Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
6B 843/2018
Urteil vom 8. Januar 2019
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichterin Jametti,
Gerichtsschreiber Traub.
Verfahrensbeteiligte
X.________,
Beschwerdeführer,
gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft, Erste Staatsanwältin, Grenzacherstrasse 8, 4132 Muttenz,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Mehrfache einfache Verletzung von Verkehrsregeln (Unschuldsvermutung),
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Strafrecht, vom 12. Juni 2018 (460 18 31).
Sachverhalt:
A.
Laut Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft vom 12. August 2016 überschritt der unter dem Kennzeichen SO xxxxx immatrikulierte Personenwagen am 6. März 2016 und am 17. Oktober 2015 die Höchstgeschwindigkeit von jeweils 50 km/h (nach Abzug der Sicherheitsmarge von 5 km/h) um 7 resp. 4 km/h. Das Strafgericht des Kantons Basel-Landschaft bestätigte den gegen X.________ gerichteten Strafbefehl, sprach ihn auf Einsprache hin der mehrfachen einfachen Verletzung von Verkehrsregeln schuldig und verurteilte ihn zu einer Busse von Fr. 160.-- (Urteil vom 15. Januar 2018).
B.
Das Kantonsgericht Basel-Landschaft wies die hiegegen erhobene Berufung ab (Urteil vom 12. Juni 2018).
C.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben, eventuell die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. Ausserdem ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege.
Erwägungen:
1.
Strittig ist, ob die Vorinstanz zu Recht geschlossen hat, der Beschwerdeführer sei der fehlbare Fahrzeuglenker gewesen.
1.1. Der Beschwerdeführer rügt die vorinstanzliche Beweisführung, insbesondere eine willkürliche Feststellung des Sachverhalts und eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Die Berufungsinstanz habe aktenwidrig festgehalten, seine Mutter habe gegenüber der Strafverfolgungsbehörde angegeben, dass das Fahrzeug gewöhnlich von ihm benützt werde. Die Vorinstanz habe sich nicht mit seinem Vorbringen auseinandergesetzt, dass sich eine solche Aussage in den Akten nicht finde. Seine Mutter habe zwar, wie im erstinstanzlichen Urteil festgehalten, die Verfügungsgewalt über das Fahrzeug schon seit Januar 2011 an ihn abgetreten. Damit habe sie aber offensichtlich nicht erklärt, er habe das Fahrzeug zu den fraglichen Zeiten am 17. Oktober 2015 und 6. März 2016 auch tatsächlich gelenkt. Daher lege die Vorinstanz ihrem Urteil eine falsche "Ausgangslage" zugrunde, wenn sie ausführe, wenn er es nicht gewesen wäre, sei zu erwarten gewesen, dass er den Strafverfolgungsbehörden gesagt hätte, an wen er das Fahrzeug zum Gebrauch überlassen habe. Indem die Aktenwidrigkeit das Beweisergebnis beeinflusse, verstosse dieses gegen den Grundsatz in dubio pro reo.
Weiter macht der Beschwerdeführer eine Verletzung des Schweigerechts geltend. Die von der Vorinstanz aufgestellte "Erklärungspflicht" widerspreche der bundesgerichtlichen Rechtsprechung. Aus dieser ergebe sich, dass aus einer Aussageverweigerung des Beschuldigten keine für diesen nachteiligen Schlüsse gezogen werden könnten. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe es in einem entsprechenden Fall untersagt, die Beweislast von der Anklage auf die Verteidigung zu überwälzen. Im Ergebnis habe die Vorinstanz gegen die Unschuldsvermutung verstossen, indem sie das beanspruchte Schweigerecht in die Beweiswürdigung einbeziehe.
1.2. Die Vorinstanz geht davon aus, die Mutter des Beschwerdeführers sei zwar als Halterin eingetragen, das Fahrzeug werde aber vom Beschwerdeführer verwendet. Bei dieser Ausgangslage sei zu erwarten, dass er als " de facto -Halter" gegenüber den Strafverfolgungsbehörden deklariere, an wen er das Fahrzeug zum Gebrauch überlassen habe, wenn er das Fahrzeug zu den jeweiligen Zeitpunkten nicht selber gelenkt haben will. Der Sachrichter sei frei, daraus seine Schlüsse zu ziehen. Der Beschwerdeführer habe seine Weigerung, den Lenker zu benennen, nie begründet und insbesondere auch nie vorgebracht, eine ihm nahestehende Person nicht der Strafverfolgung aussetzen zu wollen. Das in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung vorgetragene Argument, eine andere Person sei allenfalls im Rahmen eines Fahrzeugverleihs Lenker gewesen, erscheine angesichts der Gesamtumstände klarerweise unglaubhaft. Die erste Instanz habe sich genügend mit den Vorbringen des Beschwerdeführers befasst und dargelegt, inwiefern das Schweigen zu würdigen sei. Von einer Verletzung des rechtlichen Gehörs könne daher keine Rede sein.
1.3. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers sagt die Vorinstanz nicht, seine Mutter habe seine "Lenkerschaft" hinsichtlich der konkreten Tatzeitpunkte bezeugt. Sie hat bloss festgestellt, was der Beschwerdeführer selber festhält: Dass die Mutter selber nicht mehr im Besitz eines Führerausweises und allenfalls noch formelle Halterin des Fahrzeugs ist. Somit stützt sich die vorinstanzliche Beweisführung nicht auf eine falsche tatsächliche Ausgangslage. Entscheidend wird sein, ob die vorinstanzliche Beweiswürdigung willkürfrei ist.
1.4. Der Beschwerdeführer macht in diesem Zusammenhang die Unschuldsvermutung und das Verbot des Selbstbelastungszwangs (sog. nemo-tenetur -Grundsatz; BGE 131 IV 36 E. 3.1 S. 40) geltend. Er ist unbestrittenermassen " de facto -Halter" des betreffenden Fahrzeugs. Die Haltereigenschaft darf im Rahmen der freien Beweiswürdigung als Indiz für die Täterschaft gewertet werden (Urteil 6B 439/2010 vom 29. Juni 2010 E. 5.7). Ferner kann der Sachrichter die zur Entlastung vorgebrachte Behauptung des beschuldigten Fahrzeughalters, nicht er, sondern ein Dritter habe das Tatfahrzeug gelenkt, aufgrund der konkreten Fallumstände als unglaubhaft würdigen.
Aussagen, auch jene des Angeklagten, sind Beweismittel. Fehlt eine solche Aussage, fehlt lediglich ein Beweismittel (erwähntes Urteil 6B 439/2010 E. 5.5). Das Schweigen des Beschuldigten schliesst die Annahme der Täterschaft nicht aus, wenn sie aufgrund der gesamten Beweis- und Indizienlage nicht zweifelhaft ist (Urteil 6B 562/2010 vom 28. Oktober 2010 E. 2). Der Schluss auf die Täterschaft begründet alsdann auch keine Umkehr der Beweislast, welche die Unschuldsvermutung verletzen könnte (Urteil 1P.684/2001 vom 3. Juni 2002 E. 2.2 mit Hinweisen; vgl. Urteil 1P.641/2000 vom 24. April 2001 E. 3). In dem Masse, wie der Betroffene auf Mitwirkung verzichtet, begibt er sich der Möglichkeit, auf sein Verfahren einzuwirken und seine Interessen aktiv wahrzunehmen. Das kann aber die Behörden nicht hindern, ihre gesetzliche Aufgabe wahrzunehmen. Zu prüfen ist in solchen Fällen nur noch, ob die Behörden wirksame Verteidigungsmöglichkeiten gewährt und das Beweismaterial gesetzmässig verwendet haben (erwähntes Urteil 6B 439/2010 E. 5.6). Dass dies nicht geschehen wäre, ist nicht ersichtlich.
1.5. Die Vorinstanz verweist im Wesentlichen auf die Beweiswürdigung und die rechtlichen Erwägungen der ersten Instanz. Dies ist im Rahmen von Art. 82 Abs. 4
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 82 Einschränkungen der Begründungspflicht - 1 Das erstinstanzliche Gericht verzichtet auf eine schriftliche Begründung, wenn es: |
|
1 | Das erstinstanzliche Gericht verzichtet auf eine schriftliche Begründung, wenn es: |
a | das Urteil mündlich begründet; und |
b | nicht eine Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren, eine Verwahrung nach Artikel 64 StGB35, eine Behandlung nach Artikel 59 StGB oder, bei gleichzeitig zu widerrufenden bedingten Sanktionen, einen Freiheitsentzug von mehr als zwei Jahren ausspricht. |
2 | Das Gericht stellt den Parteien nachträglich ein begründetes Urteil zu, wenn: |
a | eine Partei dies innert 10 Tagen nach Zustellung des Dispositivs verlangt; |
b | eine Partei ein Rechtsmittel ergreift. |
3 | Verlangt nur die Privatklägerschaft ein begründetes Urteil oder ergreift sie allein ein Rechtsmittel, so begründet das Gericht das Urteil nur in dem Masse, als dieses sich auf das strafbare Verhalten zum Nachteil der Privatklägerschaft und auf deren Zivilansprüche bezieht. |
4 | Im Rechtsmittelverfahren kann das Gericht für die tatsächliche und die rechtliche Würdigung des angeklagten Sachverhalts auf die Begründung der Vorinstanz verweisen. |
Willkürprüfung stand, so stellt sich die Frage der Unschuldsvermutung letztinstanzlich nicht mehr (vgl. zur Publ. in der amtl. Sammlung vorgesehenes Urteil 6B 804/2017 vom 23. Mai 2018 E. 2.2.3.2).
2.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist wegen Aussichtslosigkeit des Rechtsbegehrens abzuweisen (Art. 64 Abs. 1
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz BGG Art. 64 Unentgeltliche Rechtspflege - 1 Das Bundesgericht befreit eine Partei, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, auf Antrag von der Bezahlung der Gerichtskosten und von der Sicherstellung der Parteientschädigung, sofern ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. |
|
1 | Das Bundesgericht befreit eine Partei, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, auf Antrag von der Bezahlung der Gerichtskosten und von der Sicherstellung der Parteientschädigung, sofern ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. |
2 | Wenn es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, bestellt das Bundesgericht der Partei einen Anwalt oder eine Anwältin. Der Anwalt oder die Anwältin hat Anspruch auf eine angemessene Entschädigung aus der Gerichtskasse, soweit der Aufwand für die Vertretung nicht aus einer zugesprochenen Parteientschädigung gedeckt werden kann. |
3 | Über das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege entscheidet die Abteilung in der Besetzung mit drei Richtern oder Richterinnen. Vorbehalten bleiben Fälle, die im vereinfachten Verfahren nach Artikel 108 behandelt werden. Der Instruktionsrichter oder die Instruktionsrichterin kann die unentgeltliche Rechtspflege selbst gewähren, wenn keine Zweifel bestehen, dass die Voraussetzungen erfüllt sind. |
4 | Die Partei hat der Gerichtskasse Ersatz zu leisten, wenn sie später dazu in der Lage ist. |
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz BGG Art. 66 Erhebung und Verteilung der Gerichtskosten - 1 Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben. |
|
1 | Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben. |
2 | Wird ein Fall durch Abstandserklärung oder Vergleich erledigt, so kann auf die Erhebung von Gerichtskosten ganz oder teilweise verzichtet werden. |
3 | Unnötige Kosten hat zu bezahlen, wer sie verursacht. |
4 | Dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen dürfen in der Regel keine Gerichtskosten auferlegt werden, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis, ohne dass es sich um ihr Vermögensinteresse handelt, das Bundesgericht in Anspruch nehmen oder wenn gegen ihre Entscheide in solchen Angelegenheiten Beschwerde geführt worden ist. |
5 | Mehrere Personen haben die ihnen gemeinsam auferlegten Gerichtskosten, wenn nichts anderes bestimmt ist, zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung zu tragen. |
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz BGG Art. 65 Gerichtskosten - 1 Die Gerichtskosten bestehen in der Gerichtsgebühr, der Gebühr für das Kopieren von Rechtsschriften, den Auslagen für Übersetzungen, ausgenommen solche zwischen Amtssprachen, und den Entschädigungen für Sachverständige sowie für Zeugen und Zeuginnen. |
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1 | Die Gerichtskosten bestehen in der Gerichtsgebühr, der Gebühr für das Kopieren von Rechtsschriften, den Auslagen für Übersetzungen, ausgenommen solche zwischen Amtssprachen, und den Entschädigungen für Sachverständige sowie für Zeugen und Zeuginnen. |
2 | Die Gerichtsgebühr richtet sich nach Streitwert, Umfang und Schwierigkeit der Sache, Art der Prozessführung und finanzieller Lage der Parteien. |
3 | Sie beträgt in der Regel: |
a | in Streitigkeiten ohne Vermögensinteresse 200-5000 Franken; |
b | in den übrigen Streitigkeiten 200-100 000 Franken. |
4 | Sie beträgt 200-1000 Franken und wird nicht nach dem Streitwert bemessen in Streitigkeiten: |
a | über Sozialversicherungsleistungen; |
b | über Diskriminierungen auf Grund des Geschlechts; |
c | aus einem Arbeitsverhältnis mit einem Streitwert bis zu 30 000 Franken; |
d | nach den Artikeln 7 und 8 des Behindertengleichstellungsgesetzes vom 13. Dezember 200223. |
5 | Wenn besondere Gründe es rechtfertigen, kann das Bundesgericht bei der Bestimmung der Gerichtsgebühr über die Höchstbeträge hinausgehen, jedoch höchstens bis zum doppelten Betrag in den Fällen von Absatz 3 und bis zu 10 000 Franken in den Fällen von Absatz 4. |
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz BGG Art. 66 Erhebung und Verteilung der Gerichtskosten - 1 Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben. |
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1 | Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben. |
2 | Wird ein Fall durch Abstandserklärung oder Vergleich erledigt, so kann auf die Erhebung von Gerichtskosten ganz oder teilweise verzichtet werden. |
3 | Unnötige Kosten hat zu bezahlen, wer sie verursacht. |
4 | Dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen dürfen in der Regel keine Gerichtskosten auferlegt werden, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis, ohne dass es sich um ihr Vermögensinteresse handelt, das Bundesgericht in Anspruch nehmen oder wenn gegen ihre Entscheide in solchen Angelegenheiten Beschwerde geführt worden ist. |
5 | Mehrere Personen haben die ihnen gemeinsam auferlegten Gerichtskosten, wenn nichts anderes bestimmt ist, zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung zu tragen. |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
3.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Strafrecht, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 8. Januar 2019
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Denys
Der Gerichtsschreiber: Traub