterdurchschnittlich tiefes Einkommen erzielt. Daher hätten SUVA und Vorinstanz beim Einkommensvergleich das hypothetische Valideneinkommen nicht auf Grund des damaligen, tatsächlichen Verdienstes ermitteln dürfen, sondern in Sinne der Parallelität der Vergleichseinkommen sowohl beim Validen- wie beim Invalideneinkommen auf Tabellenlöhne abstellen müssen.
3.2 Invaliditätsfremde Gründe, wie mangelhafte Ausbildung und Sprachkenntnisse etc., werden für die Festlegung des hypothetischen Valideneinkommens nicht berücksichtigt. Führen diese Gründe jedoch zu einem unterdurchschnittlichen Einkommen, so ist diesem Umstand entweder sowohl beim Validen- wie auch beim Invalideneinkommen oder überhaupt nicht Rechnung zu tragen. Lag das Einkommen einer versicherten Person bereits vor Eintritt des Gesundheitsschadens unter dem Durchschnitt der Löhne für eine vergleichbare Tätigkeit und ist davon auszugehen, dass sie sich nicht aus freien Stücken mit einem bescheidenen Einkommen begnügen wollte, so kann angenommen werden, dass die gleichen Faktoren, welche das Valideneinkommen negativ beeinflusst haben, auch Einfluss auf das Invalideneinkommen haben dürften (BGE 129 V 225 Erw. 4.4 mit Hinweisen; Urteil M. vom 20. Juli 2004, I 801/03, Erw. 3.1.2).
3.3 Der Beschwerdeführer beantragt, den 1998 bei der Firma B.________ AG erzielten Lohn als Grundlage zur Festsetzung des hypothetischen Valideneinkommens zu nehmen. In der Regel wird bei der Ermittlung dieses Wertes in der Tat an den zuletzt erzielten, nötigenfalls der Teuerung und der realen Einkommensentwicklung angepassten Verdienst angeknüpft, da es empirischer Erfahrung entspricht, dass die bisherige Tätigkeit ohne Gesundheitsschäden fortgesetzt worden wäre (BGE 129 V 224 Erw. 4.3.1). Im vorliegenden Fall ist jedoch zu beachten, dass die Firma B.________ im Dezember 2000, somit in der Zeitspanne zwischen dem Unfall und dem Einspracheentscheid, in Konkurs gefallen ist. Der Beschwerdeführer wurde gemäss den Akten wegen der gerichtlichen Betriebsschliessung aus der genannten Unternehmung entlassen und könnte daher auch als Gesunder nicht mehr dort arbeiten. Infolgedessen kann für den Erwerbsvergleich nicht auf den in diesem Betrieb erzielten Lohn abgestellt werden. Vielmehr ist auf die Tabellenlöhne zurückzugreifen.
3.4 Der Beschwerdeführer verlangt diesfalls, für die Ermittlung des hypothetischen Valideneinkommens seien die Tabellenlöhne der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE) des Niveaus 3 beizuziehen. Dem kann nicht stattgegeben werden. Unbestrittenermassen verfügt der Versicherte über keinen Berufsabschluss. Im Arbeitszeugnis der Firma M.________ vom 29. August 2003 wird seine Tätigkeit mit "Hilfsarbeiter" bezeichnet. In der Firma B.________ erledigte er gemäss Zwischenzeugnis vom 31. Dezember 1998 und Arbeitszeugnis vom 21. Dezember 2002 als "Allrounder" kleinere Schlosserarbeiten, schnitt Profile zu und half in der Montage, Packerei, Malerei und im Lager aus. Dies stimmt überein mit dem Bericht des Inspektors über den Besuch im genannten Betrieb vom 13. Dezember 1999. Beim RAV war er ebenfalls als Hilfsarbeiter der Metall-/Maschinenbranche registriert.
3.5 Nach dem Gesagten rechtfertigt es sich unter Offenlassung der Frage des branchenunüblich tiefen Lohns vor dem Unfall daher, sowohl das hypothetische Validen- wie auch das hypothetische Invalideneinkommen gestützt auf die Tabellenlöhne der LSE zu ermitteln. Als Valideneinkommen ist der Wert von Fr. 59'081.- einzusetzen. Beim hypothetischen Invalideneinkommen ist mit der Vorinstanz davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer eine angepasste Tätigkeit noch zu 2/3 zumutbar ist. Gemäss LSE-Tabellen (LSE 2002, Tabelle TA1, Anforderungsniveau 4, umgerechnet auf 41,7 Stunden und auf 2003 teuerungsindexiert) beträgt dieses für eine vollzeitliche Arbeit Fr. 57'806.-, wie die Vorinstanz richtig festgestellt hat. Zwei Drittel davon machen Fr. 38'537.- aus. Die SUVA hat von den Tabellenlöhnen einen Abzug von 15 % gewährt. Dies kann bestätigt werden; Gründe für einen höheren Abzug bestehen entgegen der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht. Damit ergibt sich ein hypothetisches Invalideneinkommen von Fr. 32'926.-. Im Vergleich zum hypothetischen Valideneinkommen von Fr. 59'081.- resultiert ein Invaliditätsgrad von 44 %.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 8. November 2005 und der Einspracheentscheid der SUVA vom 11. März 2005, soweit die Rente betreffend, aufgehoben, und es wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer ab 1. Februar 2003 Anspruch auf eine Invalidenrente auf der Basis einer Erwerbsunfähigkeit von 44 % hat.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Die SUVA hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Bundesgericht eine Entschädigung von Fr. 2500.- (inkl. MWSt) zu bezahlen.
4.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wird über eine Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.
Luzern, 11. Januar 2007
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Der Gerichtsschreiber: