Bundesverwaltungsgericht
Tribunal administratif fédéral
Tribunale amministrativo federale
Tribunal administrativ federal


Abteilung VI

F-177/2016

Urteil vom 7. Februar 2017

Richter Martin Kayser (Vorsitz),

Besetzung Richter Andreas Trommer, Richter Antonio Imoberdorf,

Gerichtsschreiber Ardian Nikolla.

A._______,

Parteien vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Christoph Zobl,

Beschwerdeführer,

gegen

Staatssekretariat für Migration SEM,

Quellenweg 6, 3003 Bern,

Vorinstanz.

Gegenstand Vorläufige Aufnahme.

Sachverhalt:

A.
Der aus Syrien stammende Beschwerdeführer (geb. [...]) reiste am (...) in die Schweiz ein und ersuchte am darauffolgenden Tag um Asyl. Als Asylgrund gab er an, dass er für die Muslimbruderschaft als Briefbote tätig gewesen sei. Daraufhin sei er vom syrischen Nachrichtendienst gesucht worden. Aus Angst vor dem Assad-Regime habe er sein Heimatland verlassen (Vorakten des Staatsekretariats für Migration [nachfolgend: SEM act.] 1/10 sowie Akten des Bundesamts für Flüchtlinge im Verfahren Nr. [...] [nachfolgend: SEM N-act.] A1/5, A3/7-9).

B.
Aufgrund der Heirat mit der aus Algerien stammenden und in der Schweiz niedergelassenen B._______ erhielt der Beschwerdeführer am 7. Februar 2000 im Kanton X._______ eine Aufenthaltsbewilligung. In der Folge zog er sein Asylgesuch am 12. März 2000 zurück. Der Beziehung entstammt die gemeinsame Tochter C._______ (geb.1999). Diese wurde nach der Scheidung im Jahr 2005 unter die elterliche Sorge der Mutter gestellt (SEM act. 1/10 und 3/54). Im Jahr 2010 heiratete der seit März 2004 niederlassungsberechtigte Beschwerdeführer die aus Marokko stammende D._______.

C.
Mit Urteil vom 20. September 2013 wurde der Beschwerdeführer vom Obergericht des Kantons X._______ wegen versuchter räuberischer Erpressung, mehrfacher Körperverletzung, Nötigung und mehrfacher Drohung mit einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren belegt (SEM act. 3/32-33 sowie Akten des Bundesverwaltungsgerichts [nachfolgend: BVGer act.] 10). Das Urteil, welches im Wesentlichen jenes des Bezirksgerichts Y._______ vom 24. Oktober 2012 bestätigte, wurde in der Folge rechtskräftig. Am 5. März 2015 wurde der Beschwerdeführer vorzeitig bedingt aus dem Strafvollzug entlassen (SEM act. 3/53-54).

D.
Am 19. März 2015 widerrief das Migrationsamt des Kantons X._______ (nachfolgend: Migrationsamt) die Niederlassungsbewilligung des Beschwerdeführers und wies ihn aus der Schweiz weg (SEM act. 3/39). Die [kantonale Rekursinstanz] hiess einen dagegen erhobenen Rekurs teilweise gut und beauftragte das Migrationsamt am 8. Juli 2015, beim Staatssekretariat für Migration (SEM bzw. Vorinstanz) die vorläufige Aufnahme des Beschwerdeführers zu beantragen (vgl. SEM act. 3/40).

E.
Das Migrationsamt beantragte in der Folge beim SEM die vorläufige Aufnahme des Beschwerdeführers. Am 2. Dezember 2015 lehnte die Vorin-stanz eine vorläufige Aufnahme nach Gewährung des rechtlichen Gehörs ab. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner Vergehen gestützt auf Art. 83 Abs. 7 AuG (SR 142.20) keinen Anspruch auf eine vorläufige Aufnahme wegen Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs habe (Art. 83 Abs. 4 AuG). Ferner stünden auch keine völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz der Wegweisung entgegen (Art. 83 Abs. 3 AuG), da in Syrien keine generelle Gefährdung der Gesamtbevölkerung an Leib und Leben bestehe und auch im vorliegenden Fall eine konkrete Gefährdung weder belegt noch ersichtlich sei (SEM act. 8/90-93).

F.
Mit Rechtsmitteleingabe vom 11. Januar 2016 beantragt der Beschwerdeführer, den Antrag auf vorläufige Aufnahme gutzuheissen und eventualiter das Verfahren zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. In seiner Begründung macht er geltend, das SEM habe Art. 83 AuG falsch angewendet. Der Verweigerung der vorläufigen Aufnahme stünde Art. 83 Abs. 3 AuG entgegen. Ferner sei die Ablehnung der vorläufigen Aufnahme mit Hinblick auf seine Beziehung zu seiner Tochter, seine wirtschaftliche Existenz sowie seine Integration in der Schweiz ein Verstoss gegen das Verhältnismässigkeitsprinzip (BVGer act. 1).

G.
In der Vernehmlassung vom 17. Februar 2016 hält die Vorinstanz vollumfänglich an ihren Erwägungen fest und beantragt die Abweisung der Beschwerde (BVGer act. 6).

H.
Die Vernehmlassung wurde dem Beschwerdeführer in der Folge zugestellt und am 28. November 2016 das erwähnte Urteil des Obergerichts beigezogen (vgl. vorn unter C).

I.
Auf den weiteren Akteninhalt wird, soweit rechtserheblich, in den Erwägungen eingegangen.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.

1.1 Verfügungen des SEM sind beim Bundesverwaltungsgericht anfechtbar (Art. 31 ff . VGG i.V.m. Art. 5 VwVG). Das Rechtsmittelverfahren richtet sich nach dem VwVG, soweit das VGG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG). Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet vorliegend endgültig (vgl. Art. 83 Bst. c Ziff. 3 BGG).

1.2 Die vorläufige Aufnahme wird durch den Kanton beantragt (Art. 83 Abs. 6 AuG). Lehnt das SEM, wie hier, diesen Antrag ab, ist die betroffene Person zur Anfechtung dieses Entscheids legitimiert (Urteil des BVGer D-524/2011 vom 21. Dezember 2011 E. 1.2 m.H.). Auch sonst sind sämtliche Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt (vgl. Art. 48 ff . VwVG).

2.
Mit Beschwerde ans Bundesverwaltungsgericht kann vorliegend die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts und die Unangemessenheit gerügt werden (vgl. Art. 49 VwVG). Das Bundesverwaltungsgericht wendet im Beschwerdeverfahren das Bundesrecht von Amtes wegen an. Es ist gemäss Art. 62 Abs. 4 VwVG nicht an die Begründung der Begehren gebunden und kann die Beschwerde auch aus anderen als den geltend gemachten Gründen gutheissen oder abweisen. Massgebend sind grundsätzlich die tatsächlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt seines Entscheides (vgl. BVGE 2014/1 E. 2).

3.

3.1 Das SEM verfügt die vorläufige Aufnahme eines Ausländers oder einer Ausländerin, wenn der Vollzug der Weg- oder Ausweisung nicht möglich, nicht zulässig oder nicht zumutbar ist (Art. 83 Abs. 1 AuG). Die vorläufige Aufnahme wegen Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs (Art. 83 Abs. 2 und 4 AuG) wird unter anderem dann nicht verfügt, wenn die weg- oder ausgewiesene Person, wie hier, zu einer längerfristigen Freiheitsstrafe im In- oder Ausland verurteilt wurde (Art. 83 Abs. 7 Bst. a AuG). In so einem Fall ist allein zu prüfen, ob sich der Vollzug aufgrund von völkerrechtlichen Verpflichtungen als unzulässig erweist (vgl. Art. 83 Abs. 3 AuG). Letzteres wird im Grundsatz auch vom Beschwerdeführer anerkannt (vgl. Beschwerdeschrift Ziff. 11, BVGer act. 1).

3.2 Die Vorinstanz erachtet den Vollzug der Wegweisung als zulässig, da in Syrien keine generelle Gefährdung der Gesamtbevölkerung an Leib und Leben bestehe. Eine allgemeine, unmittelbare, ernsthafte und konkrete Gefährdung für Leib und Leben aller dort lebenden Personen liege nicht vor. Auch bezogen auf den konkreten Fall sei nicht substantiiert dargetan, dass völkerrechtliche Verpflichtungen der Schweiz einer Ausreise nach Syrien entgegenstehen würden. Der Vollzug der Wegweisung verletze insbesondere Art. 3 EMRK nicht (vgl. SEM act. 8/90-93).

3.3 In der Beschwerde rügte der Beschwerdeführer zunächst eine Verletzung von Art. 83 Abs. 3 AuG unter Verweis auf die Situation in seinem Heimatland Syrien (vgl. Beschwerdeschrift Ziff. 7 ff., BVGer act. 1 auch zum Folgenden). Z._______, die Herkunftsstadt des Beschwerdeführers, sei, nachdem die syrischen Rebellen zusammen mit der Al-Nusra-Front die Kontrolle übernommen hätten, durch Bombardements der syrischen Luftwaffen weitgehend zerstört worden. Berichten zufolge herrschten weiterhin Kämpfe zwischen Islamisten, Rebellen und Regierungstruppen. Die Situation habe sich durch das Eingreifen von Russland und verschiedenen europäischen Staaten sowie den USA verschlimmert. Aufgrund des Bürgerkrieges und des "unzimperlichen brutalen Vorgehens der betroffenen Parteien" sei von einem sehr grossen Risiko auszugehen, dass der Beschwerdeführer "getötet, gefoltert oder in einer eingekesselten Stadt ausgehungert würde". Daher sei aufgrund von Art. 3 EMRK die Wegweisung des Beschwerdeführers unzulässig.

4.

4.1 Völkerrechtliche Verpflichtungen im Sinne von Art. 83 Abs. 3 AuG können sich namentlich aus dem flüchtlingsrechtlichen Non-Refoulement-Gebot von Art. 33 Ziff. 1
IR 0.142.30 Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (mit Anhang)
FK Art. 33 Verbot der Ausweisung und Zurückstellung - 1. Kein vertragsschliessender Staat darf einen Flüchtling in irgendeiner Form in das Gebiet eines Landes ausweisen oder zurückstellen, wo sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatszugehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Anschauungen gefährdet wäre.
1    Kein vertragsschliessender Staat darf einen Flüchtling in irgendeiner Form in das Gebiet eines Landes ausweisen oder zurückstellen, wo sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatszugehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Anschauungen gefährdet wäre.
2    Auf diese Vorschrift kann sich ein Flüchtling nicht berufen, wenn erhebliche Gründe dafür vorliegen, dass er als eine Gefahr für die Sicherheit des Aufenthaltsstaates angesehen werden muss oder wenn er eine Bedrohung für die Gemeinschaft dieses Landes bedeutet, weil er wegen eines besonders schweren Verbrechens oder Vergehens rechtskräftig verurteilt worden ist.
des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (FK, SR 0.142.30), Art. 3 EMRK sowie dem inhaltlich mit letzterer Norm weitgehend übereinstimmenden Art. 3 des Übereinkommens vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (FoK, SR 0.105) ergeben (vgl. BGE 124 I 231 E. 2a). Diese Bestimmungen sind keiner Einschränkung zugänglich (BVGE 2010/42 E. 11.2 m.H.).

4.2 In seiner Rechtsprechung zu Art. 3 EMRK hat der EGMR festgehalten, dass der Vollzug der Wegweisung gegen Art. 3 EMRK verstösst, wenn für die betroffene Person im Zielstaat die ernsthafte Gefahr ("real risk") einer dieser Bestimmung widersprechenden Behandlung besteht (Urteil des EGMR Mamatkulov gegen die Türkei vom 4. Februar 2005, 46827/99, Ziff. 67). Dabei genügt es nicht, dass eine allgemeine Gefahr dargetan wird; vielmehr muss diese sich gerade auf die betroffene Person beziehen (vgl. Urteil des EGMR NA. gegen Grossbritannien vom 17. Juli 2008, 25904/07, Ziff. 113). Es muss glaubhaft sein, dass gerade die betroffene Person einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt sein würde. Dabei wird auf die allgemeine Situation und die Erfahrungen im Zielland abgestellt, wobei allein der Umstand, dass im Zielstaat ernsthafte Menschenrechtsverletzungen stattfinden, im allgemeinen nicht genügt, um eine ernsthafte Gefahr zu begründen (vgl. Urteil des EGMR Vilvarajah et al. gegen Grossbritannien vom 30. Oktober 1991, 13163/87, Ziff. 108; Oliver Thurin, Der Schutz des Fremden vor rechtswidriger Abschiebung - Das Prinzip des Non-Refoulement nach Artikel 3 EMRK, Wien/New York 2009, S. 179 f.). Vielmehr müssen spezifische Gründe dargelegt werden, welche die Gefahr für den Betroffenen, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden, als real erscheinen lassen (Thurin,a.a.O., S. 170; BGE 130 II 217 E. 8.1).

4.3 Im in der angefochtenen Verfügung zitierten Referenzurteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Lage in Syrien wurde festgestellt, dass sich am Bürgerkrieg verschiedene Parteien und Gruppierungen mit unterschiedlicher politischer, ethnischer und religiöser Prägung beteiligen, die zudem in wechselnden Koalitionen zueinander stehen. Ferner ist zu beobachten, dass auch gegen die Zivilbevölkerung in willkürlicher Weise mit massivster Gewalt und unter Einsatz von Kriegswaffen vorgegangen wird, so mittels Artillerie, Bombenangriffen sowie Giftgas. Hierbei gehen insbesondere die staatlichen syrischen Sicherheitskräfte seit dem Ausbruch des Konflikts im März 2011 gegen tatsächliche oder vermeintliche Regimegegner mit grösster Brutalität und Rücksichtslosigkeit vor. Personen, die sich an regimekritischen Demonstrationen beteiligt haben, sind in grosser Zahl von Verhaftung, Folter und willkürlicher Tötung betroffen (vgl. zum Ganzen Urteil des BVGer D-5779/2013 vom 25. Februar 2015 E. 5.3.1 sowie 5.7.2 m.H.).

4.4 In der Beschwerdeschrift werden die generelle Unübersichtlichkeit sowie die Volatilität der Machtverhältnisse in Syrien und im Speziellen in der Heimatstadt des Beschwerdeführers beschrieben (Beschwerdeschrift Ziff. 6 f., BVGer act. 1; vgl. auch Urteil BVGer D-5779/2013 E. 5.3.2 sowie 5.4.1). Im Kampf um die Kontrolle über die Stadt Z._______ stünden sich zum einen die syrische Armee von Baschar al-Assad und zum anderen verschiedene islamistische Rebellengruppen gegenüber.

4.5 Als der Beschwerdeführer im Besitze einer Aufenthalts- und später einer Niederlassungsbewilligung war, reiste er vor dem Ausbruch des Bürgerkriegs regelmässig freiwillig nach Syrien (SEM act. 1/4). Es wird nicht glaubhaft dargelegt, dass er sich später als tatsächlicher oder vermeintlicher Regimegegner exponiert hätte, und daher von der Regierung eine Art. 3 EMRK wiedersprechende Behandlung befürchten müsste. Bezogen auf das Assad-Regime ist demnach nicht ersichtlich, dass gerade er einem besonders realen Risiko ausgesetzt wäre, Opfer von Folter oder einer anderen Art unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung zu werden.

Gemäss seinem Asylgesuch stand der Beschwerdeführer vor seiner Einreise in die Schweiz der sunnitisch-islamistischen Muslimbruderschaft nahe (vgl. vorn unter A). Aus den vorliegenden Akten ist zu schliessen, dass es sich beim Beschwerdeführer folglich um einen Syrer arabischer Ethnie und sunnitischen Muslim handelt. Insofern ist auch nicht ersichtlich bzw. glaubhaft dargelegt, dass er in den von islamistischen Rebellengruppen kontrollierten Gebieten aufgrund einer abweichenden politischen, religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit einer ernsthaften Gefahr ausgesetzt sein könnte, Opfer einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung zu werden.

4.6 Insgesamt beschränken sich die Ausführungen des Beschwerdeführers auf die Darstellung des anhaltenden Bürgerkriegs und der daraus resultierenden allgemeinen Gewalt in Syrien. Dies wäre allenfalls unter Art. 83 Abs. 4 AuG zu berücksichtigen. Daraus kann jedoch aufgrund seiner Straffälligkeit kein Anspruch auf vorläufige Aufnahme wegen Unzumutbarkeit der Wegweisung abgeleitet werden. Die allgemeine Menschenrechtslage in Syrien ist zweifelsohne als problematisch einzustufen. Dem Beschwerdeführer misslingt jedoch die Glaubhaftmachung eines realen Risikos durch spezifische Gründe, welche die völkerrechtliche Unzulässigkeit der Wegweisung nach sich ziehen würde. Anzumerken bleibt sodann, dass sich der Beschwerdeführer in Syrien in ein Gebiet begeben kann, in dem eine menschenrechtswidrige Behandlung unwahrscheinlich erscheint (vgl. Christoph Grabenwarter/Katharina Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 6. Aufl., München 2016, S. 215).

4.7 Dem Vollzug der Wegweisung stehen nach dem Gesagten im vorliegenden Fall keine völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz im Sinne von Art. 83 Abs. 3 AuG entgegen.

5.

5.1 Nach Auffassung der Vorinstanz würden die Behörden aufgrund von Art. 83 Abs. 7 AuG nicht über ein Entschliessungsermessen verfügen. Eine Verhältnismässigkeitsprüfung käme sinngemäss nur bei der Aufhebung, jedoch nicht bei der Anordnung einer vorläufigen Aufnahme in Frage (vgl. SEM act. 7/91).

5.2 Der Beschwerdeführer macht demgegenüber geltend, es sei entgegen der Auffassung der Vorinstanz eine Verhältnismässigkeitsprüfung angezeigt. Die Ablehnung der vorläufigen Aufnahme stelle mit Hinblick auf die Beziehung zu seiner Tochter, seine wirtschaftliche Existenz sowie seine Integration in der Schweiz einen Verstoss gegen das Verhältnismässigkeitsprinzip dar. Diesbezüglich bringt er weiter vor, dass es sich beim begangenen Delikt um ein einmaliges Ereignis handle und er keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle. In Syrien könne er aufgrund der aktuellen Lage keine Arbeit finden, welche ihm ermöglichen könnte, seine hier lebende Tochter finanziell zu unterstützen oder diese zu besuchen. Die Kommunikation über das Telefon oder das Internet sei aufgrund der zerstörten Infrastruktur nicht möglich. Nebst einem einmaligen kurzen Ausfall sei er immer seinen Unterhaltspflichten nachgekommen und wolle dies auch in Zukunft tun. Es entspräche auch den öffentlichen Interessen der Schweiz, dass er weiterhin in der Schweiz arbeiten könne und seine Unterhaltsbeiträge bezahle. Er sei sowohl wirtschaftlich als auch gesellschaftlich integriert. In der Heimat verfüge der Beschwerdeführer über kein funktionierendes Beziehungsnetz und sein Grundstück sei zerstört worden. Aus dem Gesagten sei von einem hohen privaten Interesse an einem Verbleib in der Schweiz auszugehen, welches das öffentliche Interesse an einer Verweigerung der vorsorglichen Aufnahme überwiege (vgl. zum Ganzen Beschwerdeschrift Ziff. 10 ff., BVGer act. 1).

5.3 Das Bundesverwaltungsgericht nimmt praxisgemäss - unabhängig der Frage, ob es um einen Ausschluss von der vorläufigen Aufnahme oder eine Aufhebung einer solchen geht - eine Verhältnismässigkeitsprüfung vor (vgl. Urteile des BVGer E-3304/2015 vom 6. August 2015 E. 7.3 ff.; D-1389/2013 vom 8. Dezember 2015 E. 6.3.3 ff.). Dies entsprach ebenfalls der Praxis der ehemaligen Asylrekurskommission, auf welche im Übrigen auch die von der Vorinstanz zitierte Stelle verweist (Urteil des BVGer D-7342/2010 vom 5. März 2013 E. 6.5.1 mit Verweis auf Entscheidungen und Mitteilungen der Schweizerischen Asylrekurskommission [EMARK] 2004 Nr. 39 E. 5.3 S. 271). Insofern muss auch vorliegend eine Interessenabwägung erfolgen und die Frage beantwortet werden, ob die Nichtgewährung der vorläufigen Aufnahme eine verhältnismässige Massnahme darstellt. Dabei gilt es die Schwere des Delikts und des Verschuldens, den Grad seiner Integration, die Dauer seiner Anwesenheit in der Schweiz sowie die ihm und seiner Familie drohenden Nachteile zu beachten (vgl. BGE 134 II 1 E. 2.2 m.w.H.). Andererseits soll die Interessenabwägung nicht auf eine vollständige Zumutbarkeitsprüfung hinauslaufen. Zudem darf dadurch nicht der Wortlaut von Art. 83 Abs. 7 AuG unterlaufen werden (vgl. vorn E. 3.1).

5.4 Der Beschwerdeführer hat eine erhebliche Gewaltbereitschaft an den Tag gelegt, indem er aus egoistischen, rein finanziellen Motiven besonders wertvolle Rechtsgüter wie Leib und Leben seiner Ex-Frau gefährdet hat (vgl. dazu ausführlich den Rekursentscheid der [kantonalen Rekursinstanz] vom 8. Juli 2015 E. 7a, SEM act. 3/46; vgl. auch das Urteil des Obergerichts des Kantons X._______ vom 20. September 2013 S. 41 f., BVGer act. 10). Die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren spricht, entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers, deutlich für ein gewichtiges öffentliches Interesse an seiner Wegweisung und deren Vollzug. Das öffentliche Interesse ist nicht darauf beschränkt, zukünftige Verletzungen der öffentlichen Ordnung durch die betroffene Person zu vermeiden, sodass die Tatsache, dass es sich um ein einmaliges Ereignis handelte, nicht ins Gewicht fällt (vgl. BVGE 2007/32 E. 3.7.3 S. 391).

5.5 Dem öffentlichen Interesse sind die privaten Interessen des Beschwerdeführers gegenüberzustellen. Bezüglich der Beziehung zur Tochter ist zu beachten, dass diese im Juni 2017 volljährig wird. Damit kann ihr zugemutet werden, nebst der Kommunikation über elektronische Medien auch durch Treffen ausserhalb der Schweiz den Kontakt zum Vater zu pflegen. Ferner ist in Anbetracht des fortgeschrittenen Alters der Tochter das vorgebrachte öffentliche Interesse der Schweiz an der Leistung von Unterhaltsbeiträgen durch den Beschwerdeführer unerheblich. In Anbetracht des Strafmasses sind die negativen Auswirkungen auf die Beziehung zur Tochter verhältnismässig. In diesem Zusammenhang ist auch festzuhalten, dass der Beschwerdeführer gemäss seinen Angaben im Asylverfahren weitere Kinder aus erster Ehe in Syrien hat (SEM N-act. A1/2). Folglich ist fraglich, ob tatsächlich kein Beziehungsnetz in der Heimat besteht.

Weiter gilt es dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Beschwerdeführer erst im Alter von [...] Jahren in die Schweiz einreiste. Eine über das übliche Mass hinausreichende Integration innerhalb seines (...)-jährigen Aufenthalts in der Schweiz ist nicht genügend substantiiert dargelegt worden. Damit liegen keine Indizien vor, dass er beim Wegweisungsvollzug aus einem besonders engen schweizerischen Beziehungsumfeld herausgerissen würde. Vor seiner Inhaftierung reiste er regelmässig nach Syrien. Der Beschwerdeführer spricht arabisch und hat bereits vor seiner Einreise in die Schweiz in verschiedenen Ländern ausserhalb Syriens gearbeitet. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers kann ebenfalls nicht von einer wirtschaftlichen Integration ausgegangen werden, zumal er durch eine Erpressung das nötige Kapital für seinen Autohandel auftreiben wollte und gemäss den Akten Schulden im Gesamtwert von Fr. 50 000.- verursacht hat (SEM act. 3/48).

5.6 Aus dem Gesagten ergibt sich, dass das öffentliche Interesse am Wegweisungsvollzug das private Interesse des Beschwerdeführers am weiteren Verbleib in der Schweiz überwiegt. Der angefochtene Entscheid der Vorinstanz erweist sich vor diesem Hintergrund auch im Resultat nicht als unangemessen.

6.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen und die Kosten des Verfahrens sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (vgl. Art. 63 Abs. 1
IR 0.142.30 Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (mit Anhang)
FK Art. 33 Verbot der Ausweisung und Zurückstellung - 1. Kein vertragsschliessender Staat darf einen Flüchtling in irgendeiner Form in das Gebiet eines Landes ausweisen oder zurückstellen, wo sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatszugehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Anschauungen gefährdet wäre.
1    Kein vertragsschliessender Staat darf einen Flüchtling in irgendeiner Form in das Gebiet eines Landes ausweisen oder zurückstellen, wo sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatszugehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Anschauungen gefährdet wäre.
2    Auf diese Vorschrift kann sich ein Flüchtling nicht berufen, wenn erhebliche Gründe dafür vorliegen, dass er als eine Gefahr für die Sicherheit des Aufenthaltsstaates angesehen werden muss oder wenn er eine Bedrohung für die Gemeinschaft dieses Landes bedeutet, weil er wegen eines besonders schweren Verbrechens oder Vergehens rechtskräftig verurteilt worden ist.
VwVG i.V.m. Art. 1 ff
SR 173.320.2 Reglement vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht (VGKE)
VGKE Art. 1 Verfahrenskosten
1    Die Kosten der Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (Gericht) setzen sich zusammen aus der Gerichtsgebühr und den Auslagen.
2    Mit der Gerichtsgebühr sind die Kosten für das Kopieren von Rechtsschriften und der für Dienstleistungen normalerweise anfallende Verwaltungsaufwand wie Personal-, Raum- und Materialkosten sowie Post-, Telefon- und Telefaxspesen abgegolten.
3    Auslagen sind insbesondere die Kosten für Übersetzungen und für die Beweiserhebung. Die Kosten für Übersetzungen werden nicht verrechnet, wenn es sich um Übersetzungen zwischen Amtssprachen handelt.
. des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]).

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Verfahrenskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. Sie sind durch den in gleicher Höhe einbezahlten Kostenvorschuss gedeckt.

3.
Dieses Urteil geht an:

- den Beschwerdeführer (Einschreiben)

- die Vorinstanz (Akten Ref-Nr. [...] und N [...] retour)

- das Migrationsamt des Kantons X._______

Der vorsitzende Richter: Der Gerichtsschreiber:

Martin Kayser Ardian Nikolla

Versand:
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : F-177/2016
Datum : 07. Februar 2017
Publiziert : 23. Februar 2017
Quelle : Bundesverwaltungsgericht
Status : Unpubliziert
Sachgebiet : Asyl
Gegenstand : Vorläufige Aufnahme


Gesetzesregister
Abk Flüchtlinge: 33
IR 0.142.30 Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (mit Anhang)
FK Art. 33 Verbot der Ausweisung und Zurückstellung - 1. Kein vertragsschliessender Staat darf einen Flüchtling in irgendeiner Form in das Gebiet eines Landes ausweisen oder zurückstellen, wo sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatszugehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Anschauungen gefährdet wäre.
1    Kein vertragsschliessender Staat darf einen Flüchtling in irgendeiner Form in das Gebiet eines Landes ausweisen oder zurückstellen, wo sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatszugehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Anschauungen gefährdet wäre.
2    Auf diese Vorschrift kann sich ein Flüchtling nicht berufen, wenn erhebliche Gründe dafür vorliegen, dass er als eine Gefahr für die Sicherheit des Aufenthaltsstaates angesehen werden muss oder wenn er eine Bedrohung für die Gemeinschaft dieses Landes bedeutet, weil er wegen eines besonders schweren Verbrechens oder Vergehens rechtskräftig verurteilt worden ist.
AuG: 83
BGG: 83
EMRK: 3
VGG: 31  37
VGKE: 1
SR 173.320.2 Reglement vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht (VGKE)
VGKE Art. 1 Verfahrenskosten
1    Die Kosten der Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (Gericht) setzen sich zusammen aus der Gerichtsgebühr und den Auslagen.
2    Mit der Gerichtsgebühr sind die Kosten für das Kopieren von Rechtsschriften und der für Dienstleistungen normalerweise anfallende Verwaltungsaufwand wie Personal-, Raum- und Materialkosten sowie Post-, Telefon- und Telefaxspesen abgegolten.
3    Auslagen sind insbesondere die Kosten für Übersetzungen und für die Beweiserhebung. Die Kosten für Übersetzungen werden nicht verrechnet, wenn es sich um Übersetzungen zwischen Amtssprachen handelt.
VwVG: 5  48  49  62  63
BGE Register
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2014/1 • 2010/42 • 2007/32
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EMARK
2004/39