Bundesverwaltungsgericht
Tribunal administratif fédéral
Tribunale amministrativo federale
Tribunal administrativ federal


Abteilung III

C-199/2013

Urteil vom 5. Dezember 2014

Richterin Marianne Teuscher (Vorsitz),

Richter Antonio Imoberdorf,
Besetzung
Richter Jean-Daniel Dubey,

Gerichtsschreiberin Giulia Santangelo.

R._______,
Parteien
Beschwerdeführer,

gegen

Bundesamt für Migration (BFM),

Quellenweg 6, 3003 Bern,

Vorinstanz.

Gegenstand Einreiseverbot.

Sachverhalt:

A.
Der Beschwerdeführer (geb. 1955), kroatischer Staatsangehöriger, gelangte gemäss eigenen Angaben, auf der Suche nach Arbeit, im Jahr 1970 erstmals in die Schweiz. Am 19. Oktober 2008 wurde er nach einer rechtswidrigen Einreise in die Schweiz verhaftet und am 8. November 2008 nach Zagreb ausgeschafft.

B.
Am 22. Juni 2012 wurde der Beschwerdeführer im Glattzentrum bei Wallisellen angehalten, verhaftet und zur Verbüssung seiner am 28. Oktober 2008 ausgesprochenen Strafe am 25. Juni 2012 dem Regionalgefängnis Frauenfeld und später, am 10. Juli 2012 der Strafanstalt Saxerriet zugeführt. Nach seiner bedingten Entlassung am 23. Oktober 2012 wurde er nach Kroatien ausgeschafft.

C.
Mit Verfügung vom 4. Dezember 2012 verhängte die Vorinstanz über den Beschwerdeführer ein knapp fünfjähriges (bis 22. Oktober 2017) Einreiseverbot. Dies führe zu einer Ausschreibung zur Einreiseverweigerung im Schengener Informationssystem (SIS). Zur Begründung führte das Bundesamt aus, der Betroffene sei vom Bezirksamt Kreuzlingen mit Urteil vom 28. Oktober 2008 wegen rechtswidriger Einreise (Missachten eines unbefristeten Einreiseverbots) zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt worden. Angesichts dieses schweren Verstosses und der damit einhergehenden Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, sei der Erlass einer Fernhaltemassnahme im Sinne von Art. 67 AuG (SR 142.20) angezeigt. Private Interessen, welche das öffentliche Interesse an künftigen kontrollierten Einreisen überwiegen könnten, seien weder aus den Akten ersichtlich noch seien solche im Rahmen des rechtlichen Gehörs geltend gemacht worden. Aus den gleichen Gründen werde einer allfälligen Beschwerde die aufschiebende Wirkung entzogen.

D.
Mit Rechtsmitteleingabe vom 10. Januar 2013 beantragt der Beschwerdeführer sinngemäss die Reduktion der verhängten Dauer der Fernhaltemassnahme. Zur Begründung führt er aus, er sei im Jahr 2008 verurteilt worden. Das gegen ihn verhängte fünfjährige Einreiseverbot müsse folglich bereits ab jenem Zeitpunkt gelten und nicht erst ab 2012.

E.
In ihrer Vernehmlassung vom 21. Mai 2013 beantragt die Vorinstanz - unter Darstellung der Ereignisse aus ihrer Sicht - die Abweisung der Beschwerde.

F.
Mit Replik vom 21. Juni 2013 schildert der Beschwerdeführer im Wesentlichen den chronologischen Ablauf der Geschehnisse seit seiner ersten Einreise in die Schweiz. Dabei macht er im Wesentlichen geltend, dass sein Handeln oft aus Notsituationen heraus erfolgt sei. Ergänzend weist er auf den EU-Beitritt von Kroatien hin und macht implizit geltend, die SIS-Ausschreibung erschwere ihm das Reisen im Schengen-Raum erheblich. Zudem lebten seine Schwester und deren Familie als einzige noch verbliebene Angehörige in der Schweiz. Für die Bezahlung des Kostenvorschusses habe er bei ihr ein Darlehen aufnehmen müssen. Da er keine finanziellen Mittel besitze, beantrage er die unentgeltliche Rechtspflege unter Beiordnung eines Anwaltes.

G.
Am 3. März 2014 wurden die Akten des Migrationsamtes des Kantons Thurgau (nachfolgend: Migrationsamt) beigezogen.

H.
Auf den weiteren Akteninhalt wird, soweit rechtserheblich, in den Erwägungen eingegangen.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.

1.1 Gemäss Art. 31 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen im Sinne von Art. 5 des VwVG, sofern keine Ausnahme nach Art. 32 VGG vorliegt. Als Vorinstanzen gelten die in Art. 33 VGG genannten Behörden. Dazu gehört auch das BFM, das mit der Anordnung eines Einreiseverbots eine Verfügung im erwähnten
Sinne und daher zulässige Anfechtungsobjekte erlassen hat. Eine Ausnahme nach Art. 32 VGG liegt nicht vor.

1.2 Das Rechtsmittelverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht richtet sich nach dem VwVG, soweit das Verwaltungsgerichtsgesetz nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG).

1.3 Der Beschwerdeführer ist als Verfügungsadressat zur Beschwerde legitimiert (Art. 48 Abs. 1 VwVG). Auf die frist- und formgerecht eingereichte Beschwerde ist einzutreten (Art. 50 und 52 VwVG).

1.4 Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet in der vorliegenden Angelegenheit endgültig (Art. 83 Bst. c Ziff. 1 BGG).

2.
Mit Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht kann die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhaltes sowie - falls nicht eine kantonale Behörde als Beschwerdeinstanz verfügt hat - die Unangemessenheit gerügt werden (Art. 49 VwVG). Das Gericht wendet das Bundesrecht von Amtes wegen an. Es ist gemäss Art. 62 Abs. 4 VwVG an die Begründung der Begehren nicht gebunden und kann die Beschwerde auch aus anderen als den geltend gemachten Gründen gutheissen oder abweisen. Massgebend ist grundsätzlich die Sachlage zum Zeitpunkt seines Entscheides (vgl. BVGE 2014/1 E. 2 m.H.).

3.

3.1 Gemäss Art. 67 Abs. 1 AuG wird ein Einreiseverbot vom BFM unter Vorbehalt von Abs. 5 gegenüber weggewiesenen Ausländerinnen und Ausländern verfügt, wenn die Wegweisung nach Art. 64d Abs. 2 Bst. a - c AuG sofort vollstreckt wird (Bst. a) oder die betroffene Person der Ausreiseverpflichtung nicht innert Frist nachgekommen ist (Bst. b). Es kann nach Art. 67 Abs. 2 AuG sodann gegen ausländische Personen erlassen werden, die gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Schweiz oder im Ausland verstossen haben oder diese gefährden (Bst. a), Sozialhilfekosten verursacht haben (Bst. b) oder in Vorbereitungs-, Ausschaffungs- oder Durchsetzungshaft genommen worden sind (Bst. c). Das Einreiseverbot wird für eine Dauer von höchstens fünf Jahren verhängt. Es kann für eine längere Dauer verfügt werden, wenn die betroffene Person eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt (Art. 67 Abs. 3 AuG). Schliesslich kann die verfügende Behörde aus humanitären oder anderen wichtigen Gründen von der Verhängung eines Einreiseverbots absehen oder ein Einreiseverbot vollständig oder vorübergehend aufheben (Art. 67 Abs. 5 AuG).

3.2 Das Einreiseverbot ist eine Massnahme zur Abwendung einer künftigen Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (vgl. Botschaft zum Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer vom 8. März 2002 [nf.: Botschaft], BBl 2002 3813). Die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne von Art. 67 Abs. 2 Bst. a AuG bildet den Oberbegriff für die Gesamtheit der polizeilichen Schutzgüter; sie umfasst u.a. die Unverletzlichkeit der objektiven Rechtsordnung und der Rechtsgüter Einzelner (vgl. Botschaft, a.a.O., S. 3809). Die Verhängung eines Einreiseverbots knüpft an das Bestehen eines Risikos einer künftigen Gefährdung an. Es ist jeweils im Einzelfall eine Prognose zu stellen. Dabei ist naturgemäss in erster Linie das vergangene Verhalten der betroffenen Person zu berücksichtigen, zumal dieses geeignet ist, einen Hinweis auf eine allfällige Gefährdung zu liefern. Deshalb verknüpft Art. 67 Abs. 2 Bst. a AuG die Verhängung einer Fernhaltemassnahme u.a. mit einem bereits erfolgten Verstoss gegen die fraglichen Polizeigüter. Art. 80 Abs. 1
SR 142.201 Ordinanza del 24 ottobre 2007 sull'ammissione, il soggiorno e l'attività lucrativa (OASA)
OASA Art. 80
der Verordnung vom 24. Oktober 2007 über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE, SR 142.201) konkretisiert den Begriff des «Verstosses» nach Art. 67 Abs. 2 Bst. a AuG und hält fest, dass u.a. eine Missachtung gesetzlicher Vorschriften und behördlicher Verfügungen dazu zählt (vgl. die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts C 1875/2012 vom 11. November 2013 E. 5 sowie C-760/2012 vom 24. Juli 2013 E. 7.1 je mit Hinweisen).

3.3 Die Vorinstanz hat in der angefochtenen Verfügung die Ausschreibung des Einreiseverbots im SIS angeordnet. Nach Art. 21 und Art. 24 der Verordnung (EG) Nr. 1987/2006 vom 20. Dezember 2006 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation (SIS II, Abl. L 381 vom 28. Dezember 2006, S. 4 23; nachfolgend SIS-II-VO), welche per 9. April 2013 die in den hier relevanten Punkten gleichlautenden Art. 94 und Art. 96 des Schengener Durchführungsübereinkommens [SDÜ, Abl. L 239 vom 22. September 2000, S. 19-62] abgelöst haben (vgl. den Beschluss des Rates 2013/158/EU vom 7. März 2013, Abl. L 87 vom 27. März 2013, S. 10 11 i.V.m. Art. 52 Abs. 1 SIS-II-VO), wird ein Einreiseverbot gegen eine Person, die nicht das Bürgerrecht eines EU-Staates besitzt, nach Massgabe der Bedeutung des Falles im SIS ausgeschrieben. Die Ausschreibung bewirkt grundsätzlich, dass der Person die Einreise in das Hoheitsgebiet aller Schengen-Mitgliedstaaten verboten ist (vgl. Art. 5 Abs 1 Bst. d und Art. 13 Abs. 1 Schengener Grenzkodex [SGK], Abl. L 105 vom 13. April 2006, S. 1-32). Die Mitgliedstaaten können einer solchen Person aus humanitären Gründen oder Gründen des nationalen Interesses oder wegen internationaler Verpflichtungen aber die Einreise in das eigene Hoheitsgebiet gestatten bzw. ihr ein Schengen-Visum mit räumlich beschränkter Gültigkeit ausstellen (vgl. Art. 13 Abs. 1 i.V.m. Art. 5 Abs. 4 Bst. c SGK sowie Art. 25 Abs. 1 Bst. a [ii] Visakodex, Abl. L 243 vom 15. September 2009).

4.

4.1 Die Vorinstanz begründete das Einreiseverbot zunächst pauschal mit dem Urteil des Bezirksamtes Kreuzlingen vom 28. Oktober 2008, in dem der Beschwerdeführer wegen rechtswidriger Einreise (Missachten eines unbefristeten Einreiseverbots) zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt worden ist. Es steht ausser Frage, dass ein derartiger Sachverhalt einen Fernhaltegrund nach Art. 67 Abs. 2 Bst. a AuG nach sich ziehen kann. Ob der Erlass der angefochtenen Verfügung, vier Jahre später, einzig gestützt auf das damalige Urteil und ohne Berücksichtigung der weiteren Umstände oder der Zeitspanne seit der Verurteilung gerechtfertigt wäre, ist hingegen fragwürdig.

4.2 Dass das Urteil vom 28. Oktober 2008 per se eine ungenügende Grundlage für die verhängte fünfjährige Fernhaltemassnahme sein dürfte, war wohl auch der Vorinstanz bewusst. Entsprechend brachte sie in ihrer Vernehmlassung vom 21. Mai 2013 weitere Argumente vor. Bei massgeblichem Sachverhalt zum Zeitpunkt der Urteilsfällung (vgl. E. 2 in fine) ist eine derartige Ergänzung im Sinne einer Motivsubstitution grundsätzlich möglich und zulässig (vgl. Urteil des BVGer C-1942/2012 vom 17. März 2014 E. 4.3). So brachte die Vorinstanz nun vor, der Beschwerdeführer sei bereits sechs Mal vorbestraft gewesen, als er am 22. Juni 1992 vom Obergericht des Kantons Zürich wegen Vergehens und Verbrechens gegen das Betäubungsmittelgesetz sowie Verweisungsbruch zu vier Jahren und sechs Monaten Zuchthaus sowie zu Landesverweisung auf Lebzeiten verurteilt worden sei. Am 11. Juli 1997 habe ihn das Bezirksgericht Zürich wegen Diebstahls (unvollendeter Versuch) und Verweisungsbruchs zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Am 28. Mai 1998 habe ihn dasselbe Gericht wegen Vergehens gegen die damalige Ausländergesetzgebung und Verweisungsbruchs zu fünf Monaten Gefängnis verurteilt. Sodann sei der Beschwerdeführer am 11. Oktober 2004 wegen Diebstahls und Verweisungsbruchs zu fünf Monaten Gefängnis verurteilt worden. Am 19. Juni 2007 sei er vom Untersuchungsamt Altstätten wegen Missachtung der Einreisesperre sowie wegen Versuchs der rechtswidrigen Einreise zu einer Freiheitsstrafe von 20 Tagen verurteilt worden. Am 19. Oktober 2008 sei er wegen einer weiteren illegalen Einreise in Haft gesetzt und am 8. November 2008 in seine Heimat ausgeschafft worden. Mit Urteil vom 7. Januar 2010 sei er vom Bezirksamt Kreuzlingen wegen der illegalen Einreise am 19. Oktober 2008 zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden. Am 22. Juni 2012 sei er in der Schweiz verhaftet und am 23. Oktober 2012 nach Kroatien ausgeschafft worden.

4.3 Weiter führte die Vorinstanz aus, aufgrund der Begründung des Urteils vom 19. Oktober 2008 sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer nach Erlöschen des lebenslangen Landesverweises mit einer unbefristeten Einreisesperre belegt worden sei. Hingegen sei diese Sperre nicht im Zentralen Migrationssystem des Bundes (ZEMIS) registriert und auch nicht mehr im automatisierten Fahndungssystem des Bundes (RIPOL; Recherches informatisées de police) ersichtlich. Da der Beschwerdeführer im ZEMIS insgesamt zehn Nebenidentitäten aufweise und nachdem eine Datenmigration im Jahre 2007 stattgefunden habe, könne dieser Datenverlust auch einen technischen Ursprung haben. In einem Befragungsprotokoll der Kantonspolizei St. Gallen vom 19. März 2007 habe der Beschwerdeführer überdies zugegeben, mit einer unbefristeten Einreisesperre belegt zu sein, was ihn nicht daran gehindert habe, am 19. Oktober 2008 erneut illegal in die Schweiz einzureisen. Der Beschwerdeführer habe im Zeitpunkt seiner Verhaftung am 22. Juni 2012 weder einen Aufenthaltstittel für die Schweiz noch für einen anderen Schengenstaat vorweisen können. Es sei nicht auszuschliessen, dass er sich für längere Zeit illegal in der Schweiz bzw. im Schengenraum aufgehalten habe.

4.4 Bei den vom Beschwerdeführer begangenen Delikten handle es sich nach dem gravierenden Urteil aus dem Jahr 1992 hauptsächlich um illegale Einreisen; deren Häufung und Beständigkeit zeigten deutlich auf, dass sich der Beschwerdeführer nicht an die geltende Rechtsordnung in der Schweiz halten könne. Mit dem Einreiseverbot solle gewährleistet werden, dass es zu einer Abwendung von künftigen Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung komme. Die am
4. Dezember 2012 verfügte neue Einreisesperre mit Gültigkeit bis zum 22. Oktober 2017 sei aufgrund der Vorstrafenliste gerechtfertigt. Allein aufgrund der Ausschaffung in sein Heimatland am 23. Oktober 2012 hätte gemäss geltender Praxis ein Einreiseverbot für drei Jahre verfügt werden müssen.

5.

5.1 Die Akten des vorinstanzlichen Dossiers gehen bis auf das Jahr 2007 zurück, die kantonalen Akten gar nur auf das Jahr 2008. Dass der Beschwerdeführer bereits vor 1992 sechs Mal verurteilt worden sein soll, geht aus diesen nicht hervor. Es ist daher unklar, woher die Vorinstanz diese Information hat. Ein RIPOL-Auszug vom 20. Oktober 2008, worin eine im Jahr 1985 verfügte Einreisesperre aufgeführt ist, lässt zwar vermuten, dass der Beschwerdeführer bereits vor 1992 mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist, ein Beweis für die angeblichen sechs Verurteilungen stellt dies jedoch nicht dar. Ohnehin dürften die Geschehnisse für die vorliegende Beurteilung zu weit in der Vergangenheit liegen.

5.2 Soweit die Vorinstanz auf die Verurteilungen in den Jahren 1992, 1997, 1998, 2004 und 2007 Bezug nimmt, stützt sie sich vordergründig auf die begründete Strafverfügung des Bezirksamts Kreuzlingen vom 7. Januar 2010 sowie auf diverse RIPOL-Auszüge vom 20. Oktober 2008. Zur ersteren findet sich in den vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen kantonalen Akten eine unbegründete Version vom 28. Oktober 2008. Der Zusammenhang der beiden Urteile ergibt sich lediglich aus der identischen Verfahrensnummer. Weshalb sich in den Akten der Vorinstanz lediglich die begründete Strafverfügung vorfindet, ist unklar. Weitere oder gar vollständige Strafakten liegen sodann nicht vor. Aktenkundig ist hingegen der Strafbescheid des Untersuchungsamtes Altstätten vom 19. Juni 2007, in dem der Beschwerdeführer wegen Missachtung der Einreisesperre sowie wegen Versuchs der rechtswidrigen Einreise zu einer Freiheitsstrafe von 20 Tagen verurteilt und - wie bereits erwähnt - die Strafverfügung des Bezirksamtes Kreuzlingen vom 28. Oktober 2008 bzw. 7. Januar 2010 wegen Missachtens eines Einreiseverbots zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten. Aus der begründeten Strafverfügung geht hervor, dass der Beschwerdeführer am 22. Juni 1992 vom Obergericht Zürich wegen Vergehens und Verbrechens gegen das Betäubungsmittelgesetz und Verweisungsbruchs zu vier Jahren und sechs Monaten Zuchthaus verurteilt wurde. Weder der Begehungszeitraum noch der Umfang der Verfehlung oder die Schwere des Verschuldens können korrekt beurteilt werden, auch der konkrete Sachverhalt ist nicht bekannt. Da sich der Beschwerdeführer seither und damit seit bereits 22 Jahren im Bereich der Betäubungsmitteldelikte nichts mehr zu Schulden kommen liess, dürfte sein damaliges Fehlverhalten für die vorliegende Beurteilung wohl kaum von Bedeutung sein. Der begründeten Strafverfügung kann im Weiteren entnommen werden, dass der Beschwerdeführer im Zeitraum zwischen 1997 und 2006 wegen ausländerrechtlicher Verstösse sowie drei Mal wegen Diebstahls oder unvollendeten Versuchs dazu verurteilt worden ist. Weitere Einzelheiten liegen nicht vor. Mit diesen Informationen dürfte die Vorinstanz kaum in der Lage gewesen sein, die Gründe für den Erlass und die Dauer der verhängten Fernhaltemassnahme ernsthaft zu beurteilen. Die Beurteilung, inwiefern das vergangene Verhalten des Beschwerdeführers - die meisten Verurteilungen sind über acht und bis zu vierundzwanzig Jahre her - für die Verhängung eines Einreiseverbots heute überhaupt noch von Belang ist, dürfte damit kaum möglich sein.

5.3 Nicht zu überzeugen vermag die Vorinstanz mit den Schlussfolgerungen, welche sie aus der begründeten Strafverfügung zieht. So geht sie lediglich davon aus, dass der Beschwerdeführer nach Erlöschen des lebenslangen Landesverweises mit einer unbefristeten Einreisesperre belegt worden sei. Derartige Vermutungen sind jedoch kaum mit der pflichtgemässen Ermittlung des Sachverhalts vereinbar. Ebenfalls unbehelflich erweist sich der Versuch der Vorinstanz, das Fehlen entsprechender Eintragungen im ZEMIS und im RIPOL mit einem möglichen, aber nicht nachgewiesenen Datenverlust bei der Datenmigration im Jahr 2007 zu erklären.

5.4 In der weiteren Begründung wies die Vorinstanz darauf hin, dass der Beschwerdeführer bei seiner Verhaftung am 22. Juni 2012 keinen Aufenthaltstitel für die Schweiz oder einen anderen Schengenstaat habe vorweisen können. Sie betonte, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass er sich für längere Zeit in der Schweiz bzw. im Schengenraum aufgehalten habe. Diese implizite Anschuldigung gegen den Beschwerdeführer stellt jedoch eine blosse Vermutung dar, da sie durch keine geeigneten Beweise belegt werden kann. Wäre die Vorinstanz tatsächlich davon ausgegangen, dass gegen den Beschwerdeführer bei seiner Anhaltung im Jahr 2012 ein Einreiseverbot bestanden hatte (vgl. E. 5.3), hätte sie sowohl die Einreise als auch den Aufenthalt als unrechtmässig beurteilen müssen. Die Aktenlage liess eine derartige Schlussfolgerung jedoch nicht zu, wäre doch der Sachverhalt in diesem Fall auch in strafrechtlicher Hinsicht relevant gewesen.

5.5 Sodann argumentiert die Vorinstanz mit der Ausschaffung des Beschwerdeführers am 23. Oktober 2012. Den vorinstanzlichen Akten kann entnommen werden, dass sie sich dabei einzig auf die E-Mail des kantonalen Migrationsamtes vom 27. November 2012 stützt, in der lediglich erwähnt wird, dass der Beschwerdeführer bereits ausgeschafft worden sei. In der Regel ist mit dem Wegweisungs- oder Ausweisungsentscheid eine angemessene Ausreisefrist zu setzen (Art. 64d Abs. 1
SR 142.201 Ordinanza del 24 ottobre 2007 sull'ammissione, il soggiorno e l'attività lucrativa (OASA)
OASA Art. 80
und Art. 68 Abs. 2
SR 142.201 Ordinanza del 24 ottobre 2007 sull'ammissione, il soggiorno e l'attività lucrativa (OASA)
OASA Art. 80
AuG). Erst wenn diese Ausreisefrist ungenutzt verstrichen ist oder in den Fällen von Art. 69 Abs. 1 Bst. b
SR 142.201 Ordinanza del 24 ottobre 2007 sull'ammissione, il soggiorno e l'attività lucrativa (OASA)
OASA Art. 80
und c AuG, kommt die zwangsweise Durchsetzung in Betracht. In jedem Fall ist eine schriftliche beschwerdefähige Wegweisungsverfügung zu erlassen (Marc Spescha, in: Kommentar Migrationsrecht, 3. aktualisierte Aufl. 2012, Rz. 1 zu Art. 64
SR 142.201 Ordinanza del 24 ottobre 2007 sull'ammissione, il soggiorno e l'attività lucrativa (OASA)
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). In Ausnahmefällen kann die Wegweisung formlos erfolgen (Art. 64c
SR 142.201 Ordinanza del 24 ottobre 2007 sull'ammissione, il soggiorno e l'attività lucrativa (OASA)
OASA Art. 80
AuG). Im vorliegenden Fall liegt keine dieser Ausnahmen vor. Insbesondere findet Art. 64c Abs. 1 Bst. b
SR 142.201 Ordinanza del 24 ottobre 2007 sull'ammissione, il soggiorno e l'attività lucrativa (OASA)
OASA Art. 80
AuG nach dem Gesagten (E. 5.4) keine Anwendung. Daher müsste sich die Ausschaffung des Beschwerdeführers auf eine formelle Wegweisung stützen. In den vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen kantonalen Akten findet sich lediglich ein Gesuch des kantonalen Migrationsamtes an das zuständige Polizeikommando um Zuführung bzw. Ausschaffung des Beschwerdeführers nach der bedingten Entlassung aus dem Strafvollzug vom 23. Oktober 2012. Eine formell verfügte Wegweisung ist hingegen nicht aktenkundig. Es ist fraglich, ob eine solche überhaupt erlassen wurde. Fehlt eine solche, dürfte sich die Vorinstanz wohl eher nicht auf den Fernhaltegrund der Ausschaffung berufen können.

5.6 Nach dem Gesagten liegen erhebliche Mängel bei der Sachverhaltsermittlung vor (Art. 49 Bst. b
SR 142.201 Ordinanza del 24 ottobre 2007 sull'ammissione, il soggiorno e l'attività lucrativa (OASA)
OASA Art. 80
VwVG). Die Schlussfolgerungen der Vorinstanz stützten sich vordergründig auf die spärlich vorhandenen Akten im vorinstanzlichen Dossier. Bei diesen handelt es sich grösstenteils um mittelbare Hinweise, welche die Vorinstanz aus dem Kontext schliesst. Weder die begründete Strafverfügung des Bezirksamts Kreuzlingen vom 7. Januar 2010 noch die Auszüge aus dem RIPOL vom 20. Oktober 2008 noch die weiteren sich im vorinstanzlichen Dossier befindlichen Akten, insbesondere der pauschale Antrag des kantonalen Migrationsamtes vom 27. November 2012 auf Erlass eines fünfjährigen Einreiseverbots, sind geeignet, um als Grundlage eines solchen zu dienen. Der Beizug der Akten des kantonalen Migrationsamtes vermochte keine hinreichende Klärung des rechtserheblichen Sachverhalts bewirken. Damit ist das BFM seiner Pflicht zur Abklärung der massgebenden Sachverhaltselemente nicht hinreichend nachgekommen (Art. 49 Bst. b
SR 142.201 Ordinanza del 24 ottobre 2007 sull'ammissione, il soggiorno e l'attività lucrativa (OASA)
OASA Art. 80
VwVG).

6.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die angefochtene Verfügung Bundesrecht verletzt (Art. 49 Bst. a
SR 142.201 Ordinanza del 24 ottobre 2007 sull'ammissione, il soggiorno e l'attività lucrativa (OASA)
OASA Art. 80
und b VwVG). Die Beschwerde ist daher gutzuheissen, die Verfügung vom 4. Dezember 2012 aufzuheben und die Sache im Sinne der Erwägungen an das BFM zur Neubeurteilung zurückzuweisen, womit die Eventualanträge hinfällig werden.

7.
Der Beschwerdeführer ist kroatischer Staatsbürger. Der EU-Beitritt Kroatiens erfolgte am 1. Juli 2013, weshalb der Beschwerdeführer seit diesem Datum Bürger eines EU-Staates ist, wodurch die Ausschreibung im SIS unrechtmässig geworden ist. Das BFM ist daher anzuweisen, die Löschung der Ausschreibung zu veranlassen.

8.
Entsprechend dem Verfahrensausgang sind dem Beschwerdeführer keine Kosten aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1
SR 142.201 Ordinanza del 24 ottobre 2007 sull'ammissione, il soggiorno e l'attività lucrativa (OASA)
OASA Art. 80
VwVG), womit das nachträglich gestellte Gesuch um Befreiung von den Verfahrenskosten gegenstandslos wird. Das ebenfalls in der Replik gestellte Gesuch um Beiordnung eines amtlichen Anwaltes ist mangels Notwendigkeit (rechtsgenügliche Beschwerde und Replik; keine Notwendigkeit zur Wahrung der Parteirechte) abzuweisen. Eine Parteientschädigung ist nicht auszurichten, da dem Beschwerdeführer keine verhältnismässig hohen Kosten erwachsen sind.

Dispositiv Seite 12

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und die angefochtene Verfügung wird aufgehoben.

2.
Die Sache wird zur Neubeurteilung an das BFM zurückgewiesen.

3.
Das BFM wird angewiesen, die Löschung der Ausschreibung im SIS zu veranlassen.

4.
Es werden keine Verfahrenskosten erhoben. Dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird - soweit nicht gegenstandslos geworden - nicht stattgegeben. Der vom Beschwerdeführer am 15. April 2013 einbezahlte Kostenvorschuss in der Höhe von Fr. 900.- wird zurückerstattet.

5.
Es wird keine Parteientschädigung ausgerichtet.

6.
Dieses Urteil geht an:

- den Beschwerdeführer (Einschreiben; Beilage: Formular "Zahladresse")

- die Vorinstanz (...)

- das Migrationsamt des Kantons Thurgau (...)

Die vorsitzende Richterin: Die Gerichtsschreiberin:

Marianne Teuscher Giulia Santangelo

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Informazioni decisione   •   DEFRITEN
Documento : C-199/2013
Data : 05. dicembre 2014
Pubblicato : 10. febbraio 2015
Sorgente : Tribunale amministrativo federale
Stato : Inedito
Ramo giuridico : Cittadinanza e diritto degli stranieri
Oggetto : Einreiseverbot


Registro di legislazione
LStr: 64  64c  64d  67  68  69
LTAF: 31  32  33  37
LTF: 83
OASA: 80
SR 142.201 Ordinanza del 24 ottobre 2007 sull'ammissione, il soggiorno e l'attività lucrativa (OASA)
OASA Art. 80
PA: 5  48  49  50  52  62  63
Parole chiave
Elenca secondo la frequenza o in ordine alfabetico
autorità inferiore • condannato • tribunale amministrativo federale • mese • fattispecie • pena privativa della libertà • sfratto • durata • violazione del bando • entrata nel paese • sentenza di condanna • croazia • entrata illegale • furto • pittore • persona interessata • replica • presunzione • decisione • legge federale sugli stranieri
... Tutti
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BVGer
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FF
2002/3813
EU Verordnung
1987/2006
EU Amtsblatt
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