Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1C 499/2015

Urteil vom 7. Dezember 2015

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Kneubühler,
Gerichtsschreiberin Gerber.

Verfahrensbeteiligte
A.________ AG, vertreten durch Fürsprecher Philippe Landtwing,
Beschwerdeführerin,

gegen

1. B.________ AG,
2. C.________ AG,
beide vertreten durch Fürsprecher Walter Streit,
Beschwerdegegnerinnen,

Einwohnergemeinde Thun, Bauinspektorat, I
Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion des Kantons Bern, Rechtsamt.

Gegenstand
Baubewilligung für ein Mehrfamilienhaus mit Einstellhalle und kommerzieller Nutzungsfläche,

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, vom 25. August 2015.

Sachverhalt:

A.
Am 18. März 2014 erteilte die Einwohnergemeinde Thun der B.________ AG und der C.________ AG die Bewilligung für den Neubau eines Mehrfamilienhauses mit Einstellhalle und kommerzieller Nutzungsfläche auf den Grundstücken Nrn. 1880 und 919 in der Zone Wohnen/Arbeiten W/A3+ in Thun. Die dagegen erhobene Einsprache der A.________ AG wurde abgewiesen.

Die Bauparzelle liegt an der Bernstrasse, zwischen dem Berntorkreisel und dem Kreisel Bernstrasse/Kyburgstrasse. Das neue Mehrfamilienhaus soll 37.9 m lang, 37.7 m breit und 18.95 m hoch werden. Zur Bernstrasse hin sind insgesamt 6 Geschosse vorgesehen: ein zurückversetzes Erdgeschoss mit Laubengang, vier Obergeschosse und ein Attikageschoss; im rückwärtigen westlichen Gebäudeteil sind nur zwei Geschosse geplant.

B.
Gegen den Bauentscheid reichte die A.________ AG am 22. April 2014 Beschwerde bei der Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion des Kantons Bern (BVE) ein. Diese holte bei der kantonalen Kommission zur Pflege der Orts- und Landschaftsbilder (OLK) einen Fachbericht ein und führte am 17. September 2014 einen Augenschein durch. Am 12. Dezember 2014 wies sie das Rechtsmittel ab.

Die dagegen erhobene Beschwerde der A.________ AG wurde am 25. August 2015 vom Verwaltungsgericht des Kantons Bern abgewiesen.

C.
Die A.________ AG gelangte dagegen am 28. September 2015 mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht. Sie beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Sache sei zur Neubeurteilung an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen.

D.
Die B.________ AG und die C.________ AG (nachfolgend: die Beschwerdegegnerinnen) beantragen, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Die Stadt Thun, die BVE und das Verwaltungsgericht schliessen auf Abweisung der Beschwerde.

Die Beschwerdeführerin hat auf eine Replik verzichtet.

E.
Mit Verfügung vom 22. Oktober 2015 wurde das Gesuch um aufschiebende Wirkung abgewiesen.

Erwägungen:

1.
Gegen den kantonal letztinstanzlichen Endentscheid des Verwaltungsgerichts steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht offen (Art. 82 lit. a
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 82 Grundsatz - Das Bundesgericht beurteilt Beschwerden:
a  gegen Entscheide in Angelegenheiten des öffentlichen Rechts;
b  gegen kantonale Erlasse;
c  betreffend die politische Stimmberechtigung der Bürger und Bürgerinnen sowie betreffend Volkswahlen und -abstimmungen.
, 86 Abs. 1
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 86 Vorinstanzen im Allgemeinen - 1 Die Beschwerde ist zulässig gegen Entscheide:
1    Die Beschwerde ist zulässig gegen Entscheide:
a  des Bundesverwaltungsgerichts;
b  des Bundesstrafgerichts;
c  der unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen;
d  letzter kantonaler Instanzen, sofern nicht die Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht zulässig ist.
2    Die Kantone setzen als unmittelbare Vorinstanzen des Bundesgerichts obere Gerichte ein, soweit nicht nach einem anderen Bundesgesetz Entscheide anderer richterlicher Behörden der Beschwerde an das Bundesgericht unterliegen.
3    Für Entscheide mit vorwiegend politischem Charakter können die Kantone anstelle eines Gerichts eine andere Behörde als unmittelbare Vorinstanz des Bundesgerichts einsetzen.
lit. d und 90 BGG). Die Beschwerdeführerin ist als Eigentümerin des der Bauparzelle gegenüberliegenden Grundstücks zur Beschwerde legitimiert (Art. 89 Abs. 1
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 89 Beschwerderecht - 1 Zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist berechtigt, wer:
1    Zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist berechtigt, wer:
a  vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat;
b  durch den angefochtenen Entscheid oder Erlass besonders berührt ist; und
c  ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung hat.
2    Zur Beschwerde sind ferner berechtigt:
a  die Bundeskanzlei, die Departemente des Bundes oder, soweit das Bundesrecht es vorsieht, die ihnen unterstellten Dienststellen, wenn der angefochtene Akt die Bundesgesetzgebung in ihrem Aufgabenbereich verletzen kann;
b  das zuständige Organ der Bundesversammlung auf dem Gebiet des Arbeitsverhältnisses des Bundespersonals;
c  Gemeinden und andere öffentlich-rechtliche Körperschaften, wenn sie die Verletzung von Garantien rügen, die ihnen die Kantons- oder Bundesverfassung gewährt;
d  Personen, Organisationen und Behörden, denen ein anderes Bundesgesetz dieses Recht einräumt.
3    In Stimmrechtssachen (Art. 82 Bst. c) steht das Beschwerderecht ausserdem jeder Person zu, die in der betreffenden Angelegenheit stimmberechtigt ist.
BGG). Auf die rechtzeitig erhobene Beschwerde (Art. 100 Abs. 1
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 100 Beschwerde gegen Entscheide - 1 Die Beschwerde gegen einen Entscheid ist innert 30 Tagen nach der Eröffnung der vollständigen Ausfertigung beim Bundesgericht einzureichen.
1    Die Beschwerde gegen einen Entscheid ist innert 30 Tagen nach der Eröffnung der vollständigen Ausfertigung beim Bundesgericht einzureichen.
2    Die Beschwerdefrist beträgt zehn Tage:
a  bei Entscheiden der kantonalen Aufsichtsbehörden in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen;
b  bei Entscheiden auf den Gebieten der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen und der internationalen Amtshilfe in Steuersachen;
c  bei Entscheiden über die Rückgabe eines Kindes nach dem Europäischen Übereinkommen vom 20. Mai 198089 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgerechts oder nach dem Übereinkommen vom 25. Oktober 198090 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung;
d  bei Entscheiden des Bundespatentgerichts über die Erteilung einer Lizenz nach Artikel 40d des Patentgesetzes vom 25. Juni 195492.
3    Die Beschwerdefrist beträgt fünf Tage:
a  bei Entscheiden der kantonalen Aufsichtsbehörden in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen im Rahmen der Wechselbetreibung;
b  bei Entscheiden der Kantonsregierungen über Beschwerden gegen eidgenössische Abstimmungen.
4    Bei Entscheiden der Kantonsregierungen über Beschwerden gegen die Nationalratswahlen beträgt die Beschwerdefrist drei Tage.
5    Bei Beschwerden wegen interkantonaler Kompetenzkonflikte beginnt die Beschwerdefrist spätestens dann zu laufen, wenn in beiden Kantonen Entscheide getroffen worden sind, gegen welche beim Bundesgericht Beschwerde geführt werden kann.
6    ...93
7    Gegen das unrechtmässige Verweigern oder Verzögern eines Entscheids kann jederzeit Beschwerde geführt werden.
BGG) ist daher grundsätzlich einzutreten.

2.
Vor Bundesgericht ist nur noch streitig, ob das Bauvorhaben die Vorschriften des Gemeindereglements zum Nutzungsmass, insbesondere hinsichtlich Gebäudehöhe und Geschosszahl, einhält. Die Auslegung und Anwendung von kommunalem Recht prüft das Bundesgericht (von hier nicht einschlägigen Ausnahmen abgesehen) nur unter dem Blickwinkel des Willkürverbots (Art. 9
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 9 Schutz vor Willkür und Wahrung von Treu und Glauben - Jede Person hat Anspruch darauf, von den staatlichen Organen ohne Willkür und nach Treu und Glauben behandelt zu werden.
BV).

Willkür liegt nach der Rechtsprechung nicht schon dann vor, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar erscheint oder sogar vorzuziehen wäre. Das Bundesgericht weicht vom Entscheid der kantonalen Instanz nur ab, wenn dieser offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 136 I 316 E. 2.2.2 S. 318 f. mit Hinweisen).

Das Bundesgericht prüft das Vorliegen von Willkür nicht von Amtes wegen, sondern nur insofern, als dies in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 106 Rechtsanwendung - 1 Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an.
1    Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an.
2    Es prüft die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist.
BGG; Rügeprinzip). Dabei gelten qualifizierte Begründungsanforderungen (BGE 133 II 249 E. 1.4.2 S. 254 mit Hinweisen) : Anhand der angefochtenen Subsumtion muss im Einzelnen dargelegt werden, inwiefern der Entscheid an einem qualifizierten und offensichtlichen Mangel leidet (BGE 130 I 258 E. 1.3 S. 261 mit Hinweisen).

3.
Art. 21 Abs. 3 des Baureglements der Stadt Thun vom 2. Juni 2002 (BR) lautet:

"Für die Zonen W3+ und W/A3+, die nicht von einer besonderen baurechtlichen Ordnung überlagert werden, gelten das Nutzungsmass und die baupolizeilichen Masse der vorherrschenden Bebauung."

3.1. Die Stadt Thun steht auf dem Standpunkt, für die Bestimmung des zulässigen Nutzungsmasses in der W3+ und W/A3+ sei auf eine städtebauliche Beurteilung abzustellen. Art. 21 Abs. 3 BR diene dazu, in städtebaulich heiklen Lagen auf den Einzelfall bezogene Lösungen zu finden, um der Komplexität der architektonischen Situation gerecht zu werden. Zu berücksichtigen sei die Gesamtwirkung des Bauvorhabens unter Einbezug der baulichen Entwicklung in der Umgebung. Massgeblich sei damit eine qualitative und nicht eine quantitative Betrachtung.

3.2. Die Beschwerdeführerin beruft sich dagegen auf den von der Stadt Thun zusammen mit dem Baureglement veröffentlichten Kommentar zu Art. 21 Abs. 3 BR. Dieser lautet:

"Masse der vorherrschenden Bebauung: Abstände (oder Gebäudeflucht), Gebäudelänge (oder geschlossene Bauweise), Gebäudehöhe und Geschosszahl, die von der Mehrzahl der bestehenden Bauten entlang einer Strasse oder einer Gebäudegruppe eingehalten werden."

Daraus ergebe sich klar, dass die Bestimmung in einem quantitativen Sinn zu verstehen sei.

3.3. Das Verwaltungsgericht führte aus, dass der in Art. 21 Abs. 3 BR verwendete Begriff "vorherrschend" sowohl in einem quantitativen Sinne ("vorwiegend", "überwiegend") als auch in einem qualitativen Sinn ("dominierend", "prägend") verstanden werden könne und daher beide Auslegungen zulasse. Der von der Beschwerdeführerin erwähnte Kommentar sei Teil des "Handbuchs Bau und Nutzung" (Art. 4 Abs. 2 BR). Er stelle eine Anwendungshilfe dar; dagegen sei der Kommentar weder vollständig noch verbindlich (vgl. Kommentar zu Art. 4 Abs. 1 Baureglement sowie die Gebrauchsanweisung BR, Stichwort "Kommentar"). Er sei auch nicht Bestandteil der Abstimmungsunterlagen gewesen; der Botschaft des Stadtrates habe nur das unkommentierte Baureglement beigelegen.

Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts vermag das im Kommentar dargestellte Normverständnis auch nicht zu überzeugen: Eine rein rechnerische Ermittlung der zulässigen Masse führe nicht unbedingt zu einem klaren Ergebnis, da weder die Bestimmung noch der Kommentar eindeutige Kriterien für die Definition des massgeblichen Perimeters enthielten. Hätte die Gemeinde sich am rechnerischen Durchschnitt orientieren wollen, hätte sie die entsprechenden Masse auch gleich ermitteln und im Baureglement festlegen können. Schliesslich falle auf, dass die Zone W/A3+ grösstenteils die altrechtliche Kernzone I abgelöst habe, welche in diesem Gebiet viergeschossige Bauten zugelassen habe. Im Verzicht, die Geschosszahl auf vier zu beschränken, komme der Wille zum Ausdruck, in diesem Gebiet gewisse bauliche Entwicklungsmöglichkeiten zu gestatten. Die Auslegung der Gemeinde sei daher, unter Berücksichtigung des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums bei der Auslegung von Gemeinderecht, nicht zu beanstanden.

3.4. Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass der Kommentar den Stimmbürgern bei der Abstimmung über das Baureglement unbekannt war; es ist daher nicht ersichtlich, inwiefern diese in ihrem berechtigten Vertrauen getäuscht oder gar "hinters Licht geführt" worden seien.

Ihr ist insoweit beizupflichten, als der Kommentar den Willen des historischen Reglementgebers wohl am besten zum Ausdruck bringt. Allerdings bedeutet das noch nicht, dass jede andere Auslegung von vornherein willkürlich wäre. In erster Linie muss eine Norm aus sich selbst heraus, d.h. nach ihrem Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihr zugrunde liegenden Wertungen ausgelegt werden, ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis der ratio legis (BGE 141 II 262 E. 4.1 S. 272 mit Hinweisen). Die Gemeinde darf bei der Anwendung des Baureglements im Einzelfall auch alle Überlegungen berücksichtigen, die für das richtige Normverständnis sachgerecht erscheinen, und bei der Anwendung von selbstständigem kommunalem Recht steht ihr ein gewisser Beurteilungsspielraum zu (vgl. angefochtener Entscheid E. 3.2).

3.5. Näher zu prüfen ist der Einwand der Beschwerdeführerin, wonach die Gemeinde durch die Publikation des Kommentars zu Art. 21 Abs. 3 BR ihre Auslegung verbindlich konkretisiert und damit ihre Autonomie eingeschränkt habe.

3.5.1. Der Kommentar ist nach Art. 4 Abs. 1 BR eine notwendige Ergänzung des Baureglements und wird mit diesem und weiteren Unterlagen im "Handbuch Bau und Nutzung" sowie auf Internet publiziert. Die darin enthaltenen Erläuterungen können ihre Funktion als Hilfestellung für Bauwillige nur erfüllen, wenn sie der Praxis der Baubehörde entsprechen, d.h. diese sich in der Regel an den Kommentar hält. Dessen Funktion kommt derjenigen einer Verwaltungsverordnung nahe, die verwaltungsintern die Auslegung und Anwendung des Baureglements steuern soll.
Verwaltungsverordnungen entfalten grundsätzlich nur im Verhältnis zwischen übergeordneter und untergeordneter Verwaltungseinheit verpflichtende Wirkung; für die Gerichte sind sie nicht verbindlich. Dennoch sind sie nach der bundesgerichtlichen Praxis zu berücksichtigen, sofern sie eine dem Einzelfall angepasste und gerecht werdende Auslegung der anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen zulassen; das Gericht weicht nicht ohne triftigen Grund von der Verwaltungsverordnung ab, wenn diese eine überzeugende Konkretisierung der rechtlichen Vorgaben darstellt (zur amtlichen Publikation bestimmtes Urteil 5A 634/2014 vom 3. September 2015 E. 4.2.2 mit Hinweisen). Die Abweichung muss deshalb begründet werden (a.a.O. E. 4.2.3).

3.5.2. Vorliegend hat das Verwaltungsgericht dargelegt, weshalb die im Kommentar vertretene Auslegung von Art. 21 Abs. 3 BR nicht überzeuge (vgl. oben E. 3.3). Diese Begründung ist sachlich vertretbar und jedenfalls unter Willkürgesichtspunkten nicht zu beanstanden:

Es erscheint plausibel, dass mit der offenen Formulierung in Art. 21 Abs. 3 BR Raum für die bauliche Entwicklung des Gebiets und für gute städtebauliche Lösungen belassen werden sollte, unter Berücksichtigung der vorherigen Zonierung (viergeschossige Kernzone) und der heterogenen Überbauung des fraglichen Gebiets. Dieses Anliegen lässt sich mit einer rein quantitativen Betrachtung kaum erreichen, sondern bedarf einer Orientierung an städtebaulichen, d.h. qualitativen Kriterien.

Hinzu kommen die von den Vorinstanzen hervorgehobenen Anwendungsschwierigkeiten bei einer quantitativen Auslegung: Die Masse der Mehrzahl der Bauten können nur ermittelt werden, wenn der Perimeter definiert ist. Weder Art. 21 Abs. 3 BR noch dem Kommentar lässt sich jedoch klar entnehmen, wie das massgebliche Gebiet abzugrenzen ist: Der Hinweis im Kommentar auf die "bestehenden Bauten entlang einer Strasse oder einer Gebäudegruppe" lässt offen, wann die Strasse und wann eine Gebäudegruppe (hier z.B. die Gruppe um das Hotel "Am Schloss") massgeblich ist, und wie weit die Strasse zu fassen ist (gesamter Strassenzug oder nur der Abschnitt innerhalb der Zone W/A 3+? Bauten auf einer oder auf beiden Strassenseiten? Bis in welche Bautiefe?).

Das Abstellen auf die städtebaulich prägenden Bauten bedeutet - entgegen der Befürchtung der Beschwerdeführerin - keinen Freipass für die willkürliche Festsetzung der Baumasse : Die Stadt muss begründen, weshalb sie gewisse bestehende Bauten als prägend erachtet; dies kann im Rechtsmittelverfahren überprüft werden, notfalls unter Beizug von Fachkommissionen (hier: kantonale Kommission zur Pflege des Orts- und Landschaftsbildes).

3.6. Nach dem Gesagten ist die Auslegung der Vorinstanzen aus bundesrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden, trotz Abweichung vom Kommentar zu Art. 21 Abs. 3 BR.

4.
Zu prüfen ist noch, ob die so ausgelegte Norm im konkreten Fall willkürlich angewendet wurde.

4.1. Zwischen dem Berntorkreisel und der Bauparzelle befinden sich auf der westliche Strassenseite das sechsgeschossige Hotel "Am Schloss" (Bernstrasse 1, früher Hotel "Elite"), die viergeschossige Migros-Klubschule (Bernstrasse 1a) und - etwas zurückversetzt - das Gebäude Bernstrasse 3 mit fünf Geschossen und einem zusätzlichen Attikageschoss. Westlich des Bauvorhabens steht ein viergeschossiger Neubau und nördlich ein langgezogener dreigeschossiger Bau (Bernstrasse 11). Der weiter westlich und nördlich gelegene Teil des Quartiers ist kleinräumiger bebaut und weist grösstenteils ältere Ein- und Mehrfamilienhäuser auf. Auf der östlichen Strassenseite liegt direkt gegenüber der Bauparzelle das zweigeschossige Gebäude der Beschwerdeführerin (Bernstrasse 8). Zwischen diesem und dem Berntorkreisel steht ein drei- bis viergeschossiger Gebäuderiegel (Bernstrasse 2-6).

4.2. Das Verwaltungsgericht legte dar, dass sich die Beurteilung an der Baugruppe um das Hotel "Am Schloss" orientieren dürfe, da diese die Eingangssituation zur Innenstadt präge und aufgrund der verdichteten Bauweise, den städtischen Dimensionen und der Gestaltung der Bauten als eine Einheit erscheine. Die weniger hohen Gebäude auf der Ostseite der Bernstrasse hätten keinen prägenden Einfluss auf die Eingangssituation und seien für die städtebauliche Entwicklung nicht massgeblich. Die Bauten nördlich der Bauparzelle seien schon deshalb nicht massgebend, weil sie einer anderen Zone zugeteilt seien (W/A 3). Das Bauvorhaben überschreite die Masse der Referenzgruppe nicht, weise doch nicht nur das Hotel "Am Schloss", sondern auch die Baute Bernstrasse 3 eine Höhe von rund 19 m und sechs Geschosse (bzw. fünf Geschosse mit einem zusätzlichen Attikageschoss) auf.

4.3. Es ist fraglich, ob die Beschwerdeführerin eine genügende Willkürrüge in Bezug auf die Rechtsanwendung erhebt, geht sie doch bei ihrer Argumentation von einer anderen (quantitativen) Auslegung von Art. 21 Abs. 3 BR aus. Jedenfalls aber genügen die Rügen nicht, um die Baubewilligung als willkürlich erscheinen zu lassen:

Entgegen der Kritik der Beschwerdeführerin stellten die Vorinstanzen nicht auf eine einzige Baute (das sechsgeschossige Hotel "Am Schloss") ab, sondern auf die ganze Gebäudegruppe (Bernstrasse 1, 1a und 3). Zwar befindet sich diese am Kopf der Bernstrasse und weicht von der übrigen Überbauung - nördlich der Bauparzelle und östlich der Bernstrasse - ab. Da jedoch das Bauvorhaben an diese Baugruppe anschliesst, erscheint es nicht willkürlich, sie als für das Bauvorhaben prägend zu qualifizieren. Der damit entstehende Kontrast zur nördlich angrenzenden tieferen Bebauung entspricht der unterschiedlichen Zonierung (W/A3 in Norden und W/A3+ im Süden) und ist damit von der Nutzungsplanung gewollt.

5.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beschwerdeführerin kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 66
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 66 Erhebung und Verteilung der Gerichtskosten - 1 Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
1    Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
2    Wird ein Fall durch Abstandserklärung oder Vergleich erledigt, so kann auf die Erhebung von Gerichtskosten ganz oder teilweise verzichtet werden.
3    Unnötige Kosten hat zu bezahlen, wer sie verursacht.
4    Dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen dürfen in der Regel keine Gerichtskosten auferlegt werden, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis, ohne dass es sich um ihr Vermögensinteresse handelt, das Bundesgericht in Anspruch nehmen oder wenn gegen ihre Entscheide in solchen Angelegenheiten Beschwerde geführt worden ist.
5    Mehrere Personen haben die ihnen gemeinsam auferlegten Gerichtskosten, wenn nichts anderes bestimmt ist, zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung zu tragen.
und 68
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 68 Parteientschädigung - 1 Das Bundesgericht bestimmt im Urteil, ob und in welchem Mass die Kosten der obsiegenden Partei von der unterliegenden zu ersetzen sind.
1    Das Bundesgericht bestimmt im Urteil, ob und in welchem Mass die Kosten der obsiegenden Partei von der unterliegenden zu ersetzen sind.
2    Die unterliegende Partei wird in der Regel verpflichtet, der obsiegenden Partei nach Massgabe des Tarifs des Bundesgerichts alle durch den Rechtsstreit verursachten notwendigen Kosten zu ersetzen.
3    Bund, Kantonen und Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen wird in der Regel keine Parteientschädigung zugesprochen, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis obsiegen.
4    Artikel 66 Absätze 3 und 5 ist sinngemäss anwendbar.
5    Der Entscheid der Vorinstanz über die Parteientschädigung wird vom Bundesgericht je nach Ausgang des Verfahrens bestätigt, aufgehoben oder geändert. Dabei kann das Gericht die Entschädigung nach Massgabe des anwendbaren eidgenössischen oder kantonalen Tarifs selbst festsetzen oder die Festsetzung der Vorinstanz übertragen.
BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat die privaten Beschwerdegegnerinnen für das bundesgerichtliche Verfahren mit insgesamt Fr. 3'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Einwohnergemeinde Thun, Bauinspektorat, der Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion und dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 7. Dezember 2015

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Die Gerichtsschreiberin: Gerber
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 1C_499/2015
Date : 07. Dezember 2015
Published : 25. Dezember 2015
Source : Bundesgericht
Status : Unpubliziert
Subject area : Raumplanung und öffentliches Baurecht
Subject : Baubewilligung für ein Mehrfamilienhaus mit Einstellhalle und kommerzieller Nutzungsfläche


Legislation register
BGG: 66  68  82  86  89  100  106
BV: 9
BGE-register
130-I-258 • 133-II-249 • 136-I-316 • 141-II-262
Weitere Urteile ab 2000
1C_499/2015 • 5A_634/2014
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